Die Medialisierung der Städte
Eigentlich sind wir davon überzeugt, in Städten zu leben, deren regionaler Charakter authentisch, originär und individuell ist. Daß diese ortsspezifischen Stadtstrukturen schon längst durchdrungen sind von überregionalen Nutzungen, wie internationalen Handelsketten, Dienstleistungsunternehmen oder Restaurationsbetrieben, wird oft mißbilligend wahrgenommen. Aber spätestens in der Nacht erstrahlt jede Stadt im gleichen, internationalen Neonstil.
So wie sich einst die Fassade vom Baukörper ablöste und sich als stilistisches Ausdrucksmittel verselbständigte, hat sich heute das "Infotainment" als weitere Schicht über alle Stadtstrukturen gelegt. Tagsüber höchstens als monströse Überkonstruktion wahrzunehmen, die sich in ihrer internationalen Maßstäblichkeit über die regionalen Baustrukturen hinwegsetzt, vereinheitlicht dieses "Infotainment" nächtens alle Stadtzentren. Zur lokalen Standortbestimmung dieser globalen Lichtwelten werden zusätzlich noch besonders ortscharakteristische Gebäude angestrahlt. Obwohl diese oft durch Renovation, Wiederaufbau oder Imitation selbst Teil einer Scheinwelt sind, werden sie als identitätsspendende Objekte in diese multimedialen Inszenierungen einer Stadt eingebunden.
Auf dem Weg zur "multimedialen Stadt" werden aber jetzt Neubauten entworfen, die nicht nur, wie oben beschrieben, "Datenträger", sondern selbst begehbare Monitore sein sollen. Diese multimedialen Gebäudechamäleons können sich, je nach Software, von einem Zustand in den nächsten wandeln. Derartig konzipierte Gebäudehüllen geben sich ein ständig wechselndes architektonisches, werbliches oder gar bewegliches Erscheinungsbild. Ganze Straßenzüge könnten sich so saisonal chinesisch, barock oder dschungelhaft grün präsentieren: Linz könnte endlich wie Wien aussehen, per Knopfdruck!
Tatsächlich werden solche Szenarien jedoch erst dann möglich, wenn sich die jeweiligen Grundstückseigentümer darauf einigen. Denn Hausfassaden stehen normalerweise auf Grundstücken, deren Eigentümer nicht zwingend öffentliche Interessen verfolgen. Viel eher werden zunehmend private Interessen den öffentlichen Raum mit den Inhalten beherrschen, die aus den privaten Fernsehprogrammen bereits hinlänglich bekannt sind. Es wird dort beginnen, wo z.B. Warenhäuser schon jetzt geschlossene Außenwände haben, die sie mit multimedialen Screenwänden beleben können. Die Konsequenzen solcher privatwirtschaftlichen Interessen lassen sich an dem Beispiel einer bereits veralteten Bildwand in Berlin studieren. Dort am "Ku'damm-Eck" waren, nach anfänglich erfrischender Berichterstattung, manigfaltiger Werbung und kessen Sprüchen, nach einem Jahr Probephase nur noch Coke-Commercials zu sehen, gespickt mit einigen offiziellen Meldungen, Zeitansagen und Kanzlerportraits.
Daß hinter diesen Wänden Menschen leben, arbeiten oder gar wohnen sollen, hindert die Betreiber und Architekten wenig, solche begehbaren "Screenbunker" immer wieder neu zu entwerfen. Es trifft sich dabei gut, daß die Anwender multimedialer Techniken aufgrund der Spiegelung der Monitore sowieso das Tageslicht scheuen. Doch daraus die Schlußfolgerung abzuleiten, daß wir nur noch in sonnengeschützten Hochbunkern arbeiten sollen, konterkariert die Forderung an die Industrie, Geräte zu entwickeln, die in jeder natürlichen Umgebung verwendbar sind. Darüber hinaus ganze Architekturkonzepte auf dieser technischen Unzulänglichkeit aufzubauen führt die Verantwortung des Architekten, menschenwürdige Gebäude zu konzipieren, ad absurdum.DAS DIGITALE STADTMODELL Begehbare "Screenbunker" sind lediglich die Vorboten einer Medialisierung der Städte. Analog zur zunehmenden Beschleunigung der Verarbeitungszeiten von Rechnern ist die Durchdringung aller Lebensbereiche mit Informations-, Steuerungs- und Überwachungstechnologien zu beobachten. Durch die Vernetzung dieser Datenerfassung und Datenauswertung entsteht ein sich ständig ergänzendes Simulationsmodell der städtischen Veränderungen. Dieses dynamische Bewegungsmodell ersetzt mehr und mehr die Zustandsfixierung durch Zeichnungen und dient zunehmend als digitale Grundlage für den Planungs- und Verwaltungsprozeß.
Solch ein digitales Stadtmodell wird zur Zeit bei ART+COM für die Berliner Innenstadt erstellt, mit dem Anspruch eines möglichst realistischen Abbildes. Zentimetergenau, detailgetreu und wahrnehmungsentsprechend soll es zukünftig den Stadtraum unter der Erde, auf der Oberfläche und im Luftraum repräsentieren. Damit entsteht eine virtuelle Analogie zur Realität, in der sich Planungskonzepte, Betriebsabläufe und Umweltbelastungen simulieren lassen. Die interaktive Begehbarkeit dieses Computermodells erlaubt es darüber hinaus Stadtbewohnern oder Besuchern, virtuell durch die Innenstadt zu spazieren, Teleshopping, Telekiosking oder telepräsent Alltäglichkeiten zu erledigen. Das möglichst realistische Abbild der Stadt mit speziellen Orten, Nutzungen und Transportsystemen ermöglicht einen hohen Wiedererkennungsgrad, so daß sich die meisten Leute entsprechend ihren "urbanen Sozialisationserfahrungen" schnell zurechtfinden. Ein solches Rechnermodell wird sich in Zukunft auch dazu eignen, als dreidimensionale Stadtkarte mobil abrufbar zu sein. Die reale Standortsuche kann dann durch den Vergleich zwischen Computermodell und Realität hergestellt werden: mit Hilfe eines durch GPS georteten 3DScreens, auf dem das Stadtmodell aus dem jeweiligen Blickwinkel räumlich dargestellt wird.
