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Ars Electronica 1993
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Virtuelle Emotionen


'Stefan Schemat Stefan Schemat

ZWEI MPCS
Szenarien der virtuellen Realität beschränken sich aus physiologischer Sicht auf das Feedback der Willkürmotorik, die mit Datenhandschuhen oder –anzügen gemessen wird. Damit wird jedoch nur ein Ausschnitt menschlichen Verhaltens und Erlebens dargestellt. Dieses Projekt intendiert, physiologische Parameter für Emotionen in eine virtuelle Welt zu exportieren. Als Repräsentation (1) für Emotionen werden Visualisierungen von Biosignalen wie dem Atemrhythmus verwendet.

Durch die Beschäftigung mit dem Thema virtuelle Emotionen, wird man mit ungewöhnlichen Perspektiven auf Kornmunikations– und Kognitionswissenschaften konfrontiert. Zudem ergeben sich Bezüge zu psychotherapeutischen Techniken der Tranceinduktion.
VIRTUELLE REALITÄT OHNE EMOTIONEN?
Virtuelle Realitäten (VR) haben wegen der Verwandlungsmöglichkeiten ihrer Akteure einen hohen Anreiz. Mit zukünftiger Technologie sind Szenarien der Verwandlung denkbar, in denen die Datenreisenden ein beliebiges Aussehen annehmen können, um eine von ihnen erdachte Rolle zu spielen. Doch vergleicht man die Komplexität der VR mit unserer Alltagsumwelt, so werden große Mängel deutlich. Durch die erwähnte Einschränkung der VR auf die Willkürmotorik ist nur ein extrem begrenztes Verhalten möglich. Dieser Mangel wird besonders sichtbar, wenn man an die Kommunikationsmöglichkeiten innerhalb der VR denkt. Zwischenmenschliche Kommunikation bezieht neben rein sprachlicher Information auch nonverbale Signale wie Körperhaltung, Tonfall und Psychophysiologie mit ein. Mit Hilfe dieser Signale erkennen wir die Ironie in einem Scherz oder die Intention einer Aussage.

Angesichts dieser Vielfalt wird die Selektion durch das Interface zur VR um so deutlicher, denn was alltägliche Kommunikation wirklich spannend macht, fehlt. Gemeint sind da mit die Korrelate unserer Gefühlswelt, die u.a. in der nonverbale Kommunikation sichtbar werden. Nonverbale Kommunikation geschieht im Alltag meist ohne bewußte Reflexion. So erkennt man schon an feinen Veränderungen der Muskulatur den Anflug eines Lächelns, und man erkennt, wenn jemand aufgeregt ist oder gerade erst aufgewacht ist. All diese Informationen bilden den Kontext, in dem wir gesprochene Sprache verstehen. Wie können emotionale Reaktionen in die virtuelle Realität umgesetzt werden? Eine Möglichkeit wäre es, dem Abbild des Protagonisten je nach gewünschter oder tatsächlicher Stimmung einen bestimmten Gesichtsausdruck zu geben. Diese direkte Umsetzung ist allerdings technisch noch relativ aufwendig. Eine Alternative ist es, Gefühle symbolisch zu übermitteln. Eine aggressive Stimmung kann z.B. durch einen bestimmten Rhythmus und/oder durch eine bestimmte Farbkombination verdeutlicht werden. Wichtig ist nur, daß das verwendete Symbol intuitiv zugänglich und dazu geeignet ist, die Aufmerksamkeit des Interaktionspartners zu fesseln. Mit Hilfe der aus der Telekommunikation bekannten Smilies können zwar auch Aussagen über emotionale Konnotationen getroffen werden, sie haben aber nicht die Komplexität nonverbaler Kommunikation.

Zur Lösung dieser Aufgabe haben wir die in der Psychologie gängige Biofeedback–Technologie erweitert. Beim Biofeedback werden dem Patienten seine Biosignale (Atem, Gehirnwellen, Puls, Hautleitfähigkeit etc.) zurückgemeldet, damit er lernen kann, sie selbst zu beeinflussen. So kann beispielsweise versucht werden, über eine Veränderung der Hautleitfähigkeit Entspannungszustände zu erlernen. Die Rückmeldungen solcher Geräte sind jedoch in der Regel recht simpel. Ein grünes Lämpchen leuchtet z.B. auf, wenn die Hautleitfähigkeit abnimmt, ein rotes, wenn sie zunimmt.
BIOFEEDBACK ALS "REIZVOLLE" REPRÄSENTATION
Unser Ziel war, eine Art externe Repräsentation von mentalen und physiologischen Zuständen zu schaffen, die komplexer ist und somit zumindest in einem Aspekt mit nonverbaler Kommunikation vergleichbar ist. Durch längere Versuchsreihen wurden für dieses Projekt Repräsentationen entwickelt, die die Aufmerksamkeit der Protagonisten fesseln können. Als besonders geeignet erwiesen sich für diesen Zweck tunnelartige Fraktale mit feinen Farbabstufungen.

