www.aec.at  
Ars Electronica 1994
Festival-Programm 1994
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Bar Code Hotel


'Perry Hoberman Perry Hoberman

Das Bar Code Hotel ist ein interaktives Environment für mehrere Teilnehmer (oder Gäste). Ein ganzer Raum wird mit Strichcode-Symbolen ausgekleidet, wobei jede Fläche zu einer reaktiven Membran werden kann, zu einem Interface, das gleichzeitig von mehreren Personen benutzt werden kann, um eine virtuelle computergenerierte Echtzeit-3-D-Welt zu steuern und mit ihr in Interaktion zu treten.

Jeder Gast, der ins Bar Code Hotel kommt, erhält einen Strichcode-Stab, einen leichten Stift, mit dem sich die gedruckte Strichcode-Information sofort in das Computersystem einscannen läßt. Da jeder Stab vom System als eigenes Eingabegerät identifiziert wird, besitzt jeder Gast innerhalb der computergenerierten Welt eine eigene Identität und Persönlichkeit. Und da das Interface der Raum selbst ist, können die Gäste nicht nur mit der computergenerierten Welt in Interaktion treten, sondern auch miteinander. Die Strichcode-Technologie bietet praktisch unendlich viele wartungsfreundliche Sensorgeräte an (die einzige Beschränkung ist der zur Verfügung stehende physische Raum), mit denen sich jeder Quadratzentimeter der Oberfläche des Raumes in die virtuelle Welt des Computers übertragen läßt.

Das virtuelle Environment besteht aus mehreren computergenerierten Objekten, die jeweils einem bestimmten Gast entsprechen. Diese Objekte entstehen, indem einzelne Strichcodes, die auf weiße, im ganzen Raum verteilte, Würfel aufgedruckt sind, eingescannt werden. Sind die Objekte einmal geschaffen, führen sie eine halbautonome Existenz und sind nur zum Teil von den menschlichen Akteuren steuerbar. Sie reagieren auch auf andere Objekte und auf ihre Umgebung. Bei ihren Aktionen und Interaktionen produzieren sie verschiedene Töne. Sie haben ihr eigenes Verhalten, ihre eigene Persönlichkeit; sie haben auch ihre eigene Lebenszeit (in der Größenordnung von einigen Minuten); sie altern und sterben (letztendlich).

Das Bar Code Hotel kann eine beliebige Zahl von Gästen aufnehmen, je nachdem, wieviele Strichcode-Stäbe vorhanden sind (was wiederum von der jeweils installierten Ausstattung abhängt). Zur Zeit können im Hotel problemlos bis zu sechs Gäste untergebracht werden.

Immer, wenn ein Gast einen Strichcode einliest, wird ein Kontakt zwischen ihm und seinem Objekt hergestellt. Zwischen den Momenten, in denen sie mit einem Menschen in Kontakt treten, sind die Objekte allerdings auf sich selbst gestellt. Das ermöglicht eine ganze Reihe denkbarer Interaktionsorten. Gäste können, wenn sie wollen, mit ihrem Objekt immer Kontakt halten, indem sie praktisch ununterbrochen Befehle einscannen. Oder sie können ihren Einfluß reduzieren, beobachten, was passiert, und nur gelegentlich ihrem Objekt "beratend" zur Seite stehen.

Alle Strichcodes können zu jeder Zeit eingescannt werden. Jeder Strichcode ist (verbal oder graphisch) gekennzeichnet, so daß der Teilnehmer weiß, welche Aktion er auslöst.

Die Objekte im Bar Code Hotel basieren auf unbelebten Dingen aus dem täglichen Leben: Brillen, Hüte, Koffer, Büroklammern, Schuhe, etc. Kein Objekt basiert auf einem Lebewesen. Ihr Status als Person (und als Ersatz für den Teilnehmer) ist tentativ und hängt ganz von ihrer Bewegung und Interaktion ab. So können sie sich zum Beispiel auch zu einer Art visuellem Satz organisieren, einem instabilen und nicht kohärenten Bilderrätsel.

Die Objekte können miteinander auf verschiedene Art in Interaktion treten, freundlich, listig oder sogar böse. Sie können Allianzen bilden und wieder auflösen. Gemeinsam bilden sie ein anarchisches, aber funktionierendes Ökosystem.

