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Interaktive Evolution


'Karl Sims Karl Sims

Die faszinierendsten und komplexesten Geschöpfe unserer Erde sind immer noch die aus der Natur hervorgegangenen. Das Leben selbst, das menschliche Bewußtsein, Sprache und viele andere Phänomene sind aus natürlichen biologischen Prozessen, ohne die Gegenwart eines zielbewußt agierenden Konstrukteurs, hervorgangen.

Viele von eben diesen natürlichen Prozessen können am Computer simuliert werden. Aufgrund der laufenden Entwicklung immer leistungsfähigerer Computer sind aus diesen Simulationen zahlreiche interessante und vielschichtige Resultate zu erwarten. Ob sich die daraus hervorgehenden Geschöpfe für die Kategorie "Leben" qualifizieren werden oder nicht, muß diskutiert werden, in jedem Fall aber führen uns die simulierten lebensähnlichen Prozesse zu neuen Methoden der Erzeugung von Komplexität. In einigen Fällen kann die aus diesen Simulationen hervorgehende Komplexität, wie das Leben selbst, über das hinausgehen, was wir mit traditionellen Werkzeugen oder selbst bloßem Verständnis entwerfen können.

In vielen meiner Arbeiten ist die Simulation eines spezifisch natürlichen Prozesses beinhaltet: Die Evolution besteht aus einem einfachen Zyklus. Die "besten" Wesen einer Population überleben und reproduzieren sich. Die daraus hervorgehenden Nachkommen sind Kopien oder Kombinationen ihrer Elternteile, oft mit zufälligen Abänderungen oder Mutationen. Manche Nachkommen stellen, gemessen an ihren Eltern, Verbesserungen dar und da sich nur die besten jeder neuen Generation von Nachkommen weiter reproduzieren, kann die Population als ganze sich langsam verbessern.

In der Simulation kann ein menschlicher Beobachter in jedem Stadium des Zyklus die "Qualität" interaktiv beeinflussen – was als ästhetisch am interessantesten ausgewählt wird, überlebt und reproduziert sich. Bilder, virtuelle Welten, selbst Animationen können so interaktiv entwickelt werden, wobei der Benutzer in gottähnlicher Weise die Kriterien für das Überleben bestimmt. Dies ist eine Methode zur Schaffung und Erforschung von Komplexität, die nicht voraussetzt, daß der Mensch die darin involvierten spezifischen Verfahren versteht.

Computercode-Fragmente sind die Chromosomen, die den Wachstumsprozeß dieser virtuellen Geschöpfe beschreiben. Der Computercode ist, wie die DNA, der Genotyp und das virtuelle Ergebnis ist, vergleichbar einem Organismus, der Phänotyp.

Es wird eine "genetische Sprache" definiert, bestehend aus einem Set primitiver mathematischer Funktionen, die zu vollständigen genetischen Wachstumsbefehlen zusammengefaßt werden können. Mutationen verändern diese codierten Befehle und können mitunter zur Einführung neuer Funktionen und Parameter führen, womit sich das daraus resultierende Komplexitätsniveau potentiell erhöht.

Es ist eine nahezu unendliche Anzahl genetischer Codes und entsprechender Resultate möglich und diese evolutionären Simulationen können wesentlich zur "Erfindung" neuer Gleichungstypen und Methoden der Erzeugung von Bildern oder anderer virtueller Wesen beitragen.

Es handelt sich um eine unübliche Zusammenarbeit zwischen Menschen und Maschinen: die Menschen treffen Entscheidungen über die visuelle Ästhetik und der Computer verfügt über die mathematische Fähigkeit zur Erzeugung, Verbindung und Veränderung komplexer virtueller Geschöpfe. Der Benutzer muß die verwendeten technischen Gleichungen nicht verstehen. Der Computer kann nur auf gut Glück experimentieren, ohne jeden Sinn für Ästhetik aber die Verbindung menschlicher und maschineller Fähigkeiten ermöglicht Resultate, die keiner der beiden alleine zustande bringen könne.


Thinking Machines Corporation stellte den Connection Machine Supercomputer für diese Installation bei. Die in Massachusetts beheimatete Firma hat einige der weltweit stärksten Computer entwickelt. Die Geschwindigkeit des Connection Machine Systems beruht auf der Parallelverarbeitung von Daten – viele Prozessorknoten arbeiten gleichzeitig zusammen. Das für dieses Projekt verwendete Connection Machine Modell enthält 32.768 Prozessoren (siehe auch den Beitrag von Tamiko Thiel in diesem Buch).

John Watlington, Entwurfsingenieur am MIT Media Lab in Cambridge, Massachusetts, entwarf und baute die Video-Hardware "Freeze-Frame", die es ermöglichte, die Bilder aus dem Connection Machine Computer am Monitorfeld zu zeigen. Sie übersetzt auch die Signale von den Schritt-Sensoren.

Arlene Chung, Thinking Machines und Ron Bennett, Bennett HDG Inc., trugen zum Design des Objektraums bei.

Richard Baileys, David Lloyd Owen, Jonathan Saunders und Roch Bourbonnais gewährten technische Hilfestellung.

Jim Salem, Gary Oberbrunner und Matt Fitzgibbon halfen bei der Entwicklung der Connection Machine Graphik- und Display-Software.

Tamiko Thiel fungierte als Connection Machine Industrie-Designerin.