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Die neue Grenze


'Ken Karakotsios Ken Karakotsios

In meiner Jugendzeit las ich eine Menge Science Fiction und erhaschte so Einblicke in Welten, die anders waren als jeglicher Platz der Welt, an dem wir jemals gewesen sind, Welten, die nur in unserem Geist existierten: In Kuppeln unter dem Ozean zu wohnen, über den Sand des Mars zu segeln, mit Maschinen zu diskutieren, die denken konnten, durch das Universum zu fliegen, um insektenäugige Außerirdische zu treffen. Für ein junges Kind, das im Schein des Raumzeitalters lebte, in dem wir ja schon auf dem Monde waren, schien es, als wäre der Mars nur ein paar Jahre entfernt, und als würden wir bis zum Ende des Jahrhunderts schon zu anderen Sternen reisen. Und Computer würden dann sicher auch schon denken, nicht wahr?

Nun, die Technologie konnte mit den Ambitionen eines Zwölfjährigen nicht völlig mithalten, und während ich durch die High-School und später durchs College ging und schließlich zu arbeiten begann, begann ich, einige Dinge zu erkennen:

  • Die meisten von uns werden niemals körperlich zu irgendeinem Ziel außerhalb der Erdoberfläche reisen


  • Die Menschen werden nie Maschinen bauen können, die klüger sind als sie selbst


  • Das Leben ist ziemlich sinnlos, wenn alles, was wir erfahren, verlorengeht, wenn wir sterben


  • Mathematik ist wirklich interessant
Erst jetzt kann ich zurückblicken und erkennen, wie mich diese eigenartige Mischung von Vorstellungen zu einer wirklich neuen Grenze geführt hat, die wir besuchen können. Ich erhaschte einen ersten Blick auf diese neue Grenze in den späten 70er Jahren, als ich einen Artikel über etwas namens Das Spiel des Lebens las. Dies ist kein Spiel im traditionellen Sinn, denn man kann dabei weder gewinnen, noch verlieren. Das Ergebnis ist jedoch erstaunlich genug, um einen zum Spielen zu verlocken. Das Spiel des Lebens wird auf einem großen Gitternetz von Quadraten gespielt. Jedes dieser Quadrate kann entweder leer sein, oder einen Stein enthalten. Eine Uhr läuft und bei jedem Ticken dieser Uhr, "schaut" jedes Quadrat in dem Gitternetz seine acht Nachbarquadrate an und wendet dabei eine der folgenden beiden "Regeln" an:
  • Wenn das mittlere Quadrat leer ist, und genau drei seiner Nachbarn Steine enthalten, dann wird im mittleren Quadrat ein Stein erscheinen.

  • Wenn das mittlere Quadrat einen Stein enthält, und genau zwei oder drei Nachbarquadrate auch Steine haben, dann behält das mittlere Quadrat seinen Stein. Ansonsten verschwindet der Stein.
Diese Regeln sind einfach und sich wiederholend (repetitiv) und klingen ziemlich uninteressant, aber, wenn man das Spiel auf einen Computer programmiert und die Uhr zum Laufen bringt, geschieht etwas Erstaunliches … Aus der Willkür wird eine Ordnung geschaffen. Aus der primordialen Masse bilden sich statische, oszillierende und wandernde Muster. Muster interagiert mit Muster und bringt dabei sowohl Muster höherer Ebenen, als auch Zufälligkeit hervor. Diese Zufälligkeit jedoch ist Nahrung für eine andere Generation und so weiter und weiter setzt sich dieser Tanz fort.

Das auftretende Verhalten dieses Spielzeugsystems deutete an, daß da etwas an den neuen Grenzen des Cyberspace lauerte. Etwas, das in der abstrakten Welt der Mathematik bereits existierte, etwas auf das wir mit unseren Computern einen kurzen Blick erhaschen konnten. Es war klar, daß ich dafür etwas Komplexeres betrachten mußte, als Steine in einem Gitternetz. So entstand SimLife.

SimLife ist ein Programm, in dem digitale Organismen in Form von Pflanzen und Tieren in einem virtuellen Universum ums Überleben wettstreiten und sich fortpflanzen. Wie unsere Welt hat auch die SimLife-Welt Berge, Seen, Erde (Erdboden) und ein Klima. SimLife Kreaturen brauchen Nahrung, um zu wachsen und Nachkommen zu erzeugen, jede einzelne Kreatur ist mit einer eigenen genetischen Beschreibung verschlüsselt und durch sexuelle Rekombination zeugt jede Generation eine neue Generation, die eine neue Kombination von Genen besitzt. Mutation verhilft weiters jeder neuen Generation zu ein bißchen zusätzlicher Vielfalt. Die Nachkommenschaft, die am besten fähig ist, Nahrung und einen Partner zu finden und eine neue Generation lebensfähiger Nachkommenschaft zu produzieren, wird als die lebensfähigste definiert werden und ihre Gene werden in die Zukunft reisen und die weniger lebensfähigen zurücklassen.

