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Ars Electronica 1995
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Festival 1979-2007
 

 

Wagners Wahn oder das heilige Land des Kapitals


'Peter Weibel Peter Weibel

EINE CYBEROPER
Wagners Scheitern ist auch heute noch interessant, gerade weil er in der Bourgeoisie so erfolgreich ist. Dieser Erfolg ist nicht allein seiner künstlerischen Substanz zuzuschreiben, seiner Musik, die gelinde, mit Nietzsche gesagt, zu affektiv ist und nur müde Nerven reizt, sondern vor allem seiner ideologischen Wirkung. Die Bourgeoisie erfreut sich am Scheitern eines Revoltionärs, der sehr früh soziale Empörung gegen emotionale Erlösung eingetauscht hat. "Wagner rechnet nie als Musiker, von irgendeinem Musiker-Gewissen aus: er will die Wirkung, er will nichts als die Wirkung. Und er kennt das, worauf er zu wirken hat!" (Nietzsche) Wie Hollywood-Musik und Hollywood-Regie, z.B. Steven Spielberg, zielt Wagners musikalisches Sprachvermögen trotz alter bzw. gerade wegen seiner akustischen Gebärden-Verstärkung und Instrumenten-Rhetorik auf das Psychologisch-Pittoreske, auf das Suggestive des Dramas und des Melodrams. Seine Musik wirkt daher, wie Nietzsche gesagt hat: "Auf etwas, worauf ein vornehmer Künstler niemals wirken soll – Auf die Massen! Auf die Unreifen! Auf die Blasierten! Auf die Krankhaften! Auf die Idioten! Auf Wagnerianer!" und Queenianer. Denn das Beste, was man über Wagners Musik sagen kann, ist: sie ist grandioser Kitsch für die gebildeten Stände und Wagner selbst ein Freddy Mercury von Gnaden für die musikalische Hochkultur. Es ist peinlich. Jahr für Jahr diesen Bettel in Bayreuth zu erleben, vor dem Nietzsche schon Abscheu empfunden hat.

Anders ist es um Wagners philosophische Positionen bestellt, die noch heute unsere Aufmerksamkeit verdienen und denen unserer Auffassung nach die eigentliche Wirkung Wagners zuzuschreiben ist, die allerdings in der aufputschenden Emotionalität der Musik einen adäquaten Partner haben. In dieser Hypertext-Oper wird nun versucht, eine neue Lesart von Wagners Gesamtkunstwerk vorzuschlagen, nämlich als Theorie des Wahns. "Wahnfried" heißt daher bezeichnenderweise Wagners finales Ideal und Domizil. Diese Cyber-Oper beansprucht aber kein Monopol der Interpretation, sondern der Struktur der non-linearen Vernetzung des Hypertextes gemäß werden gleichzeitig mehrere Lesarten auf 6 Kanälen bzw. Windows angeboten, die lokal (im Brucknerhaus) und nicht-lokal (außerhalb des Brucknerhauses) zugänglich und steuerbar sind. Während normalerweise der Bühnenbildner das exklusive Monopol hat, parallel zur Musik seine und des Regisseurs Interpretation visuell zu inszenieren, für viele Stunden zu jedem Satz und zu jeder musikalischen Passage ein und dasselbe Bühnenbild anzubieten, also eigentlich durch sein breitgewichtiges Bühnenmonopol eine Blockade der Interpretationslust des Zuhörers und Zusehers anstiftet, wird es durch das technische Verfahren des Hypertextes möglich, multiple Lesarten zu aktivieren. Die akustische, visuelle und textliche Hypertext-Architektur dient gleichsam als panoramahaftes elektronisches Bühnenbild, das sich ständig ändert und unentwegt verzweigt. Das lokale und nicht-lokale Publikum wird zum Interpreten vom Range des Regisseurs, Bühnenbildners und Dirigenten emanzipiert. Aus den vorhandenen Informationsschienen wie Wagners Theorie des Gesamtkunstwerkes, Wagner und die Frauen, Wagner und die Politik, Wagner und die Ideologie, Wagners Leben, Wagners Zeitgenossen etc. können die Benützer sich selbst aus den angebotenen Fragmenten ihr eigenes Bild von Wagner bilden.

