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Ars Electronica 1993
Festival-Programm 1993
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Festival 1979-2007
 

 

Remake = Remodel


'Johannes Domsich Johannes Domsich

Genetik und Mikrobiologie als Motiva der Kunst – der ARS ELECTRONICA – der "elektronischen" Kunst, sind nicht ohne die Hinwendung zu "Ideen" von Schöpfung und an den Menschen in seiner Dualität zwischen Kreatur und (Re-)Kreator zu erarbeiten.

Ich halte es für unentbehrlich, weit in die – zum Teil skurrilen – Extreme der Kultur- und Kunstgeschichte vorzudringen und mehr als jenen, für die Dimension der Wissenschaftstradition extrem kurzen Wirkungszeitraum der Molekularbiologie und deren möglichen Einfluß auf das künstlerische, soziale und philosophische Denken, die kreierende Phantasie, zu analysieren.

Unerläßlich wird es sein, die Areale der Historien von Theologie (Religion), Kunst, der physikalistischen Wissenschaft oder der Metaphysik nach Indizien einer Struktur – nach Modellen und Bildern der Genese und der Generation (1) (Fabrica in derselben Verwendung bei Steinbach) zu durchleuchten.

Gibt es eine Methode der Schöpfung oder der Reproduktion? Oder ist Schöpfung eine nicht endende Kette von Kopien und der Schöpfer sein eigenes Vorbild?

Ich vermute, besser ich ahne eine Strategie – Prozedur oder auch einen Plan – des Denkens, ein Modell aller Vorstellungen der Menschen von Produktion, von Entstehen (Entstehung) – von Schöpfung. Fraglos entwirft der Mensch seit man von ihm historisch, ergo aus Produkten, Entwürfen und Interpretationen, weiß, Vorstellungen und Regeln, nach denen er "produziert" wurde und wiederum "produzieren" kann oder darf.

Eines, wenn nicht das initiale Muster ist das "Abbild", das Duplikat, der Klon, der nur in Kompetenz und Verantwortung und nicht zu vergessen in Haltbarkeit vom (göttlichen) original differiert – der Mensch.

Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde; die Erde aber war wüst und wirr, Finsternis lag über der Urflut, und Gottes Geist schwebte über dem Wasser Gott sah, daß es gut war. Dann sprach Gott: Laßt uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land. Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Gottes Abbild schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er ihn.

(Genesis 1/1,26)
Und zugleich war am Anfang das Wort – Gott sprach (…) (Genesis 1,3), ein technisches Modell der Kommunikation wie der Rezeption, mit dem die Kette der technischen Verfahren der Formulierungen, der Abbildungen, in der dialogen Artikulation des Willens begann. Gott erklärt sich in seinem Willen, dem Wort und seinem Abbild, dem Menschen – er kommuniziert. Nebenbei, einzig das Wort, der Name des Schöpfers, ist mächtiger als dieser selbst. Für einige Religionen und Mythologien der Grund den Namen zu verschweigen, ihn nicht auszusprechen. (2)

Remake.
Wenn die Geschichte des Menschen eine seiner Werkzeuge, seiner (Kultur-) Techniken ist, so ist es legitim, diese als Mittel eines Schaffens, einer Emanzipation der Spezies Mensch zu sehen. Einer Verselbständigung aus einer Welt des (Vor) Gegebenen in ein Umfeld des von ihm Überarbeiteten, Veränderten. Vom Urwald, der Natur (… Die Natur ist nicht bloß Produkt einer unbegreiflichen Schöpfung, sondern diese Schöpfung selbst. Hamann 2, 283, Grimm zum Begriff Schöpfung) zur Landschaft. Vom Garten Eden – der göttlichen Kultivierung, zum Landschaftsgarten (3) – der menschlichen Kultivierung.

Es drängt der Gedanke in den Vordergrund, daß die Errungenschaften unserer Evolution nicht zu allererst Produkte – Werke – sind, sondern Werkzeuge. Instrumente, die unsere Sensoria, unsere Sinnlichkeit überformen, vielleicht sogar determinieren und unsere produktive Aufmerksamkeit und unsere Wünsche lenken. Zu intensivieren und zu verstärken kommt einem Fokussieren gleich. Es handelt sich um sinnliche Selektionen, von denen nur wenige ohne Werkzeuge der Wahrnehmung unsere Sinne erreichen würden.

