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Gentherapie: Neue Wege in der Krebsbehandlung


'Ernst Wagner Ernst Wagner

In der heutigen Zeit kann mit molekularbiologischen Methoden praktisch jedes beliebige Gen isoliert und analysiert werden. Die wachsenden Kenntnisse über die ursächlichen genetischen Defekte können für die Diagnose eines wichtigen Teils der über 4000 menschlichen Erbkrankheiten eingesetzt werden. Wir sind leider meist noch weit davon entfernt, dieses Wissen über die Ursachen in die Entwicklung von wirksamen Arzneimitteln oder Therapien umzusetzen. Die neue Hoffnung, daß durch Einschleußen intakter Gene in menschliche Körperzellen die krankmachende Wirkung defekter Gene direkt aufgehoben werden kann ("Somatische Gentherapie"), hat zunächst in den USA, nun aber auch in Europa, zur Entwicklung von insgesamt bereits über 40 gentherapeutischen Protokollen geführt. Die Behandlung von relativ seltenen, lebensbedrohlichen Erbkrankheiten wie dem Adenosin-Deaminase-Defekt, der Mukoviszidose, oder dem LDL-Rezeptordefekt standen dabei anfänglich im Vordergrund. Forschungsergebnisse aus der allerletzten Zeit weisen darauf hin, daß die Gentherapie möglicherweise auch zur Bekämpfung von wesentlich häufigeren Erkrankungen, wie Krebs, der etwa ein Viertel aller Menschen in ihrem Lebenslauf betrifft, eingesetzt werden könnte.

Einer der gentherapeutischen Ansätze gegen den Krebs beruht auf dem Konzept, die Immunabwehr des Patienten gegen den eigenen Tumor zu stärken. Bei der Entwicklung von Tumoren tritt meist anfänglich eine solche Immunreaktion auf. ist diese nicht imstande, den Tumor unmittelbar abzustoßen und zu zerstören, so wird die Immunabwehr mit fortschreitender Tumorentwicklung immer schwächer oder sogar vom Körper aktiv unterdrückt. Viele der herkömmlichen Methoden der Krebsbehandlung, wie Chirurgie oder Chemotherapie, die kurzfristig helfen, große Tumormassen zu entfernen, versagen dann aber oft langfristig, da es zum Auftreten von Rezidiven oder zur Bildung von Metastasen kommt. Diese könnten durch eine Reaktivierung der Immunabwehr gegen den Tumor verhindert werden.

Zu diesem Zweck sollen dem Patienten seine eigenen, gentechnisch veränderten Tumorzellen in bestrahlter, nicht teilungsfähiger Form als Impfstoff ("Tumorvakzine") verabreicht werden. Zuvor werden in die Tumorzellen Gene eingeschleust, die immunstimulierende Stoffe wie Zytokine produzieren, die die Immunzellen des Körpers an die Impfstelle locken. Eine erfolgreiche Impfung aktiviert und vermehrt in der Folge tumorspezifische zytotoxische T-Zellen, das sind Immunzellen, die im Körper des geimpften Patienten zirkulieren und einzelne verstreute Tumorzellen bzw. Mikrometastasen gezielt zerstören.

Voraussetzung für eine derartige Therapie ist eine effiziente und gefahrlose Methode, Zytokin-Gene außerhalb des Körpers in kultivierte Krebszellen einzuführen. Ein dafür geeignetes Gentransfersystem wurde am Institut für Molekulare Pathologie in Wien in einer Zusammenarbeit von unserer Gruppe mit der Gruppe von Prof. Max Birnstiel, und der Gruppe von Dr. David Curiel von der Universität in Chapel Hill, North Carolina, entwickelt. Ausgangspunkt war dabei die Entwicklung von synthetischen, d.h. im Reagenzglas chemisch hergestellte Komplexen. Diese enthalten die therapeutischen Gene in Form von Nukleinsäure (DNA), die mit Transportproteinen wie Transferrin verpackt sind. Dadurch wird die Rezeptor-vermittelte Endozytose, ein natürlicher effizienter Aufnahmemechanismus, zum Einschleusen des therapeutischen Genes in die Zelle möglich.

Diese synthetischen Nukleinsäure-Komplexe haben gewisse Ähnlichkeiten mit natürlichen Viren, was die Kapazität, DNA in die Zellen einzuschleusen, betrifft. Die "Künstlichen Viren" haben aber den großen Vorteil, daß sie nicht wie natürliche Viren innerhalb von Zellen vermehrt werden können. Neben den komplett synthetischen Viren haben wir auch sehr effiziente Mischformen wie ein System entwickelt, das abgetötete Adenoviruspartikel enthält. Dabei werden die DNA-Komplexe mit hoher Effizienz in die Zelle und weiter in den Zellkern transportiert. Hier kommt es dann zur Übersetzung des therapeutischen Gens in Boten-RNA, die weiter in den entsprechenden Eiweißstoff, das therapeutische Protein, übersetzt wird.

Diese Technik wurde an einer Reihe verschiedener Tumorzellen, wie an frisch isolierten Melanomzellen, die einen bösartigen Hautkrebs verursachen, erprobt. In sehr vielen Fällen wurde dabei ein effizienter Gentransfer erreicht. Bei der Herstellung einer Tumorvakzine (siehe Abbildung) sollen frische, chirurgisch isolierte Tumorzellen des Patienten mit dem Gen für das Zytokin Interleukin-2 versehen werden. Nach Bestrahlung dieser Zellen, die dadurch nicht mehr teilungsfähig sind, sollen die Zellen als Impfstoff in die Haut injiziert werden. An der Immunisierungsstelle produzieren diese bestrahlten Tumorzellen große Mengen an Interleukin-2, wodurch eine starke tumorspezifische Immunantwort in Gang gesetzt werden soll (siehe oben).

Die Wirksamkeit einer derartigen Tumorvakzine wurde bereits in einem Mausmelanom-Modell gezeigt. Dabei wurden Mäuse zweimal mit Interleukin-2 produzierenden, bestrahlten Mausmelanomzellen geimpft. Danach wurden geimpften und nichtgeimpften Tieren Mausmelanomzellen eingepflanzt. In allen nichtgeimpften Mäusen entwickelte sich innerhalb zweier Wochen ein Tumor, während alle geimpften Tiere vor der Krebsentstehung geschützt waren. Ob eine derartige gentherapeutische Tumorvakzine beim Menschen als immunologische Zusatzbehandlung zur operativen Entfernung des Tumors zur Heilung vom Krebs führt, kann nur durch Behandlung von Krebspatienten herausgefunden werden.