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MACHINA COGITANS / Das visuelle Design der Connection Machines CM-1 und CM-2


'Tamiko Thiel Tamiko Thiel

Vor zehn Jahren, im Juni 1983, begann die Thinking Machines Corporation, den ersten kommerziellen massiv parallelen Supercomputer, die Connection Machine CM-1, zu bauen. Für mich und die jungen Computerwissenschafter, die die Maschine entwarfen, sollte sie die Inkarnation unserer Träume darüber, was einen idealen Computer ausmacht, sein.

Heute ist das parallele Rechnen die unumstrittene Führungsspitze der Computertechnologie. 1983 jedoch war es noch überaus umstritten. Damals wurden schnelle sequentielle Vektormaschinen als die endgültige Grenze der Rechenfähigkeit angesehen. Sie waren nahe an der absoluten Grenze der Natur, ihre Signale konnten jedoch nie die Lichtgeschwindigkeit überschreiten. Theoretisch konnten parallele Maschinen diese Barriere umgehen und eine höhere Geschwindigkeit erreichen, indem sie die Rechnungen von mehreren Prozessoren gleichzeitig ausführen ließen, aber existierende Maschinen waren beschränkt auf spezielle, kleine Untergruppen von Problemen, und Allzweckmaschinen schienen unmöglich zu programmieren und unmöglich zu bauen sein.

Für Danny Hillis, der an Problemen menschlicher Kognition am MIT Artificial Intelligence Lab. arbeitete, waren die existierenden sequentiellen Supercomputer einfach den Problemen, die ihn interessierten, nicht gewachsen. Er war überzeugt, daß es notwendig war, einen parallelen Computer mit einer dem menschlichen Gehirn ähnlicheren Struktur zu konstruieren, dessen Wichtigkeit nicht so sehr in den Prozessoren selbst zu sehen sei, sondern eher in der Veränderbarkeit der Verbindungen zwischen ihnen, daher der Name "Connection Machine" ("Verbindungs-Maschine"). Um die erste dieser neuen Maschinen zu bauen, half er 1983, die Thinking Machines Corporation zu gründen, die die CM-1 1986 und die Version mit der höheren Leistung, die CM-2 1987, einführte.

Aufgrund der Neuartigkeit der Maschine räumte das Top-Mangement von Thinking Machines, vor allem Danny Hillis und die Firmenpräsidentin Scheryl Handler dem Aussehen eine Vorrangstellung ein, dessen visuelle Erscheinung Leute davon überzeugen konnte, daß dies das erste Stück einer neuen Generation war, anders als alle Computer, die sie bis dahin gesehen hatten. Ich war zuständig für die mechanische und industrielle Design-Gruppe, die das Gehäuse entwarf, das sowohl für die CM-1 als auch für die CM-2 verwendet wurde. Ted Bilodeau machte das detaillierte mechanische Design, Tom Callahan baute den ersten Prototypen und Allen Hawthorne und Gordon Bruce waren für das detaillierte industrielle Design zuständig. Die CM-2 wurde durch die nächste Generation, der Connection Machine CM5, im Oktober 1991 ersetzt, welche eine andere Architektur und Form hat, daher kann dieser Aufsatz also als ein Epitaph für die originale Connection Machine gesehen werden.

DIE ARCHITEKTUR EINER NEUEN MASCHINE
Die Connection Machines CM-1 und CM-2 sollten bis zu 65.536 einfache 1-Bit Prozessoren haben, die zu je 16 auf einen Chip gruppiert werden sollten zu einer Gesamtzahl von 4.096 Chips. Jeder Prozessor könnte gleichzeitig die selbe Rechnung ausführen, jeder auf seinem eigenen Datenbestand. Diese Art von massiv paralleler Architektur war in der Vergangenheit versucht worden, aber was die CM-1 und CM-2 befähigte erfolgreich zu sein, wo die anderen versagt hatten, war ein extrem flexibles und schnelles Hardware Kommunikations-Netzwerk zwischen den Prozessoren. Wenn dieses Netzwerk schnell genug arbeitete, konnten die Software-Verbindungen zwischen den Prozessoren beliebig konfiguriert werden, um sich der Struktur jedes vorgegebenen Problems optimal anzupassen, unabhängig von den physikalischen Verbindungen der Hardware.

Dieses Hardware-Netzwerk sollte die Form eines 12-dimensionalen Hyperwürfels haben. Der Terminus "12-D", der weit davon entfernt ist, mit Warp-Antrieb oder Außerirdischen zu tun zu haben, hatte die banale, aber komplizierte Bedeutung, daß jeder Prozessor Chip direkt mit 12 anderen Chips so verkabelt sein würde, daß jede beliebigen zwei Chips in 12 oder weniger Schritten miteinander kommunizieren könnten. Überwältigt von der Bemühung ein 12-D Verbindungsschema für 4.096 Chips zu visualisieren, drückte ich gegenüber Richard Feynman, dem Physiker und Nobelpreisträger, der uns half das Netzwerk zu entwerfen, meine Verwirrtheit aus. (Sein Sohn, Carl Feynman, arbeitete bei Thinking Machines, und hat Richard einen "Sommerjob" besorgt.) Feynman hatte das seltene Talent, die kompliziertesten Dinge einfach erklären zu können, und so war seine Antwort auf meine Beschwerde ein charakteristisches: "Oh, das ist doch ganz einfach!"

