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Ars Electronica 1993
Festival-Programm 1993
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Festival 1979-2007
 

 

Der geklonte Klang


'Klaus Obermaier Klaus Obermaier / 'Robert Spour Robert Spour

EINE MULTIMEDIALE, INTERAKTIVE KOMPOSITION FÜR DAS KRONOS QUARTET
Naturklänge – vom Streichquartett erzeugt – werden digitalisiert und damit geklont. Durch die Digitalisierung ist es möglich, bis zu den kleinsten Bestandteilen der Klänge vorzudringen, sie zu zerschneiden, neu zusammenzusetzen, zu überlagern, addieren, multiplizieren. Eingriffe in die Frequenzspektren und Manipulationen der Wellenformen lassen Klänge bis zur Unkenntlichkeit mutieren. Diese Klangmanipulationen zusammen mit Wachstumsphänomenen im Spannungsfeld mit dem klassischen Klangkörper Streichquartett bilden die Grundlagen der kompositorischen Arbeit.

Die Reduzierung von Information auf den binären Code ermöglicht es, genetische Strukturen in musikalische umzuwandeln, durch Musik visuelle Ereignisse zu steuern, künstliche, multimediale Welten zu schaffen. Genetische "Fingerprints" dienen als Vorlage für musikalische Prozesse. Computerprogramme generieren aus dieser genetischen Basisinformation harmonisches und melodisches Material, das wir assoziativ weiterverarbeitet haben.

Zum Beispiel entwickeln sich aus mikrotonalen Umspielungen eines Zentraltons durch das Kronos Quartet völlig neue komplexe Obertonmelodien und Klangstrukturen. Diese verdichten wir durch digitale Prozessoren. So entstehen aus dem Klang des Streichquartetts orchesterartige, komplexe Klangwucherungen, die durch eine mehrkanalige Beschallung in den Raum wachsen.

Analogien zu Artificial Life finden sich auf zwei Ebenen. Erstens im Kompositionsprozess selbst, wo rückgekoppelte Systeme in den schöpferischen Akt miteinbezogen werden, wo etwa Zufallsgeneratoren auf komponierte Strukturen Einfluß nehmen, sie verändern und somit auf das Ausgangsmaterial rückwirken. Zweitens bei der Aufführung, wo das "offene System" Musik immer wieder von außen beeinflußt und gestört wird und auf die veränderten Bedingungen reagiert. Diese Systemstörungen sind einerseits bewußt gesteuerte Eingriffe durch Obermaier/Spour mit Midi–Gitarre und Keyboard, andererseits unkontrollierte und unvorhersehbare Ereignisse, die durch Hineingreifen des Publikums in die Laserstrahlen entstehen. Beide Arten der Störungen beeinflussen direkt und in Echtzeit das musikalische und visuelle Ergebnis.

Ein weiterer wichtiger Faktor zur Komplexitätserhöhung des Systems entsteht durch die Digitalisierung der Streicherklänge. Ein Computerprogramm analysiert und interpretiert realtime Spiel – und Klangeigenschaften, die daraus gewonnenen Informationen werden wiederum als Manipulatoren des Ausgangssignals eingesetzt.

Darüber hinaus öffnen wir durch die Einbeziehung einer speziellen Klanganimation den starren akustischen Raum und gelangen dadurch zu einem System des variablen Klangenvironments, in dem der Zuhörer sein Hörempfinden den veränderten akustischen Bedingungen immer wieder neu anpaßt und sich in verschiedenen virtuellen Hörpositionen wiederfindet.

Neben mehreren Lasern und einer 6–kanaligen Beschallung erweitern Dia- und Video-Projektionen die Bühne und beziehen den Publikumsraum mit ein.

Die Laser werden direkt von den Streichinstrumenten gesteuert. Musikalische Parameter, wie Tonhöhe, Lautstärke oder Klangfarbe generieren und verändern in Realtime Laserimages. Umgekehrt kann das Kronos Quartet auch mit den Geigenbögen Laserstrahlen unterbrechen und dadurch Klänge auslösen. Ein speziell entwickeltes Computerprogramm analysiert und interpretiert die Geschwindigkeit der Bewegung, den Ort und die Anzahl der Unterbrechungen. Der Laser wird zum "Instrument".

