www.aec.at  
Ars Electronica 1994
Festival-Programm 1994
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Computer City


'Ken Sakamura Ken Sakamura

Im TRON-Projekt entwarfen und konstruierten wir ein Versuchshaus, das 1988 in Tokio fertiggestellt wurde. Dabei handelte es sich um ein vollkommen computerisiertes Haus, in das über 1000 Computer und Sensoren eingebaut waren.

Soll die Raumtemperatur gesenkt werden, so wird nicht sofort die Klimaanlage eingeschaltet. Vorher prüfen die Sensoren die Wetterlage draußen. Weht eine kühle Brise, öffnet das TRON-Haus automatisch seine Glasscheiben. Beginnt es zu regnen, schließen sich die Scheiben automatisch und die Information wird an die Klimaanlage weitergeleitet, die dann die Raumtemperatur in der gewünschten Höhe hält.

Die Vielzahl der im Haus installierten Computer ermöglicht umfassende Entscheidungen, um den Bewohnern eine optimale Umgebung zu schaffen – dies ist die Zukunftsvision, die im TRON-Haus verwirklicht ist. Der Fortschritt in der Entwicklung von Mikrocomputern und anderen elektronischen Technologien rückt diese Zukunftsvision in den Bereich der Realität.

Beliebige Dinge werden zu intelligenten Gegenständen, sobald sie mit Computern ausgestattet werden. In der Zukunft, wie wir sie im Auge haben, werden diese intelligenten Objekte durch Netzwerke verbunden sein und durch diese Zusammenarbeit das menschliche Leben erleichtern. Ziel und Zweck des TRON-Projekts ist es, die für ein derartiges "allumfassendes Computerzeitalter" erforderlichen infrastrukturellen Technologien einzuführen.

DAS TRON-PROJEKT
Die ersten Computer waren so groß, daß sie einen ganzen Raum beanspruchten. In den siebziger Jahren war die Entwicklung der Mikroelektronik so weit gediehen, daß Mikroprozessoren, die das gesamte Computer-Schaltsystem auf einem einzigen LSI-Chip unterbringen, in den Bereich des Möglichen rückten. Während die frühen Rechner nur eine begrenzte Kapazität aufwiesen, findet heute eine Super-Zentraleinheit, die pro Sekunde über 100 Millionen Operationen ausführen kann, Platz auf einer Handfläche. Manche Modelle benötigen darüberhinaus nicht mehr Energie als die einer kleinen Batterie.

In dem Maß, in dem Computer kleiner und billiger werden, finden Mikrochips zunehmend Verwendung in allen erdenklichen Bereichen. Dieser Trend begann vor zehn Jahren, als Computerchips erstmals in Videorecordern, in der Steuerungstechnik von Automobilen und in Telefonanrufbeantwortern eingesetzt wurden. Das ist aber erst der Anfang. Über kurz oder lang wird man Mikrochips nicht nur in elektronischen Geräten finden, sondern in gewöhnlichen Alltagsgegenständen jeglicher Art.

So wie die Computer viel kleiner wurden, läßt sich ein ähnlicher Trend – ermöglicht durch Mikromechanik und andere Technologien – auch bei mechanischen Teilen feststellen. Dazu zählen auch Sensoren – nicht bloß einfache elektronische Sensoren, sondern mechanische Sensoren wie Barometer – Ventile, Motoren und dergleichen. Wenn solche Teile ebenfalls in großem Maßstab und zu geringen Preisen auf den Markt kommen, ist es denkbar, daß Computer, Sensoren und Effektoren auf einem oder einigen wenigen Chips konzentriert werden.

Alles im Haus, von den Türen angefangen bis zur Decke, wird letztendlich sicherlich mit Mikrochips versehen werden; auch die Kleidung, vielleicht sogar Brillen. Das Zeitalter der "allgegenwärtigen Computer" – wo alles um uns zu intelligenten Objekten wird – ist unaufhaltsam im Kommen.

Welche Computer werden den Erfordernissen eines solchen Zeitalters am ehesten entsprechen? Was werden vernetzte intelligente Objekte zu leisten imstande sein? Welche Auswirkungen wird dies auf Design und Funktion von Produkten haben? Und welche Dinge müssen wir zuvor bedenken? Mit dieser Problematik vor Augen starteten wir 1984 das TRON-Projekt, mit dem Ziel, eine neue, den Anforderungen des "allumfassenden Computer"Zeitalters genügende Generation von Computern einzuführen.

