Bar Code
'Konrad Becker
Konrad Becker
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'Wolfgang Zinggl
Wolfgang Zinggl
BAR CODE ARGE to Konrad Becker & Wolfgang Zinggl
Mitarbeit: Werner Rodlauer (Produktion), Sabine Dreher (Sponsoring), Francisco Webber (Software), Michael Lohn (Catering), Eiblmayr Korab Design (Architektur)
Es liegt nahe, dem Einfluß wissenschaftlicher Innovationen an Schnittpunkten sozialer Interaktion zu begegnen. Zum Beispiel an der Bar. Als Arena der Kommunikation ist sie besonders geeignet, tief konditionierte Verhaltensmuster aufzuzeigen oder sogar zu beeinflussen.
Mit der ständig veränderten globalen Ernährungslandschaft sind manche Grundlagen unseres Speiseschemas in Frage gestellt. Längst sind die Augen, sind der Geschmacks- und der Geruchssinn nicht mehr in der Lage für das Wohl der Konsumenten relevante Informationen aufzunehmen. Dennoch wird weiter nach optischen Richtlinien gewählt und gegessen.
Das ist lediglich eine Frage der Kodierung im Kopf. Nichts hindert uns daran, Hundefleisch zu genießen, selbst wenn es von einem Extruder zu einem lecker anmutenden T-bone Steak gekittet wurde. Umgekehrt nehmen wir chemisch exakt definierte Vollwertnahrung nur ungern zu uns, wenn sie sich in Kunststoffolien verschweißt als grünbraune Soße präsentiert.
Unsere kulturell konditionierten Präferenzmuster sind zunehmend fragwürdig geworden. Sie werden durch eine hereinbrechende Gentechnologie noch viel fragwürdiger und es wird Zeit, daß wir die alten Vorurteile über Bord werfen, um neue aufzubauen.
Hunger auf Hund und gegrillte Grillen, Ekel und Appetitlichkeit sind manchmal nur einen Gedankensprung voneinander entfernt.
Die Gestaltung unserer Bar orientiert sich an Selfservice-, Junkfood- und Lowlifekultur zwischen Baustellen, Gerüsten und Monitoren, die als Überwachung dienen und alternierend mit Videoanimationen und Dokumentationen bespielt werden.
Optisch ersetzen leuchtende Firmenlogos als Totems des Hightech-Wirtschafts-Feudalismus jeden künstlerischen Gestaltungsdrang durch kapitalistischen Realismus und insgesamt geht es einzig um die Frage, welchen Sinnesinformationen werden wir trauen, wenn wir Essen bestellen.
Zuletzt und im Zentrum von Bar-Code befindet sich eine kleine Ausstellung. In einer Kapelle wissenschaftlicher Innovation werden in reliquienartigen Schreinen einige der wenigen bisher verfügbaren, chemisch transferierten Organismen – Ikonen einer konstruktiven Biologie – präsentiert. Sie gelten als sicher.
Kaum eine Pflanze läßt sich anmerken, daß sie genetisch manipuliert ist. Oberflächlich sieht die Tabakstaude aus wie jede andere. Dem Salomonen-Pilz ist nichts außergewöhnliches anzusehen, die kleinen Kartoffelpflänzchen sind normale Kartoffelpflänzchen und die Chrysanthemen blühen vielleicht in einer anderen Farbe, aber wer weiß schon, in welchen Farben Chrysanthemen blühen.
Die Diskussion der Vor- und Nachteile biologischer Veränderungen beginnt im unsichtbaren Bereich. Die Diskussion der Vor- und Nachteile jedes Wahrnehmungsangebotes beginnt bei den Zusatzinformationen.
DIE WELT SYNTHETISIERBAR AUS STRICHCODES UND VORSTELLUNG "The industry feeds of the human biomass, like a whale straining krill from the sea" aus "Snow Crash" von N. Stephenson "Barcodes are a girl's best friend" aus "T.R.I.A.D." (Trivial Research Industrie Arch. Dept.)
"Die Bar als Austragungsort sozialer Codes, gesellschaftlicher Spiele und Balzrituale ist das Kommunikationsschlachtfeld der Stadt.
Es liegt nahe, dem bestimmenden Einfluß neuer Technologien und Wissensgebieten an den Schnittpunkten sozialer Interaktion experimentell zu begegnen. Unter anderem können utopische Modelle direkt an den Zapfhähnen der Gastronomie ins Spiel gebracht werden."
Die Bar als Reagenzglas menschlicher Biomasse ist das Laboratorium einer humanistischen Informationsvirologie. Die stille Post der Quasispezies Mensch als Fallbeispiel für den Turmbau zu Babel.
CODE WAR Aus den mathematischen Modellen für das Liebeswerben der Glühwürmchen sind möglicherweise auch gesellschaftliche Verhaltensmuster ableitbar und von den Reaktionszyklen der chemischen Uhren lassen sich Verbindungen ziehen zu den Gesetzmäßigkeiten nach denen rotgekleidete Weihnachtsmänner mit weißen Bärten erscheinen.
Wenn Fellzeichnung und Streifenmuster in der Tierwelt mit den stehenden Wellen chemischer Reaktions-Diffusions-Modelle simuliert werden können, welche grundlegenden Musterbildungsmechanismen gelten dann für das modische Accessoire oder den affirmativen Small Talk? Die laut "Spiegel"-Titelstory vom 11. Jänner 1993 "Schamlose Gesellschaft" mit dem modernen Leben als Treibhaus der niederen Instinkte bietet vermutlich optimale Bedingungen für die Entdeckung neuer prasitärer Informationsmoleküle.
Der Virus als genetischer Pirat ist ein Grenzgänger zwischen unbelebter Materie und lebenden Organismen, ein Modell für Selbstorganisation auf einer frühen Entwicklungsstufe des Lebens. Die Untersuchung von Viren zeigt wie Information auf molekularer Ebene optimiert und weiterverarbeitet werden kann.
Diese Selbstreproduzierenden Informationssysteme transzendieren die Grenzen zwischen Mensch und Maschine, belebter und unbelebter Natur.
Wenn auf einem Computer-Bildschirm plötzlich der Text "I have become alive, I am alive!" auftaucht, dann ist der Rechner höchstwahrscheinlich mit einem Virus infiziert. Sprache selbst kann als Virus verstanden werden, laut W. Bouroughs sogar als Virus von einem anderen Stern. Jede religiös-ideologische Missionierung zeigt die Qualität selbsterfüllender Reproduktion und der gemeine Ohrwurm ist als virale Infektion zu verstehen.
Im Kontrast zu den etwas schwerfälligen Selbstreproduzierenden Ideologien der Vergangenheit aus Religion und Politik haben wir nicht zuletzt durch die schnellen Brüter der Medien neue und agressivere Spezies von Ideologie-Bytes und Time-Codes kennengelernt.
