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VITRA Feuerwehrhaus - Projektbeschreibung


'Zaha M. Hadid Zaha M. Hadid

ALLGEMEINE ENTWURFSSTRATEGIE UND ARCHITEKTONISCHES KONZEPT
Das Projekt begann als Planungsauftrag für ein Feuerwehrhaus im nordöstlichen Teil des ausgedehnten Betriebsgeländes der Firma Vitra in Weil am Rhein. Es wurde dann um die Planung der Einfassungsmauern, eines Fahrradschuppens und einer Übungseinrichtung für die Löschmannschaft erweitert.

Wir begannen mit einer detaillierten Studie des Betriebsgeländes. Wir wollten die Elemente unseres Planungsauftrages so plazieren, daß sie zwischen den massiven Fabrikgebäuden nicht untergehen würden. Außerdem sollten sie dem gesamten Areal eine Struktur und der Haupterschließungsstraße Identität und Rhythmus verleihen. Diese Straße – sie verläuft vom Sesselmuseum zum anderen Ende des Areals, wo sich jetzt das Feuerwehrhaus befindet – verstanden wir als lineares Gestaltungsprinzip, sozusagen als künstliche Fortsetzung des linearen Rasters der angrenzenden Felder und Weingärten.

Für das Feuerwehrhaus hatte das bedeutende Implikationen. Das Gebäude wurde nicht als isoliertes Objekt geplant, sondern als Endpunkt des gestalteten Raumes: der Raum sollte nicht einfach nur beansprucht, sondern definiert werden. Das erreicten wir durch einen schmalen, langgestreckten Baukörper entlang der Straße. Das Gebäude befindet sich an der Stelle, an der die Straße wieder zurückführt und akzentuiert diese Richtungsänderung. Es schneidet in einem flachen Winkel in die Hauptachse der Straße ein, ist in sich selbst gebogen und drängt so die Straße in die neue Richtung. (Das geometrische Konzept des Gebäudes zeichnet die zwei hauptsächlichen strukturierenden Linien des Geländes nach. Die Ausrichtung der umliegenden Felder und des Fabrikareals wird von einer zweiten Richtungsbewegung durchschnitten, die eine Ecke des ansonsten geradlinigen Areals abtrennt und der entlang des Rheins am Ort vorbeiführenden Bahntrasse folgt. Diese Richtungskollision – die bisher von der geradlinigen Anlage des Geländes aufgefangen worden war findet nun im Feuerwehrhaus ihren Ausdruck.) Das Feuerwehrhaus begrenzt nicht nur das Betriebsareal, sondern schirmt es gleichzeitig gegen die angrenzenden Gebäude ab, die die ldentität des Vitra-Komplexes zu verwischen drohen.

Das architektonische Konzept wurde aus den raumdefinierenden und abschirmenden Funktionen des Feuerwehrgebäudes heraus entwickelt: eine lineare Abfolge von geschichteten Wänden. Die Funktionen des Feuerwehrhauses finden zwischen diesen Mauern Raum, die den funktionalen Bedingungen entsprechend durchbohren, abkippen oder aufbrechen.

Der wichtigste Einschnitt ergibt sich durch die Bewegung der Löschwagen, durch die der lineare Fluß der Wände und der umliegenden "Landschaft" durchschnitten wird. Große Schiebetore in einer der Wände geben den Blick auf die unter einem großen Dach stehenden Löschwagen frei. Zwischen weiteren Wänden eingespannt kreuzen sich zwei lineare Räume mit jeweils anderen Funktionen. Ein dritter Raum ergibt sich im Obergeschoß aus der Fortführung der Konstruktion, die die Garage überspannt. Von vorne wirkt der Baukörper hermetisch geschlossen, Einblicke in das Innere werden nur von der Seite geboten.

Wenn man durch das Feuerwehrhaus geht, fällt der Blick immer wieder auf die großen roten Löschwagen. Ihre Bewegungslinien sind in den Asphalt eingeschrieben. Ähnlich werden die ritualisierten Handlungen der Löschmannschaft in den Boden eingeschrieben werden: choreographische Aufzeichnungen. Der gesamte Baukörper ist Bewegung, erstarrte Bewegung, Ausdruck der Spannung ständiger Alarmbereitschaft und der Möglichkeit, daß sie sich jeden Moment in Aktivität entladen kann. Die Wände scheinen aneinander vorbeizugleiten, die großen Schiebetore bilden buchstäblich bewegliche Wände.
FUNKTIONALE PLANUNG
Der Entwurf vereint zwei unterschiedliche Planungsaufgaben: Einstellraum für die Löschwagen und verschiedene Einrichtungen für die Löschmannschaft. Das Konzept geschichteter Wände umfaßt beide Teile, wobei der Schnittpunkt der beiden Bereiche durch einen Bruch bzw. eine Krümmung in der Gebäudelinie kenntlich ist. Der Gebäudeeingang befindet sich genau an diesem Schnittpunkt. Der Eingangsbereich ist zugleich auch der Erschließungspunkt für das Gebäude. Von hier aus gelangt man durch den Geräteraum in die Garage, wobei der Geräteraum nur durch eine freistehende Wandplatte von der eigentlichen Garage abgetrennt ist. Die Garage ist für fünf Löschwagen angelegt. Fünf parallele Fahrspuren verlaufen in einem Winkel von 60 Grad zur Wand. Zwei dieser Fahrspuren führen an der Rückseite der Garage ins Freie, um auch im Freien Wartungsarbeiten möglich zu machen. im Aufriß präsentiert sich die Garage als lange Wand von Schiebetoren mit einem darüber schwebenden Dach.

