www.aec.at  
Ars Electronica 1993
Festival-Programm 1993
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Es lebt! Filmreihe "Künstliches Leben"




"Die Fiktion, ihrer Etymologie zufolge, stellt Figuren her. Fictio und figura sind urverwandt mit dem Deutschen Wort Teig und dem griechischen Wort für Mauer, als jener teicos offenbar noch aus formbarem Lehm bestand."

F. Kittler
Daß der Film gerade in seinen historischen Anfängen sich mythischer Stoffe um die Erschaffung künstlichen Lebens bedient, ist sicherlich kein Zufall: in gewisser Weise wird diese Erschaffung von der Filmtechnik selbst realisiert. Seine wirkungsvolle Lebendigkeit entfaltet der Film erst im Moment der Projektion, wenn die in den Einzelkadern festgehaltenen Wesen und Dinge zu neuem Leben erwachen, wenn sich Unbewegtes, sukzessive aneinandergereiht, plötzlich zu bewegen beginnt. Dieses Leben ist von seiner Grundkonzeption her automatisch, fiktiv – nicht organisch. Dennoch ist es mehr als die Summe seiner leblosen Teile. Die Wiederbelebung toter Materie (auf Zelluloid) scheint jene undenkbaren Kräfte wiederzuerwecken, die einstmals im antiken Schöpfungsmythos aufgehoben waren.

Die Geschichten von Homunculus, Alraune, dem Golem und Frankenstein gehören zu den ersten, die im Kino gezeigt werden. Bereits Georges Méliès, der bekanntlich das Kino in den Bereich des Fiktiven überführte, greift 1900 in seinem 2 Minuten Opus Coppélia ou la Poupée animée das Maschinen-und Puppenmenschenthema aus Hoffmanns Erzählungen auf. Und so wie diese Figuren erst auf der Leinwand zu sichtbarem Leben erwachen können, beleben sie ihrerseits das neue Medium mit ihren Geschichten.

Wie kann der Mensch Unbelebtes beleben? Golem, Alraune und Frankenstein sind mögliche Antworten auf diese Frage. Während die aus Lehm geformte Figur des Golems auf mythische Weise in einem einzigen Schöpfungsakt belebt wird, ist das Monster von Frankenstein Produkt wissenschaftlicher Experimente mit Leichenteilen. Alraune dagegen ist das erste gelungene Genexperiment.

Die künstlichen Menschen, seien sie Lehmfigur, Android, Clone oder Cyborg, bewegen sich entlang einer Grenze, die der Entsprechung am Bild des Menschen geschuldet ist; "nicht fühlen zu können wie der Mensch, dem er ähnlich sieht und dennoch Mensch sein, fühlen zu wollen, zu lieben und zu leiden (…)". (1)

Die künstlichen Menschen kehren immer nur im Bild des "natürlichen" Menschen wieder, fungieren letztlich als Doppelgänger und verweisen dadurch auf den Körper des Menschen" als eines begrenzten, aus Organen zusammengesetzten und um das gegliederte Gerüst des Skeletts herum organisierten Produkts" (2). Und paradoxerweise beweist die Herstellbarkeit des Menschen durch den Menschen so dessen eigene Unvollkommenheit und Austauschbarkeit. Anders gesagt, so wie die Maschine vom Menschen nur hergestellt, nicht erlöst werden kann, erweist sich die Herstellbarkeit der Maschine nicht als Einlösung des Schöpfungstraums: nicht der neue Mensch entsteigt den Labors der Wissenschaft, sondern unfertige, an ihrer Unvollkommenheit verzweifelnde Kreaturen. "Grundirrtum des Dichters und des Schauspielers: den Golem zu vermenschlichen, ihn wider sein eigenes Wesen in ein Geschick zu stellen, das ihm völlig fremd ist. Denn den Golem auf Gefühl hin; auf Sehnsucht Mensch zu sein hin gestalten, heißt: ihn verkleinern, erniedrigen und aufheben. Der Golem der Legende ist ein gefesselter und niederer Engel, ein Dämon, eine aktive göttliche Kraft, eingesperrt in Lehm. Die Trauer, die um ihn ist, ist die Trauer des Verbannten, des Geknechteten, des Herrschers als Knecht.“ (3)