Wir begannen mit dem philosophischen Aspekt, wie die Gegenstände für das neue Zeitalter beschaffen sein müßten. Von da aus verfolgte das TRON-Projekt Forschungen in zahlreichen Richtungen, angefangen von zukünftigen Anwendungsmöglichkeiten, über interne Strukturfragen, wie zum Beispiel Rechnerarchitekturen und Betriebssysteme, bis hin zu Standard-Datenformaten und zur Schnittstelle Mensch/Maschine.

Unter den grundlegenden Technologien, die es einzuführen gilt, wird auf die Realzeitkontrolle besonderes Gewicht gelegt. Zu Zeiten, als das Hauptanwendungsgebiet für Computer noch EDV (elektronische Datenverarbeitung) war, wurde der Realzeitausführung wenig Wichtigkeit beigemessen. Zukünftig allerdings, wenn Computer in komplexer Weise in unser alltägliches Leben eingebunden sein werden, wird Realzeitfunktionen auf der Kernebene zentrale Bedeutung zukommen. Die Bezeichnung "TRON", die für das gesamte Projekt firmiert, ist dementsprechend abgeleitet von "The Real-time Operating System Nucleus".

Dieses Projekt entstand in Japan, und zwar als Gemeinschaftsprojekt von Wissenschaft und Industrie, mit dem Sakamura-Labor der Universität von Tokyo als Zentrum. Um die Unabhängigkeit des Projekts zu gewährleisten, wird es ohne jede Bindung an staatliche oder andere Institutionen durchgeführt. Der wesentlichste Aspekt des Projektes ist seine Offenheit: Uneingeschränkter Zugang zu den Arbeitsergebnissen ist ein Grundprinzip. Die von uns definierten Spezifikationen stehen allen zur Verfügung.
ANWENDUNGSPROJEKTE
Das TRON-Projekt wird auf zwei Ebenen durchgeführt. Eine davon umfaßt die "Anwendungsprojekte", die zukünftige Anwendungsmöglichkeiten von Technologie erforschen. Auf den hier erarbeiteten Ergebnissen beruht der zweite Projektbereich, nämlich die Grundlagenforschung, die die Technologien für die Basisbauweisen entwickelt.

In den Anwendungsprojekten werden zukünftige, allumfassende Computer-Environments simuliert und studiert, um tatsächliche Erfordernisse und Problembereiche in solchen Environments feststellen zu können. Untersucht werden vor allem Lebensräume wie Häuser, Bürogebäude, Städte und Kraftfahrzeuge.
TRON-KONZEPT INTELLIGENTES HAUS
Das Projekt "TRON-Konzept Intelligentes Haus" lief von 1988 bis 1993. Das Pilothaus mit den eingangs beschriebenen intelligenten Fenstern und intelligenter Klimaanlage verfügte über annähernd 1000 Computersysteme auf einer Fläche von ungefähr 200 Quadratmetern. Selbst die Toiletten waren computerisiert. Welche Funktionen bietet ein Haus wie dieses? Die Toilette ist in der Lage, eine Harnanalyse durchzuführen und eventuelle Abnormitäten zu melden. Wenn der Benutzer es wünscht, können diese und andere Informationen über ein integriertes digitales Dienstnetz an eine medizinische Klinik weitergeleitet werden. Die gesamte Küchenausrüstung ist mit Mikrocomputern und Sensoren ausgestattet; sei es, um eine gleichmäßige Temperatur in einem Topf auf dem Herd zu erzielen oder einem Gericht genau die richtige Menge an Gewürzen beizufügen. Andere Sensoren und Mikrochips werden im Sicherheits- und Energiesparbereich eingesetzt; zum Beispiel, um Lichter abzuschalten, sobald ein Raum verlassen wird. Die Computersysteme im Haus sind durch ein Netzwerk verbunden, über das sie Informationen austauschen.
Werden zwei solcher Häuser gebaut, läßt sich die Zusammenarbeit noch ausweiten. Wenn zum Beispiel jemand Klavier spielt, dann erkundigt sich das Haus automatisch beim System des Nachbarhauses, ob der Klang eventuell jemanden stören könnte. Lautet die Auskunft "Das Baby schläft", so schließt das erste Haus automatisch seine Fenster und setzt die Klimaanlage in Betrieb. In dieser Form kann die Bandbreite des Zusammenwirkens über ein einzelnes Haus hinaus ausgeweitet werden und eine Reihe nahegelegener intelligenter Häuser miteinbeziehen.
TRON HYPER-INTELLIGENTES GEBÄUDE
Die Erfahrungen, die im "TRON-Konzept Intelligentes Haus" gewonnen wurden, finden Einsatz in der Entwicklung des "TRON Hyper-intelligenten Gebäudes". Mit der definitiven Detailplanung am Pilotgebäude wurde 1993 begonnen. Wie im Intelligenten Haus sind auch die Teile, aus denen sich dieses Gebäude zusammensetzt, mit Computerintelligenz ausgestattet und zwecks Kooperation vernetzt. Sinn und Zweck der Kooperation intelligenter Objekte ist es, die Arbeitsbedingungen der Menschen im Gebäude zu verbessern.