Produkte der Kunst, der Wissenschaft sind Resultate gegebener technischer Möglichkeiten und gleichbleibender – stagnierender, konstanter oder sich wiederholender – Ideen.


Kontinuierlich in der Kultur ist das Bedürfnis Kunst und Wissenschaft zu treiben. Die Art, in der dies geschieht, ist aber bedingt durch die Werkzeuge, die unsere Phantasie und Aufmerksamkeit lenken. Weitergehend behaupte ich, daß die "Schöpfung" von Werkzeugen die Produktion von Wissenschaft und Kunst in thematischer und formaler Hinsicht bestimmt. Werkzeuge sind die determinierende, ästhetische Instanz der Kultur.

Werk – Zeug(e) = Augen – Zeuge.
Um ein Beispiel zu geben: Mikro- und Teleskop verändern unsere Sichtweisen (Sehnsüchte), unser Interesse und dessen Interpretationen, wie Maschinen unsere Wahrnehmung von Geschwindigkeit und Wert. Wissenschaft und auch Kunst werden zu einem Spiel der Antworten und nicht der Fragen – denn Werkzeuge sind die zufälligen Instrumente momentaner Zufriedenheit.

Werkzeuge sind gleichsam eine zweite Instanz in der Bewertung von Phänomenen unserer Umwelt. Sie bilden ab und messen in Dimensionen, die unseren Sinnen unmöglich sind. Oder anders gesagt: Sie sind entweder kompetenter oder unseren Sinnen unterlegen. In jedem Fall sind sie Status Quo und Kompromiß.

Die Vorstellung "wie etwas funktioniert" kann nicht von der Vorstellung "wie es gemacht wird oder wurde" getrennt werden. So sucht der Mensch nach den "Bausteinen des Lebens", verwendet Metaphern seiner eigenen Produktion um sich einer Ansicht seiner Entstehung zu nähern. Jedes Produzieren, jedes Werk setzt er als Parabel seiner eigenen Entstehung, seines Funktionierens.

Die religiöse Idee der eigenen Schöpfung ist die Matrix (Vorlage, Entwurf) menschlicher Vorstellung und Produktion. Wir beschreiben uns als Ebenbilder, weil nichts anderes denkbar (vielleicht auch nicht sinnvoll) ist.

So erklärt sich auch die Begeisterung über neue Methoden oder wissenschaftliche Innovationen: (4) eilends werden sie in das Erklärungsbild einverleibt (populär-wissenschaftliche Special Interest Publikationen leben von diesem Enthusiasmus), sind ein erneuter Entwurf zu den vielen spekulierten Bauplänen der Welt und des Menschen – Beutestücke aus einem göttlichen Labor. (5)

So entstanden und entstehen die bemerkenswerten Widergänger des Menschen in den Phantasien von Literaten, Künstlern oder Wissenschaftlern: "Leib und Seele" produzieren Gespenster, = gasförmige Wirbeltiere", wie Otto Neurath (6) sie nennt. Mit den Erkenntnissen der Elektrophysik phantasiert eine Sechzehnjährige (7) den elektrisch reanimierenden Frankenstein. Hoffmann erliegt dem Liebreiz der Maschine und verliebt sich in Olympia. (8) Ist Dracula ein Produkt von Geografie, Geschichte und Serologie? Wurde er nur entworfen um die Entdeckungen des Diktaphons und der Bluttransfusion zu verherrlichen oder läßt Bram Stoker (9) die Emanzipation der Frauen über den männlichen Untoten (10) siegen? Sicher ist er ein Monster aus Fleisch und vor allem Blut, nicht tönern wie der Golem einer "nicht sezierenden" Zeit. In Kenntnis der Kernenergie terrorisieren B-Movie-Regisseure mit Riesenameisen fortschrittsgläubige Amerikaner, und daß Computer die Welt regieren, publizieren nicht nur schlichte Boulevard-Journalisten.

Der Mensch macht sich (s)ein Ebenbild.
Und der Mensch arbeitet an seiner und der "Verbesserung" seiner Umwelt, an der Fortführung der Schöpfung. Er ist die Evolution. Er macht sich die Erde Untertan.
Gott segnete sie "und Gott sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und vermehret euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch, und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über alle Tiere, die sich auf dem Land regen."