Auch das Publikum hat die Möglichkeit durch Hineingreifen in die Laserstrahlen mit den Klängen zu spielen. Spezielle Sensoren, die im Publikumsraum verteilt die Unterbrechungen registrieren, leiten diese Informationen an das Computerprogramm weiter. Das Publikum kann also direkt in das musikalische Geschehen eingreifen.

Klaus Obermaier / Robert Spour

KLANGANIMATION ALS ECHTZEITPROZESS
Durch die graphische Auflösung des Hörraums auf der Benutzeroberfläche eines Computers (Macintosh) wird der Klangort und seine Dimension bestimmbar. Dies ermöglicht verschiedene Klangbewegungen im dreidimensionalen Raum unabhängig von der "realen" Position der Instrumente zu gestalten und neue Positionen des musikalisch räumlichen Hörens zu kreieren.

Die Verteilung basiert auf einer über den Computer gesteuerten Matrix und sechs im Raum positionierten Lautsprechern (Quellcluster), deren Ansteuerung nach Struktur und Gestus der Musik auf vier verschiedenen Wegen über Sequenzerartige komponierte Motive gesteuert wird. Über die speziell für diese Anlage erstellte Software wird eine Beeinflussung und Kontrolle sowohl über Midi-Daten als auch durch Echtzeit-Klangparameter möglich und "topographisch" am Monitor des Computers umgesetzt.

Eine weitere Ebene der klanglichen Beeinflußung zwischen den Instrumenten wird über einen Echtzeit–Signalprozessor (NeXt Cube/IMWProzessorkarte) und das offen gestaltbare Softwarepaket MaxAudio erreicht. Frequenzspektren der Streichinstrumente werden in Echtzeit analysiert und über "organische" Strukturprozesse zur Mutation von Klängen und Zeitparametern benutzt. Die dadurch entstehende Kommunikation zwischen Komposition und elektronisch generierter Klang-Zeitebene, bewirkt eine neuartige Synthese der musikalischen Aktion vor Ort.

Peter Böhm

LASERLICHT IN DER INTERAKTIVEN PERFORMANCE
Laserlicht besitzt mehrere Eigenschaften, die durch andere Lichtquellen nur sehr schwer oder überhaupt nicht realisiert werden können. je nach Art des Lasers steht ein Lichtstrahl mit hoher Intensität, geringer Divergenz (Streuung) und unterschiedlichen Farben zur Verfügung. Das Licht ist kohärent, d.h. die einzelnen Lichtwellen schwingen anders als beim Sonnen- oder Glühlampenlicht in Phase, werden sozusagen im Gleichschritt emittiert.

Beim Projekt "Der geklonte Klang" kommen unterschiedliche physikalische Besonderheiten zur Anwendung. Da das Licht schon beim Strahlaustritt sehr fein gebündelt ist, läßt es sich über relativ kleine und dadurch schnell bewegliche Spiegel ablenken. Diese schnelle Ablenkbarkeit ermöglicht auch die Projektion von images, deren Formen so schnell abgetastet werden, daß für das Auge der Eindruck von geschlossenen Linienzügen entsteht. Die als Vektorgraphik abgespeicherten Figuren können in Echtzeit abgerufen werden und darüber hinaus in ihren Eigenschaften manipuliert werden. So steuern musikalische Parameter die Bildgröße, Verzerrung und "Schreib"Geschwindigkeit. Ebenso kann die Geschwindigkeit von Metamorphosen zwischen mehreren images direkt durch die Musiker bestimmt werden. Das Konzept der interaktiven Software "Phonola" ist in der folgenden Graphik dargestellt, wobei die in Fettschrift gedruckten Ein– und Ausgänge bei dem Projekt "Der geklonte Klang" benutzt werden.

Die Kohärenz des Laserlichts ist Voraussetzung für die Erzeugung von Interferenzfiguren und die Herstellung von Hologrammen. Interferenzfiguren entstehen, wenn das Laserlicht durch geeignete Materialien gestreut und mit sich selber überlagert wird. Auch im Auge des Betrachters entstehen Interferenzen, was dem Laserlicht eine besondere, nur unmittelbar erfahrbare Qualität verleiht. Holographisch erzeugte Gitter verwenden wir für die Strahl- und Figurenvervielfachung.

Die hohe Intensität des Laserlichts in Verbindung mit seiner geringen Divergenz läßt es auch über größere Entfernungen in der Luft sichtbar werden. Dadurch steht ein gestalterisches Mittel zur Verfügung, Verbindungen und räumliche Lichtflächen darzustellen.