Wie ein roter Faden zieht sich dieses Bemühen der Maschine, Mensch zu sein, durch das Horror und Science-Fiction-Genre. Das In-die-Welt-gestellt-Sein der Figuren ist irreversibel, ohne Ausweg, endgültig. Daraus erwachsen melodramatische Konstellationen, die hinter dem technischen, maschinenhaften Modell des Menschen nun tatsächlich den Menschen erkennen lassen und die seit Méliès immer wieder zurückkehren. Der Golem, das Monster von Frankenstein, und die Replikanten in Blade Runner müssen scheitern, weil das "dem neumodellierten Körper inimanente Paradox, gleichzeitig eine philosophische Maschine und die Verwirklichung eines Mythos darzustellen",(4) zum Konflikt mit ihren jeweiligen Schöpfern führt. MAX 404 aus Aaron Lipstadts Film Android, dem in seiner technologischen Menschlichkeit nichts sehnlicher ist, als das aus alten Filmen bekannte Chicago kennenzulernen, lehnt sich in dem Moment gegen seinen Schöpfer auf, als er erkennen muß, daß er von diesem nicht als Mensch sondern als austauschbare Maschine behandelt wird. Wie schon seine Vorgänger erkennt auch er in ihm seinen Peiniger, von dem er nicht um seiner selbst willen erschaffen wurde, sondern um den Forscherdrang der entfesselten Wissenschaft zu befriedigen.

Menschlichkeit als humanistischer Wert wird den Kreaturen zumeist auch vorenthalten. Bei den Replikanten, künstlichen Sklaven für den Arbeitseinsatz auf kolonialisierten Planeten, wird die Vermenschlichung nur soweit vorangetrieben, als sie deren effizienteren Funktionalisierung dient. Die, die in Ridley Scotts Blade Runner diesem Schicksal zu entgehen versuchen, rächen dabei nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Ahnen.
Beobachtet man die künstlichen Kreaturen auf ihrem Weg durch die Filmgeschichte und die Geschichte der Genres (mit ihren Verzweigungen), so fällt auf, daß sie ihre körperliche Hinfälligkeit überwinden. Ihre eigentliche Tragik aber bleibt die gleiche, so lange es (noch) Menschen gibt.

Vrääth Öhner, Holger Reichert, Franz Marksteiner
AUSWAHL FÜR DIE FILMREIHE
ALRAUNE
Deutschland 1927, R: Henrik Galeen, P: Ama, V: offen, L: ca. 98 min, D: Brigitte Helm, Paul Wegener, Ivan Petrovich, Mia Pankau u.a.
Alraune ist das Produkt der künstlichen Befruchtung einer Dirne mit dem Sperma eines Lustmörders, das diesem im Augenblick seiner Hinrichtung abgenommen wurde.

ANDROID / DER ANDROID
USA 1982, R: Aaron Lipstadt, P: New World Pictures / Android, V: Warner-Columbia, L: ca. 80 min, D: Klaus Kinski, Don Opper, Norbert Weiser, Kendra Kirchner, Crofton Hardester, Brie Howard u.a.
Der Android Max 404 lebt zusammen mit dem Wissenschaftler Dr. Daniel auf einer verlassenen Raumstation und sehnt sich nach einem Leben auf der Erde, die er nur aus alten Filmen kennt.

BLADE RUNNER (DIRECTOR'S CUT)
USA 1982, R: Ridley Scott, P: Blade Runner Partnership, V: Warner-Columbia, D: Harrison Ford, Rutger Hauer, Sean Young, Daryl Hannah, Edward James Olmos u.a.
L.A. 2019. Die Geschichte eines Spezialdetektivs, eines Blade Runners, der vier künstliche Menschen ausfindig und unschädlich machen soll.

THE BRIDE OF FRANKENSTEIN / FRANKENSTEINS BRAUT
USA 1935, R: James Whale, P: Universal, V: offen, L: ca. 70 min, D: Boris Karloff, Colin Clive, Valery Hobson, Elsa Lanchester u.a.
Dr. Praetorius, der bereits künstliche Menschen in der Größe von Marmeladengläsern geschaffen hat, versucht Frankenstein davon zu überzeugen, daß nur ein entsprechendes weibliches Wesen sein Monstrum bändigen könne.

THE BRIDE OF RE-ANIMATOR
USA 1989, R: Brian Yuzna, V: New Vision, L: ca. 92 min, D: Jeffrey Combs, Ruth Abbott, Claude Earl Jones, u.a.
Mit seinem Kollegen Cain organisiert Herbert West Extremitäten aus dem Krankenhaus und belebt sie mit seinem Elixier. Ziel des Experiments ist die Wiederbelebung:einer Frau.

EDWARD SCISSORHANDS / EDWARD MIT DEN SCHERENHÄNDEN
USA 1991, R: Tim Burton, D: Vincent Price, Johnny Depp, Wynona Ryder u.a. Moderne Märchenversion des Frankensteinthemas.

FRANKENSTEIN – THE MAN WHO MADE A MONSTER / FRANKENSTEIN
USA 1931, R: James Whale, PV: Universal, L: ca. 71 min, D: Boris Karloff, Colin Clive, Mae Clarke, John Boles u.a.
Der junge Wissenschaftler Herbert von Frankenstein ist besessen von der Idee, aus toter Materie ein lebendes Wesen zu schaffen.

DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM
Deutschland 1920, R: Paul Wegener, Carl Boese, P: Ufa (Pagu), L: ca. 87 min, D: Paul Wegener, Albert Steinrück, Lyda Salmonova, Ernst Deutsch u.a.
16. Jahrhundert: Rabbi Loew, der geistliche Führer der jüdischen Gemeinschaft in Prag haucht einer Lehmstatue Leben ein.

HARDWARE / M.A.R.K. 13
England 1990, R: Richard Stanley, P: Wicked Films / Palace Pictures, V: Metropol, L: ca. 93 min, D: Dylan McDermott, Stacey Travis, John Lynch, William Hootkins u.a.
Ein in der "Zone" gefundener Kopf eines Cyborgs erwacht, mit anderen Teilen zusammengeschweißt, zu neuem Killer-Leben. Postatomarer Kultfilm.

ISLAND OF LOST SOULS / INSEL DER VERLORENEN SEELEN
USA 1933, R: Erle C. Kenton, P: Paramount, L: ca. 70 min, D: Charles Laughton, Richard Arlen, Bela Lugosi, Leila Hyams u.a.
Ein schiffbrüchiger Seefahrer wird an den Strand einer geheimnisvollen Insel gespült und trifft dort auf den Wissenschaftler Moreau, der mit der Evolution spielt und aus Tieren Menschen machen will.

DIE NACKTE UND DER SATAN
BRD 1959, R: Victor Trivas, P: Rapid, V: Prisma, L: ca. 96 min, D: Horst Frank, Michel Simon, Paul Dahlke, Karin Kernke, Christiane Maybach
Der begnadete Wissenschaftler Abel kann einzelne menschliche Gliedmaßen isoliert voneinander am Leben erhalten.
"Von blutiger Leinwand herab trieft erstes deutsches Nachkriegsgrauen!" (Jürgen Nowak, SOL)

PARTS: THE CLONUS HORROR / SAAT DES WAHNSINNS – THE CLONUS HORROR
USA 1979, R: Robert S. Fiveson, P: Group I, V: IMV, L: ca. 87 min, D: Timothy Donnelly, Dick Sargent, David Hooks, Keenan Wynn, Peter Graves u.a.
In einem geheimnisvollen Institut werden Clones von Politikern und Wissenschaftern hergestellt, die im Bedarfsfall als Organspender dienen.

RE–ANIMATOR / RE–ANIMATOR – DER TOD IST ERST DER ANFANG
USA 1985, R: Stuart Gordon, P: Empire Pic. / Re-Animated Prod. / Brian Yuzna Prod., V: Vestron (Video), L: ca. 95 min, D: Jeffrey Combs, Ruth Abbott, Barbara Crampton, David Gale u.a.
Medizinstudent Herbert West hat ein Serum entwickelt, das Tote wiederbelebt.

SECONDS / DER MANN, DER ZWEIMAL LEBTE
USA 1966, R: John Frankenheimer, P: Paramount, V: Paramount, L: ca. 106 min, D: Rock Hudson, Salome Jens, John Randolph, Will Geer, Jeff Corey u.a.
Eine Geheimorganisation stattet Menschen mit einer neuen Identität, einem neuen Aussehen und einer perfekten Vergangenheit aus.

THE STEPFORD WIVES / DIE FRAUEN VON STEPFORD
USA 1975, R: Bryan Forbes, P: Palomar Pictures / Columbia, V: offen, L: ca. 110 min, D: Catherine Ross, Paula Prentiss, Peter Masterson u. a.
Alle Männer von Stepford ersetzen ihre Frauen durch gleich aussehende Roboter, die sich ihren Wünschen bedingungslos unterordnen.

TETSUO II / THE BODY HAMMER
Japan 1991, R: Shinya Tsukmoto, P: Kajyu Theater/ Toshiba EMI, V: Tetsuo II Head Office, L: ca. 83 min, D: Tomoroh Taguchi, Nobo Nanaoka, Shinya Tsukmoto u.a.
Aus Zorn über die Entführung seines Sohnes mutiert Taniguchi Tomoo zu einer tödlichen Cyber-Waffe.


(1)
Zweig, Arnold: Der Golem. In: Jörg Schweinitz (Publisher): Prolog vor dem Film. Leipzig 1992, S. 422. zurück

(2)
Tibon–Cornillot, Michel: Die transfigurativen Körper. In: Dietmar Kamper, Christoph Wulf (Publisher): Die Wiederkehr des Körpers. Frankfurt/M. 1982, S. 157. zurück

(3)
Zweig, wie oben, S. 423. zurück

(4)
Tibon Cornillot, wie oben, S. 153f. zurück