www.aec.at  
Ars Electronica 1994
Festival-Programm 1994
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Digitales Design


'Kay Friedrichs Kay Friedrichs

DIGITALES DESIGN
Nach Einstein gibt es keine ewigen Wahrheiten der Wissenschaft mehr, nur mehr relative. Nach Hiroshima keinen Krieg, "mon amour"! Nach Tschernobyl keine absolute Sicherheit der Technik. Wofür brauchen wir nach den Wäldern und Meeren noch eine Ökologie? Wir gestalten zunehmend künstliche Welten!

Wegen der Foto-, Film-, Video- und Computertechnologlen gibt es keine authentischen Abbildungen mehr, aber einen neuen industriellen Apparat. Alle digitalen und analogen Medien gerinnen im Computer zu einer Art Hypermedium, einem Imaginationsapparat. Spätstens seit 30 Jahren, seit Marshall McLuhans "Gutenberg Galaxis" (1962) und nach dem Kulturschock der Animation "The power of ten" (Charles Eames, 1968), sollte klar sein, daß in Zukunft allen Professionen, eben auch der Architektur, die Informatisierung bevorsteht. Digitales Design!

"Eisenbahn und Kino, enträumlichte Zeit und entzeitlichter Raum sind ineinandergestürzt in den neuen Medien und in den neuen Reisen: Eisenbahn und Kino ereignen sich gleichzeitig. Wir können nicht mehr wissen, ob wir aus einem Fenster sehen, während wir uns bewegen, oder ob sich ein Film ereignet, während wir reglos bleiben," Georg Seeßlen (aus "Traum-Zeit-Kino", in: Tholen, Christoph, u.a. Zeitreise", S. 74, Zürich, 1993)
ZEIT RÄUME
Poetischer wurde das Phänomen der gesellschaftlichen Beschleunigung der Produktivkräfte selten beschrieben. Ähnlich den Veränderungen in der Zeitempfindung durch die Einführung von Kino und Eisenbahnfahrt im 19. Jahrhundert (s.a. Schivelbusch 1979), beobachten wir heute eine unterschwellige Dynamisierung der Bauwirtschaft durch Informatisierung. Für Architekten bedeutet Bauen aber zunächst nicht Bewegung, sondern Stillstand, den Versuch einer Positionsfindung. Einer Positionsbestimmung relativ, also in Beziehung, zu den Rahmenbedingungen und zu schon Gebautem. Für die meisten Architekten beinhaltet das eine Abgrenzung auf stilistischer Ebene. Natürlich sind formale oder auch ästhetische Sichtweisen bei der Organisation von "Raum im Raum" eine klassische architektonische Aufgabenstellung. Nichtsdestoweniger haben wir es im 21. Jahrhundert – und dafür planen wir heute – mit Strukturen zu tun, die sich in ihrer Berechenbarkeit, ihrer Voraussehbarkeit dynamischer verhalten denn je. Architektur war und ist Zukunftsfindung. Architekten und Stadtplaner sind Zukunftsforscher "in Person". Ihre Positionsfindung, ihre "Perspektive" ist spätestens seit der Renaissance keine statische mehr, sie erfolgt zukunftsgerichtet, unter Berücksichtigung von Raum in der Zeit, von Bewegung und Geschwindigkeit. Sie erfolgt auch nicht mehr allein in Relation zu menschlichen Geschwindigkeiten, sondern zu maschinell und apparativ verstärkten Schnelligkeiten von 100 oder 150 km/h, Mach 1 bis zur Lichtgeschwindigkeit, zur "Echtzeit" der digitalen Systeme!

