Länger leben
'Gerhard Johann Lischka
Gerhard Johann Lischka
FREMDKÖRPER Eine Spaltung der Realität in Subjekt und Objekt bewirkt nicht nur eine Polarisierung, sondern auch eine Verschmelzung. je mehr wir von Objekt, Objektivierung und Entfremdung sprechen, desto mehr wird das Subjekt überhöht, als solches aufgewertet. So im Radikalen Konstruktivismus, wo gesagt wird, daß jede/r nur ihre/seine Welt konstruiere. So in der Medizin, in der Objekte als Fremdkörper durch Organtransplantationen den Körper in seiner Gebrechlichkeit wieder funktionstüchtig machen. Von Funktion spricht man zwar eher bei Maschinen, aber technologischem (objektivem) Aspekt ist der Körper schließlich eine Maschine.
Maschinen stehen immer mehr im Dienste der Medizin, im den Körper zu zerlegen, zu untersuchen, zu analysieren etc. Computerprogramme helfen bei der Diagnose von Krankheiten, bei Operationen und beim Heilungsprozeß. Die Grenzen zwischen Subjekt und Objekt werden dermaßen fließend, daß man von gegenseitiger Durchdringung bei gleichzeitiger Abstoßung sprechen muß. Makro- und Mikrokosmos treffen nicht nur mental im Gehirn (als rechte und linke Hemisphäre) aufeinander und ergänzen einander, diese Räume sind nicht voneinander trennbar.
Nun verhält es sich auch so, daß die Umwelt (alle Objekte) durch den technologischen Impakt das Subjekt bedrängen, krank machen, töten. Das ist ein anderer Aspekt der Verschiebung und Verwischung der Grenzen zwischen Objekt (Welt) und Subjekt. Die Umwelt frißt uns auf und wir sind säkularisierte Menschenfresser, indem wir fremde Organe oder Objekte adaptieren.
KUNSTKÖRPER Den Tod zu negieren oder das jenseits zu definieren gehört zu den Kulturtechniken, deren sich die meisten Gesellschaften bedienen, um über den Schmerz des Sterben-Müssens und den Verlust geliebter Menschen hinwegzukommen. Den Tod kann man auch dadurch negieren, daß man ihn dermaßen tabuisiert, wie dies in unseren westlichen Gesellschaften der Fall ist. Der Tod ist eine Unverschämtheit gegen den Glauben an den Fortschritt, der uns das Leben immer angenehmer machen soll. Man möchte über sich hinauswachsen, das Unerreichbare erreichen, die Unsterblichkeit. Diese Lebensverlängerung kenne wir von den ersten Plastiken, in denen der aufgebahrte, langsam verwesende König durch dauerhafte Materialien wieder ergänzt und vervollständigt wurde. Diese Art den Toten bei den Lebendigen zu erhalten zusammen mit der Wiedergeburtsmagie erleben wir in der Kunst bis heute. Sie überdauert uns, sie transportiert die Ideen des Menschlichen in die Zukunft.
Doch die Kunst wird vom Magier, vom Medizinmann von heute, vom Chirurgen arg bedrängt, vom von ihm geschaffenen Kunstkörper. Der beginnt in der Embryologie, im gezielten Eingriff in den genetischen Code und er endet in der Reanimation oder in der Hirnverpflanzung als Jungbrunnen. Der Kreislauf des Lebens ist nicht mehr zyklisch-natürlich, sondern fortschrittlich-künstlich.
ZWEITKÖRPER Mußte bei der Mumifizierung noch ein Körper vorhanden bleiben und wurde er geistig transzendiert, lebt heute der medial mumifizierte Körper in seinem jeweiligen Abklatsch weiter. Zusammen mit der Technik des Klonens die Perpetuierung ein und desselben Körpers als lebendiger Toter oder (toter) Lebender. Wir leben nun nicht nur dank wissenschaftlicher Erkenntnis tatsächlich länger, sondern auch dank unserer Zweitkörper in diversen Medien. Die Medialisierung ist zum jenseits im Diesseits geworden, indem die "Toten" mitten unter uns weilen.
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