Je nach Verhalten, Persönlichkeit und "Interaktionsstil" kann man sich diese Objekte zu verschiedenen Zeiten in verschiedenen Rollen denken. Ein Objekt kann Agent sein, Doppelgänger, Werkzeug, Kostüm, Geist, Sklave, Nemesis, Politiker, Pfand, Verwandter, Fremder. Die beste Analogie ist vielleicht die eines übermütigen, schlecht erzogenen Haustieres.

Durch das Einscannen der Strichcodes kann man das Verhalten, die Bewegungen und die Position der Objekte verändern. Objekte können sich ausdehnen und zusammenziehen; sie können atmen, zittern, bibbern oder springen. Bestimmte Strichcode-Befehle beziehen sich auf Bewegungsmuster, z.B. Treiben (sich langsam bewegen und dabei wahllos die Richtung ändern), Sprung (sich schnell bewegen, mit plötzlichen unvorhersehbaren Richtungsänderungen) und Mauerblümchen (sich in die nächstgelegene Ecke zurückziehen). Andere beeinflussen die Beziehung zwischen zwei Objekten: Jagen (das nächstbefindliche Objekt verfolgen), Vermeiden (so weit weg wie möglich von allen anderen Objekten bleiben), Schlagen (mit dem nächstbefindlichen Objekt zusammenstoßen) und Vereinigen (denselben Raum einnehmen wie das nächstbefindliche Objekt). Natürlich ist das Ergebnis, wenn man einen bestimmten Strichcode einliest, nicht immer dasselbe und hängt vom Verhalten und der Position aller Objekte zu diesem Zeitpunkt ab.

Auf manche Strichcode-Befehle hin wachsen vorübergehend Anhängsel aus den Objekten heraus. Diese Anhängsel verstärken und definieren bestimmte Verhaltensmuster. So wachsen aus besonders aggressiven Objekten oft Stacheln heraus.

Jedes Objekt entwickelt unterschiedliche Fähigkeiten und Eigenschaften, je nach Alter, Größe, Erfahrung usw. Zum Beispiel reagieren jüngere Objekte meist schneller auf Strichcode-Befehle; je älter sie werden, desto träger werden sie. Ältere Objekte versagen oft, flimmern oder haben einen Kurzschluß. Irgendwann stirbt jedes Objekt, wobei es nach seinem Tod noch kurz als Geist weiterlebt. (Dieser Prozeß kann beschleunigt werden, indem man Selbstmord einscannt.) Nach dem Verschwinden eines Objektes kann ein neues Objekt initiiert werden.

Mit einigen Strichcodes kann man nicht nur die Objekte steuern, sondern auch die Umgebung, in der sie existieren, beeinflussen und verändern. Der Standpunkt der Computerprojektion kann verlagert werden. Als Hintergrund können verschiedene Räume und Landschaften gewählt werden. Es können kurze Erdbeben kreiert werden (die die Objekte in einen Zustand äußerster Orientierungslosigkeit stürzen).

Nachdem jeder Strichcode zu jeder Zeit eingescannt werden kann, hängt die narrative Logik des Bar Code Hotels strikt von den Entscheidungen und Launen seiner Gäste ab. Es kann wie ein Spiel ohne Spielregeln gespielt werden oder wie ein musikalisches Ensemble. Es kann aussehen wie ein langsamer, eleganter Tanz oder wie eine Slapstick-Komödie. Und weil die Aktivitäten des Bar Code Hotels sowohl von seinen jeweiligen Gästen abhängen als auch vom autonomen Verhalten der verschiedenen Objekte, sind unendlich viele unvorhersehbare und dynamische Szenarien möglich.

Graphics Programming & System Design: John Harrison, Glen Fraser, Graham Lindgren
Sound Design: Dorota Blaszczak, Glen Fraser / Graphics Design: Cathy McGinnis / Project Director: Douglas MacLeod

Special thanks to Steve Gibson, Ron Kuivila, Doug Smith, Sylvie Gilbert, Daina Augaitis, Tim Westbury, Mimmo Maiolo & Angela Wyman.