Die ersten Versuche mit dieser Technologie zeigten verblüffend starke Effekte. Das alleinige Feedback des Atmens durch "animierte" Fraktale wirkte so stark, daß es bei den meisten Probanden schon nach kurzer Zeit zu entspannten oder hypnoiden Bewußtseinszuständen führte. Der für uns überraschende Effekt war, daß es sogar bei der alleinigen Darbietung vor einem größeren Publikum (es handelte sich um Hypnotherapeuten!) zu deutlichen Anzeichen von Gruppentrance kam.

Durch diese Erfolge beflügelt, wurde versucht, die Bedeutung von derartiger Technologie für virtuelle Welten theoretisch zu klären. Dabei stellten sich sehr interessante, auf den ersten Blick provozierende Bezüge her. Forschungstraditionen, die in der Psychologie weitgehend isoliert voneinander sind, kamen ins Spiel: Steuerungsmechanismen des Atemzentrums im Gehirn, die kognitive Psychologie der mentalen Repräsentationen, Modelle des menschlichen Bewußtseins und des Gehirns
TRANCEFORSCHUNG: PHANTASTISCHE ERKLÄRUNGEN FÜR PHANTASTISCHE PHÄNOMENE?
Bei der Erforschung von Trancephänomenen wird man mit stark wechselhaften Forschungsstrategien konfrontiert. Zunächst sind da die spektakulären Dinge, die unter Hypnose möglich sein sollen. Doch bei genauer Analyse und sorgfältigen Experimenten schrumpft die Anzahl der Phänomene, die sich allein durch Trance erklären lassen, deutlich. Das eine oder andere in der Literatur vorkommende Phänomen widerspricht nicht nur naturwissenschaftlichen Prinzipien (was vielleicht noch nicht so ungewöhnlich ist), sondern läßt sich empirisch auch nicht belegen. Oder es findet sich bei genauer Analyse auch eine einfachere Erklärung. Ein Beispiel hierfür ist die unter Hypnose herbeigeführte Erinnerung an ein früheres Leben. Wer möchte nicht über die Fähigkeit verfügen, sich an frühere Leben zu erinnern? Auf welche Fülle verborgener Schätze könnten wir zurückgreifen? Doch diese Erinnerungen an das frühere Leben lassen sich zumeist durch verdeckte Suggestionen des Versuchsleiters und der Erwartungshaltung seiner Probanden erklären. Andere Phänomene, wie z.B. die "kataleptische Brücke", d.h. die Fähigkeit, sich unter Hypnose auf eine sehr unbequeme Weise auf zwei Stühle zu legen (s. Abbildung), ließen sich auch ohne hypnotische Induktion bei den meisten Probanden erreichen –– allein die Anweisung, sich steif zu machen, reichte aus. Es handelt sich hier also eher um ein sozial bedingtes Phänomen.

Der aus dieser Perspektive augenscheinliche Fehler, den viele Trance–Forscher in der Vergangenheit gemacht haben, ist die Suche nach einer phantastischen Erklärung für ein phantastisches Ereignis.

Erschwerend ist bei der Diskussion des Trancebegriffs die Vielfalt der beschriebenen Phänomene –– sie reichen von tiefer Entspannung bis hin zum Entrücktsein. Ohne den Begriff weiter zu strapazieren, läßt sich sagen, daß bestimmte Muster und Inhalte zwischenmenschlicher Kommunikation in entscheidender Weise zu gravierenden Stimmungsveränderungen und sogar zu Änderungen des Bewußtseinszustandes führen können. (Revenstorf: simulated annealing)
TRANCE UND KOMMUNIKATION
Milton Erickson hat derartige hypnotische Kommunikationsmuster konzeptionalisiert, um sie gezielt in der Psychotherapie einzusetzen. Er und seine Nachfolger formulierten hierzu das Pacing– und Leading–Paradigma. Im Kontext der Psychotherapie bezeichnete er das oben beschriebene Kommunikationsmuster als Pacing –– der Therapeut "spiegelt" das verbale und/oder nonverbale Verhalten des Klienten und signalisiert ihm damit Akzeptanz. Auf diese Pacing–Phase folgt eine Leading–Phase, in der kognitive Schemata des Klienten beeinflußt werden können.