Nun ist die Geschwindigkeit keine Qualität an sich. Vielmehr erhöht sich mit ihr die Komplexität der Standortbestimmung und der Rahmenbedingungen. Beide lösen sich gegebenenfalls auf, als betrachteten wir die Situation aus einem sich schnell bewegenden Objekt. Die Abschätzung erfolgt unter den unendlichen Dimensionen eines offenen Systems von offenen Systemen, ist spekulativ, paradox und folgt, wenn überhaupt, einer Hypergesetzmäßigkeit: der Wahrscheinlichkeitsrechnung. Die grundlegende Tendenz heutiger Architektur heißt "schneller als bisher" und vor allem "schneller als die anderen". Sie besteht oberflächlich in einer ästhetischen Dromologisierung, einer immer schneller werdenden Abfolge wahrscheinlicher Architekturen.
DIE STADT
Die rasende Veränderung der Arbeitsstrukturen hat in Verbindung mit den neuen Technologien und weltweiten Kommunikationsnetzen nicht nur alte Industriezweige wie Stahl, Kohle und die Produktion von Massenkonsumwaren in die strukturelle Krise gezwungen, sondern auch die räumliche und zeitliche Zonierung der Stadtstrukturen. Die ehemals funktionale, heute aber gar nicht mehr so gut "funktionierende" Stadt, ist starken Veränderungskräften ausgesetzt. Die "funktionale" Stadt erklärt sich als Begleiterscheinung der industriellen Revolution und des Fordismus zu Anfang unseres Jahrhunderts. Die fundamentale Erfindung Henry Fords war neben dem wissenschaftlich geführten Management und der Planung der Produktion unter rationaler Zerteilung des Arbeitsprozesses in kleine, zeitlich definierte Teilbereiche – die Entdeckung des Arbeiters als Konsumenten. Der Eindruck liegt nahe, daß erst unter dem Einfluß dieses riesigen Schubes an Arbeit, Massenartikeln und deren Konsumption die Stadt als erweitertes Instrument der rigiden Massenfabrikation vergleichbaren Ordnungskategorien unterworfen werden konnte. Sie wurde entsprechend der fordistischen Produktionslogistik räumlich zoniert, aufgeteilt in Arbeits-, Wohn- und Erholungsstadt. Der Fordismus scheint wie die Mechanisierung des 19. Jahrhunderts einen großen Einfluß darauf gehabt zu haben, daß Organisationsprinzipien der Fertigung auf den öffentlichen Bereich (in diesem Fall auf die Stadt) übertragen wurden. Der räumlichen Zonierung der Fabrik nach wissenschaftlich optimierten Regeln in bestimmte Produktionsräume und -flächen, deren Ver- und Entsorgung mittels einer ausgefuchsten Logistik und der zeitlichen Organisation der Arbeitsabläufe in Form von chronologischen "Arbeitstakten" entsprach ein neues städtebauliches Leitbild der funktionalen Stadt – die Zonierung. Sie erzwang die Trennung der unterschiedlichen Lebensbereiche – in der Wohnung wie in der Stadt – und vernetzte sie mit "Verkehrsflächen" und Verkehrsmitteln.
"Die Stadt ist ihrem Wesen nach ein Ort für verschiedenartige Tätigkeiten. Bei Industriebetrieben wie Zementfabriken und chemischen Werken, Stahlwerken und Schlachthäusern ist jedoch die räumliche Isolierung wünschenswert und rechtfertigt auch relativ lange Wege zum Arbeitsplatz. Selbst bei Werken, die Elektro-Artikel herstellen, verlangt der Bedarf an Eisenbahnanlagen und die Notwendigkeit ausgedehnter Anlagen, daß das ganze Gebiet vom Straßennetz befreit und von der übrigen Stadt mindestens durch einen Parkstreifen getrennt wird. Solche Industriezonen und die geschlossene Werksentwicklung gehören zu den besten Eigenschaften der britischen New Towns, angefangen bei Welwyn Garden City. Die Trennung des Stahlwerks von der Wohnsiedlung der Arbeiter … ".

(Mumford, Lewis, 1980)
Für Le Corbusier war die moderne Fabrik geradezu das Vorbild für seine Organisation und Produktion von Wohnung und Stadt, bis hin zu seinem Modell der "Wohnmaschine". In der Charta von Athen wird die Zonierung der Stadt nach Funktionsbereichen in Arbeit, Wohnen sowie Konsum und Freizeit ausdrücklich proklamiert. Das Prinzip der Zonierung wird zur expliziten Ordnungskategorie, es besetzt die wichtigsten Fachtermini und durchdringt auch das gesetzliche "Instrumentarium:
  • Es schafft im "Mikrobereich" der Architektur Verkehrsund Ruheflächen, Naßzellen und Eßecken.

  • im "Midibereich" der Stadtplanung sorgt es für Einkaufszonen, Industrie- und Gewerbeparks, gemischte und reine Wohngebiete.