Aber auch spezielle Erklärungen zu den Standorten, die Verbindungen zu anderen Punkten sowie z.B. Schadstoffbelastungen, Wetterprognosen und Straßenverhältnisse lassen sich auf diese Weise aktuell abrufen. Vor allem entsteht jedoch ein anschauliches Stadtmodell, an dessen Komplettierung viele Planungs- und Verwaltungsbereiche, aber auch ganze Wirtschaftszweige (z.B. Tourismus, Verkehr und Dienstleistungsbetriebe) interessiert sind.
Im Gegensatz zum offensichtlichen Nutzen solcher virtuellen Stadtmodelle stellt sich die Frage nach dem Sinn der oben beschriebenen multimedialen Gebäudehüllen und deren menschenwürdige Benutzbarkeit. Sonne, Luft und natürliche Umgebung sind heute offensichtlich wieder Streitwerte, die für privatwirtschaftliche Reizwelten zur Disposition stehen. Auch wenn heute schon der öffentliche Raum vorwiegend durch private Werbeinteressen dominiert wird, ist es nicht zwingend, ihn durch die Medialisierung der Gebäude endgültig diesen zu überlassen. Analog zur Rolle der öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunkanstalten bei der gegenwärtigen Privatisierungskampagne gilt es auch im öffentlichen Raum, die Interessen aller Nutzer zu wahren. Dies erfordert jedoch, daß eine Kommune selbst aktiv den öffentlichen Raum gestaltet und ihn vor der Aneignung durch die umliegenden Gebäude schützt.EIN MULTIMEDIALES STADTZENTRUM Die Stadtzentren unserer Zeit sind durch die sich ausbreitende Kommerzialisierung bereits soweit sinnreduziert, daß ihnen jede weitere Attraktion neue Belebungsimpulse geben könnte. Ein stumm laufendes Fernsehgerät im Schaufenster einer Fußgängerzone wirkt dort in der Nacht schon belebend. Vielleicht ist es richtig, in Kleinstädten die Nachtruhe für die Bewohner auch im Stadtzentrum zu gewährleisten, in Großstädten oder gar Metropolen aber gilt es, die "Musik" wieder in die ideellen Stadtmitten zurückzuholen. Am Beispiel des Centre Pompidou in Paris läßt sich an Hand der hohen Besucherzahlen ablesen, daß solch multimediale Veranstaltungsorte im Stadtzentrum zu verankern sind. Ähnliches geschieht durch den Bau des Ars Electronica Center in Linz und das "Medium"-Projekt von ART+COM in Berlin.
Für die historische Stadtmitte Berlins, die nun neu zu gestalten ist, hat ART+COM eine multimediale Stadtbühne vorgeschlagen. Dort, wo sich zur Zeit der Palast der Republik (ehem. DDR) und eine Attrappe des abgerissenen Berliner Schlosses in perverser Durchdringung gegenseitiger politischer Interessen umschlingen, soll nach der Ausschreibung eines Wettbewerbes wieder die ideelle Stadtmitte Berlins entstehen. Ausgehend von dem wegen Asbestverseuchung notwendigen Abriß des Palastes und der Fragwürdigkeit eines Wiederaufbaus des Schlosses, haben wir die Einrichtung einer multimedialen Plattform vorgeschlagen, auf der sich diese unterschiedlichen Gebäude und Zeitepochen visualisieren lassen.
Als gläserne Insel zwischen zwei Spreearmen ist diese Plattform als überdimensionaler HDTV-Bildschirm konzipiert, dessen einzelne Segmente im gleichen Format jeweils für sich beweglich sind. Damit lassen sich verschiedene Szenarien von Bauten, Bewegungen und Klängen umsetzen, die für unterschiedliche Inszenierungen verwendbar sind. Unter dieser Medieninsel ist eine Mediathek, deren Aktivitäten unmittelbar in den Projektionen auf der Plattform ablesbar ist. Aber auch für Festveranstaltungen, Konzerte und Raumillusionen ist diese Stadtbühne gedacht, die als medialer Mittelpunkt zu einer kommunikativen Öffentlichkeit beitragen soll.
Damit will ART+COM ein Beispiel multimedialer Orte in der Stadtplanung vorstellen, das nicht den ökonomischen Gesetzen privater Grundstückseigentümer ausgeliefert ist, sondern mediale Events im öffentlichen Interesse realisieren läßt. Die Medieninsel markiert diesen Ort als Zugang zu den immateriellen Welten und öffnet als Fenster den Zugang zur globalen Kommunikation. Auf diese Art und Weise wird das virtuelle Stadtmodell örtlich materialisiert und die Pendeltür zwischen Wirklichkeit und virtueller Realität thematisiert. Die Medialisierung der Stadt wird so zum Gegenstand des öffentlichen Interesses und verkommt nicht zum Gesamtkunstwerk einzelner Finanzpotentaten.
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