Er verband zwei Chips miteinander, um einen "l-D"-Würfel zu machen, allgemein eine "Linie" genannt. Er verband zwei 1-D-Würfel an ihren Enden, um einen "2-D"-Würfel, allgemein "Quadrat" genannt, zu machen und dann verband er zwei 2-D-Würfel, um einen "3-D"-Würfel zu machen, was dem "Würfel" entspricht, den wir uns normalerweise vorstellen. Dann der Schritt in die vierte Dimension: Er verband zwei 3-D-Würfel miteinander, um einen "4-D" Würfel zu machen, die erste Stufe eines Hyperwürfels mit mehr als drei Dimensionen.

Es ist schwierig diese multidimensionalen Strukturen in einer 2-D Zeichnung zu darzustellen. Ich nahm schließlich zu einer radikalen grafischen Vereinfachung Zuflucht: ich stellte alle Dimensionen, die größer als als 3 waren als dicke "Hyperlinien" dar und zeichnete Würfel als in gewisser Weise solide Objekte, um die resultierenden Strukturen visuell zu vereinfachen. Durch Anwendung dieser Vereinfachung ist leicht zu erkennen, daß die Strukturen sich immer wiederholen: Ein 4-D Hyperwürfel sieht genauso aus, wie eine 1-D Linie, außer daß er eben zwei Würfel, statt zwei Chips verbindet. Ein 5-D Hyperwürfel ist ein Quadrat von Würfeln und ein 6-D Hyperwürfel ist ein Würfel aus Würfeln. Weiterführend ist ein 9-D Hyperwürfel ein Würfel aus 6-D Hyperwürfeln und ein 12-D Hyperwürfel ist ein Würfel aus 9-D Hyperwürfeln.

Das ist die Struktur, die in der CM-1 und der CM-2 verwendet wurde, ein Würfel mit 2 hoch 12 Ecken, oder 4.096 Chips, von denen jeder einzelne mit 12 anderen Chips verbunden, und jede Verbindung eine Dimension des Würfels ist. Diese Struktur wurde über jede Ebene der Maschine wiederholt, in den Leiterbahnen, die die Prozessorchips verbanden, in den Konnektoren zwischen den Leiterplatten und in dem 1000 Fuß (ca. 330m) Kabel, die die höchsten Dimensionen der Maschine verbanden.
WAS IST DIE "FUNKTION" EINES COMPUTERS?
Wir konnten unsere Aufmerksamkeit nun den ästhetischen Aspekten der Gestalt der Connection Machine zuwenden. Die Computerwissenschafter, deren Vorstellungen über die Maschine mich am meisten beeinflußt haben, Danny Hillis, Brewster Kahle und Carl Feynman, sprachen von der Maschine als ein Gedankentraumschiff, ein Vehikel, das unbegrenzte neue Ziele eröffnen könnte, oder als eine immens komplexe, ständig fluktuierende elekronische Gesellschaft – das Bild eines elektronischen Gehirns. Wir wollten keine Maschine bauen, die genauso aussah wie ein Kühlschrank oder eine Waschmaschine, nicht einmal, wenn dies die "praktischeste" und funktionellste" Art wäre, sie zu gestalten. Wir wollten, daß das Design die Erregung ausdrückt, die wir angesichts dieser Maschine und ihrem Potential, die Computerarchitektur zu revolutionieren, fühlten.

Wir dachten jedoch trotzdem, daß "die Form der Funktion folgen sollte": die Form sollte eine Bedeutung haben und die Essenz der Maschine ausdrücken. Die offensichtlichste Lösung war, dem Vorbild des modernen Design direkt zu folgen und die physikalische Struktur, die bei einem Computer seine Schaltungen und Kabel sind, herauszustellen. (bloßzulegen/ zu enthüllen). Wie aber kann man die Funktion einer elektronischen Maschine "sehen"? Anders als bei mechanischen Maschinen, ist die Struktur und Funktion eines Computers in unsichtbaren Silikonschichten auf einem Chip begraben, oder im Gewirr von Kabeln und elektronischen Schaltkreisen auf einer Leiterplatte versteckt. Das ist sogar für eine riesige Mehrheit von Computerprofessionals unleserlich, die doch ausschließlich mit der Software beschäftigt sind und oft nicht die geringste Idee haben, in welche Richtung die Elektrizität fließt.

