www.aec.at  
Ars Electronica 1993
Festival-Programm 1993
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Die Evolution funktionaler Robo-Ökologien


'Mark Tilden Mark Tilden

Hollywood Science Fiction hat fälschlicherweise immer die Idee dargestellt, daß Roboter einfach "passieren", wenn Motoren, Neonlichter, Silikonchips und ein bißchen Programmieren (normalerweise als BASIC Programm listings gezeigt) zusammenwirken. Gib's in den Kübel, schüttle es gut und heraus hüpft R2D2. Dies hat, leider, mehr Leute von der Robotik abgeschreckt als der "Terminator", da es einfach nicht so funktioniert, oder wenn es tatsächlich so geht, dann läßt sich das verdammte Ding nicht einmal mit einem im Geschäft gekauften Spielzeug vergleichen. Noch schlimmer ist es, wenn Enthusiasten gesagt wird, daß das "Echte Geld" nicht in den Robotermechanismen ihrer Träume steckt, sondern auf dem Gebiet der Industrierobotik, einem Gebiet, dem mehr an Statistik, als an Phantasie liegt. Folglich existiert das robotische ideal nach wie vor nur auf der Kinoleinwand und in der fruchtbaren Phantasie der Kinobesucher.

Obwohl die gegenwärtige Technologie große Schritte beim Bau von künstlichen vernünftig denkenden Maschinen gemacht hat, muß man jedoch erst irgendeinen bestimmten Weg finden, zwischen diesen Gehirnen und Roboterkörpern, die fähig sind die Komplexität der realen Welt zu überleben, eine Schnittstelle zu schaffen. Fast jeder Versuch, wahrhaft autonome Roboter zu bauen hat bis jetzt in einem Fehlschlag resultiert. Ausnahmen haben meist Unsummen von Geld und tausende Arbeitsstunden gekostet, normalerweise beides.

Es gibt jedoch jetzt Anzeichen dafür, daß es einfache, elegante Lösungen für die Herstellung autonomer robotischer Geräte gibt, Lösungen, die Anpassungsfähigkeit und Verläßlichkeit zeigen, sogar nachdem sie signifikante Beschädigungen erlitten haben. Einige der Prinzipien hinter dieser Arbeit werden von Mark W. Tilden an der University of Waterloo, Ontario, Canada, entwickelt und erweitert. Tildens Absicht ist es, nicht nur einen, sondern alle Aspekte der Konstruktion autonomer Roboter zu studieren und zwar bei geringem Budget, kurzer Planungszeit, vielen biologischen Richtlinien und, was am wichtigsten ist, außerhalb von Computer-Simulation oder -Abhängigkeit.

Bis dato sind fast vierzig funktionierende robotische Geräte gebaut worden, von denen manche schon seit über drei Jahren durchgehend in Betrieb sind. Die meisten werden mit Sonnenenergie angetrieben, sind kleiner als ein Telefon und haben bis jetzt die Notwendigkeit für auf Prozessoren basierende Kontrollore vermieden.
Und das beste daran ist – sie sind spottbillig.

Diese Forschung konzentriert sich im Moment auf vier grundlegende Gebiete; Konstruktionsforschung, Wirbelsäulen und Wirbellosen – Design und kooperative Verhaltensstudien (abgekürzt CIVC oder "civ-ic" robotische Studien). Die leitenden Grundprinzipien (Grundregeln) sind "Tildens Gesetze der Robotik" und zwar folgende:

  1. Ein Roboter muß seine Existenz um jeden Preis schützen

  2. Ein Roboter muß den Zugang zu einer (Stromquelle) Energiequelle er- und behalten

  3. Ein Roboter muß ständig nach besseren Energiequellen suchen
Anders bekannt als:
  1. Schütze deinen Arsch

  2. Füttere deinen Arsch

  3. Schau dich nach besserem Grundbesitz um
Beachten Sie, daß diese Regeln sich völlig von den Asimovschen Robotergesetzen unterscheiden, welche zwar gute Literatur ergeben, leider aber lausige Roboter. Diese Gebiete und Prinzipien werden jedoch nicht unabhängig studiert, sondern parallel, indem man neue Arten von Robotern in eine einfache "Ökologie" einführt, wo sie mit der realen Welt und miteinander umgehen müssen. Manche sind gebaut worden, um einfache häusliche Bedürfnisse zu befriedigen (Fensterwäscher, Katzenspielzeug, Bodenwäscher), andere sind gebaut worden, nur um irgendein Prinzip, Material oder einzigartiges elektronisches Gerät zu testen.

Zur Zeit der Verfassung dieses Textes hat die Arbeit, zwar nur als Teilzeitbeschäftigung, nun schon drei Jahre lang gedauert, es hat aber in der kurzen Zeit schon signifikante Fortschritte auf allen CIVC Disziplinen gegeben. Es scheint nun, daß kooperatives Verhalten zwischen autonomen, nach einem Ziel strebenden Organismen nicht nur möglich, sondern unter Bedingungen mit geringer Streßbelastung unvermeidlich ist. Außerdem scheint es, daß die überall herrschende Vorstellung Roboter müssen nach irgendeiner biologischen Morphologie gestaltet werden (z.B. Insekten) schon an sich fehlerhaft ist. Roboter werden aus anderem Stoff gemacht und basieren auf völlig anderen Prinzipien, daraus folgt daher, daß optimale robotische Formen sich ebenfalls völlig von unseren Erwartungen unterscheiden. Was die Funktion betrifft, haben CIVC Roboter sich von einfachen beräderten Geräten zu einigen aktuellen Formen mit Beinen entwickelt, die erstaunliche Adaptabilität (und mehr als eine nur flüchtige biologische Ähnlichkeit) besitzen.