(Genesis 1,28)
Er tut dies nicht nur in realen Produkten, sei es in nutzorientierten Unterfangen wie Züchtung, Genmanipulation und dergleichen, sondern auch in seinen Fiktionen und Phantasmen. Als Ornament, als Dekoration oder auch als schrulliges Resultat der Spielerei mit einer Art "Schöpfungs-Kaleidoskop", bei dem Chimären, Sphingen, Sirenen, Basiliske, Gryllen oder Dämonen entstehen.

Einige gemeinsame Strategien der erneuernden Perspektiven lassen sich unschwer beobachten: Innovation in der Produktion von Werkzeugen – eine indirekte Verbesserung des Menschen; Innovation in der Medizin – eine direkte Verbesserung; Innovation in der Manipulation – der Mensch imitiert seinen Schöpfer auch in der Produktion der "Stellvertreter", Phantasie einer Freizeitkultur.

Das Delegieren der Produktion ist ein basales Muster menschlicher Werkzeugkreativität. Es entbindet ihn nicht zuletzt durch seine Abwesenheit von "persönlicher" Verantwortung. Darin finde ich eine Erklärung für fehlende Perfektion, denn Stellvertreter sind nicht vollkommen, dürfen es nicht sein. Wir aber wollen "vollkommen" sein, sehen uns daher, wenn auch erst in der Ewigkeit, als erlösbare Stellvertreter eines Schöpfers, denn wir formulieren uns als sein Ebenbild, ja wir "spielen" ihn geradezu nach (Siebentagewoche (11)). Unseren Geschöpfen hingegen erlauben wir keine völlige Perfektion, außer es handelt sich um Prothesen (Detaillösungen), also intime Gegenstände von uns selbst.
Das (DNA, Anm.d.Aut.)aber definiert keine Individuen mehr, sondern mögliche Mutanten. Aus biologischer, genetischer und kybernetischer Sicht sind wir alle Mutanten. Für Mutanten kann es nun aber kein jüngstes Gericht, keine Auferstehung des Körpers mehr geben, denn welcher Körper soll auferstehen? Seine Formel, seine Chromosomen werden sich verändert haben, er wird nach anderen motorischen und mentalen Variabeln programmiert sein, er wird kein Recht mehr auf sein Bild haben. (…) (12)
Grundmatrix ist die Fiktion oder auch die Sehnsucht nach Optimierung: der kompetente Mensch, die optimale Produktion, das maximale Produkt. Optional betreiben wir die vollständige, optimale Polarisierung: Gut und Böse.

Remodel.
Fraglos ist die Naturwissenschaft neben der Religion eine wichtige und indizienreiche Quelle menschlichen Wollens und menschlicher Formulierung in Hinsicht auf die Genetik. Sie berechnet und sie ist rechenbar. Sie reduziert die Beschreibung = die Formulierung auf "die Formel des Lebens". Sehr prägnant, wenn auch nicht ganz in meiner Argumentation, findet sich diese Idee von Reduktion bei Jean Baudrillard: (13)
Die religiöse, metaphysische oder philosophische Definition des Seins hat einer operationalen Definition in der Begrifflichkeit der genetischen Codes (DNA) und der Gehirnstruktur (Informationscode und Milliarden von Neuronen) den Platz geräumt. Wir befinden uns in einem System, in dem es keine Seele, keine Körpermetapher mehr gibt – nicht einmal mehr das Märchen vom Unbewußten stößt noch auf Widerhall. (...)
Aber da ist auch noch eine ängstigende Seite, die Furcht vor bestrafter Hybris mit dem hinlänglich bekannten Repertoire an Plagen, die uns heimsuchen, wie ökologische Katastrophen, Mißbildung und gomorrhäische Dekadenz. (14) Boschs Apokalypsen ängstigen, aber die meisten von deren Detailvorbildern, die Gryllen, waren positive Phantasien (15) des bereits beschriebenen Schöpfungskaleidoskops – waren Amüsement der Antike und Fetische des Mittelalters.

Besonderes intellektuelles wie auch künstlerisches Vergnügen scheint der Glaube zu bereiten, daß es noch andere Produkte, Alternativen und Ergebnisse einer Schöpfung geben müsse: Sie endeten zwar mit der Verbreitung der "Religion Evolutionslehre", sie sind aber in Fabel und Märchen lebendig und sei es auch nur im Trivialkino als disneyeske Fantasy.

