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Ars Electronica 1994
Festival-Programm 1994
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Brotherhood - Table III
Eine Serie interaktiver Konstruktionen

'Woody Vasulka Woody Vasulka

EINE ERKLÄRUNG
Brotherhood ist eine Zusammenfassung verschiedener Medienkonzepte und Ausdruck bestimmter ideologischer und persönlicher Anliegen. Das zentrale Thema von Brotherhood kreist zwar um das Dilemma männlicher Identität, doch kann man es auch so sehen, daß es aus dem allgemeinen Zwang der Menschheit entstand, die Natur umorganisieren zu wollen. Dieser Prozeß zerstört selbstverständlich die natürliche Ordnung und führt zu Polarisierungen und Antagonismen in verschiedenen gesellschaftlichen und philosophischen Bereichen. Das Männliche wird wieder in den Kontext des Krieges als einem zu erwartenden und integralen Bestandteil der menschlichen Evolution gestellt, in den Kontext der Ersinnung und Verwerfung menschlicher Utopien und der gefährlichen Werte männlicher Sexualität. Meine Arbeit tritt nicht für eine reformistische Position oder Verteidigungsstrategie ein. Sie steht verständnisvoll auf der Seite des Männlichen, kann einem ironischen Seitenblick auf dessen klar selbstzerstörerisches Schicksal aber nicht widerstehen.

Diese Arbeit vermeidet einzelne Disziplinen, Genres oder Stile und spürt dafür Cluster systemischer Ausdrucksprimitiva auf – solche, die menschen-ähnlich scheinen, aber maschineninhärent sind.

Die Arten unterschiedlicher Medienpartizipation, die in Brotherhood vorkommen, lassen sich deshalb kaum beschreiben, weil sich Begriffe wie menschliche oder künstliche "Intelligenz" nicht interpretieren lassen. Während bestimmte elektromechanische Systeme ein Volumen an kulturellem Gut enthalten können, kann ihre Brauchbarkeit und ihr Wert nur vor dem Hintergrund der Ausbildung bestimmter menschlicher Verhaltensweisen oder Verfahrensrituale beurteilt werden. Ein Beispiel: Table IV kann, gesteuert durch eine menschliche Stimme aus dem Mikrophon, digitale Stimmerkennung und Plotter, tatsächlich physisch einen Brief schreiben, und diese ziemlich komplizierte menschliche Tätigkeit emulieren. In der Vergangenheit verwendete man den Begriff Intelligenz einfach für ähnliche Fähigkeiten der Maschinen. Inzwischen ist er aber so bedeutungsgeladen, daß man prosaischer von einfachen Verhaltensmustern oder, zur Zeit sehr in Mode, von den neu entstehenden Eigenschaften komplexer dynamischer Systeme spricht.

Brotherhood ist aber ein abstraktes Stück und läßt sich nicht korrekt analysieren. Wenn in diesem Kontext die Kunst eine Rolle spielen sollte, dann werden sich die authentischen technologischen Erweiterungen und Beschränkungen im Werk klar bemerkbar machen. Diese Arbeit ist die komplexeste, die ich bisher gemacht habe, und basiert auf Kenntnissen in der Elektronik, in der Optik, im Maschinenbau und in der Programmierung von Computern.
DIE TISCHE (ALLGEMEINE BESCHREIBUNG)
Das Projekt Brotherhood ist eine komplexe Anordnung kleinerer Einheiten, die als Serie von Tischen koordiniert agieren.