Dieses Gebäude vereinigt eine ganze Reihe neuer Funktionen: zum Beispiel Büro-Roboter, Systeme zur Anpassung der unmittelbaren Umgebung an individuelle Bedürfnisse, Gruppenprogramme zur Unterstützung des Zusammenwirkens vieler Personen am selben Projekt, sowie ein komplexes Lager- und Transportsystem, das den automatischen Fluß der Materialien gewährleistet.

Werfen wir einen Blick auf ein interessantes Beispiel automatischer Regelung. Aus Sicherheitsgründen werden die Leute, die das Gebäude betreten, eine Karte mit integriertem Schaltkreis (IC) tragen. Sobald sich der Träger einer solchen Karte einer Informationstafel im Gebäude nähert, werden seine Daten identifiziert und diesen entsprechend wird die Form, in der die Information präsentiert wird, verändert. Die Sprache, in der die Information zu lesen ist, wird zum Beispiel die von der betreffenden Person bevorzugte sein, etwa Japanisch, Englisch, Deutsch oder Französisch. Und sollte die Person über ein beeinträchtigtes Sehvermögen verfügen, erfolgt die Vermittlung der Information auditiv; oder sie wird, im Fall von Kurzsichtigkeit, in größeren Buchstaben angezeigt. Mit anderen Worten, die Daten, die zwischen der IC-Karte und der Informationstafel ausgetauscht werden, dienen der individuellen Anpassung der Präsentationsform.

Was aber passiert, wenn eine Person japanischer und eine amerikanischer Herkunft sich gleichzeitig der Informationstafel nähern? Die in diesem Fall erforderliche Entscheidung würde ich als eine philosophische bezeichnen. Das heißt, die Entscheidung wird aufgrund von Regeln und Algorithmen getroffen, die der Philosophie der Betreiber des Gebäudes entsprechen. Eine derartige Schlichtung ist zur Lösung von Konflikten zwischen vielfältigen Anforderungen oder Bedürfnissen nötig, die entstehen, wenn intelligente Objekte in einem Kooperationsverhältnis stehen. In diesem Fall ist der Besitzer des Gebäudes Japaner, daher wird dem Amerikaner als Gast der Vorzug gegeben und die Information in englischer Sprache angezeigt.

Derartige Konflikte können in verschiedensten Situationen auftreten. Die Büros im Gebäude sind mit individuellen Klimaanlagen ausgestattet. Die Temperatur um den Schreibtisch einer Person wird entsprechend den individuellen Bedürfnissen der jeweiligen Person justiert. Was muß für den Fall unternommen werden, wenn der Platz von zwei Personen benutzt wird, von denen die eine höhere, die andere niedrigere Temperierung bevorzugt? Darauf gibt es eine Reihe möglicher Antworten. Man müßte die Temperatur den Wünschen der in der Hierarchie höhergestellten Person anpassen, aber dies scheint uns nicht besonders demokratisch zu sein, weshalb wir in diesem Fall einen Durchschnittswert anpeilen.
TRON COMPUTER-STADT
Wenn verschiedene Bauwerke geschaffen werden, in denen die oben genannten Ideen umgesetzt sind, und wenn diese Gebäude über Netzwerke untereinander verbunden sind, entstehen Computer-Städte. Auf der städtischen Ebene werden Computer auch in Straßen und Autobahnen und natürlich auch in Fahrzeuge integriert werden. Sobald ein Kind auf die Straße tritt, wird diese die Anwesenheit des Kindes feststellen und als Information an die in der Nähe befindlichen Autos weitersenden. Die intelligenten Autos werden dann in der Lage sein, automatisch zu bremsen und einen Unfall zu vermeiden.

