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Ars Electronica 1993
Festival-Programm 1993
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Gegenwartsarchäologie


'Sabine Hiebler Sabine Hiebler / 'Gerhard Ertl Gerhard Ertl

DER SCHLAGSCHATTEN DES EINLEUCHTENS UND DAS AUFBLITZEN VON UNVERSTÄNDNIS
Hiebler/Ertl haben eine Technik erfunden – zunächst im handwerklichen Sinn: Mithilfe einer eigens erzeugten Emulsion haben sie ein Verfahren entwickelt, in dem sich photographische Bilder auf Tontafeln hervorbringen lassen (ohne daß – wie bei gekauften Emulsionen – der Tongrund zugedeckt wird).

Zugleich handelt es sich dabei um eine intellektuelle Technik. Denn diese Technik bedingt die Auswahl der festzuhaltenden photographischen Bilder sowie das gesteigerte Interesse für gerade diese Bilder; und sie erzeugt einen bestimmten Bedeutungs-Effekt, der sich beim Übergang dieser Bilder vom Photo-Zustand in den Tontafel-Zustand einstellt. Die Auswahl photographischer Bilder, die Hiebler/Ertl treffen, bezieht sich auf die neuesten technisch-naturwissenschaftlichen Bereiche: Mithilfe der von ihnen entwickelten intellektuellen Technik schärfen Hiebler/Ertl ihr Interesse für Gebiete wie Genetik, Chaostheorie, Telekommunikation, Aids-Forschung und technologische Kriegsführung. Es handelt sich dabei also um jene Gebiete, die die spezifisch zeitgenössischen Bilder dessen produzieren, was man – möglicherweise mit einem nicht weniger zeitgenössisch getrübten Blick – für allgemein menschliche Themen halten könnte: Tod, Kommunikation, Erkenntnissuche ("basic human themes" sagen Hiebler/Ertl). Dieses paradoxe Verhältnis von spezifisch Zeitgenössischem und allgemein Menschlichem wiederholt sich auf einer anderen Ebene. Dem hohen Abstraktionsgrad dieser Bilder (sowohl im theoretischen wie auch im bildnerisch-formalen Sinn) entspricht ein enormer Verbreitungsgrad. Gerade die Unkenntlichkeit der Sujets dieser Bilder bedingt ihre hohe Wiedererkennbarkeit (in analoger Weise schienen früher z.B. das Gesicht Einsteins oder seine bekannte Formel, das Licht der großen Relativitätstheorie auch in der kleinsten Hütte leuchten zu lassen). Wenn also Wissenschaft und Technik durch einen Bruch vom alltäglichen Leben getrennt und für dieses völlig undurchschaubar geworden sind, so sind andererseits die Zeichen dieses Bruchs und dieser Undurchschaubarkeit selbst vollkommen akzeptierte und vertraute Tatsachen dieses alltäglichen Lebens geworden.

Die Bilder, denen das Interesse von Hiebler/Ertl gilt, funktionieren dementsprechend in zweifacher Weise: Auf der Ebene der Wissenschaft werden sie als Abbilder von größtmöglicher Ähnlichkeit betrachtet (schließlich werden sie mit Hilfe von Präzisionsinstrumenten gewonnen), als ikonische Zeichen also, und zwar als die ikonischsten Zeichen, die wir kennen; als solche werden sie in den Wissenschaften bedächtig untersucht, damit zukünftig etwas an ihnen verstanden werden kann. Auf der Ebene des alltäglichen Lebens hingegen fungieren diese Bilder wie Verkehrszeichen, in denen jede Ähnlichkeit ausgelöscht ist und die darum sofort Verständnis und Evidenz auslösen; als symbolische Zeichen also (mit der Besonderheit, daß sie – gemäß dem beschriebenen Paradoxon – als Symbole des Ikonischen bezeichnet werden müssen).

Diese zweite, auf das alltägliche Leben bezogene, symbolische Ebene macht diese Bilder für Hiebler/Ertl interessant: Es sind Kürzel (wie Hiebler/Ertl präzise sagen) – nicht insofern unsere heutigen Wissenschaften über diese Bilder allmählich bestimmte Gegenstände erkennen, sondern insofern wir in diesen Bildern uns (und unsere Themen –d.h. die vorherrschenden Themen unserer Massenkommunikation) blitzartig wiedererkennen.

Es handelt sich also um "Schockbilder" (ein anderes Wort von Hiebler/Ertl), die allerdings der Schrift näher stehen als dem Bild und die eben deshalb schockartig Bedeutung auslösen – ein Schock der Darstellung selbst, der im Schock des Dargestellten, d. h. der ausgelösten Bedeutungen (z.B. Aids, Golfkrieg etc.) vielleicht nicht mehr als nur ein schwaches Echo besitzt.

An diesem Schock der blitzartig und unvermeidlich erfahrenen eigenen Gegenwart arbeiten Hiebler/Ertl mit Hilfe der von ihnen entwickelten intellektuellen Technik. Es ist eine Technik der Distanzierung, der blitzartigen Verständnislosigkeit, die die eigene Gegenwart probeweise unter die Erde bringt, um dann deren tontafelartige Relikte mit den fremden Augen eines zukünftigen Archäologen zu bestaunen. Daraus resultiert ein Effekt des Verständnis-Verlustes, ein negativer Bedeutungs-Effekt sozusagen, in dem – wie Hiebler/Ertl betonen – nicht die dargestellten Themen, wohl aber die Art ihrer Betrachtung entscheidend distanziert wird.

Die Kostbarkeit und Dauerhaftigkeit der Technik spielt bei dieser intellektuellen Distanzierung eine wichtige Rolle: Ein Foto aus der Morgenzeitung z.B. wird im Medium der Tontafeln mit ganz unverhältnismäßiger Behutsamkeit konserviert – ähnlich wie das Medium der Altertumswissenschaften bisweilen einen Abfallgegenstand oder eine weggeworfene, achtlose Bemerkung der alten Griechen zum Gegenstand unverhältnismäßiger Aufmerksamkeit und Wertschätzung macht.

Robert Pfaller