Secret Of Life
'Bruno & Peter Sandbichler
Bruno & Peter Sandbichler
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'Constanze Ruhm
Constanze Ruhm
EXTENSIONEN Zelte Das Zelt ist transparent, zerlegbar, beweglich und mobil. Es ist ein Modul, das mit sich selbst kompatibel ist. Seine Dimensionen sind variabel, und sein Wachstum abhängig von den Gegebenheiten und Bedingungen seiner Umwelt. Von außen betrachtet kann es sowohl Behälter als auch Skulptur sein. Betritt man es, wird es zu einem Container, zu einem Projektionsraum oder zu einem Archiv (das Verschiedenstes aufbewahren kann). Es reflektiert das nomadische Verhalten eines Besuchers und die Vorläufigkeit seines Aufenthalts. Die Haut des Zeltes ist lichtdurchlässig. Man ist für eine Person, die sich außerhalb des Zeltes befindet, als Schatten sichtbar. Die einzige Lichtquelle innerhalb des Raumes ist eine Projektion. Daher verändert sich die Beleuchtung unausgesetzt. Die Strukturen sind also vorläufig, und der Raum befindet sich tendenziell in einem Zustand dauernder Auflösung und Transformation.
Regale Über die Länge einer Seitenwand des Zeltes sind Regale verspannt. Diese Regale sind leer. Es bleibt dem Besucher überlassen, sie zu füllen, zu beleben, zu bestimmen. Diese Regale sind directories, oder trajectories: Pfade und Wege, und auch Hierarchien. Sie sind die materielle Entsprechung und Voraussetzung für mögliche Archive. Ein Regal ist ein Gegenstand der Alltagswelt, ein verschachteltes Gebilde, das aus einer beliebigen Anzahl von Fächern und Unterteilungen besteht, ein Behälter des Vergessens und der Erinnerung, der Privatheit, des nach außen verlegten menschlichen Gedächtnisses: in all seiner Funktionalität ein sentimentales Objekt. Gleichzeitig ist es auch ein Ding, das einem möglichen Wachstum ausgesetzt sein kann, seine eigene Form erfindet und einen eigenen Raum im Raum, dessen Ab- und Unterteilungen sich immer weiter verzweigen.PROJEKTIONEN Das Regal, das in einem Raum leer bleibt, wird in einem anderen, künstlichen Raum benützt. Das latente Potential des wirklichen Raums, der sich durch den virtuellen Eingriff eines Betrachters (Reflexion) hypothetisch verändert, wird in der Projektion virulent. Das Licht, das von der Projektion abgegeben wird, ist nicht nur Beleuchtung im materiellen Sinn, sondern macht auch Verschiebungen wahrnehmbar. Der künstliche Raum (weil er variabler ist als der wirkliche, und seine Parameter austauschbar sind) kann leichter sichtbar werden als Projektion, die die Stabilität der realen Architektur benützt, um dem eben Festgelegten zu widersprechen. Dieser Schein-Raum ist ebenso leer wie sein wirkliches Gegenstück, trotzdem bewahrt er Dinge auf, oder er vereinheitlicht sich zu einer bewegten Skulptur, die unbegehbar, aber umso sichtbarer ist. Es ist unmöglich zu entscheiden, welcher der beiden Räume zuerst existiert hat.VERSATILES Kristalle Ein Kristall besteht aus identischen Einheiten, die nach einer regelmäßigen, periodischen Struktur angeordnet sind. Kristalle symbolisieren: Perfektion, Schönheit, Symmetrie, Dauerhaftigkeit. Die Zukunft erfährt man, indem man eine Kristallkugel befragt. Ein Kristall könnte als morphologische Metapher bezeichnet werden. Früher war man der Meinung, daß Kristalle lebendig wären und wachsen könnten wie Pflanzen. Man suchte Entsprechungen zwischen der Regelmäßigkeit kristalliner Formen und den Regelmäßigkeiten bei den komplexen Wachstumsprozessen pflanzlicher und tierischer Morphogenese. Der Schlüssel zu jeder kristallinen Struktur sind Symmetrie und Symmetriebrechung. Symmetrie wird nicht als statisches System aufgefaßt, sondern als eine Anzahl von Transformationen, die zu Gruppen zusammengefaßt werden. Eine Gruppe ist ein geschlossenes Set von Transformationen.
Quasikristalle Ein Quasikristall unterscheidet sich in seinem Aufbau auf mehrere Weisen von einem normalen Kristall. Er weist einerseits eine Art von Ordnung auf, wie sie für Kristalle typisch ist, zeigt aber zugleich eine Symmetrie, die für jede kristalline Substanz unmöglich ist. Er verkörpert eine neue Art von Ordnung, die weder kristallin noch völlig amorph ist. Während die Elementarzellen vieler Kristalle auf platonischen Körpern wie Würfeln oder Oktaedern beruhen, basieren die Zellen des Quasikristalls auf dem Ikosaeder. Ein Ikosaeder besteht aus 20 gleichseitigen Dreiecken, und ergibt eine sogenannte "fünfzählige" (*) Symmetrie (an jeder seiner Ecken treffen sich fünf Flächen). Daher wurde der Ikosaeder bis zur Entdeckung des Quasikristalls nicht als mögliche Elementarzelle für kristalline Strukturen in Betracht gezogen.