Diese Tische sind quadratische Anordnungen, die horizontal auf metallenen Tischbeinen sitzen. Auf jedem Tisch gibt es Instrumente, die verschiedene akustische und visuelle Strukturen produzieren, komponieren und darstellen können. Zusätzlich zeigen diese Technologiecluster durch digitale Programme oder als Reaktion auf eine Reihe von Sensoren, mit denen jeder Tisch verbunden ist, eine bestimmte Bandbreite von Verhaltensweisen.
TISCH III (FUNKTIONALE BESCHREIBUNG)
Auf Tisch III befinden sich zwei Bildprojektionssysteme: ein spezieller Diaprojektor und ein Videoprojektor. Zu jedem System gehört eine Gruppe von Bildern, die ein bestimmtes Projektionsenvironment beanspruchen: die Standbilder kommen mit einer Anordnung von sechs Bildschirmen aus, während die bewegten Bilder ein weiteres Projektionsenvironment beanspruchen. Beide Projektionsarten arbeiten mit sechsfacher Strahlenaufsplitterung, so daß die Bilder über sechs Achsen kubischer Vektoren auf die sechs Bildschirme verteilt werden. Die Projektion der Standbilder wird durch kleinere Rahmen unterbrochen, durch die sie ihr eigenes Environment innerhalb des allgemeinen Raumes definiert. Wenn diese kleinen Rahmen verschwinden, ist der Projektionspfad frei für die Sequenz der bewegten Bilder. Dieses erweiterte Projektionsenvironment ist durch die Anordnung von sechs Bildwänden definiert, vier stehen am Boden, eine hängt von der Decke herab, Das Material der Bildwände ist so beschaffen, daß die Bilder von beiden Seiten sichtbar sind, d.h. daß der Betrachtungsmodus der Installation nach außen hin erweitert wird. So wird die Installation zu einem Objekt aus einer Vielzahl untereinander zusammenhängender Bilder. Dazu kommen weitere funktionaie Kiang- und Interaktivitätselemente, durch die die Präsenz der Zuschauer und ein gewisses Maß an Partizipation ermöglicht werden.
AUSZÜGE AUS EINEM GESPRÄCH ZWISCHEN WOODY VASULKA UND DAVID DUNN
WV:
Ich habe in dieses Stück sehr viele militärische Gegenstände eingebaut. Wenn du das Schild auf diesem Tisch liest, da steht: "Case and Rack Assembly Bomb Navigational Control". Es ist verrückt, daß ich diese Dinge bei mir zu Hause habe, deshalb habe ich das hier in mein Zielsystem integriert, weil es diese Funktion in Wirklichkeit ja auch hatte. Es sollte Bomben steuern, also verwende ich es zur Steuerung meiner Bildkorridore, die im Grunde ja auch Bahnen unsichtbarer Geschoße sind.
DD:
Es besteht also ein offener Zusammenhang zwischen der Idee der Brotherhood und der Kriegsmaschinerie.
WV:
Ich habe nichts dagegen, darüber zu sprechen, denn ich habe mich, während ich intellektuell immer dagegen war, mit diesen Kriegsgeräten umgeben und habe sie in gewisser Weise angenommen, Der RPT-Roboterkopf in The Theater of Hybrid Automato ist aus einem Navigationsgerät gemacht, das für den Strategic Air Command Bomber steuerte. Als ich es nach Europa mitbrachte und einem Kollegen in Brünn zeigte, sah er es sich an und sagte: "Jetzt weiß ich, was du machst, ich war nämlich beim ägyptischen Militär Berater für Raketensteuerungssyteme." Er hat nicht nur die Brotherhood anerkannt, sondern ist sogar ein "Bruder" der Brotherhood geworden.
DD:
Für dich wird das also inhaltlich klar. Du hast jahrelang Reste aus Los Alamos als Arbeitsmaterial in deinem Studio eingesetzt.
WV:
Jetzt ist es so nackt wie sein Inhalt.
DD:
Es ist sicher deutlich, insofern als diese Materialreste der Schutt dieser ganzen Kriegskultur sind. Viele Künstler haben ja die Schrottplätze in Los Alamos durchforstet, um mit dem Material metaphorisch eine Kritik an der Verbindung von Wissenschaft und Militärkultur zu formulieren. Du nimmst ganz spezielle weggeworfene Materialien, modelst sie aber nicht zu einem künstlerischen Objekt um, das dann etwas aussagt, sondern belebst die strukturellen Intentionen dieser Gegenstände als Art reine Artikulation ihrer generativen Ideologie.
WV:
Das Ziel bleibt genau dasselbe, nämlich den Geist ihrer Schöpfer zu artikulieren; die männliche Idee der destruktiven Macht der Maschine, Dieses Ding hier, eine rudimentäre Bombenaufhängevorrichtung, ist noch immer von diesem Geist beseelt. Als ich es zum erstenmal sah, wußte ich genau, daß das ein Stück dieser Seele war. Ich wußte nicht einmal, was es war, bis ich es später las, aber ich verstand es sofort intuitiv. Als ich die Kiste aufmachte, war ein Tisch drin, mit vier Beinen und diesen Vorrichtungen, die, wie ich später las, zu diesen Bombencomputern gehörten. Ich stellte mir vor, wie die Burschen im Dschungel saßen, kurz bevor sie noch Kambodscha gingen, und die Computer programmierten. Sie hatten vermutlich eine Uniform an, tranken Bier, hackten den Code in die Computer, die auf diesen Gestellen montiert waren. Ich versuche also, genau nachzuvollziehen, welcher Geist in diesem Stück Metall steckt. Das ist wahrscheinlich ein unbewußter, aber gerade deshalb ein sehr authentischer Prozeß: das waren automatische Bomben, so daß niemand sich mit dem Bewußtsein oder der Verantwortung auseinandersetzen mußte, daß er tötete. Diese Codes bleiben in der allgemeinen Kunststrategie im Verborgenen, wenn man sich nicht auf diese Stufe der Intimität hinabbegibt, wo man durch einen seltsamen Instinkt die Rolle dieser Objekte erkennt. Ich glaube, das überträgt sich unbewußt auch auf den Betrachter. Es ist diese dritte Ebene des Beteiligtseins, die mich wirklich interessiert, nicht die, die offensichtlich ist.