Ideologie wird abgelöst durch effiziente Ideogramme deren reduzierte molekulare Morphologie im Vergleich zwischen einem barocken Heiligen und einem modernen Straßenschild deutlich wird. Das Logogramm des Aids-Virus grenzt mit seinem Bekanntheitsgrad inzwischen an die Popularität des Mercedes-Stern.
Werbung und Marketing haben die ideolografische Verzahnung von Codes mit dem Bewußtsein des Alltagskonsumenten durch Produktbezeichnungen wie "du darfst" oder "nimm zwei" vorangetrieben. Fröhlicher Post-Behavourismus als Self-Service für den automatisierten Verbraucher. "Jeder nach seinen Bedürfnissen" wurde vom libertären Slogan zum religiösen Metakonzept des spätkapitalistischen Supermarktes Warenwelt und der Heilsarmee des positiv thinking. Im vorbewußten Stimulus-Response des gestreßten Herrentiers paßt die Faust aufs Aug' wie das Flüchten statt Standhalten zu einem explodierendem Schnellrestaurant.
Mind-Byte-Marketing ist das Zukunftsbarometer aller Trendforscher und das Wasserloch aller Medienfeedback-Artisten. So wie ein Buch oft nur mehr die Rechtfertigung für den Klappentext darstellt, gleicht Informations-Scanning dem Filtern von Resynthetisierbaren Codes zu einem selbstreferentiellen Schlüsseldienst. (Hit me with your function-key.) "Sowas soll's ja geben: Mehr logisch, sehr logisch, weniger logisch – formal läßt sich das nur verstehen solange es bedeutungslos ist."
Werbung und Medien operieren nach dem Konzept der Affektlogik und die bedeutungsvolle Ahnung des, der dualen Logik entsprungenen "vielleicht" hat seine schattigen Schwingen auf den wissenschaftlichen Diskurs geworfen. Die Teilchen der Welt wurden zu Wahrscheinlichkeitsfunktionen und Materie wurde zur Symmetrie. Aber nicht der Hang zur Poesie, vielmehr ein Zwang zur Dichtung verwandelt halbharte Fakten in schlüsselfertige Metaphern und spiralisiert die Vieldeutigkeit des medialen Allgemeinplatzes in die Höhen und Tiefen des kollektiven Unbewußten, um dort seine Duftmarken zu setzen.
Mit einem fröhlichen "ex nihilo nihil fit" blättern wir durch den Blätterwald oder absorbieren bewegte Bilder und so wie durch das Bombardement kosmischer Strahlung genetische Mutationen ausgelöst werden, wird das Blickfeld des Medienkonsumenten mittels Kathodenstrahl verpixelt.
Sich einen Reim machen können bedeutet auf dem Killerparkett des dog eats dog: Reim dich oder ich freß' dich. Der Mensch als Vorläufer der 100 Prozent biologisch abbaubaren Wegwerfverpackung hatte in der Menschheitsgeschichte ein durchschnittliches Ablaufdatum von 30 Jahren. Unter günstigen Bedingungen und einer Zivilisation die auf Wohlstand und Wohlverhalten gegründet ist, läßt sich das menschliche Verfallsdatum auf dem biologischen Reserverad, trotz eingeschränkter Vitalität, erheblich verlängern. Allerdings entsteht durch die stark erhöhte Lebenserwartung ein enormes Freizeitproblem, denn für die sexuelle Reproduktion und die Aufzucht des Nachwuchs scheint eine durchschnittliche Lebensdauer von 30 Jahren mehr als ausreichend. ("Gibt es ein Leben vor dem Tod? Gestorben ist nicht was ewig ruht, aber in unbekannten Zeiten könnte der Tod noch sterben!")
Wenn man Lebendigkeit an der Adaptionsmöglichkeit an Umweltreize bemessen will, dann traue keinem über zwanzig, denn scheinbar ist bald nach der entscheidenden sexuellen Prägungsphase (der Wandlung zum ehrenwerten Mitglied der Gesellschaft) die Luft raus und der Ofen aus. Wie sich an den Jahresringen der Jugendkultur und der raschen Abfolge ihrer Gezeiten deutlich ablesen läßt, gelingt es nur wenigen das Modell ihrer Prägung zu transkodieren. Die Bereitschaft des Gehirns, neue Verbindungen zu ziehen, läßt offenbar so stark nach, daß der musikalische Stilbruch nach dem "offenen Fenster" nicht mehr nachvollzogen werden kann. Ob Fisch, Frosch, Pavian oder Mensch, die embryonale Entwicklung der Wirbeltiere verläuft in ihren Anfängen sehr ähnlich, aber der Entwicklungsstop und Sidestep in die Öko-Nische bescherte uns nicht nur Adult-Rock und Post-Punk, sondern scheint ein Evolutionsphänomen zu sein.
Der Luxus einer verlängerten Adoleszenz in langlebigen Wohlstandszivilisationen steht in direktem Zusammenhang mit der kulturellen Entwicklung, in etwa wie sich auch die Traumfabrik des Kinos weitgehend aus dem Taschengeld des internationalen Teenagers finanziert. Das Freizeitproblem hat sich durch die zunehmende Automatisierung weiter verschärft und nachdem die Verdrängung des Blue-Collar-Workers durch die Einführung intelligenter technischer Produktionsmethoden eingeleitet wurde, zündet bereits die nächste Stufe: Die Automatisierung geistiger Arbeit treibt die mentale Siliconprothese bis weit hinaus in den Dienstleistungsraum.
Bald gibt es kaum noch Produktionsbereiche in denen Maschinen nicht sparsamer, schneller, sauberer und effizienter arbeiten als Menschen. Wann schaltet die postindustrielle Data-Ökonomie auf Autopilot und entläßt die werktätige Bevölkerung mittels Freizeitschock in die Historie? Die Aufschrift "Arbeit macht frei" war Teil der gruseligen Ironie der jüngeren Zeitgeschichte, aber "Freiheit macht Arbeit" ist ungeschriebenes Gesetz der Freizeitgesellschaft. Es ist vielleicht möglich einem "letzten Willen" peinlich genau zu folgen, aber aus welchen unbewußten Affektschaltungen und Regulationen hierarchisch übergeordneter Gefühlsimpulse ein "freier Wille" entspringt, ist kaum noch zu verfolgen. Die Software ist das Sicherheitsrisiko der computerunterstützten Kriegsführung, komplexe Quellcodes führen ein Eigenleben und entziehen sich ihrer Entschleierung auf dem Pfeil der Zeit.
