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Ars Electronica 1994
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Binäre Notationen zu einer digitalen Architektur


'Manfred Plottegg Manfred Plottegg

Wir sind gewohnt: Architektur ist räumliche Information. Dieser Algorithmus basiert bisher ausschließlich auf dem Prinzip von Analogien: eine Kirche sieht aus wie eine Kirche, ein Haus wie ein Haus, ein Bett wie ein Bett.

Architektur wird auch als Bedeutungsträger verwendet; sie soll das transportieren, "was gemeint wird": Glas ist klar, Holz ist heimelig. Beton ist brut, Nische geborgen, Wellblech Peripherie.

Die Intelligenz der Gebäude ist auf dem Bildungsstand der Architekten eingefroren. Sie kokettieren mit persönlicher Handschrift, Geschmack, Anciennität, Repräsentation; sie haben obsolete Standpunkte (oben / unten; innen / aussen) und antiquierte Methoden (Prototyp: Handskizze). Die Architektur ist daher wissenschaftlich, kulturell schon lange nicht mehr auf dem laufenden, die benutzten Architekturtheorien sind abgekoppelt vom Objekt.

Die von den Architekten herbeigerufene Komplexität besteht hauptsächlich im argumentativen Notstand ihrer Suada, ihr Limesbild ist der Eiertanz. Dennoch wollen sie den exakten goldenen Schnitt, die wahre Materialgerechtigkeit, die funktionelle Funktion, den reinen Stil, die klare Konstruktion.

Die Kulturgeschichte der Architektur steht damit bei einem Limesbild an: Typ Einfamilienhaus – als gestaltetes Einzelobjekt, als Teilmenge der Verhüttelung; es ist als Kategorie in allen Architekturen wiederzufinden, vom Stephansplatz bis zum Hongkong-Peak, im reduktionistischen Minimalismus ebenso wie im opulenten Aktionismus.

Die CPU erleichtert uns den Ausstieg aus diesen persönlichen und auch systeminhärenten Limesbildern. CAD = CTRL-ALT-DEL für das auch heute noch allgegenwärtige Vitruvsche Theorem (Trinität von Funktion/ Form/ Konstrukt!on), für den anaiogen Algorithmus "Einfamilienhaus/ Geschmack/ Architektur".

Die CPU verpflichtet zu neuartigen Manipulationen, die weder das Objekt noch das Nutzersubjekt zum Inhalt oder Ziel haben, sondern den architektonischen Algorithmus selbst: denn in einem ersten Arbeitsschritt muß ein architektonisches Problem, eine Bauaufgabe ("Bau ein Haus) in ein digitales Command umformuliert werden, um für die CPU verständlich zu sein, damit sie überhaupt handlungsfähig wird. Dieser erste Planungsschritt ist nicht nur die Transformation für die CPU, sondern erfordert parallel dazu den Wechselschritt des Planers von der inhaltlich-analogen zur interaktiv-digitalen Planungsmethode. Allein diese Notwendigkeit der Umformulierung bringt einen Paradigmensprung im architektonischen Denkkonzept mit sich und gleichzeitig eine andere Architektur.

Man stellt sozusagen bei sich den Archetyp besserwissender Häuslbauer" auf "Datenmanipulation" um. Und noch einen Schritt weiter wird die liebevolle und einfühlsame Zuwendung an Haus und Detail, die Identitätsfindung in der Architektur umgepolt: die Spielregeln der Kommunikation sind nicht mehr durch Emotionalität und Subjektivität, sondern durch Eigenschaften der CPU geprägt. In Haus und Detail materialisieren sich nicht länger Wünsche, sie sind nicht die Rezeptoren von Träumen. Die Richtung des Informationsflusses wird umgekehrt.

Wenn Architektur weiterhin per definitionem räumliche Information liefern soll, welche räumliche Information gibt uns ein Pixel, ein Bit?

Die pragmatische Sehweise verwendet Zeichen, die etwas darstellen sollen, als Bedeutungsträger. Im konventionellen Plan legen bestimmte, gut eingespielte Konventionen fest, wie Buchstaben zu lesen sind, z.B. als Wort, Striche z.B. als Blattrand, ein Strichpaar z.B. als Wand. Dabei ist jedoch der Wille zur Kommunikation vorausgesetzt. (Warum wird das Strichpaar am Blattrand nicht als Mauer gelesen? "Richtig" verstehen zu wollen setzt eben einiges an Gutmütigkeit voraus.)

Binäre Striche sind inhaltsentleert: nicht einmal mit der Lupe oder mit einem extremen Zoom kann ich da einen Inhalt finden! Weil sie keine Bedeutungsträger sind, nicht vorbelastet sind, sind sie leicht manipulierbar. So können sie beliebig kombiniert gelesen werden: als Einzelstrich, als Strichpaar, als Raster; räumliche Striche können flächig gelesen werden und vice versa.

Im Kontext des binären Hauses sind den Zeichen des Datensatzes Bedeutungen nicht immanent. Striche sind vorerst wirklich nur Striche, haben visuelle Bildhaftigkeit, meinen nichts. Striche sind Fahrer über den Bildschirm.

Ein Punkt erscheint in allen geometrischen Darstellungen als Punkt (vgl. eine Kugel). Daraus folgt für den Monitor, daß idente Pixel gleichzeitig ihr eigener Grundriß, Aufriß, Schnitt etc. sind. Daher können die Striche, die Pläne des binären Hauses gleichzeitig als Grundriß, Aufriß, Schnitt, Axonometrie, Perspektive angesehen werden.

