www.aec.at  
Ars Electronica 1993
Festival-Programm 1993
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Legal Cheese


'Dan Peterman Dan Peterman

Die drei hier diskutierten Projekte, der Chicago Compost Shelter, STORE (cheese) und Advances in Biogas, betreffen eine Reihe von verwandten Sachverhalten. Die bakteriologischen Prozesse auf denen das Kompostieren, die Käseerzeugung und die Produktion von Biogas beruhen, wurden als notwendige Werkzeuge anerkannt, deren Nützlichkeit sich mehr im Umgang mit komplexem Material und sozialen Bedürfnissen, als innerhalb dieser Prozesse selbst erwies. Die Anwendung und Betreuung dieser Prozesse, von denen einer der Nahrungsmittelproduktion dient, während die anderen die Verarbeitung organischen Abfalls betreffen, sind einander im Prinzip überraschend ähnlich und die Bedeutung dieser biologischen Verfahren gestattet, sich mit dem seltsamen Begriff des simultanen Wachstums und Zerfalls auseinanderzusetzen. Der bakteriologische Prozeß des Wachstums, der die spezifischen Bedingungen innerhalb der Zerfallsvorgänge ausnützt, könnte metaphorisch für viele meiner Arbeiten gelten. insbesondere, wenn man den aktuellen (sozialen, physischen und ökonomischen) Zerfall in den meisten amerikanischen Großstädten bedenkt und weitere das organische "bakteriologische" Wachstum von Vorkommnissen und Industrien (Personen, die von Abfällen leben, Nahrungsmittelproduktion auf verlassenen Grundstücken, Kompostieren, Recyceln, etc.), welches aus diesen Bedingungen hervorgehen kann.

Der amerikanische Müllstrom besteht aus einem gewaltigen Materialsortiment, in oft unglaublichen Mengen. Es überrascht daher nicht, daß die Art, wie diese Angelegenheit wahrgenommen und behandelt wird, bedeutende Auswirkungen auf große Bevölkerungsgruppen sowie auf die Produktions-, Konsum- und Verfügungssysteme im weiteren Sinne hat. Ökonomische und ökologische Fragen sind eng ineinander verflochten. Aufgrund der bis in die jüngere Vergangenheit bestehenden unglaublichen Nichtbeachtung dieser Probleme, war der Müllstrom eine wichtige Ressource für viele kleine, improvisierte ad hoc Industrien besonders in urbanen Gegenden mit ihrer typischen Konzentration von Abfallproduktion und Arbeitslosigkeit. Obwohl die gegenwärtigen Entwicklungen im Bereich Abfall und Recycling in Richtung zunehmend zentralisierter "effizienter" Systeme der Materialverarbeitung weisen, erscheinen mir die dezentralen, improvisierten Modelle der Abfallbehandlung und Wiedergewinnung am vielversprechendsten und angesichts des größeren sozio-ökonomischen Nutzens dieser lokalen Ansätze, wird es offenkundig, daß sie eine potentiell höhere Effizienz haben als die zentralisierten Systeme. Dies wird schlagartig klar in urbanen Gegenden, die einen ernsthaften ökonomischen Abstieg erfahren haben und unter Abwanderung, Rassentrennung oder einer Unzahl anderer urbaner Krankheiten leiden. Hier ist der Müllstrom eine nie endende Ressource, die entwickelt werden könnte zwecks Maximierung von Beschäftigung und Umweltverbesserung, bei gleichzeitiger sozialer Stabilität und Interaktion.

