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Ars Electronica 1994
Festival-Programm 1994
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Intelligente Ambiente - Cyber Art


'Peter Weibel Peter Weibel

Platons Höhlen-Modell der Welt wird neu interpretiert: die Schnittstelle als Vorhang. Tritt ein Beobachter vor die Leinwand. erfaßt ihn eine Videokamera. Die (analogen) Signale der Videokamera von den Bewegungen des Beobachters gelangen zum Computer, wo sie in digitale Zeichenketten verwandelt werden und die digitalen Signalsequenzen der Höhlenmalerei. die im Computer gespeichert sind, beeinflussen. Beide Signalfolgen werden mittels Datenbeamer auf die Leinwand projiziert. Der Beobachter steht physisch vor der Leinwand, virtuell hinter der Leinwand und ist Teil der Felswand bzw. Leinwand. Er ist in den Vorhang eingewebt, in die Höhlenmalerei selbst eingemalt. Er wird virtuell zum externen Beobachter, der von außen an die Höhlenwand drückt.

Interaktive Computer- und Video-Installationen, interaktives Fernsehen, CD-Rom, CDTV, CD-I, Laserdisks, Musical Instrument Digital Interfaces (MIDI), Multimedia PC, Virtual Reality, Hypermedien, E-mail, Glasfaserkabel, Videospiele, Videophones, Integrated Service Digital Network (ISDN), Cyberspace Installationen, intelligente Fassaden und Gebäude – all diese interaktiven Bild-, Text-, Ton-Modellwelten beruhen auf der digitalen, siliziumbasierten Informationstechnologie und können als Cyber Art zusammengefaßt werden. Sie arbeiten mit akustischen und visuellen Informationen als die "neue intelligente Energie" des 21. Jahrhunderts und können daher ihren Ursprung aus der Informationstheorie und Kybernetik, aus der Geschichte der optophonetischen Künste und Kinetik nicht verleugnen. Diese Ausstellung und dieses Buch geben einen ersten Einblick in die neue Kunstrichtung Cyber Art und die damit verbundene neue Sicht auf die Evolution der Technologie. Künstlerische Modellwelten, von Cyberspace- und Virtual Reality-Installationen bis zu Multimedia Netzwerken, zeigen beispielhaft eine grundlegende Veränderung unserer Umwelt zu Ende des 20. Jahrhunderts von einer natürlichen, sich selbst überlassenen Umwelt zu einer künstlichen Umwelt, die künstliche Intelligenz besitzt, von einer passiven Umgebung zu einem interaktiven Partner. Die interaktiven Kunstwelten der Cyber Art verweisen auf die zukünftigen intelligenten Ambiente, jene umfassenden, alles vernetzenden, künstlichen, intelligenten Umwelten, die aus den gegenwärtigen digitalen Mensch-Maschine-Medien Schnittstellen, intelligenten Produkt-Ensembles und künstlichen Prothesen hervorgehen werden. Sie zeigen auch die Evolution der Technologie in neuem Licht. Sie zeigen nämlich, daß wir stets Behinderte sind ohne es zu wissen und daß wir die Technologie vorantreiben, um fehlende oder schwache Funktionen der natürlichen Organe zu ersetzen bzw. zu verstärken. Der Behinderte, der mit Hilfe von technischen Prothesen lebt, wird zu einer Modellfigur, zur Avantgarde des Design und der technischen Revolution.

Die Auswahl der Werke zeigt belebte Bildwelten, die auf den Beobachter reagieren, verborgene Informationen preisgeben, aber auch belebte Materialwelten. Wer durch diese Ausstellung geht, deren Design dankenswerterweise von Fareed Armaly ist, hört den Klang der Zukunft. Psychoscapes und Landscapes, Möbellandschaften und Stadtlandschaften verschmelzen, Wände bewegen sich durch die Anwesenheit des Betrachters, die Umgebung ist ein Teil des Organismus, die Objekte haben eine Grenzlinie zur Umgebung, Borderline der Objekte, Fuzzy Logik der Organisation, die Präzision des Vaguen, und Kovarianz der Subjekte bestimmen die ästhetische Erfahrung. Diese Stimulation des Bewußtseins mit Hilfe künstlicher Sinne und Schnittstellen weichen das Gefängnis der Umwelt auf und machen aus der ästhetischen eine kognitive Erfahrung. Variable Positionen des Subjekts, variable Zonen der Schnittstellen zur Welt, variable Schichten der Visibilität – die Bedingungen des postmodernen Lebens werden überbelichtet und überdeutlich erfahrbar.