Ein interessanter Aspekt dieser Arbeit ist, daß wenige dieser Roboter gleich sind in Stil oder Funktion, und dies hat zu der Schlußfolgerung geführt, daß mobile Roboter alleine für eine ausgewogene Roboter-Ökologie nicht ausreichend sind. Roboter-"Pflanzen", wie auch verschiedene andere Hybride sind notwendig, die "Lebensqualität" in der Robo-Ökologie zu verbessern. Ein interessanter Punkt ist, daß, obwohl Versuche gemacht wurden, absichtslose Roboter zu bauen, dies dennoch nicht einfach zu bewerkstelligen erschien. Sogar die geistlosesten, in sich geschlossenen Mechanismen finden, wenn man ihnen genügend Zeit und Interaktionsmöglichkeit in einer Umwelt gibt, eine Nische, die ihnen Zweck verleiht.

Zukünftige Bemühungen werden eine Dokumentation aller Aspekte der Forschung über CIVC Robotik in einem oder zwei Büchern beinhalten, damit andere ihre eigenen Geräte machen können und sich dann auf den Bau, die Beobachtung und Evolution größerer und vielseitigerer Robo-Ökologien konzentrieren können, diese verschiedenen Belastungsproben auszusetzen, ihre Reaktionen zu studieren und neue Generationen von Überlebens-Automaten zu entwickeln.

Aber ein einzelner Roboterbauer ist zu langsam, und deshalb geht die Arbeit auch bei den BEAM Robot Olympic Games voran, einem Forum mit der Aufgabe, mehr Leute dazu zu bringen, Roboter mit künstlichem Leben zu bauen, als Computersimulationen zu schreiben. BEAM, was für Biologie, Elektronik, Ästhetik und Mechanik steht, ist als eine Methode konzipiert, die Enthusiasten, die zum ersten Mal auf dem Gebiet arbeiten, den Start erleichtern soll. Durch das Bauen von einem oder mehreren selbständigen Kreaturen, kann jeder die Sicherheit und die Fähigkeit erlangen, eine größere Auswahl robotischer Geräte zusammenzubauen. Das olympische Charakteristikum, ein Dekathlon (Zehnkampf) der Wettbewerbe reicht vom einfachsten zwei-Transistor-Rennen zu Wettbewerben mit fliegenden Robotern. Die Wettbewerbe sind alle sehr offen und adaptives, nicht destruktives Schwindeln wird ermutigt und Gewinner wie auch "Verrückte Wissenschafter" werden gleichermaßen belohnt. Die Show betont den leichtherzigen Ansatz (Ausgangspunkt/Zugang) Ereignisse wie der "Kanadische-Regeln-Kein-Griff-Ist-Verboten-Roboter-Sumo" behandeln detailliert die adaptive Evolution auf ihre aggressivste, beste Art.

Tatsächlich ist die Show ein Experiment in forcierter robogenetischer Technik, wo Menschen als das reproduktive Medium verwendet werden. Es verhält sich wie bei jeder guten genetischen "Ursuppe", je mehr Variationen man in der anfänglichen Spezies beobachten kann, desto besser wird die Brühe, um es einmal metamorphisch auszudrücken, die man davon kochen kann. Für Interessierte gibt es ein 100seitiges Büchlein mit Richtlinien, das alles detailliert angibt, zum Beispiel, wie man solche Ereignisse veranstaltet bis zu einfachen Konstruktionsplänen für Roboter. Die zweite solche Olympiade wurde im April 1993 durchgeführt, zusammen mit 5 anderen Spielen, die international über das ganze Jahr geplant sind.

Ideen werden genährt und erweitert im CIVC Roboterdesign und wenn einmal eine ausreichende Datengrundlage erforscht worden ist, (und getestet durch den Bau von "Unmengen" von Geräten) dann werden mehr Bücher geschrieben werden. Die Forschung kann sich dann zuversichtlich darauf konzentrieren, Robotermechanismen zu entwickeln, die die begehrten Hollywood-Ideale befriedigen, und damit die riesige Auswahl möglicher Anwendung zu füllen (Bionik, Medizin, Raumforschung, Bauen, Nanowissenschaft, Chaostechnologie, Verteidigung etc.). Das Ergebnis werden keine HAL 9000 sein, sondern wahrscheinlich eine Anleitung, nach der autonome Mechanismen für die riesige Menge möglicher Anwendungen gemacht werden können; alles von Gras schneidenden Schwarmorganismen zu Roboter-Goldfischen.

Welche Art von Funktionen sind für diese Roboter vorauszusetzen? Zur Zeit ist das schwer zu sagen. Eine künstliche Lebensform heranzuziehen ist geprägt von vielen Fragen, aber das gerade regt das Interesse an. Wenn es einmal genügend Antworten auf die und konkrete Beispiele zu den Fragen bezüglich der Konstruktion "lebender" Roboter geben wird, wird die Wissenschaft erst gerade begonnen haben. Das Motiv ist Faszination, die Ergebnisse, so hofft man, werden mehr können, als die Anforderungen einer auf Werkzeugen basierenden Industrie zu befriedigen.

Natürlich wird mit dem wachsenden Verständnis dieser Primitiva auch die Zuversicht und das Vertrauen wachsen, das größere Spiel zu wagen. Schließlich werden Mechanismen gebaut werden, die zumindest so klug sind, wie der durchschnittliche Menschenaffe und möglicherweise mit ähnlichen Eigenschaften. Danach gibt es ein sogar noch größeres Spiel, aber das ist so weit entfernt, daß es mehr als Science Fiction denn als Wissenschaft angesehen wird.

Aber andererseits war das beim Telefon ja auch so.

Das wars.