Die Kompostierung organischen Materials ist ein einfaches, weitverbreitetes Verfahren, welches die Erzeugung von Humus zur Verbesserung der Umwelt erlaubt und auch die Kosten der Müllaufbereitung, des Transports und der Deponierung aufwiegt. Ausgehend von einem großen Kompostierprojekt im Süden von Chicago, wurde der Chicago Compost Shelter errichtet. Es handelte sich dabei um die öffentliche Installation einer experimentellen Unterkunft, die darauf ausgelegt war, einen Chikagoer Winter lang durch die Hitze aus dem Zerfallsprozeß des organischen Materials beheizt zu werden, Sie bestand aus der Karosserie eines VW–Lieferwagens, der unter einem großen Komposthaufen vergraben worden war. Der Kompost selbst enthielt in erster Linie Pferdemist und Hobelspäne aus den Stallungen der Chicagoer Polizei. Dieses Material kann durch die Sauerstoff – bzw. Bakterientätigkeit im Inneren eines Komposthaufens, Temperaturen von 131 Grad Fahrenheit (51 Grad Celsius) erreichen. An die Unterkunft schloß sich ein schmaler Zutrittsweg an, außerdem verfügte sie über Dachfenster, die eine Innenbeleuchtung mit Tageslicht ermöglichten. Der Lieferwagen war groß genug für ein Bett und einige platzsparende Möbel und wurde mit Aschenbechern, einem Spiegel und einem Sessel mit Armlehnen ausgestattet, und wenn jemand daran dachte eine Batterie anzuschließen, gab es auch ein Radio und eine Deckenbeleuchtung.

Gebaut wurde die Unterkunft im Dezember 1987, auf einem unbewohnten, an ein Recycling-Gelände angrenzenden Stück Land, und sie blieb öffentlich zugänglich, bis sie im August 1988 demontiert wurde. Die Unterkunft funktionierte besser als vorhergesehen und schuf eine sehr warme, komfortable Umgebung. Gerüche und Dämpfe aus dem sich zersetzenden Mist bzw. Kompost stiegen nach oben auf und kamen aus dem Gipfel des Haufens, während in das Innere des VW-Lieferwagens eine beachtliche Hitze strahlte. Während des ganzen Winters betrug die Temperatur zwischen 70 und 80 Grad Fahrenheit, wenn die Tür dicht abgeschlossen war, sogar mehr. In den kältesten Nächten bedeutete dies einen Unterschied zur Außentemperatur von nahezu 100 Grad.

Während des Winters erfüllte der Compost Shelter eine Reihe unterschiedlicher Funktionen; ein beheizter Pausenraum für die im Freien arbeitenden Beschäftigten des Recycling-Centers; eine wissenschaftliche, museumsähnliche Vorführung der Zersetzungsprozesse für Schulklassen, die das Recycling-Center gelegentlich besuchten und vor allem eine Notunterkunft für Personen, die vorübergehend vom Abfallsammeln lebten und mit dem Recycling-Center Geschäfte betrieben. Zwar versuchte niemand, die Unterkunft ständig zu bewohnen (eine sehr reale Möglichkeit angesichts der örtlichen Armut und Obdachlosigkeit), jedoch wurde sie laufend als Nachtquartier benützt. Irgend jemand brachte eine alte Matratze mit, die den ganzen Winter über in der Unterkunft blieb, oft wurden Eßverpackungen und Getränkedosen hinterlassen, ebenso Wachsspuren vom Abbrennen vieler Kerzen.

Die Produktion von Biogas ist etwas weniger bekannt als das Kompostieren, existiert jedoch in vielen verschiedenen Formen, üblicherweise vielleicht als unbeabsichtigte Folge des Vergrabens großer Mengen organischen Materials. Oft ist sie auch ein Nebenprodukt von Systemen zur Wiederaufbereitung von Abwässern. Auf kleiner, dezentraler Ebene ist sie in anderen Regionen der Erde, insbesondere in China und Indien, wohlbekannt. Die Biogastechnologie beruht auf dem Phänomen der Zersetzung organischen Materials unter Ausschluß von Luft. Hierbei entsteht ein Gas, das hauptsächlich aus Methan und Kohlendioxid besteht. In abgeschiedenen Dörfern auf dem Land oder in einer Siedlung von Bauernhöfen kann eine Biogasanlage viele Zwecke er füllen: eine effiziente Methode der Abwasseraufbereitung; ein Mittel zur Verarbeitung organischen Materials zu einem fertig verwendbaren Dünger; eine Gasquelle zum Kochen und für die Beleuchtung; Treibstoff für Gasmotoren, die ihrerseits Kraftfahrzeuge, Pumpen oder elektrische Generatoren antreiben.