Penrose-Patterns, Tilings Penrose-Muster bilden das 2-dimensionale Gegenstück zu den Quasikristallen. Das Muster ist nicht periodisch: es kann nicht in eine einzelne Elementarzelle zerlegt werden, die sich unendlich oft wiederholt. Dennoch erfüllt es gewisse Ordnungskriterien, die für periodische. aus einer Grundfigur zusammengesetzte Mosaike (Parkettierungen) gelten. Anders als jedes mögliche periodische Mosaik weist das Penrose-Muster allerdings eine Art fünfzähliger Symmetrie auf: In gewissem Sinne bleibt das Muster unverändert, wenn man es um ein Fünftel eines vollen Kreises (72°) dreht. Wie das Penrose-Muster zeigt auch die Mikrostruktur von Quasikristallen eine fünfzählige Symmetrie. Eine solche Symmetrie ist aber ebenso wie in periodischen Mosaiken auch in herkömmlichen Materialien (die aus einer sich regelmäßig wiederholenden Elementarzelle aufgebaut sind) geometrisch unmöglich.
Parkett, Virus Skizzen Eine neue Art von Ordnung, die sich in einem Objekt der anorganischen, physikalischen Welt findet, kann mit dem Begriff der "extension" (Deleuze) beschrieben werden. Ein Quasikristall besitzt nicht die jeweils einer kristallinen Form entsprechende Gitterstruktur (lattice), sondern weist eine aperiodische Struktur auf, ist somit ein variables, bis zu einem gewissen Grad auch flexibles Objekt. "Extension" bedeutet in der Mathematik, daß die Bedeutung des geometrischen Gegenstands sich verändert, Ein Objekt wird nicht länger als essentielle Form definiert (in der Kunst wäre das typische essentielle, moderne Objekt die Skulptur oder die bemalte Leinwand), sondern als variable Form, die sich über eine Fläche ausbreitet (vergleichbar mit Viren in einem menschlichen Organismus, deren Form sich durch Mutation und Anpassung kontinuierlich verändert; oder mit dem Konzept der mathematischen Gruppentheorie, die nicht von der Form ausgeht, sondern von Transformation, also Bewegung und Veränderung; oder im Zusammenhang mit Symmetriebrechung, deren fundamentales Prinzip besagt, daß eine symmetrische Form nach ihrer Brechung jeweils einen Zustand von mehreren möglichen einnimmt). Das moderne Konzept des Gegenstandes wird von einer prozessualen Ordnung abgelöst und erzeugt einen Gegenstand, der -ebenfalls von Deleuze – als "objectile" bezeichnet wird (object plus projectile). So könnte man die skulpturale Verwirklichung eines zuvor mittels Computer berechneten Interpolationsprozesses als "object-event" bezeichnen. Der Gegenstand beinhaltet bereits seine eigene Instabilität und die entsprechende Suche noch einem möglichen stabilen Zustand (was eine dauernde Veränderung und Ausbreitung zur Folge haben könnte). Diese Ausbreitung – ob 2- oder 3-dimensionaler Art – erzeugt ein Parkett, bzw. eine Parkettierung. Eine Parkettierung ist nichts anderes als der Versuch, die Euklidische Ebene mit Vielecken zu überdecken; dabei ist eine endliche Anzahl verschieden geformter Vielecke gegeben. Diese Parkettierung ist mit Quadraten, gleichseitigen Dreiecken oder regelmäßigen Sechsecken möglich, aber nicht, wenn man regelmäßige Fünfecke verwendet. Eine Parkettierung mit Quadraten beispielsweise nennt man periodisch, da sich die Formen in exakt zwei unabhängige Richtungen wiederholen. Eine Parkettierung mit regelmäßigen Fünfecken wäre eine nicht-periodische Parkettierung. Diese nicht-periodische Parkettierung der Ebene entspricht der nicht-periodischen Struktur des Quasikristalls. So wie die Elementarzelle die kleinste Einheit eines Kristalls ist, wird der" unmögliche" Quasikristall zur kleinsten Einheit eines Systems mit labiler Balance, dessen "geordnete" Zustände nur unserem Auge geordnet erscheinen. Diese Unordnung der Dinge dringt in die Ordnung der Sprache ein: etwas scheint zu sein, was es ist, ist es aber nicht. Dieser Ansatz erscheint wieder in der extensiven Flächen- und Raumbedeckung sowohl des wirklichen als auch des virtuellen Raumes.
Produktion & Support: Kay Fricke Fotos: Kay Fricke, Christian Schoppe
Das Projekt wurde verwirklicht mit Unterstützung von: Bundesministerium für Unterricht und Kunst, Wien Niederösterreichische Landesregierung Tiroler Landesregierung Städelschule-Institut für Neue Medien, Frankfurt/Main
(*) 'Fünfzählig' bedeutet nicht, daß die Figur, aus der der Kristall besteht, ein Fünfeck sein muß, sondern nur, daß sie nach einer Drehung um 72° nicht identisch mit sich selbst ist (so wie ein gleichschenkeliges Dreieck nach einer Drehung um 120°).zurück
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