Scores
'Achim Wollscheid
Achim Wollscheid
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'Dietmar Wiesner
Dietmar Wiesner
SCORES Die vormals in einem konsistenten Werkbegriff gefügten Relationen zwischen Komponisten und Komposition, Spielanweisung und Interpretation, Klangproduktion und Klang- bzw. Hörereignisort sind – in vielerlei Hinsicht –zum wichtigsten Gegenstand der Auseinandersetzung mit "Komposition" – oder, freier ausgedrückt, musikalischer Produktion geworden.
In dem Maße, in dem diese Relationen nicht mehr festen Regeln gehorchen, erweitert sich der Aktionsspielraum, den ihre gewachsene Relevanz öffnet. Ebenso wächst parallel dazu das Bedürfnis, in diesen Räumen solche künstlerischen Manifestationen zu suchen, die diesen Relationen als "Daten" dienen könnten.
"Scores" zeigt drei Ansätze, unterschiedliche relationale Räume mittels verschiedener künstlerischer Konzepte zu bearbeiten. Gemeinsam ist den drei Konzepten die Problematisierung der Beziehung zwischen "Vorlage" und "Realisation".
PARTITUR "Partitur" behandelt die Darstellung zweier verschiedener Informationsebenen: einer Ausgangspartitur und einer Transformationspartitur.
Ein Interpret reagiert mit verschiedenen akustischen Aktionen auf die Vorgaben einer graphischen Partitur. Die entstehenden klanglichen Ereignisse werden mittels eines Computerprogramms transformiert und in veränderte graphische Darstellungen überführt. Die so entstandene neue Partitur wird mit der Ausgangspartitur konfrontiert und beeinflußt sie nach Maßgabe des Interpreten, der auf die Transformation reagiert.
Der Computer als Interface zwischen Partitur und Interpret fordert einerseits die explizite Darstellung der Relationen zwischen Komposition, Darstellung, Interpretation und Rezeption, zum anderen schafft er die strukturellen Bedingungen, in denen revidierte Definitionen der graphischen Gestaltung von Spielvorlagen und der Anlässe zur musikalischen Aktion erfolgen müssen.
Solcherart Anlaß zur Analyse, stellt er in Art eines Interfaces in einer Feedback-Schleife alle Parameter, die seinen Einsatz und seinen Output betreffen, in Frage.
Hatten bis hin zur zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts die Partitur und die gestischen Umsetzungen eines Dirigenten eher unterstützende Funktion der Reproduktion von erlernten klanglichen Mustern, so läßt sich in der seriellen Musik eine Emanzipation der optischen Darstellung vom klanglichen Ereignis beobachten, die in der aleatorischen, nicht metrisierten Musik ihren Höhepunkt findet.
Im Falle von "Partitur" lassen sich durch die objektivierende Funktion der Feebackschleife des Computers die assoziativ-klanglichen Ergebnisse auf der Basis von herkömmlich erlernten Erfahrungen nicht genau vorhersagen, sondern müssen in einer neu zu erlernenden Sprache sowohl in der Vor- als auch in der Nachbereitung erfahren werden.
Achim Wollscheid, Dietmar Wiesner
"Partitur:" Achim Wollscheid, Komposition, Konzeption Dietmar Wiesner, Komposition, Interpretation Joachim Pense, Komposition, Programmierung
BROKEN LIGHT NICOLAS COLLINS für Streichquartett und modifizierten CD Player
Broken Light ist das erste in einer Reihe von Stücken, die handelsübliche Verbraucherelektronik in Verbindung mit traditionellen Instrumenten verwenden, um tonales Material älterer Musik neu zu bearbeiten, in diesem Fall die Musik für Saiteninstrumente von Corelli, Locatelli und Torelli. Von den Ausführenden gesteuert, "kratzt" der CD Player über die Platte und isoliert und blockiert kurze Schleifen aufgezeichneter Musik. Mit dem langsamen Vorrücken von einer "hüpfenden Rille" zur nächsten, wird die üppige kontrapunktische Struktur des Concerto grosso in harmonischen Blöcken aufgehoben, mit der eindringlichen rhythmischen Empfindung der darüber gelagerten Schleife. Die notierten wie auch improvisierten Parts der Ausführenden greifen in die CD ein und kollidieren mit ihr, mit einer respektvollen Verbeugung vor Terry Rileys "In C." Broken Light ist ein Auftragswerk für das Soldier String Quartet und wurde im Mai 1991 uraufgeführt.
"WHAT HAPPENED II" mit einem Text von Melody Summer
Als ich den Steuerungshandschuh fertig hatte, dachte ich, es wäre interessant, "What Happened", eine ältere, auf analogen Geräten basierende Komposition, für diese neue Technologie zu adaptieren. Die Story folgt der Idee, daß die Geschichte einer beliebigen Person sich auflöst, sobald die Bewegung der Hand beginnt, – eine Verschiebung von der sprechenden Person hin zur schweigenden (es scheint immer, daß in der Stille der Handbewegungen einer schweigenden Person vieles hörbar wird). Dann wurde es jedoch offensichtlich, daß es sinnlos war, die Technologie zu transponieren, denn jede hatte ihre Charakteristika, die von der Komposition nicht zu trennen waren. So hielt ich an der von Melody Summer verfaßten Geschichte der Frau und an den erwähnten Ideen fest, veränderte jedoch vieles an der Art, wie die Komposition und die dazu assoziierten Geräusche sich entwickeln. Es ist ein bißchen als wäre da eine Kamera, die auf die Story hinweist und indem sich der Brennpunkt langsam verändert, wird die Geschichte unscharf und es kommen andere Bilder zum Vorschein. Nicht daß die Geschichte aus wäre, aber sie ist nicht mehr zu hören. Indem sich nun der Fokus weiter verändert, werden die individuellen Eigenschaften der Person geglättet, sie verbreitern sich und entwickeln sich zu kulturellen Charakteristika, die ihrerseits an dem Punkt verschwinden, wo es um Erfahrungen geht, die allen gemeinsam sind, ehe wiederum der individuelle Charakter hervortritt.
Zur Technik sei hier angemerkt, daß im Handschuh Sensoren eingebettet sind, die reagieren, sobald ich die Finger beuge, den Daumen näher an die Fingerspitzen heranführe, das Handgelenk beuge, und das Handgelenk von der Taille weg bewege. Diese Daten werden über das von STEIM konstruierte SensorLab in den Computer eingespeichert und von der Software MAX (Opcode) verarbeitet, so daß beispielsweise ein Finger den Output der Stimme und dazugehörigen Geräusche steuert, die anderen die Dichte der Ereignisse, die Beugung der Noten oder das Auslösen einzelner Ereignisse … der Computer übermittelt die Daten dann an den Synthesizer (Yamaha TG77) und an den Sampler (Peavey SP). Die Stimme wird ebenfalls in den Computer eingespeichert und ermöglicht allgemein das Auslösen von Ereignissen.
Laetitia Sonami
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