Künstliches Leben durch Hinauszögern des Alterns
'Reimara Rössler
Reimara Rössler
Nach Meinung von "Time" (1.3.93, S. 50) gehört zum modernen Thema des "künstlichen Lebens" in Computerwelten auch das der künstlichen Lebensverlängerung in der richtigen Welt – die effektive "Anti-aging therapy". Im Zusammenhang mit dem modernen "Genomprojekt" erhofft man sich für die Zukunft Mittel, um in die (nach der Hayflick-Theorie zu erwartenden) Gen-Umschaltungen als Grundlage des Alterns aller somatischen Zellen hemmend eingreifen zu können. Gegenwärtig zeichnet sich jedoch ein noch einfacherer Weg ab – die "Melatonin-Abkürzungsroute". Sie manifestiert sich in 3 verschiedenen klinischen Formen: - Dilman und Anisimov in Rußland fanden 1979 einen Pinealextrakt, der die nächtliche Melatoninbildung stimuliert und bei Versuchstieren die Entstehung von Alterskrebs vermindert und die Lebensspanne um 25% erhöht; seit etwa 1989 wird er auch beim Menschen eingesetzt.
- An der Health-Sciences University in Portland (Oregon) werden seit 1992 alte Patienten, die an Schlaflosigkeit leiden, erfolgreich mit Melatonin als einer "natürlichen Schlaftablette" behandelt.
- Die Mönche des Berg Athos in Griechenland werden angeblich im Durchschnitt über 100 Jahre alt und gehen das ganze Jahr mit der Sonne zu Bett, um sich bereits um 3 Uhr nachts wieder zum Gebet zu erheben. Es wäre lohnend, durch Melatonin-24-Stunden-Profile nachzuweisen, daß bei diesem Lebensstil das Produkt aus nächtlicher Melatoninkonzentration mal Schlafdauer auf natürliche Weise maximiert wird (ähnlich, wie es bei Punkt 1 und 2 der Fall ist). Dieses Produkt steuert nach einer neuen Vermutung die irreversiblen somatischen Gen-Umschaltungen, die das Zellaltern bewirken. Da diese Frage mit Hilfe von Zellkulturen klärbar erscheint, zeichnet sich die Möglichkeit einer leicht erreichbaren effektiven Hinauszögerung des Alterns ab. Wäre ein derartiger medizinischer Durchbruch wünschenswert? Es ist vielleicht gut, diese Frage bereits zu stellen, bevor der Traum Realität geworden ist.
R.R. dankt Peter Weibel und O.E. Rössler für Diskussionen.
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