Die 64 Arten von SimLife können es nicht so ganz mit der Vielfalt der geschätzten 30 Millionen Arten aufnehmen. Und während wirkliche Tiere zehntausende Gene haben, haben SimLife-Tiere nur 46. Während das wirkliche Leben hunderte Millionen von Generationen Zeit hat, sich zu entwickeln, muß SimLife seine Sache in "der wirklichen Zeit (Real-Zeit)" machen, damit wir es beobachten und mit dem Prozeß auf einem PC interagieren können. Außerdem ist das SimLife-Universum äquivalent zu einem Stück Land mit nur ein paar Meilen Seitenlänge. Trotz aller dieser Einschränkungen jedoch geschieht in SimLife etwas Erstaunliches: Es funktioniert, Pflanzen und Tiere entwickeln sich. Mannigfaltige Ökosysteme bilden Nahrungsketten, symbiotische Beziehungen und Bevölkerungszyklen. Darüber hinaus bilden sich auf höherer Ebene entstehende Verhalten wirklicher lebender Systeme, Dinge die mir nicht bewußt waren, als ich das Programm schrieb.

Obwohl in vieler Art eingeschränkt, entfernt SimLife einige Grenzen der wirklichen Welt. Da alle Kreaturen von SimLife digital sind, sind sie zu allen Zeiten offen für Untersuchungen. Wir können augenblickliche Schnappschüsse eines gesamten Genpools einer Population machen, ohne das System im geringsten zu stören – stellen Sie sich einmal vor, das mit wirklichen Tieren zu tun. In SimLife können wir das Genom aller Mitglieder einer gesamten Spezies mit einem einzigen Klicken der Maus verändern. Und wenn uns die ganze Welt, die wir geschaffen haben, zu langweilig wird, können wir eine andere kreieren. Wir können die Gesetze der Physik, des Metabolismus und der Genetik aus Lust und Laune verändern. Wie beim Spiel des Lebens gibt es in SimLife weder Gewinner, noch Verlierer; die Belohnung liegt vielmehr im Erforschen.

Obwohl SimLife uns ein bißchen näher bringt, ist es doch noch ein weiter Weg zu der neuen Grenze. Wir haben zwar enstehendes Verhalten, in dem winzige digitale Kreaturen sich entwickeln und an eine sich ständig verändernde Welt anpassen und digitale Nahrung umwandeln, das Schicksal dieser Kreaturen ist dennoch sehr begrenzt. Sie werden niemals eine andere Körperchemie entwickeln, das Feuer erfinden, oder ein Raumschiff bauen. SimLife jedoch ist erst der Anfang.

In The Selfish Gene – das selbstsüchtige Gen spricht Dawkins über etwas namens "Meme". So wie Gene Teilchen (Partikel) biologischen Erbes sind, sind Meme Teilchen eines kulturellen Erbes. Meme sind wie Ideen, aber mit einem Unterschied. So wie Gene sich in einer neuen Generation reproduzieren müssen, um zu überleben, müssen auch Meme sich reproduzieren. Also, um ein Mem zu sein, muß eine Idee eine Person veranlassen, sie einer anderen Person mitzuteilen. Meme mutieren auch und haben Sex. Wir haben alle schon die Kombination von zwei Ideen zu einer einzigen neuen Idee erlebt. Zum Beispiel hat uns die Biologie kombiniert mit der Computerwissenschaft das künstliche Leben gegeben. Wir haben nur eine beschränkte Fähigkeit, uns an unsere Meme zu erinnern und sie weiterzugeben, so bewahren wir und geben wir nur die besten davon weiter, während wir den Rest vergessen. Dieser Selektionsprozeß erhält die tauglichen Meme "am Leben", auf Kosten der Eliminierung der anderen.

In der biologischen Genetik können neue Lösungen zum Überlebensproblem nur einmal in einer Generation vorkommen. Der Mensch ist jedoch fähig, neue Überlebenstechniken in Sekunden und nicht in Jahren weiterzugeben. Dies bedeutet eine millionenfache Beschleunigung im Evolutionsprozeß. Gesendete Telekommunikation erlaubt es Memen, Millionen von Menschen gleichzeitig zu erreichen, und Bücher und elektronische Speicherung ermöglichen es uns, die Reichweite unserer Meme direkt auf Leute auszudehnen, die noch nicht einmal geboren sind. Dies gibt dem Mem einen ziemlichen Vorteil gegenüber dem Gen. Unser Schicksal wird weniger abhängig von einer Abfolge von Aminosäuren, bei denen wir keine Wahl haben, und wird abhängiger davon, was wir zu glauben, weiterzugeben und zu tun wählen. Wir sind die erste Spezies auf der Erde, die die post-biologische Phase der kulturellen Entwicklung erreicht haben.

Ich glaube, daß die kulturelle Entwicklung eine neue und vielversprechende Richtung zur Erforschung darstellt. Durch die Entwicklung einer Welt künstlichen Lebens, in der sich Kultur entwickeln kann, könnte man einen Weg finden, wirkliche Intelligenz in Softwareprogrammen zu entwickeln. Was bedeutet das für die neue Grenze? Es bedeutet, daß wir die Chance haben, nicht nur wie Voyeure in eine VR-Szenerie hineinzublicken, sondern dort zu sein. Falls wir Softwareprogramme entwickeln können, die denken können, dann werden wir durch Übertragung unserer Gedanken, Erfahrungen und Meme auf diese Programme uns selbst auf diesen neuen Grenzbereich laden können. Elektronen sterben nie, und das immer Neue wird unendlich sein.