Das Naheverhältnis von Mythologie und Medizin dokumentiert sich noch im zwanzigsten Jahrhundert: Der Gynäkologe Schatz behauptet in seinem 1901 gehaltenen Vortrag "Die griechischen Götter und die menschlichen Mißgeburten" in humanen Mißgeburten mit überzähligen Beinen eine Erklärung für die Kentauren gefunden zu haben. (16) Naturwissenschaftler anderer Disziplinen wie etwa Charles Gould (17) wurden Opfer ihrer Fehlinterpretationen, indem sie Drachen, Einhörner oder den Vogel Phönix als ausgestorbene Naturformen schilderten.

Wenn man die Schaufenster von Spielzeuggeschäften betrachtet, dann gibt es zumindest eine Bevölkerungsgruppe, die reges Interesse an dieser anderen, "untergegangenen Schöpfung" zeigt. (18) Und wenn man in der Formung von Mischwesen einen Versuch der (warum nicht auch kindlichen) Rationalisierung, des Sichtbarmachens sieht, dann handelt es sich dabei möglicherweise um einen frühen Versuch des Ankämpfens gegen Schreckliches und Ängstigendes – um eine Entzauberung.

Saurierzähne genügen uns nicht mehr als Belege für Drachen und deren minnigliche Töter, aber wem widerstrebt der Lehrsatz, daß alles Leben aus dem Meer komme? Eine Meinung, die lange vor den neuzeitlichen Erkenntnissen in charmanter Weise zur Darstellung wurde.

Phantasmen sind nicht nur Ziel menschlicher Manipulation, sie dienen auch der Formulierung, der Allegorie und der Gestaltung von Ideen. Sie sind Bilder des Unsagbaren. So erscheinen uns synthetische Kreaturen als Synonyme von Eigenschaften, zuletzt wieder als Indikationen des Extrempaares "Gut / Böse".
Nunmehr ist der "Unterhaltungscharakter" aus den Phantastereien gewichen (Ausnahme Kinderspielzeug). Sie sind dem Ernst des Physikalismus überantwortet und das rechenbare Nutzen-Argument steht unmittelbar im Vordergrund der Kalküle.

Und doch findet man in den träumerischen Wünschen von Medizinern und Mikrobiologen Sehnsüchte von Heilung und Besserung, die nichts mit rationalen Folgerungen gemein haben. Erbkrankheiten oder Krebs sollen besiegt werden, vergleichbar einer Erbsünde von uns genommen sein. Sehnsüchte seit der Geburtsstunde einer Wissenschaftsdisziplin. Verbesserung hin zum Original.

Dieser gottähnliche Eingriff in Vorgegebenes wird begleitet von dem schon angedeuteten Horror, den Strafen, die in ihren Konsequenzen frappant den wüsten Phantasien der Antike oder des Mittelalters gleichen. Im Irrationalen, Ängstigenden ist unser Fortschritt nichts und sind die Dämone beinahe Archetypen menschlicher Angst- und Schuldkomplexe. Sie sind trotz allen, beinah frömmlerischen Ernstes, Amüsement – im Kino. Dort imitieren sie erneut, auch uns. Sie sind fremd und doch jede Form, für die wir ihnen Vorbild sind. Ihr Trick ist die Verwandlung in nichts, das sie sind –Alien. (19)

Strafe findet aber nicht nur die Manipulation der göttlichen Schöpfung – Gott als "schephaere aller creatiur" Ottokar oder Luther (Sir. 1,7): "… der allerhöhest, der schepffer aller dinge, allmechtig". Schlimmer noch ergeht es denen, die die Götter übertreffen. Die Literaturgeschichte ist bevölkert mit dergleichen tragischen Figuren. Orpheus, der bessere aber achtlose Musiker, Lamia und Niobe, die besseren Mütter und viele mehr ereilen variantenreich teils ungerechte, entsetzliche Schicksale. Göttliche Konzepte kann man stehlen. Die Strafe dafür ist endlich. Doch was wird den Kreaturen widerfahren? Wie ist ihre Entwicklung, wie ihr Weg und wie gestaltet sind ihre Wünsche? Prometheus – Pandora – oder was bleibt uns verborgen, wenn wir mit zeus'schem Licht sehen? Doch zurück zu den Argumentationen der Kultur: Mit Genetik meint man eine junge Disziplin und Tradition einer Sparte der Biologie, der Naturwissenschaften. Sicherlich ist der Begriff Genetik verwoben mit Erinnerungen an die zu Schulzeiten erworbene Evolutionslehre, mit ihren zum Teil obskuren Vorstellungen, Konflikten und Debatten oder die (rechnend spekulierenden) – "Mendelschen Regeln". Diese fehlerhafte Gleichbetrachtung von Darwin, (20) Mendel, der Vererbungs- und Abstammungslehre und der Genetik speist bis in die Gegenwart abstruse Rassentheorien als aggressives Argument oder triviale Polemik im Denken der Menschen.