Dieses Kommunikationsmuster soll anhand einer Anekdote von Bandler und Grinder, zwei Psychotherapeuten, die den Ericksonschen Ansatz weiterentwickelt haben, erläutert werden:
Bei einer psychischen Störung, die im Verlaufe einer schweren Depression oder auch bei der Schizophrenie auftritt, kann es zu völliger Erstarrung der Betroffenen kommen (Stupor). Menschen, die sich in einem solchen Zustand befinden, sind nicht mehr ansprechbar. Sie bewegen sich kaum noch oder verharren fest in einer bestimmten Haltung und haben jede offensichtliche Kommunikation mit ihrer Umwelt abgebrochen. Bandler und Grinder ist es gelungen, trotzdem eine Beziehung zu einem solchen Klienten aufzubauen, indem sie einen nonverbalen Kommunikationskanal verwendeten: den Atemrhythmus. Die Therapie bestand in den ersten Tagen lediglich darin, daß der Therapeut den Raum, in dem sich der Klient befand, betrat und versuchte, in dessen Rhythmus zu atmen. Nach ein paar Tagen konnte der Therapeut, indem er seinen Atemrhythmus veränderte, auch die Atmung des Klienten beeinflussen. Als sich der Therapeut der Kommunikation über diesen Kanal versichert hatte, nahm er eine Zigarette heraus und bat den Klienten um Feuer. Dieser antwortete spontan, daß er leider gerade kein Feuerzeug dabei hätte, aber auch gerne eine Zigarette rauchen möchte. Obwohl diese Geschichte den Eindruck einer nicht ganz glaubwürdigen Wunderheilung erweckt, liegt ihr doch nur das relativ simple Kommunikationsmuster von Pacing und Leading zugrunde. Durch die Spiegelung des Atemrhythmus wurde eine Beziehung aufgebaut –– Pacing. Dann konnte der Therapeut leitend eingreifen und so die Isolation des Klienten durchbrechen. In diesem Zusammenhang wird erkennbar, daß nonverbale Kommunikation mehr ist als Begleitmusik zur verbalen Verständigung.

Im Konzept Ericksons geht das Pacing über ein einfaches Aufeinander–Einstimmen hinaus. Durch angemessene und umfassende Spiegelung des verbalen und nonverbalen Verhaltens des Klienten wird nicht nur eine Beziehung aufgebaut, sondern kann zudem ein hypnotischer Zustand induziert werden. Dies wird noch durch weitere Entspannungssuggestionen in der Leading–Phase intensiviert.

Diese Pacing–Phänomene sind nicht nur auf zwischenmenschliche Kommunikation beschränkt, sondern lassen sich auch bei maschinenvermittelter Interaktion, wie beim hier beschriebenen Atembiofeedback, beobachten.

Tranceprozesse lassen sich auch auf der physiologischen Ebene nachweisen –Éva Bányai und ihre Mitarbeiter an der Universität von Budapest fanden, daß bei erfolgreicher hypnotischer Induktion ein wechselseitiges Aufeinander–Einstellen (tuning in) stattfindet. Dieses Einstimmen bezieht sich nicht nur auf das offensichtliche Verhalten, sondern findet auch auf psychophysiologischer Ebene statt. Gehirnwellen und Atemrhythmen sind bei einer erfolgreichen Tranceinduktion ebenso koordiniert.

Eine weitere Frage, warum gerade durch die Rückmeldung der Atemrhythmik derartig starke Effekte erzielbar sind, beantwortet die Forschung von Richter (1986). Das Atemzentrum im Hirnstamm gehört zu den vitalen Regelzentren und steht zudem mit dem Herz-Kreislauf-System in Verbindung. Außerdem bestehen über die Formatio Reticularis weitreichende Beziehungen zu anderen Gehirnarealen.
DIE MACHT DER WELT DES SPIEGELS
Eine weitere Facette des Trancephänomens sind die damit verbundenen Zusammenhänge zur mentalen Repräsentation. Die Wirkung einer auf Betty Erickson zurückgehenden Selbsthypnosetechnik (s. Wippich, 1985, S. 242) ist ein Beleg für die Bedeutung mentaler Repräsentationen. Durch diese Übung werden hypnoide Zustände allein durch stärkeren Bezug auf die Umwelt bzw. "bewußte" mentale Repräsentation induziert.