  • und im "Makrobreich" der Raumplanung und Regionalplanung führt es zu Entwicklungsachsen, Ober- und Mittelzentren, zu ausgewiesenen landwirtschaftlichen und ökologischen Vorranggebieten.
Wenn die bislang statische räumliche Zonierung und die repetitiven Zeittakte der fordistischen Produktion in Richtung räumlicher und zeitlicher Flexibilität und in Richtung integrierter Fertigungsmethoden modernisiert werden, kann die Struktur der Stadt davon nicht unbehelligt bleiben. Dem Leitbild der harten, "funktionalen" Stadt folgt das Leitbild der mit "weichen" Standortvorteilen ausgestatteten, der hochintegrierten und flexiblen "intelligenten Stadt" für das 21. Jahrhundert.
DIE NEUE STADT
Einer der ersten internationalen Wettbewerbe, bei denen diese Qualitäten ausdrücklich eingefordert wurden, war die Ausschreibung der "International Concept Design Competition for an Advanced Information City" (Kawasaki 1986/87). Ausschreiber dieses Wettbewerbs waren die "Mainichi-Zeitung" und die staatliche Organisation für städtebauliche Planung. Kawasaki-City, eine bandartig verdichtete Stadtregion ähnlich dem Ruhrgebiet und südlich von Tokyo gelegen, sollte gemäß Ausschreibungstext zu einer Campusstadt werden.

Allerhöchste Priorität erhielt im 2001 Kawasaki-City-Plan das Entwicklungsziel einer menschlichen Stadt. Diese humanen Maßstäbe sollten mit verschiedenen städtebaulichen Eingriffen die sogenannte City Identity (CI) bis zu einer Ebene entwickeln, die Kawasaki aus seiner bisherigen Anonymität auf eine Stufe mit anderen japanischen Städten wie Tokyo, Yokohama, Kyoto oder Osaka führen sollte. Geforderte städtebauliche Elemente waren die Planung von:
  • "Intelligenten Plazas",

  • dem Kawasaki Institut of Technologie (KIT),

  • einem regelmäßigen Campus-City-Festival und

  • einem intelligenten Netzwerk von Volkshochschulen.
Diese Elemente sollten dem sozialen und gesellschaftlichen Idealtypus von:
  • dezentralen, aber vernetzten Produktionsstätten.

  • alten- und behindertengerechten Lebensumgebungen und sozialen Netzwerken.

  • internationalem Technologietransfer.

  • kommunalen Sicherheitssystemen.

  • öffentlichen Nah- und Fernverkehrssystemen für die Massen- und Individualbeförderung.

  • einer gut informierten Bürgerschaft entsprechen.
So pathetisch sich der IRIS-Plan von 1985 auch anhören mag, dieses Konzept für Kawasaki ist doch nicht allein im metaphorischen Sinn zu verstehen. Es folgt einem fundamentalen Paradigmenwechsel im Städtebau. Es indiziert die Suche nach einer innovativen Stadtidentität, die sich in Anlehnung an die gewachsenen amerikanischen Universitätsstrukturen den abendländisch-humanistischen Traditionen verpflichtet fühlt. Aus dem japanischen Moralkodex der Familienfürsorge stammt der Anspruch, als Stadt die lebenslange Verantwortung für das Wohlbefinden aller Bewohner übernehmen zu wollen. Der Plan hat nicht so sehr zum Ziel, Kawasaki in eine permanente Universität umzuformen. Er versucht vielmehr, die Vorteile der traditionellen japanischen Fürsorgepflicht und der gegenseitigen Identifikation, mit den Vorteilen der modernen Informationsgesellschaft zu verbinden. Die neue Stadt Kawasaki instrumentalisiert auf diese Weise die Dienste der diskreten Informationsvernetzung, die der Bevölkerung an vielen dezentralen Stellen zugänglich gemacht werden und die eine Diffusion der neuen Technologien in die klein- und mittelständische Wirtschaft beschleunigen sollen. Der zu erwartende harte ökonomische Schub wird von der Stärkung weicher, humaner Standortfaktoren flankiert.