Kunst steht in einem nahen Verhältnis zu Traditionen. Diese sind Indizien von Evolution, sieht man in ihr nur Vererbung und Selektion. Vererbung kann Intimes sein – gleichwohl auch faschistoid in den Begriffen "sauber", "säubern", "Auslese" oder der naiv romantischen Vorstellung, daß nur der Stärkste überlebe. Der Zufall, ein immanenter Faktor der Vererbungslehre, als Selektionsinstanz spielt in derlei Binsenweisheit keine Rolle.

Es gibt die nur zulange Tradition jener Pädagogik, die den Schülern ein Verständnis über "vorletzte" Techniken und Erkenntnisse lehrt. (21) Dabei denke ich daran, wieviel sich Kinder mit Fragmenten der in ihrer Vollständigkeit beinah vergessenen "Mendelschen Regeln" hätten erklären sollen, wieviel Tendenziöses und Mißverständliches damit unausgesprochen von Lehrern an Schüler weitergegeben wurde.

Am Ende dieses Textes ist von mir ein Zitat Schrödingers gesetzt, um der banalen "(Be-) Rechenbarkeit" zu widersprechen, um aus einer neuen methodischen Überlegung zu formulieren. Mit einem Satz: ich möchte die Evolutionstheorie (22) und auch die Genetik als Erklärungsmodelle dem Arbeitsgebiet "Kunst und Genetik" beifügen. Ich glaube, daß sie in den Köpfen derer, die bloß das Wort verwenden wollen, sehr eng aneinander liegen – fast wie ein und dasselbe behandelt werden.

Wie sehr und wie lange schon Genetik synonym verwendet wird, zeigt eine Passage bei Mauthner: (23)
(...) Das Sprechenlernen des Kindes ist mit Bewußtsein verbunden wie das Gehenlernen; auch in der genetischen Entwicklung der Sprache müssen wir behaupten, daß jede Bereicherung, jede neue kühne Metapher, mit Bewußtsein verbunden war. (…)
Wir neigen in einer Phase dominierend optisch transportierender Medien dazu, Wirklichkeit und Wert optisch zu definieren. Als ästhetisches Indiz mögen etwa Produkte der Computergrafik und -animation dienen, die sinnliche Qualität betont über die Beschreibung der Oberflächen lösen.

Kommunikation und Information bleiben auf die Oberfläche, die Hülle beschränkt. Es dominiert gleichsam das optische Argument. Und dieses gerät zu einem kosmetischen Bestreben, das Probleme nur noch in diesem visuellen Kanal transferiert.

Nicht anders ist die beinahe schildbürgerliche Naivität zu erklären, mit der Schulklassen von ihren Lehrern und Eltern dazu angehalten werden, die Umwelt, sprich "die Natur", zu kosmetisieren, indem sie sie von (oberflächlichem) Abfall reinigen. Sie lernen dadurch, sich mittels einer intakten Oberfläche zu beruhigen und nach Oberflächen zu konstruieren und zu interpretieren. Denn Verfall, Krankheit oder genetische Mängel werden oberflächlich diagnostiziert. Häute sind die Indikatoren unserer Ästhetik. Oberflächliche Zeichen bedingen unsere Meinung.

Hütet euch vor den Gezeichneten. – Krankheit wie Schönheit muß man sehen um sie zu verstehen.

Bei all dem ist aber festzusetzen, daß ich in der Genetik mehr eine produzierende, verändernde Disziplin sehe, als eine analysierende. In Ihrer Disposition ist sie eine der praktizierten Möglichkeiten sich die Welt zu erklären, hat ihren Platz sehr nahe an mechanistischen Systemen oder der Idee von "Ja und Nein" als dem Bezeichnungssystem der Computer.

Denn spricht man von genetischem Code, der "Sprache der Gene", so ist die Ausrichtung hin in ein Formulieren demnach Reproduzieren des Lebens gegeben – man kann nur verstehen, was man machen kann – Creator, Schöpfer oder dummes 'learning by doing'?