Man sucht sich einen ruhigen Ort und beginnt die Übung mit der Autosuggestion, nach fünf Minuten wieder erfrischt aufzuwachen. Der Ablauf der Übung ist denkbar einfach: Man trifft Aussagen über visuelle, akustische und kinästhetische Wahrnehmungen, die momentan zutreffen. Zunächst bildet man drei visuelle Sätze, dann drei auditive und schließlich drei kinästhetische. Diese Sätze kann man sich dann laut oder leise (d.h. rein mental) vorsagen. Der Ablauf könnte folgendermaßen aussehen. Man beginnt zunächst visuell: "Ich sehe den roten Teppich … ich sehe die Schatten von dem Baum an der Wand … ich sehe die Blumenvase vor mir auf dem Tisch …"; geht zum Auditiven über: "Ich höre ein vorbeifahrendes Auto … ich höre das Summen des Kühlschranks … ich höre die Geräusche auf der Straße …"; zum Schluß verbalisiert man seine kinästhetischen Wahrnehmungen: "Ich spüre die Lehne des Stuhls an meinem Rücken … ich spüre die Atemzüge … ich fühle die Kleidung auf meiner Haut." Im nächsten Durchgang trifft man nur noch jeweils zwei Aussagen und im letzten Durchgang nur noch eine. Sollte sich schon vorher eine tiefe Trance einstellen, kann man die Augen schließen und die Verbalisierung beenden. Oft kommt es schon bei der ersten Übung zu einem deutlich spürbaren veränderten Bewußtsein und einer tiefen Entspannung. Die Wirkung wird durch weitere Übungen verstärkt.
WAS BEDEUTET REPRÄSENTATION FÜR UNSER GEHIRN?
Man nimmt an, daß unseren Sinnessystemen im Gehirn Simulationssysteme zugeordnet sind, die z.B. Probehandlungen ermöglichen. Für unser visuelles System wird von einigen Forschern eine Art interner Monitor vorgeschlagen, auf dem wir bildliche Vorstellungen erzeugen können. Ähnliches wird auch über das auditive System angenommen, eine Art innerer Lautsprecher, auf dem wir z.B. Melodien spielen können (vgl. Kosslyn und Koenig, 1992). Nimmt man zu diesen Repräsentationssystemen noch unser Arbeitsgedächtnis hinzu und geht von einer Verknüpfung dieser Systeme im Gehirn aus, so bietet sich eine attraktive Erklärung für das Rätsel des Bewußtseins an. Das Bewußtsein ist der Prozeß, der emergiert, wenn diese Systeme interagieren, wodurch eine neue Komplexitätsstufe erreicht wird (vgl. Crick und Koch, 1992; Gadenne und Oswald, 1991). Die Bedeutung des Prinzips der Emergenz wurde schon in der Gestaltpsychologie erkannt und läßt sich anhand dieser Grafik verdeutlichen: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Man sieht nicht Anzahl von Punkten, sondern einen Kreis.

Das oben Gesagte gilt natürlich auch für die auf einer tieferen Komplexitätsstufe liegenden mentalen Repräsentationen. Sie sind im Gehirn nicht als Symbole kodiert, sondern als emergente Eigenschaften von neuronalen Netzwerkstrukturen (vgl. Levelt, 1991).
RESÜMEE
Betrachtet man die oben dargelegten, für virtuelle Emotionen relevanten Aspekte, so ergibt sich kein konsistentes Bild. Dies liegt sicherlich auch daran, daß in der KI Informationsverarbeitung mit logischem Schlußfolgern gleichgesetzt wurde. Die Begriffe Emotion und Intuition werden erst in letzter Zeit, im Zuge der Entwicklung neuer Methodik, mit Informationsverarbeitung in Beziehung gebracht. In diesem frühen Forschungsstadium erscheint es sinnvoll, die Phänomene überhaupt erfahrbar zu machen, um zu weiteren Fragestellungen und Forschungen anzuregen. Der Anspruch auf traditionell wissenschaftliches Vorgehen ist noch verfrüht.

Die vorgestellte Installation versteht sich als ein Spiel mit den Konzepten: virtuelle Emotion, Emergenz, Trance und nonverbale Kommunikation.
BESCHREIBUNG DER INSTALLATION
Die Installation besteht aus zwei Kabinen, in denen die aktiven Teilnehmer mit dem Rücken zum Publikum sitzen. Sinn dieser Konstruktion ist, daß die Protagonisten für die Betrachter nicht frontal sichtbar sind und sich relativ unbeobachtet fühlen können. Die Kabinen sind nebeneinander angeordnet, so daß sie vom Betrachter gemeinsam im Blick behalten werden können.