Es wurde mir klar, daß für einen Computer "die Funktion" über die physische Struktur hinaus, ins Abstrakte, reichte. Um die Funktion eines Computers wirklich zu verstehen, muß man die schematischen Darstellungen betrachten, die Computerwissenschafter verwenden, um über dessen Architekur zu sprechen, die Diagramme also, die den Datenfluß und die Befehle innerhalb des Systems beschreiben.
DER WÜRFEL AUS WÜRFELN
Wenn also die Form der Funktion folgen sollte, und die Funktion in einem Computer die Arbeitsgänge von in Silikonchips versteckten Prozessoren bedeutet, dann lag die wirkliche Funktion von CM-1 und CM-2 in der Art, wie die Prozessoren miteinander kommunizieren konnten, physikalisch, indem sie die 12–13 Hyperwürfel-Netzwerk Hardware verwendeten, aber konzeptuell – also in der Software – unabhängig von deren Struktur. Wir hatten bereits ein Symbol entwickelt, das diese Aspekte der Maschine ausdrückte: in einem Design, das ich für ein Firmen-T-Shirt gemacht hatte! (Richard Feynman gefiel das T-Shirt so gut, daß er es auf dem Einband eines seiner populärsten Bücher trug!)

Dieses Design zeigte einen Würfel aus Würfeln: einen großen Würfel aus 8 kleineren Würfeln gebaut, der die "harten" elektrischen Verbindungen eines Teils des 12-D Netzwerkes darstellte. innerhalb dieser harten rechteckigen Box sind die "fasrigen" Software-Verbindungen, die unabhängig von den physikalischen Drähten und Leiterbahnen, verändert werden können. Beide waren gleich wichtige Aspekte der Struktur der Maschine: die harte, physikalische Verkabelung und die weichen, programmierbaren Verbindungen. Wie konnten wir etwas so Abstraktes wie Software – welche das Immaterielle eines Konzepts, einer Sprache, einer Konversation hat – für das Auge sichtbar machen?

Carl Feynman hat eine Phantasie über die CM-1 als eine riesige Wolke von Lichtern beschrieben, die flackerten, während sie ihre elektronischen Botschaften hin und her schickten wie das Abfeuern von Neuronen in einem Gehirn. Leuchtdioden werden oft auf Computerschaltungen installiert, um für visuelle Kontrolle über den Zustand der Teile zu sorgen – ob der Strom "an" ist, oder ob ein Chip ordentlich eingesteckt ist. Wir beschlossen, solche Dioden zu verwenden, um die immaterielle und ungesehene Aktivität der Prozessoren für das nackte Auge sichtbar zu machen.
EINE LEBENDE MASCHINE
So beschlossen wir, die Hardware-Struktur der Maschine in der äußerlichen Form der CM-1 und CM-2 darzustellen und stellten die Software-Verbindungen innerhalb dieser Hardware-Struktur dar, indem wir die Statusdioden der Chips verwendeten: Acht Würfel, von denen jeder 9 Dimensionen eines Hyperwürfels enthält, sind visuell zusammengesteckt, um den Würfel der Würfel zu bilden, genau wie die internen elektronische Komponenten physikalisch zusammengesteckt sind, um die höchste Ebene der Maschine zu bilden, den 12-D Hyperwürfel. Durch die Türen der Maschine schimmern die Lichter von 4.096 Chips, an- und ausflackernd während die Prozessoren parallel arbeiten und jeder einzelne seinen eigenen Teil der Daten bearbeitet. Die mikroskopischen Elemente der Maschine, und die Struktur die in der Verwirrung der Leiterbahnen und Kabeln begraben ist, wird auf diese Weise sichtbar, um die Maschine für sich selbst sprechen zu lassen.

Diese würde dem Betrachter die immense Komplexität mitteilen, die unter der Oberfläche der Maschine verborgen ist. Ein riesiges elektronisches Gehirn von 1,5 m Höhe, es ist durch Kabel mit den Data Drives verbunden, die seine Prozessoren mit Information speisen und mit den Workstations, die es mit seinen menschlichen Benutzern kommunizieren lassen. Es ist ein hartes, geometrisches Objekt, schwarz, die Nicht-Farbe reiner, statischer Masse und ist gefüllt mit einer weichen sich ständig ändernden Wolke von Lichtern, in rot, der Farbe des Lebens und der Energie. So dachten wir immer, daß ein Computer aussehen sollte, eine lebende, atmende Maschine, eine Maschine, die stolz auf uns sein könnte.


Die Meinungen, die in diesem Artikel ausgedrückt werden, sind allein die der Autorin und repräsentieren nicht notwendigerweise die Auffassung von Thinking Machine.

Dieser Artikel ist ein Auszug aus einem längeren Artikel, der diesen Herbst in der Zeitschrift "Design Issues" publiziert werden wird, Hrsg. Dick Buchanan, Chairman, Department for Design, Carnegie-Mellon University, Pittsburgh, Pennsylvania, USA.

Für mehr technische Information über die Connection Machine CM-2 siehe "The Connection Machine", MIT Press, 1985, oder "The Connection Machine", Scientific American, Juni 1987, vol.256, pp. 108, beide von Daniel W. Hillis.