"Kraftwerk" Unplugged? (eine Beschreibung von Oberflächen)
'Edek Bartz
Edek Bartz
/
'Birgit Flos
Birgit Flos
Auftritt: Professor Rodchenko 1920 in der nach der Revolution gegründeten Kunsthochschule Vehutemas, auf der auch El Lissitzky einige Zeit unterrichtete: "Am ersten Vorlesungstag betrat ein Mann das Studio, der wie eine Kombination aus Pilot und Motorradfahrer aussah. Er trug ein uniformmäßig geschnittenes Jackett in beige und grau-grüne Kniebundhosen. Auf dem Kopf hatte er eine schwarze Mütze mit einem riesigen Lederschirm. Sein Gesicht war sehr blaß, die intensiv roten Lippen hoben sich vom Weiß des Gesichtes ab. Ich wußte gleich, daß das der neue Typ Mensch war." (Aufzeichnung eines ehemaligen Studenten)
In den siebziger Jahren präsentierten sich die Düsseldorfer "Kraftwerk" programmatisch in konstruktivistischen Farben und Typografie – Rot und Schwarz; Kreis / Linie / Fläche in energetischen Feldern – als "Mensch Maschine". "Organisation" war ihr ursprünglicher Projektname. Diese Konstruktivismus – Anleihe war ihnen vermutlich zu international übersetzbar. "Kraftwerk" bedeutete auch Konzentration auf das heimische Idiom: "Wir machen Heimatmusik aus dem Rhein und Ruhrgebiet". Rodchenko: "Der Mensch, der sein Leben organisiert hat, seine Arbeit und sich selbst, ist der moderne Mensch". Auch "Kraftwerk" hat ein Programm für den modernen Menschen. Er strebt die Präzision einer Maschine an. Die Maschine entspricht seiner Disziplin und Kreativität. Der Mensch liebt die Maschine, die Maschine liebt den Menschen, (der sie liebt usw.). "Manchmal überraschen wir die Maschinen, manchmal überraschen sie uns." Die symbiotische Beziehung "Mensch Maschine" macht den modernen Menschen aus.
"Kraftwerk" sind bei ihrer letzten Tournee "live" als Roboter aufgetreten und/oder haben Robotern ihren live-Auftritt überlassen. Die "Kraftwerk"-Klone sehen aus wie Nachahmungen von Kraftwerknachahmungen. "Kraftwerk" lösen endlos Reihen aus: Sie präsentieren Dummies von Dummies, Nachbildungen von Nachbildungen, sie produzieren den Mix vom Mix vom Mix, etc.
Sie sind die gläsernen Menschen der Technomusik. Im Fenster der Körper ist nichts, er bleibt glatte Oberfläche mit angedeutetem Brustkorb: ein Normtorso ohne Unterleib. Pneumatische Arme mit Handschuhhänden sind ausgestreckt, zum Gruß? zum Kampf? zum Tanz? (Tanz das "Kraftwerk"!) Jim Whitings Konstruktionen könnten im Publikum sitzen, man wäre unter sich.
So präsentieren sie sich im Quadratheft der CD "The Mix": Sie sind keine spektakulären Zwitterwesen mehr an der Kippe vom Mensch zur Maschine im optimistisch heiteren Werbelook von damals. Der Blick der diagonal gestaffelten Jungmännerköpfe war in eine neue Zukunft gerichtet, die Haut weiß, die Lippen so rot. Das war die geniale Image-Idee, die zum fixen Bestandteil unzähliger kommerzieller Gruppenportraits wurde. Hier auf "The Mix" ist das Pendel in Richtung Maschine umgeschlagen. Eine Skizze demonstriert das Konstruktionsprinzip: die "Beine": zwei Stahlrohre bilden einen Sockel; Torso, Kopf, Schulter, Ellenbogen sind drehbar. Schlemmers triadisches Ballett ist dagegen eine chaotisch pulsierende Folklore–Gruppe.
"Kraftwerk" werden beschrieben als konsequent, kompromißlose Techno-Heimbastler, die kompliziert, zeitaufwendig, radikal ihre Maschinen programmieren. Die Hardware beginnt allmählich der Software in ihren Köpfen zu entsprechen. "Wir spielen Studio" (nicht wie andere Indianer, sondern wie andere Gitarre spielen). Sie können mit denen, die Gitarre (oder Indianer) spielen, nichts anfangen. Im Genrebild des Western wären die Rockmusiker in ihrer anachronistischen Cowboyverkleidung die "outlaw heros", während "Kraftwerk" das Management des aufgeklärten Establishments verkörpern würden: die Gemeinschaft nicht auf der Zivilisationsstufe der Community, sondern auf der des optimalen Rechnerhirns, die Gesellschaft als Firma. "Kinder von Wernher von Braun und Fritz Lang" apostrophieren sie sich selber (wobei sie beim Stichwort Lang "Metropolis" abspeichern und nicht die späteren Hollywood-Western). "Kraftwerk" im keimfreien Format der "Mensch Maschine" haben mit körperlicher Verausgabung und/oder Psychotortur der Rocklegenden nichts zu tun. Kein sex, kein crime, kein rock'n'roll. Sie putzen sich die Zähne und begeben sich zur Arbeit in ihr "Kling-Klang"-Studio. "Ja tvoi sluga, ja tvoi rabotnik" – "Ich bin dein Diener, ich bin dein Arbeiter", stand auf dem "Mensch-Maschinen"-Cover.