Die Selektionen der Objekte der Betrachtung und der Formulierung exponieren und manifestieren sich in der Kunst. Ergo wird der Fokus des ästhetischen Interesses zum Motiv der Manipulation und der Konstruktion. Oder: Nur was man wissen will, also erkennen kann, wird formuliert. Um zu erkennen verwendet der Mensch Instrumente – Künstler, Mikroskope, Medien und dergleichen – er "formuliert" in und aus seinem Interesse nicht nur Produkte sondern auch Werkzeuge neuen Interesses. Und er tut dies zunehmend außerhalb seiner sinnlichen genetisch bedingten Möglichkeiten.

Die Idee als Konzept – Wunschvorstellung als Produktionskonzept.
Der Mensch erkennt nicht ohne Werkzeuge. Wahrnehmung ist ohne Kommunikation nicht denkbar. Das bedeutet, daß die Technik seiner Kommunikation ebenfalls Matrix seiner "Vorstellung" ist. Mit E.T.A. Hoffmanns "Olympia" wird das Schöne (24) als Maschine formuliert und produziert, Chirurgie und Elektrizität sind die Vorstellung einer Mary Wollstonecraft Shelley von Funktionieren und Biochemie. Gedacht wird ein Spiegel (Hülle, Cover) als Ebenbild, das nur wegen des Fehlens von Geschichte unterscheidbar ist.

Nicht so in der "genetischen Tradition", Kinder als Ebenbild ihrer Eltern zu beschreiben – sie stellen sinniger Weise Vergangenheit und Zukunft für den momentanen Betrachter her, und simulieren ihm Gott-Vater und die Schöpfung in der Schöpfung (Cover, deckungsgleich).

Eltern kultivieren das Verlangen nach Perfektionierung ihrer selbst in ihren Kindern wie uns die Kunst als "Reproduktion", als eine andere, perfektere Wahrnehmung der Welt erscheint.

Gleichzeitig tritt der Wunsch nach Polyfunktionalität in den Werkzeugen und im Produkt Mensch auf, obwohl derart seltsame Phantasien wie die von "Krieger- oder Denker-Rassen" in den Fiktionen von Autoren und Diktatoren nach wie vor überdauern.

Signifikant sind auch unsere Vorstellungen von Medien, Technik oder Werkzeugen: Ähnlich einem Schweizermesser müssen sie in der Lage sein, unterschiedlichste Anforderung an Leistung, Qualität und Funktion zu erfüllen. Ein Personal Computer etwa "kann alles". Er imitiert in seiner Oberfläche konventionelle, traditionelle Werkzeuge in deren Funktion und auch Formalität als Icons. Die haptische "Formulierung" ist durch Polyfunktion und die gleichzeitige Uniformität aufgehoben: Denn ein Computer bleibt ein Computer, er ist kein Luftpinsel und er ist auch kein Taschenkalender. Oder denken Sie an die zur Scherzphrase gewordene "genetische Phantasie" des Landwirts, die "Wollmilchsau". Genetisch manipulierte Tiere werden zur Karikatur menschlicher Wertvorstellungen, zu Extasen von Funktion und Nutzen.

Erinnern möchte ich an die Perfektion in der Revision der Umwelt. Der Mensch verändert die Räume seiner Lebensmöglichkeiten, indem er die Natur gestaltet, manipuliert und vielleicht einmal mit Manipulationen bevölkert in einer Eigenart wie Boschs Paradiesgärten oder dessen Fegefeuer.

Wie Architektur in der Architektur, setzen die Gartenkünstler des Barock Natur in die Natur – sie "transplantieren" und importieren aus neuentdeckten Fernen Vegetationen und Architekturen nach den Argumenten des Geschmacks. Sie gestalten die Natur als Theater und setzen in sie die Bühnen ihrer Zeit – wie das Salzburger Felsentheater. Die Welt wird zur Bühne der Menschen und transportierte Tiere wie der Fasan, sind Requisiten ihrer Unterhaltung, ihrer Kultur.