Immer der Nase nach reichen bereits wenige Moleküle eines Duftstoffes oder Pheromons um Erinnerungen an das Tier im Menschen zu wecken. Produktnamen wie Obsession, Egoiste oder Pitralon sprechen eine deutliche Sprache. Manche Erinnerungsspeicher, die Schubladen (Drawers) des Gedächtnisses scheinen sich nur in bestimmten Stimmungslagen und emotionalen Settings öffnen zu lassen. Erst die Transition in den Phasenraum des Attraktors gestattet den Zugriff des Systems.
Interessanterweise gibt es beim Speichern und Abrufen von komplex-kognitivern Material eine hierarchische Struktur, in der die in höheren Bewußtseinsstufen (Wachbewußtsein) gespeicherte Information in weniger differenzierten Zuständen (Traum) verfügbar bleibt, nicht aber umgekehrt. Es fällt nach dem Aufwachen oft schwer sich an einen Traum zu erinnern und der aus tiefer Hypnose Erwachte hat keinen direkten Zugang zu den im Hypnoseschlaf erfolgten Suggestionen.
Bei Operationen unter Vollnarkose können negative Suggestionen vom anwesenden medizinischen Personal (z.B.: "die fette Sau macht's nimmer lang") den Rehabilitationsprozeß schwer beeinträchtigen und führten zu Kunstfehlerprozessen und Schadensersatzklagen.
Auch echte Zombies essen Hamburger, aber haben Hirntote Hunger? Jedenfalls verbrauchen sie Nahrung und Sauerstoff. Bewußtsein und geistige Aufnahmebereitschaft verbraucht erstaunlicherweise genauso viele Kalorien wie Stumpfsinn oder Indolenz. Zu agieren kostet nicht mehr Kraft als zu reagieren. Hier scheint am Kreuzungspunkt des ständig Wechselnden mit dem Permanentem eine Quelle negativer Entropie verborgen zu sein. Das Bewußtsein als non-kalorisches Kraftwerk einer Energie schneller als Licht, ist in seiner Gleichzeitigkeit ein Klebstoff des Universums.
Das Kino entstand als technische Projektion des Typus Jakobs Himmelsleiter und der an eine ausgefahrene Feuerwehrleiter erinnernde Kaderraster verrät das Funktionsprinzip, welches im internationalen Symbol für Notleiter versinnbildlicht wird. Weil es natürlich zu aufwendig ist, das Publikum in der entsprechenden Geschwindigkeit entlang der Zelluloidleiter zu transportieren, entstand die geniale Idee den Film mit einer trickreichen mechanischen Vorrichtung weiterzubewegen. Letztlich ist das Publikum dann aber meist doch mehr bewegt als das Material.
Der Zwischenraum dieses verfilmten Lattenzauns wird zur Vision einer projizierten Modulation der Transparenz. Und wie einst das Fernglas des Galileo, provoziert der Ausblick auf die Stars und Sternchen den Ausruf: "Und sie bewegen sich (doch)!"
Jenseits einer friedlichen Koexistenz sind diese künstlichen Galaxien von unserer realen Welt längst nicht mehr zu trennen wie sich an dem in Gerichtsprotokollen häufig auftauchendem Bild des "Filmrisses" zeigt. Der Filmriss als mildernder Umstand steht z.B. für das alkoholbedingte Blackout des kulturellen Firnisses und wenn dieser kurzfristige Verlust des sozialen Entrainments glimpflich abläuft, ist alles wieder Leinwand. Die technische Störung (wir bedauern) des privaten rot-grün-blauen Zeilentanzmonitors fordert natürlich eine neue Sprachregelung wie z.B. Bandriß, Bitmap Error oder ": () * () * (".
Ritualisierte non-Lokalität im Lokal der Wahl ist, na klar, die Bar. Im Kontakthof des Zeitgeistes liegt die Teststrecke des Human 2 Interface Modelling und die Arena der Zuchtwahl (son of a bitch). Ein lustiger Reigen aus Anziehung und Abstoßung auf einer Matrix der Wunschabstände der Gäste. Der Verlauf einer öffentlichen, multilateralen Beziehungskiste kann als dynamische Landschaft von virtuellen Bergen des Unbehagens und Tälern des Wohlbefindens dargestellt werden, in der die subjektive Topographie der Teilnehmer jeweils verschieden ist. Endlose Jagden und romantische Wirbel zellulärer Spielautomaten auf den Koordinaten der sozialen Distanz des personal space (30 seconds to comply). Die biokulturell bedingten Spielregeln haben sich durch die Medialisierung erheblich kompliziert und abstrahiert ("ist das neu? Nein"). Eine Industrie von "special effects for special affects" hat sich engrammatisch in das Unbewußtsein geschrieben so wie sich virale genetische Information über Generationen hinweg ins menschliche Erbgut eingeschleust hat. (Manche dieser Viren könnten vor langer Zeit als kosmisches Strandgut explodierender Sternsysteme auf unseren Planeten gespült worden sein und die Menschheit zum Wirt parasitärer Alien-Life-Forms gemacht haben.) So wurde der Mensch zu seinem Double – geklont aus den Triplets trivialer Trinität von Presse, Funk und Fernsehen.
Von der Brieffreundschaft zum Telefonsex, von der Telecom zur In-vitro-Fertilisation ist es nur eine Hotline. Einige Verhaltensforscher brachten die Grundaussage der menschlichen Kommunikation auf die Urformel: "Ich bin da! Bist du auch da?" Ein verbaler Austausch der seit der Frühgeschichte der Menschheit (in den nicht elektrifizierten Wohnungen des Höhlenbären) geübt wird. Im Zeichen der telematischen Mobiliät und der erotisierten Technik verwandelte sich die Formel in: "Ich komme! Kommst du auch?"
Seit die Erde rund ist und sich dreht, dreht und bewegt sich alles und um auch nur am selben Ort bleiben zu können, muß 24 Stunden lang die komplette Rotation des Erdballs mitvollzogen werden. Der eindeutige Standpunkt gerät im Flug zur Linie und Meinung wird zur Stilfrage. Kontextualität, der Knüppel im Lachsack moderner Ratlosigkeit, wird irgendwann von der Hyperkontextualität mit der leisen Ahnung, daß irgendwo alles irgendwie zusammenhängt, erschlagen.
Auch Computer brauchen Fuzzy Logic und es zeigt sich, wie mit der Komplexität eines Systems die Präzision einer Aussage im umgekehrten Verhältnis zu ihrer Signifikanz stehen kann. "No News is bad News" – selbst wenn das Leben hart genug erscheint, denn wer alles versteht muß irgend etwas falsch verstanden haben. Von Survival und Fitneß zur Selbstüberlistung ist es nicht weit. Die Beziehung von Kooperation und Eigennutz wurde als spieltheoretische Situation unter dem Namen Gefangenendilemma bekannt und hat das Interesse von Mathematikern, Wirtschaftswissenschaftlern, Politologen und Evolutionsbiologen geweckt. Computerspiele und Turniere für iterative und territoriale Formen des Gefangenendilemmas zeigen, wie sich Kooperationsstrategien durchsetzen können, obwohl erfolgreicher Betrug kurzfristig den größten Gewinn abwirft.