Während bis jetzt von der Gestaltungsmöglichkeit von Laserimages durch Musik die Rede war, soll im Folgenden ein Weg der Umkehrung dieser Zuordnung beschrieben werden.

Bei "Der geklonte Klang" bekommen Laser-Lichtflächen eine zusätzliche Funktion: sie dienen als Eingabemedium für die Generierung von Klangparametern, indem eine speziell entwickelte Hard- und Software Schatten und Reflexionen von in das Licht eintauchenden Gegenständen verfolgt. Die Software-Moduls für die Klangsteuerung aus Licht-Daten tragen den Arbeitstitel "Digitus–Paket", – ausgehend von der Situation, daß ein Finger ("digitus") in den Lichtbereich eintaucht. Aus dem Lichtreflex des Fingers, – oder der Hand, eines Stabes oder z.B. eines Geigenbogens werden Daten gewonnen über Ort, Geschwindigkeit und Verweildauer ("Digitalisierung" = in abzählbarer Weise darstellen). Hieraus werden neue Datensätze zusammengestellt, die für die Klangerzeugung und und Klangbeeinflussung verwendet werden können. So kann der Ort die Tonhöhe bzw. Samples bestimmen, während die Geschwindigkeit des Eintauchens die Lautstärke festlegt. Seitliche Bewegung in der Lichtfläche moduliert beispielsweise die Klangfarbe.

Solange die Sensoren wenige Reflexe detektieren, stellt Digitus sehr viele Möglichkeiten der Klangmanipulation bereit; sobald eine große Zahl von Fingern (oder Händen oder Stäben) in die Lichtfläche greifen, treten die Klangmanipulationen zurück zugunsten eines "unbeschränkt" polyphonen Spiels.

"Phonola" und "Digitus" sind ein Schritt in Richtung interaktiver Gestaltungsfreiheit. Während das Laserlicht mit "Digitus" zu einem Sensor wird, mit dem Klangparameter kontrolliert werden können, stehen mit "Phonola" alle Variationsmöglichkeiten und der Nuancenreichtum musikalischer Ausdrucksmittel zur Verfügung, in Echtzeit kontrolliert um improvisatorisch visuelle Ereignisse zu steuern.

Friedrich Förster, Kurt Walz

MACPANIC
MacPanic ist ein Midi-gesteuertes Computerprogramm für Musiker, das sowohl Elemente eines Computer-Virus als auch solche eines Lebens-simulierenden Computerspiels in sich vereint. Bewußt wurde die Oberfläche so gehalten, daß der Zusammenhang zwischen neuen Tönen und neuen Lebens-Aktivitäten möglichst lange erkennbar bleibt. Die auftauchenden Figuren erinnern parodistisch an den Klassiker aller Computerspiele. Den Musikern ist anheimgestellt, durch einen bestimmten "event" die Durchschaubarkeit dessen, was auf dem Bildschirm vor sich geht, schlagartig aufzugeben. Fortan entwickelt sich ein Eigenleben, das aus mathematischer Sicht "chaotisch" abläuft. Die Chaostheorie gilt als derjenige mathematische Zweig, dessen Formeln dem wirklichen Leben am nächsten kommen. Die durchschaubare "Simulation of Live" rückt ein kleines Stück näher ans "Real Live". Aber ist unserem Verständnis dadurch geholfen worden? Das muß jede(r) für sich selbst entscheiden …

Kurt Walz


"Der geklonte Klang"
Komposition, Gesamtkonzept, Live–Elektronik: Klaus Obermaier, Robert Spour
Kronos Quartet:
David Harrington, violin
John Sherba, violin
Hank Dutt, viola
Joan Jeanrenaud, cello
Interaktive Lasersteuerung: Friedrich Förster
Computerprogrammierung: Kurt Walz
Video, Lichtregie: Rainer Jessl
Technischer Direktor des Kronos-Quartet: Larry Neff
Raum-Klang-Steuerung, NeXt Cube/IMW Prozessorkarte, MaxAudio-Programmierung: Peter Böhm
Tontechnik: Jay Cloidt
Raumklang-Software: Peter Böhm
Laserimages, Projektionen: Obermaier, Spout, Förster

Das Projekt wurde ermöglicht durch die großzügige Unterstützung der AUSTRIA TABAK Generaldirektion.