Wagners Musik, Wahn und Gesamtkunstwerk wird also als Text interpretiert. Wir beginnen unsere Lektüre von Wagner daher mit einer anderen verkannten Lektüre, nämlich der Lektüre des 40jährigen irischen Musikkritikers George Bernhard Shaw, der 1885 im Lesesaal des britischen Museums gleichzeitig über zwei Werke gebeugt war, über das "Kapital" von Karl Marx und über die "Tristan"-Partitur von Richard Wagner. Shaw, der leidenschaftliche Sozialist, sah nämlich in Wagner, der 1848 gemeinsam mit dem Anarchisten Bakunin am Aufstand in Dresden beteiligt war, einen Rebellen im Heiligen Land des kapitalistischen Zeitalters in Deutschland. "Rheingold" war für ihm schlichtweg das Geld des Kapitals. Shaws "Rheingold"-Analysen deuten Wagners Werk als Kritik des zeitgenössisch-kapitalistischen Bewußtseins. Den tragischen Verlauf der "Siegfried"-Revolution, daß nämlich anstelle des Anarchisten Siegfried in Wirklichkeit der Imperator Bismarck kam und Siegfried unterging, was natürlich nicht dem eschatologischen Utopismus der Sozialrevolutionäre entsprach, deutete Shaw als Wandel des revolutionären Wagners zum konservativen alten Wagner, der die "Götterdämmerung" erst nach 20 Jahren dem "Ring" anfügte. In seiner Schrift "Der vollkommene Wagnerianer" ("The perfect wagnerite"), ein Kommentar zum Ring des Nibelungen (1898), stützte er sich auf die frühen revolutionären Pamphlete Wagners, wie "Der Mensch und die bestehende Gesellschaft" und "Die Kunst und die Revolution", beide aus dem Jahre 1849. Diese Schriften allerdings, ihres Pathos der Menschenrevolution und ihrer expressiven Rhetorik entkleidet, zeigen bereits in nuce die Rhetorik einer konservativen Revolution, wie sie Carl Schmitt, der Verfasser von "Totaler Feind, totaler Krieg, totaler Staat" (1937) und von "Wesen und Werden des faschistischen Staates" und "Politische Romantik" (1925) und vor allem von "Staat Bewegung Volk – die Dreigliederung der politischen Einheit" (1933) vorbereitete und Hitler zu Ende führte. Wagners Wandlung vom scheinbar anarchistischen Rebellen zum antisemistischen Erlöser, genauer gesagt zu Wagners Angebot, ihn selbst und seine Musik als Erlöser zu begreifen, ist bereits in dieser frühen politischen Romantik angelegt. Wagners Erlösungsmusik mit ihrer Fixierung auf Tod und Untergang ist eine politische Religion, deren apokalyptischer Ton in Ekstase versetzt. Gerade im Erlösungs-Drama aber liegt die strukturelle Verwandtschaft mit dem Nationalsozialismus. Wagner machte sich dadurch zum Guru eines Kultes, zum Führer einer Sekte, die selbstverständlich wie alle totalitären Gruppen ein lokales Zentrum brauchte, eine Kultstätte, eine Weihestätte: Bayreuth. Allerdings mit einer enormen Macht ausgestattet, mit der Macht der Musik. Unsere Interpretation folgt der Parallelisierung von "Tristan" und "Kapital", wie sie Shaw vorgeschlagen hat. Nur sind wir der Auffassung, daß Wagners Kritik am Gold, am Geld nur Personen verteufelt, z.B. Juden, und nicht das System. Dadurch verklärt er das heilige Land des Kapitals.