Das Projekt Advances in Biogas selbst ist die etwas unbeholfene Einführung einer Biogas-Kleintechnologie in die typische Wohnsituation in einem Apartment. Es anerkennt einerseits die in den Vereinigten Staaten weltweit höchste Pro-Kopf-Müllproduktion und andererseits die hohe voraussichtliche Anzahl von Karrieresprüngen während eines Lebens und das dementsprechende Bedürfnis nach Mobilität und Anpassungsfähigkeit. Aufblasbare Möbel sind hauptsächlich Bestandteil der Camping-Ausrüstung, wenngleich in den späten 60er Jahren der Markt für aufblasbare Möbel explodierte, was möglicherweise den "drop-out"-Wünschen entsprach, – den Stöpsel aus der Wohnzimmergarnitur ziehen und sie mitnehmen. Jedenfalls haben aufblasbare Möbel bereits ihren Platz in der jüngsten Geschichte des amerikanischen Heims.

Das grundlegende Prinzip der Biogasproduktion wird nun auf dieses Ensemble aufblasbarer Möbel angewandt. Die Matratze bzw. das Wasserbett wird in einen Verarbeitungsbehälter umgewandelt; die angeschlossenen Zusatzvorrichtungen erlauben die Zuführung von organischem Material und die Ausbringung von verarbeitetem Material. Die Matratze ist dafür wegen ihrer horizontalen Form geeignet und auch weil die zusätzliche Wärme aus dem Körper des Schlafenden dazu beiträgt, die Gasproduktion zu beschleunigen. Der Rest des Systems, Bett und Beistelltisch dienen als Lagergefäße und erleichtern die Verwendung des Gases unter geeigneten Druckverhältnissen. Der Druck hängt natürlich vom Gewicht der Person, die auf der Couch sitzt, ab oder von der Anzahl der Bücher auf dem Beistelltisch. Der erfolgreiche Betrieb des "Advances in Biogas"-Systems wird es (wenn überhaupt möglich) dem Eigentümer bzw. Bediener erlauben, sein Apartment auf Dauer von Kanalanschluß, externer Gaszufuhr und eventuellen Elektrizitätslieferanten abzunabeln und die Belastung der globalen Energieressourcen zu reduzieren. Darüber hinaus verfügt der Eigentümer bzw. Betreiber über eine Quelle zur Gewinnung von qualitativ hochwertigem Dünger für den Einsatz in der eigenen Landwirtschaft.

Store (cheese) ist ein Projekt, welches als Reaktion auf eine Insektizidvergiftung, die sich durch einen unglücklichen Zufall auf einer Milchfarm in Wisconsin ereignete, entwickelt wurde. Das Insektizid "Aldrin" ist eine dem DDT ähnliche chlorierte Kohlenwasserstoffverbindung. Es wurde ebenso wie DDT in den Vereinigten Staaten in den frühen 70er Jahren von einer Verwendung in der Landwirtschaft ausgeschlossen. Es wurde gerade wegen seines attraktivsten Merkmals, des nachhaltigen Effekts, verboten. Eine einzige Anwendung wirkte über viele Zeitperioden und dies führte zur Akzeptanz und weitverbreiteten Anwendung von Aldrin, oft als Bodeninsektizid. Es gestattete den Farmern, Korn stets auf dem gleichen Feld anzupflanzen, anstatt die Anbauflächen zu wechseln um Wurzelschädlinge zu vermeiden. Diese Nachhaltigkeit führte jedoch mit der Zeit zu seiner Verbreitung in den verschiedenen pflanzlichen und tierischen Nahrungsketten und verursachte Probleme, wo immer es sich ansammelte, auch bei Menschen und in diesem Fall bei Kühen. 51 der 84 Milchkühe der besagten Farm wurden kontaminiert, als die Tiere das an die zwanzig Jahre alte Insektizid, das vom Vorbesitzer der Farm zurückgelassen worden war und das durch die Risse in einem alten Lagergebäude sickerte, fraßen.