Glücklicherweise relativiert sich unser anthropischer Chauvinismus in Bezug auf die Lebewesen die den Planeten vor uns beherrschten. Mit Hilfe neuer Erkenntnisse und der Unterstützung der Jugendlichen aller Länder (der Dino als contemporary teddybear) schlagen die Saurier zurück und lassen sich nicht mehr als plump-dumpfe Monster verleumden, die aufgrund angeblicher Lebensuntüchtigkeit von der Evolution überrollt wurden. Als die Dinosaurier noch auf dem Raumschiff Erde lebten, waren die Vorläufer der Hominiden nur scheinbare Spitzmäuse und Beutelratten, die eine schmale ökologische Nische der Säugetiere besetzt hielten. Wiederholt sich hier die Geschichte am Ende noch einmal und die Mäuse die sich heute auf fast jedem Schreibtisch finden, sind die Vorboten einer neuen Herrenrasse?
Es fallen nicht mehr Pennies sondern Gamechips from heaven und ein amerikanischer Präsident, der davon geträumt hatte wie die Jugend mittels Videogames zu perfekten Kampfpiloten heranwächst, konnte noch erleben, wie der Luftkampf zum Videospiel wurde. Sowie der Flugkapitän einer Verkehrsmaschine sich beim Landeanflug unter schlechten Sichtverhältnissen an den souveränen Steuerungsfähigkeiten des Computer-Expertensystems "Autopilot" orientiert, ist es keine Schande, sich vor einem überlegenen Gegner zurückzuziehen. Wenn sich Übervorteilen nicht lohnt, könnte ein Kooperationsmodell den Weg weisen. Das "Teile und Herrsche" der alten Warlords entwickelt in der elektronischen Vernetzung seine Gegenkraft: unite and fight!
Der Weltkrieg der Computer untereinander wütet seit Jahren als core-wars (Krieg der Kerne) und verläuft im Gegensatz zum Krieg der Sterne völlig unblutig. Paradoxerweise kann das nur als human bezeichnet werden vor dem Hintergrund "realer" Kriege in denen es keine Sieger mehr gibt. Inzucht und Spezialisierung gehen auf Kosten der Anpassungsfähigkeit und Überspezialisierung ist der schnellste Weg um auszusterben. Unterwegs zum globalen Self-fullfilling Media entwickeln sich Data-Dämonen zu emanzipierten Knowbots auf einem Silicon-Planet elektronischer Selbststimulation. ("Träumen Androiden von elektrischen Schafen?") Amüsanterweise ist die Basis der materiellen Welt (money makes the world go round) noch immer Gold, das Zahlungsmittel analphabetischer Piraten und schlitzohriger Stammesfürsten. Obwohl seit Jahrhunderten immer mehr Gold gefördert und in Umlauf gebracht wurde gibt es kaum weniger Armut als zuvor. Auch wenn eine österreichische Tageszeitung mit dem Slogan "Intelligenz kann man kaufen" Eigenwerbung (!) gemacht hat, zeigt sich doch immer deutlicher, wie hinfällig das ökonomische Bewertungssystem ist. Doch der Informationskrieg tobt und setzt neue Maßstäbe: Patentierte Mäuse und Copyright-Tomaten haben big money alarmiert, die genetischen Landkarten mit Genom-Decodern zu erobern.
Geld kann man bekanntlich nicht essen, aber transgene Produkte durchaus und die darin codierte Information kann einen tüchtigen Geschäftsmann plötzlich dazu bringen, einen Koffer voller Geld gegen ein paar Nüßchen oder Getreidekörner zu tauschen.
Im genetischen Goldrausch zeigt sich der direkte Einfluß einer Samenbank auf den Kontostand einer Datenbank. Wer bekommt das Patent auf den neuen Menschen? Wer monopolisiert die Spezies? Wer lizensiert die geborenen Sieger und Verlierer? Gibt es einen Markt für transgene Centauren, Schlangenmenschen, Liliputaner oder selbstleuchtende Zimmerpflanzen? Handel im Wandel! Von Consumer Electronics zu Consumer Biologicals, vom animatronischen Enviroment zum multidimensionalen, ökologischen Hyperspace-Design der Biomasse. Der Schlüssel zum Erfolg ist Rekombination. Leben ist Wandlung also wehret den Anfängen – transcode yourself!. (Revolutionen fressen ihre Kinder, aber – you can't fool the children of the synvolution).
Laue Reality-Schnitzel, mit statistischer Unzulänglichkeit im Leichenfett mentaler Totgeburt gebraten, sind das Perpetuum Perplex des Nouveau Hightech-Feudalismus. Zu einem Restaurant in dem nur die Speisekarte geboten wird (the ultimate fast-food), empfehlen sich Kaisers neue Kleider. An toten Seitenarmen von Spiel, Spaß und Spannung, wo Figuren Figuren schnitzen ohne ihr Spiel zu machen, liegen die Haufen komplexer Ignoranz als Stoffwechselprodukt.
Verschlüsselung und Entschlüsselung standen im Krieg der Gehirne an der Wiege der modernen Informatik (Enigma Vs. Turing, WW II). Kryptologie und die Wissenschaft komplexer dynamischer Systeme entschleiern die Mysterien der offenen Geheimnisse und die Mechanismen wundersamer Nebelmaschinen öffentlicher Meinungsbildung. Während die Kegel panischer Suchscheinwerfer auf die Wolkenbänke kulturellen Wasserdampfs fallen, läuft die psychokybernetische Zielsuchmechanik heiß. Alles dreht sich, alles bewegt sich im global playground "Panta Rhei" und auch das Vakuum des leeren Raums ist durchflutet von Energiefluktutationen (von denen die Naturgesetze der Elementarteilchen abhängen).
Vielleicht liegt jenseits der Mauer aus Grießbrei der Generalschlüssel des synlogistischen Permaflux, mit dem sich der Teufelskreis codierter Projektion und Perzeption zu einem nichtdeterministischen Hyperzyklus transformieren läßt.
Konrad Becker
Wir präsentieren Ihnen bei dieser Ars Electronica unter anderem einige Geschmackstests und ganz nebenbei Ergebnisse der gentechnologischen Veränderung genießbarer Pflanzen, Bakterien und anderer Tiere. Es geht wieder um eine Neuorientierung. Und es geht um Ernährung. Leicht möglich also, daß die folgenden Überlegungen grenztriviale Züge aufweisen.
