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Ars Electronica 1993
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Aspekte der Diskussion um ein Gentechnikgesetz


'Christian Brünner Christian Brünner

  1. Gentechnik ist ein komplexes, sich rasch entwickelndes, Grenzen überschreitendes Amalgam von theoretischen und praktischen Methoden und Disziplinen, bei dem überdies wissenschaftliche, therapeutische, technisch-industrielle, wirtschaftliche, ökologische und ethische Herausforderungen ständig aufeinanderprallen. Von der Hoffnung z.B. auf Hilfe bei der Bekämpfung von Geisteskrankheiten, Aids, und Krebs bis zur Angst z.B. vor dem Menschen nach Maß reicht das Spektrum der Einschätzung dieser Technik.
    Wie alles, was von der Hand des Menschen geführt wird, partizipiert auch die Gentechnik an dessen guten und schlechten Anteilen: Sie kann zum Nutzen oder zum Schaden von Mensch, Tier und Ökosystem eingesetzt werden.


  2. Es gibt zwar derzeit mehr als 200 Gesetze und Verordnungen, die für gentechnisches Arbeiten relevant sind. Dennoch weist die Rechtsordnung – nicht zuletzt im Vergleich mit einschlägigen EG-Richtlinien und dem Ausland – Lücken auf. Dies gilt z.B. für das Freisetzen gentechnisch veränderter Organismen. Ferner fehlen adäquate Haftungsregeln. Schließlich ist der Grundrechtsschutz der Rechtsgüter, die durch die Gentechnik potentiell gefährdet sind, nicht ausreichend. Wir brauchen daher Regelungen, die diese Lücken schließen.


  3. Ich plädiere dafür, verschiedene Regelungen für verschiedene Aspekte (z.B. Sicherheit, Forschung, Anwendungen) in ein Gesetz, das Gentechnikgesetz zu integrieren, dies aus zwei Gründen. Zum einen wäre das Vermeiden von Rechtszersplitterung ein Beitrag für die Akzeptanz der Gentechnik durch die Bevölkerung (70% der Befragten halten die Gentechnik für gefährlich, 67% sind für gesetzliche Regelungen). Zum anderen geht es mehr denn je darum, verschiedene Aspekte integrativ, ähnlich z.B. der Vorgangsweise bei der Technologiefolgenabschätzung, zu behandeln, um zu optimalen Entscheidungen zu kommen; zu diesen zu integrierenden Aspekten zähle ich auch den der ethischen Verantwortbarkeit gentechnischen Arbeitens.


  4. Die rationale politische Diskussion über die Chancen und Risken der Gentechnologie und über das Erfordernis rechtlicher Regelung zu führen, ist schon angesichts der Komplexität und der Dynamik der Materie, der Focusierung auch von Problemen und Unzulänglichkeiten auf die Gentechnik, die nicht gentechnischspezifisch sind (z.B. Überproduktion in der Landwirtschaft, Ausbeutung der Dritten Welt), und der Virulenz involvierter Interessen (z.B. Heilung von Krankheiten, Wirtschaftswachstum, Erkenntnisdrang, Menschen- und Weltbild) nicht leicht. Eine vernünftige Diskussion wird aber dann fast unmöglich gemacht, wenn z.B. multinationale Konzerne drohen, ihre Gentechnologie-Standorte aus Österreich abzuziehen für den Fall, daß ihre Wünsche an ein Gentechnikgesetz nicht erfüllt werden, oder wenn man mit dem klonierten und "gläsernen" (seine gesamte genetische Information präsentierenden) Menschen Horrorszenarien schreibt.