Remodel.
Wenn veränderte Natur die Umgebung dominiert, ist die traditionelle Kunst, die eine Fiktion ist, über die Grenzen ihrer Produktion getreten. Darin liegt die Qualität der Disziplinen! Dem entgegen arbeitet die Ästhetik der Ökologie. Als ihr Dogma gilt: Schnelle Veränderung ist Zerstörung. Die angedeutete Grenze der beliebigen Veränderung darf nicht überschritten werden. Ökologie reklamiert ein unscharf beschriebenes Tempo im Ablauf der Entwicklungen, ein Tempo allerdings jenseits menschlicher Lebensalter. Seltsam religiös erscheint es als ein duldendes passives Bewegen, keinesfalls ist es zivilisatorisch. Der Mensch würde zum Betrachter, zum Chronisten der Zeit, die unter diesen Maximen allerdings ihre Bedeutung als Maß menschlicher Distanzen verloren hätte. Als Schöpfer von Kunst und Wissenschaft hat er folgend nur zu bezeichnen, zu beschreiben – eine Phantasie diktatorischer Naturalisten.

Stilisiert die Kultur das Leben? Sind wir wie die "galanten Schäfer" des Rokoko, die ein gesichertes aber nur angedeutetes Leben leben? Das würde bedeuten, daß uns die Sicherheit aus Ökonomie und Medizin zu langweiligen Darstellern einer fremden (bäurischen) "alternativen" Kultur macht. Es gibt kein Zurück zur Natur, denn es gibt keine Natur.

Wir stilisieren lediglich nach den präferierten Betrachtungsaspekten – nach dem, was wir gerne sehen oder als schön zu interpretieren gelernt haben. Die Frage bleibt, was sich ändert, wenn der Geschmack sich ändert und andere "Ausschnitte" aktuell sind.

Denkt man anders nur weil man anders tut (handelt)?
Man sieht, wir neigen nicht nur dazu vorgefundene Phänomene neu zusammenzustellen (Gryllen), auch unser Geschmack als Matrix (Gesetz) des Handelns scheint ähnlich zu funktionieren. Schwerpunkte der Betrachtung und Interpretationen der Sinne werden immer neu und anders miteinander verbunden. Wir arbeiten wie Kaleidoskope: Kaleidoskope der Sinne – Kaleidoskope der Kommunikation – Kaleidoskope der Kunst, der Wissenschaft.

Remake – remodel.
Ist demnach Neuschöpfen ein Neusortieren, also nur ein Verändern der Struktur? Assemblage.

So betrachtet wird die Genetik vergleichbar einer "Bibliothek" der Sinnlichkeiten, der Eigenschaften. Sie schafft eine Architektur aus immer neuen "Bausteinen der Schöpfung, des Lebens", wie ihre Information, die DNA genannt wird. Und ich denke an Dicks Idee von Fälschung – eine Fälschung aus Fleisch und Blut (25) und ich vergleiche sie mit der Fälschung Lems, die der Erinnerung der Vorstellung. (26) Ich denke an die Kaleidoskope der Wissenschaft und der Kunst. Wenn die Biologie über die Maschine der Mechanik triumphiert (27) – gibt es dann auch den Triumph der "ersten göttlichen Biologie" über die "andere" – die zweite des Menschen?
Unglaublich kleine Atomgruppen, viel zu klein, um genauerer Statistik zu folgen, spielen eine beherrschende Rolle bei den höchst geordneten, gesetzmäßigen Vorgängen im Organismus (…)
Das Gen ist viel zu klein um nach den Regeln der Physik ordentliches, gesetzmäßiges Verhalten zu zeigen.


Erwin Schrödinger
Und nichts "war schon einmal da", wenn wir wissen, daß es schon einmal da war.
Recover.


(1)
Meines Wissens erstmalig bei Stieler 1710. zurück

(2)
Ein nettes Spiel wie Menschen mit "Gut und Böse" umgehen: Der Name des Teufels darf nicht ausgesprochen werden, man "malt" ihn auch nicht an die Wand. Der Name des Guten wird gesagt (Gottseibeiuns), er wird gebannt, um das Böse zu bannen. zurück

(3)
Goethe zum Beispiel nennt in den Wahlverwandtschaften" einen Garten Schöpfung (… ich wünsche die neue Schöpfung zu sehen). zurück

(4)
Besonders die, die vorgeben, "woher" und "warum" klären zu helfen. zurück

(5)
Sie ähneln grotesk dem Spionagegenre: Eine weltbewegende Formel ist, gottseidank oder leider fragmentiert, unvollständig entwendet worden … zurück


(6)
Otto Neurath: "Gesammelte philosophische und methodologische Schriften". Herausgegeben von R. Heller und R. Rutte. 1990. zurück