Eigentlich sind wir über einen Zeitungsartikel auf die Materie aufmerksam geworden. Vom "Durchbruch in der Technologie teilflüssiger Lebensmittel" war da die Rede und von einem Sandwich aus "regalstabilem fermentiertem Fleisch", das mit einem "synergistischen Korrosionsschutz" gesichert worden war, wodurch angeblich die "Lipid-Stabilität" deutlich erhöht werden konnte.
Es sind das immerhin genau jene Eigenschaften, die der Pariser Connaisseur am Braten, wenn er im Restaurant vor sich hin diniert, unter keinen Umständen missen möchte:
GOURMET (aus dem Französischen): Kellner, mir scheint als hätte der Koch den synergistischen Korrosionsschutz vergessen, jedenfalls bemerke ich heute eine geringe Lipidstabilität.
GARÇON: Monsieur, wir setzen mit Verlaub neuerdings statt der bisherigen Molkenproteinkonzentrate, Eialbumin als Bindemittel ein, wodurch die oxydative Ranzidität und das Wasserhaltevermögen besonders wirkungsvoll gefördert werden. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt noch wenig Ahnung vom riesigen Gebiet der Lebensmittelveränderungen und den zahllosen Möglichkeiten, die sich zukünftigen Generationen künstlerisch Begabter auftun.
Gefärbt und geformt wird an Speisen natürlich (und künstlich) immer schon. Wahrscheinlich, weil seit jeher nur wenige Menschen freiwillig ein grüngrau, schleimiges Würstel essen wollen, und weil bestimmte, von Geburt an bleich gewachsene Tomaten, sogenannte Aastomaten, irgendwie verstrahlt, krank und gefährlich wirken.
Das sind natürlich Vorurteile, deren Wurzeln zumindest in jene längst vergessenen Tage zurückreichen, als der Mensch noch freier Löwe in freier Natur war und frische, blutige Ware den halbverwesten Resten der Beute vorzog. Nie war dieser Mensch Aasgeier – oder selten.
Deswegen kann er sich auch mit bestimmten Gerüchen nur schwer abfinden. Und deswegen liebt er das leuchtende Rot in allen Schattierungen eher als die bleichen und krebserregenden Farben. Den Chicorée rot wachsen zu lassen, ist kein ästhetisches und schon gar kein ethisches Problem. Soviel zu den biologischen Ursachen ästhetischer Geschmackspräferenzen.
Phylogentisch und kulturell gewachsene Vorlieben sind wahrscheinlich auch der Grund, warum Naturfromme der festen Überzeugung sind, daß genetische Manipulationen an Formen und Farben hilfloser Gemüse zu weit gehen und daß maximal kleine Unpäßlichkeiten der Schöpfung korrigiert werden dürften. Zum Beispiel, wenn ein Mais vom bösen Colorado-Käfer gefoltert wird, wenn Zuckerrüben von Viren der Wurzelbärtigkeit befallen werden, und also nicht so gedeihen können, wie sie sollen, oder wenn Tomaten hart und rot zugleich werden wollen, aber leider zu früh geerntet werden. Im Interesse der Natur darf nach ursprünglich vorliegenden Bauplänen korrigiert werden. Absichten darüber hinaus sind verwerflich, für Bodenständige ist selbst das zuviel. 40 deutsche Spitzenköche appellieren generell gegen die Marktzulassung von "Gentechnik in Lebensmitteln" und vermuten einen "Angriff auf Würde, Integrität und Tradition der Kochkunst." Selbst Der Spiegel (15/93) warnt vor einem "Gen-Fraß" und malt zur Abschreckung vorsichtshalber eine apokalyptische Vision mit dem Luftpinsel aufs Cover: flache Radieschen, achteckige Paprika, fünfeckige Wurstscheiben mit weißen Einschlüssen.
Überhaupt animiert die Gendiskussion lustige Zeichner zu Horrorszenarien und Doppelkopfmonster, wie sie auch uns damals so gut gelungen waren, als wir in der Unterstufe des Gymnasiums jeden mißlungenen Nikolaus am Pferd kurzerhand umgetauft hatten.
Dabei vegetieren gezüchtete Kreaturen, ohne große Aufregung, seitdem sich der Mensch als Gestalter von Flora und Fauna versteht. Verkrüppelte Hunde, Rinder, Schweine, Gänse. Das Portionshähnchen am Grill, der Broiler ist ein besonderes Monsterbeispiel hormoneller Zuchtkultur. Würde dieses armselige Geschöpf nicht vor seinem vierzigsten Lebenstag geschlachtet, entwickelte es sich dank seiner Schnellwachstumshormone zu einem außerhalb menschlicher Stützung völlig lebensunfähigen Elend. "Wollen wir uns von der Gentechnik den Appetit verderben lassen?", fragt Pierre Pfister, Maître am "Bayrischen Hof", der seinen Gästen, wie beispielsweise dem Papst, gerne Leckereien aus Gänseleber auftischt.
Hersteller von Lebensmitteln, Köche und andere Drappierer wissen trotz expansiver Kreativität um ihre ästhetischen Grenzen. Deshalb und als Einschub gleich die Quizfrage: Soll der Gentechniker, der Künstler biologischen Materials, Veränderungen nur in idealtypischer Richtung, nach Bilderbuch-Vorlagen und Klischees vornehmen, oder darf er gelegentlich auch einmal einen Frankenstein entwickeln, Drachen, müllschluckende Stauden? Ganz abgesehen einmal davon, daß solche Techniken außerhalb jeder realistisch entwickelbaren Methode liegen.
Nur damit kein Irrtum entsteht. Niemand möchte das totale Phantasieland. Niemand möchte den Gemüsemarkt zur Paperbox erweitern mit einem Angebot an hasenförmigen Karotten, gestreiften Zitronen, mit signierten, aber sonst originell einfachen Designer-Zwetschken. Es reicht, daß Künstler putzige Tragtaschen und Uhren zum Schieflachen erfinden. Dennoch, oder gerade deswegen, drei suggestive Zusatzfragen außer Konkurrenz: Muß Bio-Art eine Abteilung der Dekorkunst werden? Sind die sichtbaren Eigenschaften von Nahrungsmitteln überhaupt wichtig? Zeigt nicht die Geschichte der bildenden Kunst als Entwicklung des ästhetischen Geschmacks, daß formale Präferenzen mit unterschiedlichen Halbwertszeiten zerfallen, so wie sie entstanden sind?