Da es im Bereich von Bit und Pixel noch keine Lese-Konvention gibt, erfordern sie ein aktives Verständnis, wir müssen eine neue "Leseweise" finden:

Der Informationsgehalt eines Bit ist von der räumlichen Information des Erscheinungsbildes eines Bits abgekoppelt, d.h. die bisher gewohnte Identität von räumlicher Form und Information ist aufgehoben: ein Bit ist kein Hügel, daher wird in einer digitalen Architektur eine Tür nicht mehr so aussehen wie eine Tür.

Unabhängig vom Inhalt – wie eine konventionelle Analyse sagen würde – kann für digitale Planungen angemerkt werden:

Der absolute Maßstab für die Pläne des binären Hauses ist ein Pixel, für die CPU ein Bit. Das binäre Haus selbst hat obwohl vorhanden – keine Dimension. Die Dimensionslosigkeit steht in direkter Relation zur Namenlosigkeit der Striche. In der Dimensionslosigkeit hat die Behauptung einer bestimmten Größe den Stellenwert außenliegender Selektion.

Es gibt nicht mehr den sakralen Ort, den magischen Ort, den Ort als Bedeutungsträger. Der Himmel ist nicht mehr oben und die Hölle nicht unten. Die Orientierung im 3-dimensionalen Datensatz ändert sich mit jedem neuen Koordinatensystem und beim Zoom löst sich in der Dilatationsinvarianz die Größe, der Maßstab auf. Der Raum ist keine Schachtel mehr, ein Zimmer ist kein Rechteck mehr, wir können uns vom Ort emanzipieren, weil sich die Formensprache auflöst und somit die analoge Architektur.

Die CPU komprimiert die Dauer der Zeit zur Simultaneität. In ihr hat die CPU keine selektive Erinnerung. Der Speicher arbeitet nicht geschichtlich, macht keine wertende Erfahrung.

Im zeitlosen Raum gibt es keine Erinnerung, keine Lehre aus der Geschichte. Im Raum ohne Bedeutungen gibt es keine Bewertungen. Somit fehlen die Grundlagen für eine Ableitbarkeit. Das binäre Haus ist nicht hereditär, ist schlicht und einfach grundsatzlos.

Ein Bit ist reine Erinnerung (Speicherung, aber ohne analog-inhaltliche Information), ein Pixel hat keine Erinnerung.

Beide stehen uns für Manipulationen zu Verfügung: Verschiebungen im architektonischen Metier – vom Sandschaufler zum Datenschaufler.

Verschiedene Systeme (Teilmengen) verstehen Informationen unterschiedlich (die räumliche Information einer Ecke ist für Hunde anders), die CPU schnüffelt nicht Subjektivität, ein digital generierter Strich meint nichts.

Mittlerweile ist ja sicher, daß Daten, Striche, Formen, Architekturen digital generiert werden können. Jetzt müssen wir für den Umgang mit den Strichen neue Theorien ausdenken, auch unser Verhalten in einem binären Haus im 3-dimensionalen Raum wird sich vom mauergeprägten Kodex unterscheiden. Die Vorstellung von Architektur als "dritter Haut" wird durch die Vernetzung (Netzleiberl) ersetzt.

Das generierte Netzleiberl bietet nicht nur Information und Kommunikation wie intelligente Wände, sondern zeigt auch – entsprechend der Theorie der unscharfen Menge – die neue Linie, die Fetzenlaberlarchitektur.

Kennzeichen eines konventionellen Entwurfes ist, Festlegungen zu treffen, und somit geraten konventionelle Entwürfe zu formalen Konstrukten. Ein binär/digitaler architektonischer Entwurf ist eine Änderung des Algorithmus in einem System, welche ein neues Limesbild zur Folge hat.
Der intensive Umgang mit der CPU zeigt schon hie und da Einfluß auf die Planungsmethode, die Architektur. Um aber nicht mit veralteten Theorien die Entwicklungen zu behindern, sollte unverzüglich eine digitale Architekturtheorie geschrieben werden. Sie könnte folgende Axiome für das binäre Haus und die Interaktion beinhalten:

Das binäre Haus existiert nur in der CPU.

Binäre Striche sind inhaltsentleert.

Pläne des binären Hauses sind mehrdeutige Risse.

Das Formenvokabular des binären Hauses liefert die CPU.

Es ist selbst ohne Ort in einem Umraum ohne Standpunkt.

Die Namenlosigkeit der Striche läßt sie ohne funktionellen Zweck.

Das binäre Haus selbst hat keine Dimension.

Die CPU komprimiert die Dauer der Zeit zur Simultaneität.

Das binäre Haus ist gleichzeitig & zeitlos, nicht hereditär.

Das binäre Haus ist gegenstandslose, entmaterialisierte Architektur.

Ein binäres Haus ist baubar.

Das binäre Haus ist autonome Architektur, Kommunikation, Netzleiberl, Fetzenlaberl.

Sie kennt keine vorgefaßten Bilder, abgerufene Bilder sind gleichwertig.

Die CPU agiert untendenziös und will so verwendet sein.

Sie fordert die Loslösung des Planers von inhaltlichen Attitüden.

Die CPU produziert endlos bei gleicher Qualität, ein output ist nicht Verbesserung eines anderen.

Die Abstraktion soll möglichst lange aufrecht erhalten bleiben.

Erfinderisch wird das Neue und das Mißverständnis behauptet. Fragmentierte Ordungen ersetzen Sortierung, Die Namensgebung bestimmt den Zweck.

Zusätzliche Formulierungen können im Recycling gefunden werden.

Die interaktive Architekturproduktion ist ein Füllhorn, die Welt ist heute schon so vernetzt, daß sich auch schlechte Planungen darin verfangen!