(7)
Mary Wollstonekraft-Shelley: "Frankenstein or the Modern Prometheus." 1818. zurück

(8)
In Jacques Offenbachs "Hoffmanns Erzählungen" (Uraufführung 1880) Darin: (…) Habe Brillen, die jeden toten Gegenstand im Nu beleben (…) Durch diese Brillen alles wird beleuchtet und erhellt, wer sie besitzt, ja, der beherrscht die Welt! zurück

(9)
Bram Stokers "Dracula", 1897. zurück

(10)
Der Vukodlak wendet sich gegen seine Familie, gegen das, was er liebt. Er ist ein "genetischer Selbstmörder". Interessant auch Gogols "Der Wij" und Tolstois "Vampir". zurück

(11)
Die Voraussetzung Gottes, von dem Israel die Siebentagewoche mit dem Sabbat als Ruhetag im Bundesgesetz erhalten hat, der sich auch selbst bei der Erschaffung der Welt an dieses Schema gehalten hat. zurück

(12)
Aus Jean Baudrillard: "Das Andere selbst". 1987. zurück

(13)
Quelle wie Fußnote 7. zurück

(14)
Häufig findet sich auch das Motiv der Unfruchtbarkeit in Verbindung mit menschlicher Anmaßung (Loths Töchter verlieren ihre Männer.) Und genetische Phantasien sind auch Phantasien von Fruchtbarkeit. zurück

(15)
Talismane, Glücksbringer, sakraler und profaner Schmuck etc. zurück

(16)
Derart kritisch gegenüber ist Eugen Holländers "Wunder, Wundergeburt und Wundergestalt", erschienen 1921. zurück

(17)
In Heinz Mode: "Fabeltiere und Dämonen in der Kunst. Die phantastische Welt der Mischwesen". 1983. zurück

(18)
Viele der Monstren sind das Ergebnis falsch interpretierter Naturbeobachtung. zurück

(19)
Das Annehmen jeder nützlichen Form ist auch in "Terminator" gut zu beobachten. zurück

(20)
1859 "Die Entstehung der Arten". 1871 "Die Abstammung des Menschen". zurück

(21)
Schule, in der Newtons Gesetze die Physik sind, oder die nennenswerte Geschichte mit dem 1. Weltkrieg endet. zurück

(22)
Eigentlich eine zutiefst religiöse Theorie, denn sie beschreibt ein unabwendbares (wie gottgewolltes) Voranschreiten, in das der Mensch keinen Eingriff hat. zurück

(23)
Aus Fritz Mauthner: "Beiträge zu einer Kritik der Sprache. 1. Band: Zur Sprache und zur Psychologie." 1923. zurück

(24)
Besser die Idee vom Schönen. zurück

(25)
Charles K. Dick: Do Androids Dream of Electric Sheep?", 1969. Replikanden mit "fotografischer" Geschichte. zurück

(26)
Wunderbar formuliert in Stanislav Lem: "Solaris". zurück

(27)
Das ist bereits in der Erklärung einer österreichischen Redensart – "türken" – für manipuliert, gefälscht, vorgedacht: Ein türkischer Schachspieler sitzt in einer Schachautomaten-Attrappe und spielt Schach und Maschine. Er wurde entdeckt (weil er eines von beidem schlecht spielte). zurück

VERWENDETE UND BEGLEITENDE LITERATUR:

BALTRUZAITIS, Jurgis: Réveils et Prodiges. Le gothique fantastique. 1960.

BALTRUZAITIS, Jurgis: Das phantastische Mittelalter. Antike und exotische Elemente der Kunst der Gotik. 1982.

BARCK, Karl Heinz u.a. (Herg.): Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik. 1990.

BAUDRILLARD, Jean: Das Andere selbst. 1987.

DICK, Charles K.: "Do Androids Dream of Electric Sheep?" 1969.

FABER, Monika (Hrsg.): Das Innere der Sicht. 1989.

MAUTHNER, Fritz: Beiträge zu einer Kritik der Sprache. Erster Band: Zur Sprache und zur Psychologie. 1923.

MODE, Heinz: Fabeltiere und Dämonen in der Kunst. Die fantastische Welt der Mischwesen. 1983.

WOLLSTONECRAFT-SHELLEY, Mary: "Frankenstein or the Modern Prometheus." 1818.