Es ist zu erwarten, daß auch mit den Möglichkeiten der Genmanipulation an Nahrungsmitteln geschönt wird. Konsumenten freundlich, verkaufsfördernd, populistisch. Auch ohne genetische Techniken werden Lebensmittel in erster Linie aus diesem Grund verändert. Sie werden gefärbt, im Geschmack verstärkt, aromatisiert, emulgiert, homogenisiert, geschwefelt, geätzt, gewachst, durch Stabilisatoren und Dickungsmittel in der Form gehalten und einiges mehr, von dem der gemeine Verbraucher wenig Ahnung hat.
Das ist die eine Abteilung. in der anderen entwickeln Biochemiker und Geningenieure das Novel food, das gezielte Eigenschaften aufweist, während andere unterdrückt werden. Zum Beispiel soll es groß und stark aber nicht unnötig dick machen – oder krank. Oder nicht dick und nicht krank. Und auch nicht häßlich.
Es wird an Tabakpflanzen mit erhöhtem Nikotingehalt gebastelt, der Zuckergehalt von Kürbissen wird verbessert und in den USA kommen manipulierte Tomaten in den Handel, die im Prinzip aussehen wie Tomaten, rot sind, rund und nicht zu klein, die schmecken wie Tomaten, süß und fruchtig, die ihre Vitamine und Nährstoffe aufweisen, wie es sich gehört und die obendrein all diese Eigenschaften wochenlang bewahren.
Das ist keine Selbstverständlichkeit für eine Tomate. Die Angebote der letzten Jahre waren zwar auch schön, rot und fest und deswegen wurden sie auch leichtfertig Tomaten genannt, geschmacklich entsprachen sie aber eher einem vierten Aggregatszustand von Wasser.
Womit wir bei der Hierarchie der Sinnesinformationen wären. Was verleitet uns ein Objekt als Tomate zu identifizieren, die visuelle oder die geschmackliche Information? Bei Naturprodukten scheint der Geschmack zweitrangig zu sein. Eine Tomate ist vor allem eine Tomate, wenn sie wie eine gute Tomate aussieht, also wenn sie nicht schrundig ist. Wenn der schöne Paradeiser nach nichts schmeckt, ist das nicht wichtig.
Bei Produkten, die von vorneherein den Charakter des Synthetischen aufweisen, ist das anders. Wo keine Archetypen existieren, gibt es keine formalen Tabus. Schokolade ist blau, rot und grün und das finden alle lustig. Sie ist braun und weiß, flüssig, flockig, fest und all das hat noch niemanden zum Brechen gereizt. Wenn Synthies aussehen, wie verpißte Windeln, genau so schmecken und so heißen, werden sie gekauft. Wenn Eier aussehen wie faule Eier, und im Verkauf als solche angeboten werden, werden sie nicht gekauft. Selbst wenn sie eines Tages mittels biologischer Technologie mit allen wichtigen Nährstoffen angereichert wären und köstlich schmeckten.
Ist eine Tomate tatsächlich erst eine Tomate, wenn sie aussieht wie eine? Die Zuteilungen zu Ordnungsgruppen, die Identitäten der Arten und Sorten aufgrund von Bezeichnungen werden in Zukunft nicht einfach sein. Sie war bisher nicht exakt, wird aber durch Gentransformierungen immer schwieriger werden. Beispiel Obst.
Alle wissen was Obst ist. Selbst der heilige Augustinus zu seiner Zeit glaubte zu wissen, was Obst ist, jedenfalls solange er nicht danach gefragt werde. Obst exakt zu definieren, ist aber schwieriger als man meint. Im Lexikon steht: "Früchte von kraut- und holzartigen Gewächsen", aber das ist nicht befriedigend, weil diese Beschreibung natürlich genauso auf die Tomate und auf den Kürbis passen würde und auf andere Gemüsesorten. Umgekehrt wären Aschantinüsse, da sie doch naturgemäß im Boden wachsen, kein Obst. Nüsse werden aber zum Trockenobst gerechnet. Wohin sonst sollten sie gehören?
Spitzfindigkeiten. Die Definition eines Löwen ist weit einfacher. Nicht, weil es da keine Probleme mit Abgrenzungen gäbe, aber die sind eher obskurer Natur. Ist ein Löwe auch ein Löwe, wenn er tot ist, könnte sich ein Philosoph wie Robin G. Collingwood bei Gelegenheit, zum Beispiel beim Betrachten des Films "Leila die Löwin" fragen, in dem die Löwin Leila stirbt. Ist die Löwin gleich nach dem Zudrücken der Augen jene Asche, die sie metaphorisch auch schon zu Lebzeiten war?
Und wenn die Löwin lebte aber keine Beine hätte? Und kein Fell oder nur ein rosarotes? Gehört ein rosaroter Löwe ohne Knochen zur Familie der Löwen?
Eine Ente ist eine Ente, wenn sie watschelt, schnattert und aussieht wie eine solche. Dieser Spruch aus der McCarthy-Ära, der in den Fünzigern verbreitet wurde, um jeden irgendwie liberalen Amerikaner als sowjetischen Spion zu entlarven, hat einiges für sich – was das Watscheln betrifft. Und doch wieder nicht.
Gibt es nicht Enten, die weder watscheln noch schnattern? Und gibt es nicht umgekehrt schnatternde Republikaner, die watscheln und aussehen wie Enten?
Durch Genetik und Molekularbiologie ist der Zoologe heute nicht mehr allein auf phänotypische Vergleiche angewiesen, wenn er Verwandtschaftsbeziehungen zwischen Arten und Unterarten von Lebewesen untersucht. Ein Vergleich der Genome gibt ihm Auskunft darüber, ob die Ähnlichkeit in der Erscheinung zweier Organismen zufällig ist oder auf Abstammung von einem gemeinsamen Vorfahren beruht.
Wie aber, wenn ein für die Zuordnung ganz klein klitzewichtiges Gen fehlte? Oder wenn umgekehrt gleich zahlreiche Gene verändert wären, ohne daß deswegen äußerlich auch nur ein Löwenhaar schwarz geworden wäre, das vorher weiß war?
Nicht, daß das folgende Zitat Collingwoods zu diesem The ma langweilig, schwer verständlich oder sonst wie passend wäre. Es ist bloß so, daß ein seriöser Katalogbeitrag im Normalfall mindestens ein Zitat von zwei Philosophen oder zwei Zitate von einem aufweisen sollte: "Die Definition jeder gegebenen Art von Dingen", schreibt Collingwood, "ist zugleich die Definition eines guten Dinges von dieser Art: denn ein Ding, das gut in seiner Art ist, ist lediglich ein Ding, das die Attribute jener Art aufweist."
Die Merkmale, aufgrund derer irgendein Objekt als Ente oder Löwe bezeichnet wird, sind nach Collingwood demnach dieselben Merkmale, aufgrund derer, je nachdem, ob sie in größerem oder geringerem Maß vorhanden sind, ein Löwe eher als Löwe zu beurteilen ist, als ein anderer. Und was ist dann der andere?