So erscheinen Flexibilisierung und Deregulation als Synonyme für antibürokratische und emanzipatorische Qualitäten, die in der Lage sind, breite utopische Energien zu mobilisieren und damit potentielle Umstrukturierungen auf allen oben angeführten Maßstabs- und Lebensebenen in die Wege zu leiten. Die Vision einer intelligenten Stadt entspräche so in frappierender Weise den Anforderungen einer beschleunigten, modernisierten, fordistischen Produktion. "Small, fast, cheap" könnte man die Devise nennen, mit kleineren, flexibel organisierten, dezentralen Produktionseinheiten geringer Fertigungstiefe und großer informationslogistischer Abhängigkeit von Zulieferern und Abnehmern innerhalb einer regionalen und globalen "Just-in-time" Fertigung, die mittels der IuK-Technologien zeitlich koordiniert werden, kleine Serien von hochqualitativen Produkten zu entwickeln, zu produzieren und zu vermarkten. Dabei wird die Lagerhaltung auf die Straße oder auf die kleinen Zulieferer abgeschoben. Der Teufelskreis schließt sich, weil die abhängigen Zulieferer natürlich auch wieder einen mit ihren Auftraggebern kompatiblen "Modernisierungschub" durchmachen müssen, um sich der IuK-Technologien zu bedienen.

Mit dieser räumlichen und zeitlichen Dezentralisierung und Flexibilisierung, bei ungleich größerer internationaler Verzahnung der Produktion, werden die IuK-Technologien zu strategischen Schlüsseltechnologien. Neben dem militärischen Komplex waren es vor allem die Banken, die international agierenden Versicherungs-, Kapital- und Börsenbroker, die sozusagen als "Avantgarde" durch ihre konsequente Umsetzung der neuen Arbeitstrukturen, die mit der Telekommunikation möglich werden, auch gleichzeitig demonstriert haben, inwieweit diese Technologien stadträumlich und architektonisch wirksam werden können, wenn sie erst in der Breite der Produktion und Dienstleistung angewandt werden. Ohne die spezielle Situation der Finanzmetropolen (s.o. Sassen, 1991) für allgemein übertragbar zu halten, denke ich doch, daß der Typus der "Intelligent City" oder "Global City" wie auch das Leitbild des "Intelligent Building" nur aus diesem sehr weit fortgeschrittenen Stadium der Diffusion von Arbeitsstrukturen mit den neuen Technologien anschaulich beschrieben und verstanden werden können.

Als Arbeitsthese sei festzuhalten, daß das Leitbild einer "Intelligenten Stadt" eine neue Form der "Funktionalen Stadt", eine "Globale Arbeitstadt" ist, die sich den Bedürfnissen der sich in ihr etablierenden neuen Dienstleistungs- und Produktionsstruktur mit entsprechenden neuen Arbeitsund Verkehrsqualitäten, mit neuen Wohn- und Freizeitangeboten anpaßt.
INTERFACE DESIGN
Für uns Architekten und unsere Vorstellungen von gebauter Umwelt sind die Ausblicke auf eine globale Vernetzung und Kommunikationsumgebung natürlich viel dramatischer. Wenn doch die bisher statischen Hüllen zunehmend dynamisiert werden, die Arbeits- und Wohnverhältnisse durch die technischen Innovationen mobilisiert und deprivatisiert, Schein und Wirklichkeit zusammenfallen, warum dann überhaupt noch in diesem spezialisierten Ausmaß "real gebaute Umwelt". Das Interface Design rückt in den Mittelpunkt des Interesses von Architekten, Designern, Softwareingenieuren etc. Denn die Informationstechnologien haben in den Bereichen Digitale Medien (DM), Telekommunikation (TK), Künstliche Intelligenz (KI) und Virtual Reality (VR) Fortschritte gemacht. Jetzt scheint es möglich, durch ihre Integration eine neue Basistechnologie zu entwickeln. Wir nennen sie Digitales Design. Ziel dieser integralen wissenschaftlichen Arbeits-, Kommunikations- und Lebensumgebung ist die gezielte Bearbeitung von großen Datenmengen in großer Komplexität und Vielfalt unter Modulierung der Zeit im Rechner. Hochgeschwindigkeitsnetze, Kompression und Integration innerhalb der neuen Technologien erlauben einen qualitativen Sprung in der Informations- und Wissensbearbeitung. Sie ermöglichen ein ungeheures Potential an neuen Dienstleistungen und Anwendungsbereichen in Wissenschaft, Industrie und Verwaltung, und das auf ungleich höherer Ebene als bisher. Die Daten werden repräsentiert durch verschiedene digitale Medien (Text, Grafik, Ton, Musik, Bild, Video etc.). Sie sind ubiquitär, also an verschiedenen physikalischen Orten telepräsent (TK). Sie sind mit avancierter Funktionalität ausgestattet (KI) und besitzen eine den menschlichen Sinnen entsprechende Präsenz (VR).