Wagners politische Romantik ist eine Theorie des Wahns, die sich einer trivialen Aneignung von Nietzsches Lehre "vom bewußt gewollten Schein" verdankt. In dieser Theorie des "Willens zum Schein" ist auch eine der Ursachen der frühen Freundschaft von Wagner und Nietzsche begründet. "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik", die Wagner gewidmet ist und in der die Kunst als bewußtes Schaffen des ästhetischen Scheins gefeiert wird, ist komplementär zu lesen zu dem Fragment aus dem Jahre 1873 "Über die Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne". Nietzsche bejahte lustvoll den Schein: "Meine Philosophie umgekehrter Platonismus: je weiter ab vom wahrhaft Seienden, umso reiner, schöner, besser ist es. Das Leben im Schein als Ziel"; Wagners Simplifikation dieser Theorie des Wahns jenseits der Wahrheit und jenseits von Gut und Böse als Lüge notwendig zum Leben hat zur Trennung Nietzsches von Wagner geführt. Sachs' Wahnmonolog in "Die Meistersinger" zeigt den Kern von Wagners Theorie des Wahn, daß es im Leben nicht um Wahrheit oder Falschheit geht, sondern daß es darum geht, welche Vorstellungen lebensfördernd sind, was sich durchsetzt. Wahn wird als Lebensbedingung zugestanden. Daraus ließ sich leicht das vitalstische Wahnsystem des Nationalsozialismus ableiten. Der Philosoph Hans Vaihinger hat mit seinem Werk "Die Philosophie des Als Ob", das in den Jahren 1876-78 entstand, aber erst 1911 erschien, eine Theorie der Fiktion unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit und der Lebensförderung entworfen, wobei er sich auf Kant, Lange, Nietzsche und Wagner berief. Carl Schmitt hat in einem kleinen Aufsatz in den Bayreuther Blättern (1912) Wagners Theorie des Wahns und Vaihingers Interpretation explizit gelobt und ihr beigepflichtet. Der Versuch, das Kapital als "Rheingold" und die Revolution als Mythos zu lesen, diese Fusion von Sozialismus und Sagenkunde, hat also nicht zur Befreiung geführt, sondern ist in der ästhetischen Schnulze einer entzauberten Bourgeoisie verelendet. Wagners Kunst hat sich nicht für die Entrechteten und Geknechteten eingesetzt, sondern zur höheren seelischen Befriedung und Befreiung für die Erlösung der Kapitalisten, und wenn es christlich sein muß, wie Jesus sogar im Tod. Der gescheiterte soziale Revolutionär flüchtet in den mythischen Erlösungsgedanken, in die Todessehnsucht, die seine Klientel, die geschichtlich dem Untergang geweihte Bourgeoisie, mit ihm teilt. Wagners ideologischer Wandel landet daher beim Wahn des Gesamtkunstwerks, der politisch-ästhetischen Atopie.

Material:

Im Saal:
  • Ein Klavier, ein Pianist, eine Sängerin

  • Peter Weibel, ein Computerterminal mit Internetanschtuß

  • vier datentaugliche Videoprojektoren

  • eine Tonanlage.
Im Foyer:
  • Zwei Multimedia-Terminals (2 Computer, Videomischer,. Monitore)
Internet:
  • Anschluß ans Internet via WWW und I.R.C.-Server
Software:
  • Multimedia-Info-Software zum Thema "Wagners Wahn", eine Ars Electronica-Produktion (auch als CD-Rom-Edition erhältlich) mit historischer Information, Musikbeispielen, Videostatements, in einer Hypertext-Struktur.

  • WorldWideWeb-Pages zum Thema Wagner

  • Online-Chat-Channel-Verbindung ins Internet

  • Wagner's Wesendonck-Lieder
Aufführung:Internet:
Für die Dauer der Ars Electronica werden via WorldWideWeb Informationen zu Richard Wagner öffentlich zugänglich gemacht. Für die Dauer der Aufführung wird über einen IRC-Server eine weltweite online-Diskussion zum Thema "Wagners Wahn" unter der Moderation und Teilnahme Peter Weibels abgewickelt.

Foyer Brucknerhaus:
Hier befinden sich zwei Mulimedia-Terminals, auf denen Besucher Zugriff auf die Ars Electronica-Software: "Wagners Wahn" haben. Zugleich werden auf diesem Terminal Videoinserts der für dieses Ereignis eingerichteten Wagner-WWW-Infopages eingespielt, sowie Inserts der Online-Diskussion via Internet und der Ereignisse auf der Bühne.
Die Informationswege, die die User durch die Software "Wagners Wahn" nehmen, werden im Saal Bestandteil der Aufführung.

Saal Brucknerhaus:
Während der Aufführung der Wagnerschen Wesendock-Lieder bilden Videoprojektionen der CD-Rom "Wagner's Wahn" (bedient von den Multimedia-Terminals im Foyer), gemeinsam mit Projektionen der WorldWideWeb-Pages zum Thema Wagner, sowie der Online-Diskussion zum Thema, ein telematisches elektronisches Bühnenbild.


Konzept / Conception: Peter Weibel
Software-CD-ROM-Entwicklung / CD-ROM software development: Orhan Kipcak
Mitarbeit Software / Software Assistance: Helmut Kaplan, Kaya Kipcak, Michael Pölzl, Katharina Copony, Kai Pongratz
Videorecardings / Video Recordings: Gerd Heide
Text- und Bildrecherche / Text and Image Research: Gerhard Nierhaus, Florian Gessler
Sängerin / Singer: Susan Dumas
Redaktion Text / Text Editors: Peter Weibel, Curd Buca