Genug davon. Zurück zum Gemüse. Was zu Beginn als triviale Botschaft angekündigt wurde, lautet: Waren am Gemüsemarkt sollten, wie das schwarze Quadrat im Kunstmuseum nicht allein nach ihrem Aussehen beurteilt werden. Kleine Zusatzinformationen können die Einstellung des Konsumenten in beiden Fällen schlagartig verändern.
Selbst Konsumenten, die feiner differenzieren und wissen, daß nicht alles schmeckt was glänzt und daß nicht alles ungefährlich ist, was schmeckt, selbst Konsumenten, die lieber Bioschrumpf und Abgetackeltes kaufen und verzehren und damit scheinbar Qualität, unterliegen Täuschungen. Nicht nur, weil der Markt mit unterschiedlich raffinierten Strategien längst auf diese neuen, oberflächlichen Kriterien für Qualität eingeht und dementsprechend neben den reifen Makellosen, die nach nichts schmecken auch kleine Verrunzelte anbietet, die ebenfalls nach nichts schmecken, sondern vor allem, weil viele Formen der Kosmetik eingesetzt werden.
Lebensmittel wirken länger frisch, wenn sie mit Gammastrahlen ionisiert werden. Käufer die nach visuellen Informationen suchen, um ihre Wahl zu treffen und eigentlich frische, also vitaminreiche Nahrung meinen, wenn sie die glatte und glänzende Oberfläche wählen, betrachten als gesund und vollwertig, was in Wahrheit alt und von geringem Nährwert ist. "Seinen Augen nicht mehr zu traun", sagt selbst Paul Virilio, "ist zur Überlebensnotwendigkeit geworden." (Krieg und Fernsehen. Hanser. München 1993). Aber kann man den anderen Sinnen mehr trauen?
Wir haben uns eine kleine Testpackung aus einem militärischen Überlebenspaket schicken lassen. Natürlich war nicht anzunehmen, daß es sich dabei um den neuesten Entwicklungsstand handeln würde. Wer gibt schon Geheimnisse freiwillig aus der Hand? Eines wurde dennoch klar: Was unsere Sinne an Informationen übermitteln, kann nicht mit dem übereinstimmen, was sich in so einer Packung befindet.
Was wir erhielten, sah bestenfalls zweideutig aus. Auf der Packung stand zwar Eintopf mit Huhn, was dann aber aus dem schlammgrünen Sackerl hervorquoll, kann selbst einem ausgehungerten Rambo nur als Irrtum, als falsch beschriftetes Baumaterial oder Düngemittel erschienen sein.
Wenn eine braune, teilflüssige Masse unwillkürlich Ekelassoziationen auslöst, liegt das entweder an persönlichen oder an kollektiven Erinnerungen. Die Masse kann deswegen dennoch, vom Aussehen unabhängig, besonders hohe Nährwerte aufweisen. Wichtig ist jedenfalls, was ist und weniger, wer es ißt.
Natürlich hat das Aussehen der Nahrung, wie wir seit Pawlow wissen, genau wie ihr Geruch, auf den Vorgang des Einspeichelns und somit auf die Verdauung einen nicht zu unterschätzenden Einfluß. Komplettersatznahrung, wie sie Astronauten und anderen Magenkranken als Diät verschrieben wird, sieht nicht aus und riecht nicht. Das konditionierte Einschleimen hält sich demnach in Grenzen, was manchmal auch ein Vorteil sein kann und was im Falle der löslichen Weltraumnahrung vor allem gar nicht nötig ist.
Im Fall der Überlebensnahrung allerdings roch der getestete Schleim entweder nach der jeweiligen Umgebung, wenn sich zum Beispiel in der Nähe eine Latrine befand, oder er roch nach Latrine, wenn Marillenblüten nicht weit waren, was uns zumindest im ersten Fall als geeignetes Lehrbeispiel für Synästhesie erschien.
Ausschlaggebender als Aussehen und Geruch zusammen sollte vor jeder endgültigen Nahrungsaufnahme die Bewertung durch den wirklich kompetenten Sinn sein. Der Nährwert einer Substanz mag gelegentlich – aufgrund der Diffusionen und der Lichtreflexionen – schon aus der Entfernung erkannt werden, ein unmittelbarer chemischer Kontakt ist dennoch verläßlicher. Außerdem enthält die Wechselwirkung aus Optik, Geruchs- und Geschmackskontakt gelegentlich andere Informationen über die Art einer Speise als Geruch und Gestalt allein. Der unmittelbare Kontakt mit einem Objekt ist zweifellos der sicherste Test, die Eigenschaften dieses Objekts kennenzulernen.
Der Inhalt der Packung schmeckte, wie er roch, wie er aussah. Trotzdem ist äußerste Vorsicht geboten. Denken wir an die Enten. Nur weil eine Soße schmeckt und riecht wie sie aussieht, muß sie nicht wirklich schlecht sein. Es kommt hier, wie im Leben immer, auf die inneren Werte an.
Diese Einsicht ist uns durch eine Beobachtung an einem Hund bewußt geworden, der uns bei der Entsorgung des Lunchpaketes unterstützte. Der Hund zog den lipidgetesteten Kot allen Leckerbissen vor, die er aus der Werbung kannte. An dieser Relativierung des Geschmacks änderte dann auch die Tatsache nichts, daß der selbe Hund gelegentlich leere Pizzaschachteln frißt.
Wichtig ist: Die zusammengestellte Armee-Packung für den Ernstfall ist ein Triumph der Lebensmitteltechnologie. Sie entspricht allen Richtlinien gesunder Ernährung und ist logistisch ausgeklügelt, was Hygiene und Langlebigkeitsvorschriften betrifft. Sie ist psychologisch sogar den in den Spitälern verabreichten Elementar- und Komplettnahrungen um eine Gaumenlänge voraus, da sie nicht rein chemisch definiert ist, sondern über die Geruchs- oder Farbpalette eine psychologische Komponente aufweist. Aber vielleicht ist sie gerade aus diesem Grund der enteralen Weltraumnahrung schwer unterlegen.
Wir kommen zu einem ersten Schluß. Essen bedeutet "Stoffzufuhr in Auswahl" schreibt James J. Gibson ("Die Sinne und der Prozeß der Wahrnehmung." Huber 1973) Und für jede Art von Lebewesen gibt es Substanzen, die seiner Ernährung zuträglich sind, aber auch andere, die keinen Nährwert besitzen. Die ersteren müssen dann eben aus dem jeweiligen Angebot biochemischer Substanzen ausgewählt werden." Die Frage ist bloß –: wie?