In jeder Kabine befindet sich ein Multimedia–PC, dessen Monitor so angebracht ist, daß er sowohl für den Teilnehmer selbst als auch für die Betrachter sichtbar ist. Ein weiterer Bestandteil sind Vorrichtungen zur Erfassung des Atemrhythmus. Damit werden die Biosignale der Teilnehmer gemessen und in ein intuitiv verständliches, komplexes Muster von Form, Farbe und Rhythmus umgesetzt. Als Repräsentationsmuster wurden wie bereits erwähnt animierte Fraktallandschaften gewählt.

Während bei einer normalen Feedback–Anwendung der Teilnehmer Rückmeldungen über seine eigenen Körpersignale erhält, sind die Feedbackkanäle der beiden Teilnehmer dieser Installation über Kreuz verschaltet. So wird jeder von ihnen auf dem Bildschirm mit den Biosignalen des anderen konfrontiert. Ob sie Kenntnis von diesem Zusammenhang haben, hängt davon ab, ob sie das entsprechende Informationsangebot zu Beginn des Experiments wahrgenommen haben oder nicht.

Der Betrachter der Installation und die Teilnehmer können auf diese Weise jeweils andere Ausschnitte derselben Realität erleben. Die Teilnehmer sind mit dem aufmerksamkeitsabsorbierenden Feedback konfrontiert und haben zwei Reaktionsmöglichkeiten: Entweder koordinieren sie sich mit den fremden" Biosignalen, und es findet ein Aufeinandereinschwingen statt (Akzeptanz), oder sie wehren sie ab (Reaktanz). Welche der beiden Reaktionen gewählt wird, hängt im wesentlichen von vier Faktoren ab: Zum einen von der generellen Bereitschaft, sich auf die Installation einzulassen, zum anderen von der Akzeptanz der Farb– und Formensprache des Feedbackmusters beim jeweiligen Teilnehmer. Eine weitere Einflußgröße besteht in der Distanz bzw. Nähe der psychophysiologischen Anfangszustände beider Teilnehmer. Befindet sich ein Teilnehmer in Ruhe, während der andere aktiviert ist, ist die anfängliche Übereinstimmung geringer. Eine vierte Einflußgröße für das Verhalten der Teilnehmer ist die Zeit. je länger sie mit den Repräsentationsmustern konfrontiert werden, desto stärker läßt sich in der Regel Akzeptanz und Koordination beobachten.

Der Betrachter, der das System von außen beobachtet, nimmt das Aufeinandereinschwingen oder die Differenzierung der Psychophysiologie beider Teilnehmer wahr und kann so die wechselseitige, computervermittelte nonverbale Interaktion/Koordination verfolgen. Er hat dabei die Möglichkeit, sich selbst auf das fremde Feedback einzustimmen, und so Teilnehmer des Systems im weiteren Sinne zu werden. Er kann das Emergieren neuer Systemeigenschaften beobachten. Die beiden Teilnehmer erleben bewußt ihren "Trancezustand" – ob sie ebenfalls bewußt die Emergenz wahrnehmen, hängt wesentlich davon ab, ob sie vom Informationsangebot über die Feedback–Verschaltung Gebrauch gemacht haben.
AUSBLICK: KOMMUNIKATION UND ARTIFICAL LIVE
Nach von Neumann können Systeme nur an Komplexität zunehmen, wenn sie ihrerseits mit einer noch komplexeren Umwelt interagieren. Die Frage der Kommunikation ist mit der des Lernens eng verknüpft und stellt eine Schlüsselfrage für die Schaffung von künstlichem Leben dar. Zukünftige Forschung wird zeigen, ob die hier diskutierten Formen der Kommunikation und Informationsverarbeitung auch für künstliche Lebewesen relevant sind.

(1)
In dieser Arbeit wird der Begriff der Repräsentation sehr weit gefaßt. Er wird im Sinne einer Relation zwischen dem, was repräsentiert werden soll, und der eigentlichen Repräsentation gebraucht. Diese Relation kann sehr unterschiedlich sein. Bei der Visualisierung des Atemrhythmus besteht eine Relation zwischen der Atemfrequenz und der Animationsgeschwindigkeit. Zudem wird das Zusammenziehen und Ausdehnen der Lunge bei der Atmung durch scheinbares Zusammenziehen und Ausdehnen der Grafik dargestellt (symbolisiert). Eine weitere Repräsentationsaufgabe kann über eine Zuordnung von Frequenzbereichen zu Farben erfolgen. Eine Einfärbung der Grafik ins Rötliche kann eine hohe Atemfrequenz bedeuten, eine Einfärbung ins Blaue steht für eine niedrige Frequenz. Repräsentationen können nach der Güte der Abbildung beurteilt werden. zurück

BIBLIOGRAPHIE

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