Was den Farmer, abgesehen vom Gesundheitszustand seiner Tiere, am unmittelbarsten traf, war die Erkenntnis, daß die Milch, die er produzierte, verseucht war, und daß er keine andere Wahl hatte, als sie in die Senkgrube zu schütten. Die Milch war der eigentliche Ansatzpunkt für das Store (cheese)-Projekt. Hier lag eine Situation vor, in der der Farmer gezwungen war, etwas zu "produzieren", was lediglich ein Abfallbeseitigungsproblem darstellte. Kontinuierliches Melken der Kühe war die beste Methode zur Entgiftung der Tiere, da sich das chemische Mittel an den Fettmolekülen im Körper der Kuh, ergo in der Milch, absetzte. Eine weitere Komplikation bestand darin, daß der chemische Stoff mit dem Wegschütten der Milch in andere, potentiell problematische Bereiche des angrenzenden Bodens oder Grundwassers eindringen konnte.

Erforderlich war also eine Pause, in der sowohl die Umstände des weitverbreiteten Chemieeinsatzes in der jüngsten Vergangenheit, wie auch die Fragen der Toxikologie und der Beseitigung überdacht werden konnten. Die Aufbewahrung der Milch über die Produktion von Käse schien ein geeigneter Weg, eine solche Pause zu erzielen. Das Verfahren der Käseerzeugung selbst war besonders faszinierend, da es einige der oben erwähnten bakteriologischen Prozesse reflektierte, hier jedoch als Methode zur Konzentrierung und Stabilisierung des Fettgehalts der Milch und damit zur Stabiliserung des Gifts, diente. Nahrungsmittelverarbeitung verwandelte sich in Abfallmanagement. Auch lagen hier mehrere Behälterebenen vor: Aldrin war in der Milch enthalten; die Milch wurde durch die Käseerzeugung aufbewahrt; der Käse wurde in Wachs versiegelt; und schlußendlich wurde der ganze Käse in einem umgebauten Kühlschrank aufbewahrt und überwacht, wo er noch immer darauf wartet, daß eine entsprechende Beseitigungsmaschinerie errichtet wird. Interessant ist auch die Überlegung, daß dieser nun ganz unvermeidlich scheinende Begriff des Behälters, in Wirklichkeit eine Antithese zum speziellen Grundsatz der agrochemischen Industrie, nämlich der extensiven Chemiestreuung, darstellt.

Der umgebaute Kühlschrank mit dem verseuchten Käse wurde in der kleinen Stadt nahe dem Unfallsort öffentlich präsentiert. Seine Installierung wurde mit der Lokalzeitung abgesprochen, so daß die Informationen zur Verfügung standen und zahlreiche verwandte Themenstellungen während der Zeit, in der der Kühlschrank ausgestellt war, diskutiert werden konnten.

Legal Cheese steht in einem nahen Zusammenhang mit Store (cheese), – anstelle einer Milch, die die Grenzwerte der Regierung für Pestizide in Nahrungsmitteln überschreitet, verwendet Legal Cheese Milch mit eindeutig feststellbaren Pestizidanteilen, die jedoch innerhalb der zulässigen Grenzen liegen, d.h. weniger als 0,03 Teile pro Million. Dieser Käse ist laut US-Regierung konsumierbar und kann daher mit weniger Einschränkungen gehandhabt und ausgestellt werden.

Bei allen diesen Projekten waren andere Personen beteiligt und haben Hilfestellung gewährt. Besonders danken möchte ich Mitchell Kane, Laurie Winter und Howard Hirsh vom Hirsch Farm Project, Northbrook, Illinois für die Ermöglichung des STORE (cheese)-Projekts; Ken Dunn und dem Resource Center, Chicago, Illinois; Martin Carrera und schließlich Connie Spreen.

Courtesy by the artist.