Ein Netzwerk kann zur Kontrolle der Energieversorgung einer Stadt benutzt werden, Sinnvoll eingesetzt reicht zum Beispiel die Abwärme eines großen Gebäudes aus, um Wasser zu erhitzen, Kaffee zu kochen oder Räume zu beheizen, Durch die Einkalkulierung der Anzahl der Personen in einem Raum läßt sich der Energieverbrauch senken, und Treibstoff kann gespart werden, indem der Überlastung der Straßen durch Verkehrskontrolle vorgebeugt wird. Auf diese Weise kann der Gesamtenergieverbrauch einer Stadt gesenkt werden.
AUSWIRKUNGEN AUF DAS DESIGN
Die Computerisierung einer ganzen Stadt, wie sie oben beschrieben wurde, erfordert ein Standardformat für den Datentransfer zwischen den intelligenten Objekten. Protokolle müssen für den Gebrauch im Wohnbereich klar definiert sein. Darüber hinaus müssen Computer ohne Einschränkung von allen Menschen bedienbar sein. Das bedeutet buchstäblich von allen, nicht nur von Menschen, die mit der Computerwelt einigermaßen vertraut sind. Sobald Computer in allen Lebensbereichen massiv präsent sind, bedeutet die mangelnde Fähigkeit, mit ihnen umzugehen, ein ernstes Handikap. Das gilt auch, wenn nur eine kleine Minderheit nicht fähig ist, mit Computern umzugehen, da sie dies nicht einfach als Unannehmlichkeit empfinden werden, sondern es ihnen schwerfallen wird, ihre Umgebung überhaupt zu ertragen. ln der Auseinandersetzung mit diesem Problem begannen wir, Richtlinien für die Gestaltung der BenutzerSchnittstellen zu entwerfen, um den Zugang für alle Menschen sicherzustellen. Dabei handelt es sich um eine unter dem Titel "TRON Human-Machine Interface Specifications" zusammengefaßte Sammlung von Richtlinien, wie in Benutzerschnittstellen die notwendige Anpassungsfähigkeit an unterschiedliche physische Bedingungen und Anwendungsbereiche eingebaut werden kann.

In bezug auf das Bemühen, Computer für "alle" auf unkomplizierte Weise verwendbar zu machen, ist darauf hinzuweisen, daß dieser Anspruch auch ältere und körperlich behinderte Personen miteinschließt. Dieser Bedarf hat im Zuge des TRON-Projekts zur Herausbildung eines eigenen Technologiekomplexes geführt, der die Bezeichnung Enableware (Befähigungsprogramme) erhielt. Dessen Ziel ist es, behinderten Personen Zugang zum Computer zu ermöglichen. Die Spezifikationen von Enableware gestatten eine an die jeweiligen Bedürfnisse angepaßte Ergänzung durch verschiedenartigste Zusatzausrüstung, die eine effiziente Verwendung der Anlage garantiert. Durch die Auswahl aus einem Standard-Angebot an Einzelteilen und durch die Einstellung der Benutzer-Schnittstelle auf das Individuum kann diese Schnittstelle optimal auf den Anwender zugeschnitten werden.

Die Enableware-Spezifikationen stellen keine speziellen Technologien ausschließlich im lnteresse der Alten oder Behinderten dar. Bei Enableware handelt es sich vielmehr um eine variable Anwendungstechnologie, wofür die Informationstafel im hyperintelligenten Gebäude ebenfalls ein Beispiel ist. Diese Technologie wurde in Übereinstimmung mit dem Anspruch des TRON-Projekts entwickelt, Computer für alle – im buchstäblichen Sinn des Wortes – zugänglich zu machen.
SCHLUßFOLGERUNG
Unser Komfort wird sich wesentlich erhöhen, wenn sämtliche uns umgebenden Objekte mit Computerintelligenz ausgestattet sind, jedoch ergeben sich dabei natürlich auch Probleme. Vieles muß vorher bedacht werden und bei vielem sind wir uns noch sehr unsicher, wenn es um die Schaffung der Computerstädte der Zukunft geht.

Wir im TRON-Projekt denken stets an diese Zukunft. Wir konstruieren eine Vielzahl intelligenter Objekte und untersuchen sie nach Kriterien wie Anwendungskomfort und ideale Form. Wir bauen auch Modelle im Originalmaßstab, von Häusern bis zu Stadtteilen, um die Zukunft in den Griff zu bekommen und sie menschlichen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten. Unsere Hoffnung ist, daß aus unseren Bemühungen eine bessere zukünftige Gesellschaft erwachsen möge.