Mit dieser Basistechnologie können viele bisher isolierte Informationsbasen und lnformationstechnologien integriert und neue, hybride Anwendungsgebiete erschlossen werden. Konzentrieren wir uns in der Folge auf einige für uns denkbare Anwendungsbeispiele. Sie sollen an verschiedenen Beispielen des Digitalen Designs (s.a. Abbildungen unserer Simulation innerhalb des "EVE – Extended Virtual Environment" auf der MultiMediale 3, Karlsruhe 1993), etwa einer digitalen Fabrik, einem digitalen Labor oder Büro und einer digitalen Region, entwickelt werden. Alle Beispiele zeichnen sich dadurch aus, daß komplexe reale Zusammenhänge oder Funktionsbereiche durch digitale Repräsentationen ersetzt, ergänzt oder erst ermöglicht werden. In den beschriebenen Anwendungsbeispielen wird nach einer ganzheitlichen (holistischen) Repräsentation von realen und virtuellen Zusammenhängen gesucht.

Gelingt dies, so können z.B. die Bürogebäude eines Unternehmens real weltweit verteilt sein, aber als Digitales Büro virtuell so verkoppelt werden, daß das Großunternehmen architektonisch, organisatorisch und sozial als Einheit an jedem seiner realen Orte präsent ist (s.a. Erich Kiefer, 1993). Dieses Konzept entspricht einer holografischen Abbildung, die, selbst wenn sie in viele Scherben zerbrochen ist, ihre ganzheitliche Information in jedem Fragment enthält. Digitales Design bietet darüber hinaus für den Umgang mit sehr großen und damit zwangsläufig unübersichtlichen und z.T. widersprüchlich organisierten Datenmengen deutliche Vorteile gegenüber herkömmlichen Verfahren zur Datenintegration.

Das Beispiel einer Digitalen Bibliothek soll diesen Sachverhalt verdeutlichen. Software, die schon heute den weltweiten Zugriff auf Datenbanken ermöglicht, aber noch alphanumerisch oder über Anfragemasken und Menüs gesteuert wird, kann durch Digitales Design zu einer großen, imaginären Weltbibliothek zusammengefaßt werden, einem digitalen Gebäude, in dem die großen Bibliotheken der Welt – ob real oder virtuell – die verschiedenen Abteilungen bilden. Die Nutzer, wo auch immer auf der Welt sie sich befinden, werden sich auf der Basis der virtuellen Architektur schnell und einprägsam Orientierung und Überblick über die gigantischen Datenmengen verschaffen können. Ein wesentliches Moment der digitalen Sphäre ist ihre Internationalität. Ihre nicht-sprachliche, räumliche und bildhafte Orientierung benötigt kein Übersetzung. Sie ist selbsterklärend und ist als Plattform für eine weltweite digitale Kooperation und Kommunikation prädestiniert.

Stellen wir uns des weiteren das Szenario einer digitalen Region, eines größeren regionalen Kontextes vor, z.B. das Szenario der oberen Rheinebene. Die Region von Mannheim bis Basel wird repräsentiert in einer MultiMedia-Visualisierung der Anthropo- und Biogeographie. Nun wäre es möglich, die Datenbanken verschiedenster wissenschaftlicher, industrieller und kommunaler Institutionen dergestalt zu integrieren und visualisieren, daß durch einfaches Anklicken von realen Darstellungen (städtebaulichen Strukturen, Gebäuden, Industriekomplexen, Straßen, Landschaften, Flüssen, Agrikulturen, Biotopen, etc.) Verknüpfungen und Interdependenzen sichtbar gemacht werden können. Des weiteren können diese Datenbasen graduell qualitativ erschlossen und somit zukünftige Szenarios schrittweise simuliert und modelliert werden, in denen sich z.B. die Wechselwirkungen von Anthropo- und Ökosphäre darstellen lassen.

