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Die bionische Konvergenz


'Kevin Kelly Kevin Kelly

Daß es während der letzten zwei Jahrzehnte nicht gelang, künstliche Intelligenz zu kreieren, hat leider nur allzu klar gezeigt, daß die bloß mechanistische Logik der Maschinen allein keinen funktionstüchtigen Roboter hervorbringen kann. Eine mechanistische Logik – die Logik des Technos – erzeugt nur einfache Geräte. Wirklich komplexe Systeme, wie etwa eine Zelle, eine Wiese, eine Volkswirtschaft oder ein Gehirn bedürfen einer streng nicht-technologischen Logik. Wir erkennen jetzt, daß keine Logik außer der Bio-Logik eine denkende Apparatur oder gar funktionierende Systeme von jedweder Größe kreieren kann.

Die Natur hat den Menschen fortwährend ihr Fleisch überlassen. Erst nahmen wir Naturstoffe für Nahrung, Kleidung und Schutz. Dann lernten wir, Rohstoffe aus der Biosphäre der Natur abzubauen um eigene, neue synthetische Materialien zu erzeugen. Nun gibt das Lebendige uns sein Bewußtsein. Wir übernehmen seine Logik.

Die erstaunlichste Entdeckung der letzten zehn Jahre war, daß man die Logik des Bios aus der Biologie herausnehmen kann und sie doch immer noch verwendbar ist. Obgleich schon in der Vergangenheit viele Philosophen vermutet hatten, man könne die Gesetze des Lebens destillieren und anderswo zur Anwendung bringen, bestätigte sich dies allerdings erst zu dem Zeitpunkt, als die Computer und die von Menschen erzeugten Systeme die Komplexität von Lebewesen erreicht hatten.

Da nun die bio-logischen Grundgesetze organischer Systeme von Wissenschaftlern routinemäßig destilliert und in technologische Systeme eingepflanzt werden, ist es erstaunlich, in welchem Ausmaß Leben transferiert werden kann.

Zu den bisher erfolgreich auf mechanische Systeme übertragenen Aspekten des Lebens gehören: Selbstreplikation, Selbststeuerung, begrenzte Selbstreparatur, sanfte Evolution und partielles Lernen.

Die neue interdisziplinäre Perspektive des Künstlichen Lebens interpretiert diese erfolgreichen Experimente als Anzeichen dafür, daß noch mehr Leben in den Bereich des Mechanischen übertragen werden kann. Ein eben sich entwickelndes Verständnis für die Logik des Bios postuliert folgendes:

  • alle nachhaltigen Systeme müssen mit der Zeit entstanden sein

  • alle zuverlässigen Systeme müssen planmäßig verteilt sein

  • alle anpassungsfähigen Systeme müssen vom Grund her gesteuert werden

  • alle innovativen Systeme müssen Fehler und Abweichungen akzeptieren.
Diese Grundsätze liegen der großartigen Wirkungsweise von Ökosystemen, Augäpfeln, der natürlichen Auswahl innerhalb der geologischen Zeit ebenso zugrunde wie der Entstehung eines kleinen Elephanten aus einem winzigen Samen aus Sperma und Ei.

Eben diese Prinzipien des Bio-Logischen werden nun in Computerchips, elektronische Netzwerke, Robotermodule, pharmazeutische Untersuchungen, Softwaregestaltungen und Managementstile eingepflanzt, damit diese künstlichen Systeme ihre eigene Komplexität überwinden können. Wenn der Technos vom Bios belebt wird, erhalten wir komplexe mechanische Systeme, die sich anpassen, lernen und sogar entwickeln können. Die Belebung des Leblosen ist das Fundament des künstlichen Lebens und der genetischen Kunst.

Zur selben Zeit, da die Logik des Bios in die Maschinen eingeführt wird, wird die Logik des Technos in das Leben eingeführt.

An der Wurzel des Bio-Engineerings steht der Wunsch, das Organische lange genug zu steuern, um es zu verbessern. Domestizierte Pflanzen und Tiere sind ein Beispiel für die auf das Leben angewandte Technos-Logik. Für die wildaromatische Wurzel der Queen Anne's Lace haben ausgewählte Kräutersammler generationenlang Unkraut veredelt bis es zur süßen Gartenkarotte wurde; die Euter der wilden Rinder wurden auf "unnatürliche" Weise selektiv vergrößert ,um anstatt der Kälber Menschen zu befriedigen. Aber Milchkühe und Möhren sind mehr ein Indikator für die Art der Erfindungen, die Menschen in Zukunft machen werden: Produkte, die wachsen anstatt hergestellt zu werden.

Genetisches Engineering entspricht genau dem, was Rinderzüchter tun, wenn sie bessere Züchtungen von Holstein-Rindern selektieren, nur daß Bioingenieure eine präzisere und wirksamere Steuerung verwenden. Während Karotten- und Milchkuhzüchter sich auf die Darwinsche Evolution verlassen mußten, können die modernen Gentechniker die Lamarksche Evolution – zielbewußtes Design – einsetzen, welche die Verbesserungen enorm beschleunigt.

Von Jahr zu Jahr greifen das Mechanische und das Lebensähnliche mehr ineinander über. Zum Teil ist diese bionische Konvergenz eine Sache der Begriffe. Sowohl die Bedeutung von "mechanisch" als auch die Bedeutung des Ausdrucks "Leben" erweitern sich bis alle komplizierten Dinge als Maschinen wahrgenommen werden können und alle sich selbst erhaltenden Maschinen als lebendig.

Abseits der Semantik zeichnen sich allerdings zwei konkrete Trends ab: 1) von Menschen erzeugte Gegenstände verhalten sich lebensähnlicher und 2) das Leben gestaltet sich zunehmend technischer. Der Schleier über dem Niemandslands zwischen dem organischen und dem Erzeugten hat sich verschoben und enthüllt, daß die beiden tatsächlich den gleichen Platz haben und immer hatten.

Einige Einsichten stammen aus dem Studium der Komplexität großer, von Menschen erzeugter Systeme. Die Hauptquelle zur Klärung von Einsichten in große Systeme ist jedoch die Wildnis der Natur und sie ist wahrscheinlich die wichtigste Quelle für zukünftige weitere Erkenntnisse. Die Natur ist somit mehr, als daß verschiedene Genbanken bislang noch unentdeckte Heilkräuter für zukünftige Krankheiten aufbewahren – obwohl es sicher auch darum geht. Die Natur ist auch eine Gedächtnisbank, eine Ideenfabrik. In jedem Ameisenhügel im Dschungel verstecken sich vitale, postmoderne Paradigmen. Die milliardenfüßige Kreatur lebender Wanzen und Unkräuter – und die ursprünglichen menschlichen Kulturen, die aus diesem Leben Bedeutung gezogen haben – ist es wert, erhalten zu werden, und sei es aus keinem anderen Grund als wegen der Metaphern, die sie noch nicht enthüllt hat. Mit der Zerstörung eines Regenwalds, wird nicht nur ein Reservoir an Genen sondern auch eine Bank zukünftiger Metaphern, Einsichten und Modelle für eine moderne industrielle Welt zerstört.