Die Räume für die Löschmannschaft sind als drei langgestreckte Volumen oder "Strahlen" konzipiert, im Aufriß als drei klar artikulierte Wände erkennbar. Der eine Strahl besteht aus mehreren Abteilungen mit Umkleideräumen für 25 Männer und 10 Frauen, Sanitärräumen, einem Erste-Hilfe-Raum und einem Technikraum. Die Außenmauer ist massiv und nach außen geneigt, mit schmalen Schlitzen als einzigen Öffnungen. Das zellenartige, kompakte Volumen dieses Strahls wird durch einen langgestreckten, nicht unterteilten Raum mit hoher, nach oben ziehender Decke und einer durchgehenden, leicht gebogenen Glaswand aufgeschnitten. Dieser zweite Strahl ist der Fitneßraum, der nach außen hin durch die hochziehende, gebogene Glaswand artikuliert ist. Zwischen den beiden sich schneidenden Strahlen vermitteln drei lange Stahlschränke – die Schließfächer – als Raumteiler. In der Schnittzone ist die Decke offen, und eine freitragende Treppe führt zum dritten Strahl hinauf; zum sogenannten Clubraum, der zugleich auch als Seminarraum dient. Von diesem Raum aus betritt man die Terrasse über dem Fitneßraum, in die andere Richtung sieht man über das Garagendach. Die Außenmauer dieses dritten Strahls setzt das Konstruktionselement fort, das die Garage überspannt. Sie ist durch eine sehr lange, relativ schmale Öffnung mit Glaslamellen charakterisiert, fast als ob sie horizontal aufgeschnitten wäre.
KONSTRUKTION UND MATERIALIEN
Das gesamte Gebäude besteht aus Stahlsichtbeton. Dieses Baumaterial erwies sich am geeignetsten für die Umsetzung unserer Vorstellungen: es gewährt weitgehende gestalterische Freiheit und läßt anspruchsvolle Spannweiten und Auskragungen zu. Besonderes Gewicht wurde auf die Schärfe aller Kanten gelegt; auf Zusätze wie Dachkanten und Eindeckungen wurde verzichtet, um nicht von der Einfachheit der prismatischen Form und der Abstraktheit des architektonischen Konzepts abzulenken. Dieselbe "Abwesenheit" von Details äußert sich in der rahmenlosen Verglasung, den großen Schiebeflächen, die die Garage einfassen, und der Gestaltung der Innenräume – u.a. auch in der unten beschriebenen Beleuchtung.

Einzelne großzügige Lösungen tragen zur angestrebten Dynamik des Entwurfs bei. Die größte Spannweite, die die fünf Fahrspuren der Garage und den Eingangsbereich umfaßt, beträgt 32 Meter. Das Dach, das über der Garage schwebt, kragt vier Meter aus, reißt sich dann los und ruht auf mehreren schlanken Säulen. Von hier kragt es entlang seiner Achse noch zwölf Meter aus. Die Stirnseite des Garagenraumes wird von einer 90 Quadratmeter großen, geneigten Glaswand gebildet. Die gebogene, rahmenlose Glaswand des Fitneßraumes spannt sich ohne Unterbrechung über eine über 29 Meter lange Öffnung. Die Öffnung im Clubraum mißt 21 Meter und führt um die Ecke, so daß der schwere, obere Teil dieser 70 Meter langen Wand auskragt. Die in den Clubraum führende Treppe besteht aus Fertigbetonplatten, die einzeln aus der Wand auskragen. Die fünf Schiebetore, die die Garage verschließen, sind 23 Quadratmeter große Blätter mit gebürsteter Aluminiumoberfläche. Die zwei Drehtüren auf der Rückseite messen jeweils 30 Quadratmeter.

Die Innenwände jener Räume, die isoliert sein müssen, sind entsprechend ausgeführt. Die Wände der Sanitärräume sind mit Glasmosaik gefliest. Die Schließfächer zwischen Umkleide- und Fitneßbereich sind aus Stahl bzw. Nirosta. Am Ende des Fitneßraumes befindet sich eine goldene, noch außen abgekippte Wand.
BELEUCHTUNG
Die gesamte Beleuchtung ist in die Architektur integriert, wobei die Lichtquellen in Form von Linien und nicht als Punktquellen konzipiert sind. Diese Linien sind als Schlitze, aus denen Licht dringt, in die Ebenen eingelassen, anstatt körperhaft in den Raum hineinzuragen. Sie dirigieren die notwendig präzisen und schnellen Bewegungen im Gebäude. So ist zum Beispiel die Garage durch Schlitze im Boden beleuchtet, die die Fahrspuren der Löschwagen definieren.