Bei diesen Beispielen geht es in einem ersten Schritt darum, die Datenelemente mit möglichst natürlichen Rezeptoren, natürlichem Verhalten und Aussehen auszustatten. Die digitalen Repräsentationen und Architekturen sind auf der Ebene der Naiven Interfaces (NI) verständlicher und daher für Spezialisten und Computerlaien besser nutzbar als herkömmliche Interfaces. Nach diesem ersten Schritt werden in einem weiteren Schritt neue künstliche Räume erschlossen, die beliebige Zusammenhänge vergleichbar präsent darstellen können (Scientific Visualisation / SV) und deshalb, z.B. in kognitiven Prozessen, als "Denkverstärker" angesehen werden. Die Basistechnologie des Digitalen Designs besteht aus vier wesentlichen Komponenten:
  1. aus einer Datenhaltung, die die uns bekannten Repräsentationstechniken (qualitative, quantitative und subsymbolische) integriert.

  2. aus der Integration aktueller Entwicklungen in den Bereichen TK, DM, VR und KI zu einer einheitlichen, funktionstüchtigen Plattform.

  3. aus dem Digitalen Design selbst, das die vielfältigen technischen Möglichkeiten der anderen Gebiete unter einer konsistenten topographischen Repräsentation subsumiert, und

  4. aus der computereigenen "Zeitmodulation" in der positive und negative Beschleunigung, wie auch die Umkehrung des Zeitpfeils (-t) erlaubt und "Zeit Räume" darstellbar sein werden.
Ergebnis dieser Bemühungen wäre eine Kommunikations- und Steuerumgebung, bei der die Metapher des "Desktops" durch die der digitalen Navigation in virtuellen Umwelten" ersetzt würde. Die Möglichkeiten dieser neuen Plattform werden in den nächsten Jahren zu Modellen einer digitalen Bibliothek, eines digitalen Büros, einer digitalen Fabrik oder einer digitalen Region führen und von uns und anderen visualisiert werden. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf die erheblichen Anstrengungen der Medienintegration, der Telekommunikation, der Techniken der Virtuellen Realität und moderner Mensch-Maschine-Schnittstellen, besonders in Japan und den USA, sowie auf frühere Visionen, z.B. das "DynaBook" von Allan Kay, und auf einschlägige aktuelle Studien über die Bedeutung dieser Zukunftstechnologien (s.a. EPA '92). Diese Referenzen legen nahe, die Möglichkeiten des TimeDesign möglichst umgehend (in den nächsten zehn Jahren) zu verifizieren und prototypisch zu realisieren. Die MultiMedia Entwürfe unserer Studenten und die Arbeiten unseres Teams in Karlsruhe, u.a. von Volkmar Hovestadt "BelleAir" (Düsseldorf), die "EVE"-Installation "Digitale Planungsräume" von Christian Ziegler in Zusammenarbeit mit Jeffrey Shaw (s. Abbildungen), der IFIB-Animationsfilm "a4" von Ludger Hovestadt und "Lovers Leap" in Zusammenarbeit mit Miroslaw Rogala und Ford Oxaal, sind kleine Schritte in diese Richtung.

Ausgewählte Literatur und Veröffentlichungen
EAMES, CHARLES & RAY: Eames Design. New York, 1989 EPA: Technologieprognose für das Jahr 2010. Tokyo 1992
GAUCHEÖ, WYK, BHAT, HOVESTADT: Building Modeling Based on Concepts of Autonomy, in Gero 1992: Artifical Intelligence in Design '92, Kluwer Academic Publishers, Dordrecht / Boston / London. 1992
KIEFER, ERICH: Die Zukunft: Telearbeit und Virtuelle Organisation. Darmstadt, 1993
KNABE. GOTTFRIED: Gebäudeautomation. München, 1992
MCLUHAN, MARSHALL: Das Medium ist Message, Ullstein. Berlin, 1967
MUMFORD, LEWIS: Die Stadt. dtv, München,1980
ROSE, MICHAEL: Schnelle Designs mit Basic Briefmarke, Hüthig. Heidelberg.1993
SASSEN, SASKIA: The Global City. N.Y., London, Tokyo, Princeton Press, New Jersey, 1991
SCHIVELBUSCH, WOLFGANG: Geschichte der Elsenbahnreise, Ullstein Materialien, Frankfurt / Berlin. 1979
STEINER, DIETMAR: Die Stadt, ein Gebäude in dieser Stadt … . in artimage: filmarc, Graz 1993
THOLEN, CHRISTOPH, U.A.: Zeitreise, Bilder Maschinen Strategien Rätsel, Stroemfeld, Zürich, 1993