In den letzten Jahren haben sie bekanntlich den Gesamtkatalog ihrer analog gespeicherten Kompositionen digital abgelegt. Die Zugriffszeiten verringern sich. "Kraftwerk" verfügen damit unbegrenzt über ihr eigenes Material und können potentiell unendlich viele, nie gehörte Mixversionen herausbringen.
Und: schöne Dialektik: Durch die digitale Abspeicherung macht die Bühnenpräsenz (der Dummies?) wieder Sinn. Ein live-Eingriff in die Software ist möglich. Das Material kann durch die Operateure abgerufen, modifiziert, "psychologisch gesteuert" werden, "Die Computer bekommen alles übertragen, was systematisch ablaufen kann. Wir können um so freier über uns verfügen, uns treiben lassen". Hütter hat einmal angekündigt, daß er sich am liebsten eine dritte Hand einpflanzen lassen würde, "die bedient dann alle Regler und Knöpfe, während die Hände frei spielen und die Füße die Pedale treten".
Das "Balanescu Quartet" plays Kraftwerk". Die 100% Maschinenmusik wird in Kammermusik übertragen: Kraftwerk "unplugged" also? Nein, wie auch andere zeitgenössische Streichquartette tritt Alexander Balanescu mit seinen Musikern elektronisch verstärkt auf. Die fünf "Kraftwerk"-Übernahmen (auf dem Album "Possessed", 1992) sind im multitrack-System der Rockmusik aufgenommen: Erst die Rhythmus-Spur, dann ein Track in einer Kirche –"location recording at St. Augustin's Church", dann wieder im Studio. Das Mixen war ebenso wichtig wie die Aufnahme und hatte eher eine Rock/Mix-Dauer, viel länger als die Norm für eine klassische Produktion. Nun plant Alexander Balanescu eine multitrack–Aufnahme von Bachs "Kunst der Fuge".
Das System der immer effizienteren Rechnerverarbeitungen in Speichermedien wird auf den Notenständer zurückgeholt. Zum ersten Mal spielen Musiker auf vorgefertigten, klassischen Instrumenten elektronische "Kraftwerk"-Konstruktionen. Ist das der konzeptionelle Overkill/Überschmäh? Oder sucht ein Spitzen-Quartett der boomenden Streicherszene interessantes Material als Markenzeichen? Werden "Kraftwerk" in Zukunft Balanescu–Takte von "Roboter" oder "Autobahn" für sich samplen?
Synthesizer kommen fabriksseits mit vielfältigen "presets". Presets für diverse Streichinstrumente sind Standard. "Kraftwerk" benutzen weder "presets" noch vorsintflutliche "bleeps", alle ihre Klänge sind eigenentwickelt und – programmiert. Diese "Originale" werden jetzt von Balanescu nachgespielt (arrangiert und produziert von der zweiten Violine: Clare Connors). Das ist eine Umkehrung der sonstigen en masse-Produktionen von Jazz-, Rock-, oder Synthie-Versionen von Klassikern.
Die "Balanescu"/"Kraftwerk"–Einspielung ist ein Rückbau zum Atem, zum Körper. Es war erwartungsgemäß von Wärme zu lesen, von Leidenschaft dort, wo früher (bei "Kraftwerk") industrielle (naturgemäß kalte) Technologie waltete. Aber das genau war das Programm: die weitgehende Ausschaltung des Faktors Mensch. Werden die Roboter wieder verletzlich?
Bei der Musik von "Kraftwerk" meint man wie in Cronenberg-Filmen den Strängen der Glasfasern, den Netzpunkten der Relaisstationen (sicher ein hoffnungslos antiquiertes Bild) im Innern der Maschinen folgen zu können, hätte man nicht ein ungutes Gefühl beim Verwenden von Metaphern und Analogien. Aber "Kraftwerk" spielen (auch) Programmusik: Wie naturgetreu man die Autos auf der Autobahn vorbeifahren hört! Wie man den Rhythmus des TEE auf den Gleisen mitsummen kann! (Das ist beim TGV überholt). Macht das Streichquartett nun seinerseits "Kraftwerk"-Programmusik? ist zu beweisen, daß auch 200 Jahre alte Holzinstrumente das Geräusch der Autobahn nachahmen können? (Kritiker betonen die verblüffenden Cello Glissandi). Was denken sich "Kraftwerk", wenn sie die Balanescu-Version von "Modell" z.B. hören? Bringen die vier Kammermusiker nicht das "Kraftwerk"-Metropolisprojekt zum Kippen? Ist nach der Welle der Techno-Housemusik wieder schlicht Hausmusik und Kaminfeuer angesagt?
