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Ars Electronica 1994
Festival-Programm 1994
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Festival 1979-2007
 

 

X-TOPIA


'Elliot Sharp Elliot Sharp / ' Soldier String Quartet Soldier String Quartet

Extopia ist Das Ding An Sich, heruntergeladen und transformiert. "Außerhalb seines Ortes" – es existiert als Extopia. Es ist kein Endprodukt, kein statischer Prozeß, kein einmaliges Ereignis, sondern eine Feedback-Schleife.

Transformation ist ein Schlüsselelement in CRYPTID FRAGMENTS (enthalten auf meiner auf dem Label Extreme erschienenen eponymen CD XCD 020). Das Kernmaterial des Stücks wurde auf Geige und Cello gespielt, in den Computer eingegeben und dann durch Zeitverzögerung und -kompression, Verschiebung der Tonhöhen, Filtern, Rückwärtsspielen, Schneiden und erneutes Kopieren radikal bearbeitet. Einige der "Instrumente", die so entstanden, behielten viel von ihrer ursprünglichen Identität, andere dagegen waren nicht mehr als Streicherklänge erkennbar (der Begriff "Instrument" ist hier definiert als der Klang oder die Phrase, die durch die Bearbeitung entstanden ist). Alle Instrumente wurden dann durch Schichtung und Playlists zeitlich geordnet zu einem virtuellen Streichquartett. Dieses Quartett konnte allerdings nicht in Echtzeit aufgeführt werden. Die Transformationen sind prozessorintensiv und brauchen Speicherkapazität für Wiedergabe und Schnitt.

Ich wollte schon lange solch ein transformatives elektroakustisches Stück in Echtzeit aufführen – und bei dem, was ich (seit 1969) mit der Gitarre machte, verwendete ich immer wieder elektronische und mechanische Nachbearbeitungstechniken, um die Klänge "außerhalb" ihrer normalen Form und Rolle zu plazieren. Mit dem Aufkommen der PCs verschob sich meine Arbeit (unter dem Namen VIRTUAL STANCE – 1969-1990) in den Digitalbereich, und über die Software M auf einem Atari 1040 steuerte ich verschiedene Samplers und digitale Delays. Mit M konnte ich eine Improvisationslandschaft vorbereiten und diese dann auf der Bühne realisieren. M war ein Clocked Sequenzer – und bedingte rhythmische Strukturen zyklischer Repetitionen. Mit Samples meiner erfundenen Streichinstrumente (Slab, Pantar, Violinoid), deren Ursprung verschleiert worden war, versuchte ich, diese Strukturen weniger auffällig zu machen.

In X-TOPIA ist dieses Echtzeit-Konzept noch weiter entwickelt. Das Streichquartett bekommt zeitlich geordnetes Kernmaterial sowie Anweisungen für musikalische Aktionen. Durch den Buchla Thunder (mit seinen hervorragenden Echtzeit-MlDl-Control-Möglichkeiten) als Controller und verschiedene Digitalsignalprozessoren können die Klänge des Quartetts gesampelt und vom Komponisten auf der Bühne klanglich und räumlich transfiguriert werden. Das Quartett entscheidet auf Grund der durch meine Bearbeitung entstandenen Klangprozesse über seine weiteren musikalischen Aktionen im Stück, die dann ihrerseits bearbeitet und in den klingenden Raum geschickt werden.

Die Wortkreation 'Ir/rationale Musik' beschreibt treffend, was ich mit meinen Kompositionen ausdrücken möchte:

Ir – die Klangakustik im Raum und im Ohr (in space and in the ear) und ihre Verbindung zur Wahrnehmungsmaschine: Obertonreihe, Differenztöne, Feedback, Lautstärkeneffekte, "define melody", "define groove";

das Rationale: Struktur und Ordnung, Verwendungs- und Bearbeitungsalgorithmen, formale Organisationssysteme, gesellschaftlicher und gattungsspezifischer Kontext, Querverweise.

Insgesamt – das Ir/rationale – Chaos, Intuition, das Tangentiale.

Nicht-lineare Improvisation ist ein wesentlicher Teil ir/rationaler Musik -Improvisation erweckt die Musik zum Leben, sie macht Statisches dynamisch, der individuelle Gestalter im Klangfluß.