Manche Dinge schmecken gut, manche riechen nicht schlecht, manche sehen lecker aus. Wesen mit Überlebensdrang werden dennoch mit diesen altgedienten, instinktiven Wahrnehmungsmodalitäten vorsichtiger umgehen und sie trotz aller Einspeichelungstheorien rationalen Richtlinien unterordnen müssen. Zumindest bei der Wahl der Lebensmittel zeichnet sich völlig überraschend ein Punktesieg der reinen Vernunft über die sinnenbetonte Gefühlswahl ab.
Immer weniger kommt es auf die primären Informationen an, die den Wahrnehmungsorganen zur Verfügung stehen. Nährstofftabellen und chemische Analysen dienen in Zukunft als Grundlagen der Klassifizierung des Mittagstisches. Sie schützen besser als saftig wirkende aber mit Schwermetallen angereicherte Täuschungen. Im Zweifelsfall und wenn man vor der Wahl steht, müßte selbst eine Leinentapete, vorausgesetzt sie besteht ihre analytische Durchleuchtung auf Protein- und Vitaminanteile mit Auszeichnung, der ungeprüften Spargelspitze vorgezogen werden.
KELLNER: Monsieur, wir haben heute eine herzhaft angereicherte Tapete. Sie hat einen Proteinanteil von 63% – übrigens besonders reich an Lysin – und nur 15% Fett, und Vitamine …
GOURMET: Hoffentlich alles ohne Bindegewebe.
KELLNER: Es ist leider eine Leinentapete. Fiktion zugegeben. Es ist mit der Fiktion wie mit der Gänsehaut. Sie kommt bei Frost, Lust, Angst und Frust. Und niemand weiß so recht etwas anzufangen mit ihr. Also besser keine Fiktionen mehr. Oder vielleicht die eine noch:
Wenn Steaks aus Fleischflocken rekombiniert werden, können aus denselben Flocken auch Tapeten oder Fliegenlarven geformt werden. Das ist nur eine Frage der skulpturalen Qualitäten. Bescheidene Hausfliegenlarven haben übrigens den selben Proteinanteil wie die genannten Tapeten. Und somit könnten umgekehrt auch Tapeten oder T-bone-Steaks aus Fliegenlarven produziert werden. Diese Larven werden von vielen Kulturen zubereitet und nur unsere westlich konditionierten Schranken visueller Vorurteile verhindern, daß wir Tapete und Fliege genießen, wie wir kranke Schweine genießen.
Was dem Körper nützt und was ihm schadet, kann er mit den evolutiv dafür entwickelten Sinnen nicht mehr erfassen. Das scheint mittlerweile eine Allerweltsweisheit aus dem Bereich der "Bubba-psychologie" zu sein, jener mühsam aufgeplusterten und wissenschaftlich teuer unterstützten Ergebnisse, die lebenserfahrene Großmütter mit links und ganz umsonst verbreiten könnten.
Dennoch, und das fragen sich auch die Großmütter, was ist eigentlich Sache? Sollen wir uns nur noch nach den Sekundärinformationen orientieren? Sollen wir Bücher studieren und jedesmal C14-Tests am Gemüsemarkt durchführen, ehe wir den Einkaufskorb füllen? Sollen wir in den Apfel beißen, ehe wir uns an seiner gewachsten roten Farbe zu früh freuen und zu Hause bitter enttäuscht werden? Und sagt uns das Apfelbeißen mehr als das Apfelbetrachten?
Was ist wichtig für eine richtige Auswahl? Worauf muß das Augen- und Nasenmerk gerichtet werden? Uns quält die Frage, wie denn in naher Zukunft, wenn die Nahrungsmittel nicht einmal mehr genetisch das sein werden, was sie zu sein vorgeben, vom Aussehen und den Gerüchen ganz zu schweigen, wie denn die Sinne noch sinnvoll eingesetzt werden können, für eine ungefährliche Identifikation von Liptauer.
Auch die Bezeichnungen der Speisen sind hohl. Im Restaurant bestellt der Gast die Katze im Saft, wenn er auf Namen vertraut. Was den notieren schon Namen? Was verbirgt sich hinter dem "Faschierten Braten"? Was verbirgt sich hinter Bezeichnungen wie Taubensuppe, Laborgulyasch oder Cold Dog?
Der Gast bestellt nach Erwartungen aufgrund angeführter Speisenamen und der Empfehlungen des Kellners. Er betrachtet die servierten Gerichte, riecht, kostet. Und dennoch erfährt er selten, was er wirklich ist. Welche Nährstoffe und Gifte er bestellt hat.
Dummerweise sind auch Sekundärinformationen gefährdet, nicht das mitzuteilen, was von Vorteil und lebensrettender Wichtigkeit für den Konsumenten wäre. Der Kellner im Restaurant, der darauf aufmerksam macht, daß die gebackenen Mäuse in Wahrheit eine böhmische Mehlspeisspezialität aus Germteig sind, kann zur Not auch noch die chemischen Zusammensetzungen des Germteiges mitteilen. Sie würden den meisten Gästen aber wenig sagen. Zusatzinformationen dienen manchmal eher der Verwirrung als der Aufklärung. Zumindest, solange oberflächliche, formale Reize eine Vormachtstellung in der Hierarchie der Sinnesinformationen genießen.
Erst durch eine völlig unbewertete und beliebige Verwendung von optischen Formen und Farben, von Gerüchen und Geschmacksverstärkern wird dem Konsumenten die geringe Relevanz dieser oberflächlichen Ästhetisierungen bewußt und er lernt auf dahinterliegende Informationen zu achten.
Es wird Zeit, daß die Erfahrungen der bildenden Kunst – vor allem in diesem Jahrhundert – die systematische Dekonstruktion aller formalen Werte, daß diese Erfahrungen angewendet werden.
Wir präsentieren Ihnen bei dieser Ars Electronica unter anderem einige Geschmackstests und ganz nebenbei Ergebnisse der gentechnologischen Veränderung genießbarer Pflanzen, Bakterien und anderer Tiere. Ästhetisieren lassen sich, auch das hat uns die Kunstgeschichte gelehrt, genetisch variierte Nutzpflanzen, Bakterien und andere Tiere, über eine Auratisierung – mit Rahmen und Bewachung, durch Verehrung und Diskursion.
Forschungsergebnisse werden auf diese Weise zu Ikonen der neuen Gestaltungsmöglichkeiten. Die erste gentechnisch veränderte Ölpflanze ist wie das erste perspektivisch gemalte Bild – sehenswert. Mehr nicht.
Wolfgang Zinggl
Das Projekt wurde ermöglicht durch die großzügige Unterstützung der Fa. THYSSEN Gerüstbau, Traun, sowie durch die freundliche Unterstützung der Fa. Delikomat, Wien, und der Fa. Ing. Markovits, Wien.
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