Vergessen scheinen die abschätzigen Bemerkungen von "Kraftwerk" zum Gitarrenanachronismus der Rockkultur. Man kann die Musik des 20. Jahrhunderts nicht auf mittelalterlichen Instrumenten spielen" oder "Die Musik der technisierten Welt läßt sich nur auf Instrumenten der technisierten Welt darstellen".
Die "Kling–Klang"–Produktionen von "Kraftwerk" haben oft eine geradezu kristalline Durchsichtigkeit, nicht nur in der schmerzend arglosen Kindersprache von Erwachsenen, sondern vor allem in den synthetischen Klangschichten. Das klingt manchmal so fröhlich, daß es einem kalt den Rücken hinunterläuft. "Der Wechsel von der Hoffnung zum Horror kann blitzschnell passieren" (Hütter). Euphorie schlägt übergangslos zu einem netten Horror-szenarium um. Das Projekt: menschlicher Fortschritt durch Fortschritt der Technik, das bei den Konstruktivisten zunächst noch ungebrochen propagiert wurde, ist abgestürzt. Auf "The Mix" buchstabiert die Computerstimme Silbe für Silbe: Tscher-No-Bil / Ha-rris-Burg / Hi-ro-schi-ma und ergänzt den kaum hörbaren, ein wenig bemühten Imperativ "Stoppt!" vor den Refrain "Radioaktivität". Wo bleibt bei den Streichern der Absturz in einen gassenhauerischen Totentanz der Maschinen? Hier hat der Tod wieder selbst sein Instrument angelegt und fiedelt die euphorisierende Verführung als minimalistisches Bravourstück.
Zwei verschiedene Auftritte also: Da sind einmal vier Gestelle an den Maschinen, und da sind die vier leibhaftigen Musiker des "Balanescu Quartets" mit ihren Instrumenten. Allein die Tatsache, daß eine Frau im Quartett spielt, ist im direkten Vergleich mit Kraftwerk" eine Sensation: Die menschliche Form: Frau, oder überhaupt die Gattung Mensch als Geschlechtswesen kommt bei Kraftwerk nur in der Simulation vor: "Sie ist ein model und sie sieht gut aus". Wann werden die beiden Gruppen gemeinsam in einer jam session auftreten?
Ein Stuhl ist ein Stuhl. Im CD–Heft der Balanescu–Produktion "Possessed" spielt ein Stuhl eine wichtige Rolle. Alexander Balanescu sitzt auf ihm. Er selbst ist in der Bewegung des Aufstehens, des Weggehens oder in der Langzeitbelichtung verwischt hinter/vor/auf dem immer scharf fokussierten Stuhl zu sehen. Schließlich geht Balanescu weg, der Stuhl bleibt leer zurück. Zwei Assoziationen nach der Beschreibung der Oberflächen: der Stuhl als Gebrauchsobjekt scheint sehr real. Er könnte aber ohne weiteres – und in der Fotografie ununterscheidbar – als dreidimensionales Objekt simuliert werden. Joseph Kossuth könnte ihn für sein konzeptionelles Alphabet benutzen. "Einer und drei Stühle" als Foto die Objektbeschreibung: Stuhl. Die "Kraftwerk"–Dummies werden sich nicht setzen, es gibt sie unterhalb der Gürtellinie nicht. Das "Balanescu Quartet" musiziert im Stehen.
Auch Alexander Balanescu grüßt in der Typografie des Covers den russischen Konstruktivismus (und natürlich das "Kraftwerk"-"Mensch Maschine"-Layout inspiriert von El Lissitzky hieß es dort). Aber er zwinkert dabei mit einem Auge und behält den Hut auf. "With a nod and a wink towards El Lissitzky".
Also doch Wärme und Witz für eine humorlose Technowelt? Ironischer Weise bewegen sich die "Kraftwerk", ob höchstpersönlich oder als Dummie, mit der neuen Dynamisierung ihres Materials freier und "spontaner" bei ihren live-Performances, als die Maschine Streichquartett, die sich unter körperlichem Einsatz an die genaueste Übersetzung der Notations-Vorschriften zu halten hat.
Wie sagte El Lissitzky 1924 in der mit Kurt Schwitters herausgegebenen Nummer der Zeitschrift Merz: "Es ist schon genug, immer Maschine Maschine Maschine".
Edek Bartz / Birgit FIOS
Kurator: Edek Bartz
Fotos: Peter Boettcher
|