Trans-Form
'Bruno & Peter Sandbichler
Bruno & Peter Sandbichler
Ein gängiges Bild vom künstlichen Leben stellt an den Ursprung dieses Lebens einen Künstler. Oder vielleicht wird die Stelle des Ursprungs erst dadurch möglich, daß eine kunstfertige Schöpfergestalt an ihr sitzt, ebenso wie die zielgerichtete Ordnung, das Telos, das dem Lebensprozeß von dort weg auferlegt wird. Das Science-Fiction-Kino etwa, das sich Fragen nach künstlichem Leben meist anhand antropomorpher Kreaturen stellt, erzählt von diesem Leben gerne Schöpfungsgeschichten und Leidenswege. An deren Anfang steht ein (Mad) Scientist, Grenzgänger zwischen Industrie, Kunst und Wissenschaft, mit seinen zwecksetzenden Intentionen und seinem Bewußtsein, das von vornherein weiß, wie das künstliche Leben richtigerweise zu verlaufen hat.
Was dabei herauskonmt, ist meist nur ein werkzeughafter Automat, Kopie des (menschlichen) Lebens bzw. einiger seiner mechanistisch reduzierten Funktionen, während das Auftauchen von Leben im Künstlichen davon herrührt, daß der Golem rabiat wird, daß die Replikanten in Blade Runner ein Gedächtnis entwickeln und mehr Lebenszeit fordern oder daß die Law Enforcement-Kampfroboter in Robocop sich ihre Ziele nur noch selbst suchen, kurz: daß in der Homogenität von einmal fixierten Programinabläufen eine irreduzible heterogene Bewegung als monströse Störung auftritt: eine Abweichung als Zeichen dafür, daß künstliches Leben seinen Ursprung gerne vergißt und der Künstlerhand entfleucht.
Raus aus dem Kino, ins große Foyer des Linzer Brucknerhauses. Dort steht, könnte man meinen, eine große Aluminiumskulptur mit dem Titel Trans-Form, weil der Künstler Peter Sandbichler, könnte man weiters meinen, sie so dorthingestellt hat.
Tatsächlich gibt es in Sandbichlers Arbeit, so auch bei den Hunderten von unterschiedlich langen und kontinuierlich aneinandergesteckten Aluminiumrohren, eine schöpferischen Entscheidung über das So-Stehen (oder So-Liegen), Über die Stellung der Skulpturen. Einige haben keinerlei a priori festgelegtes Oben und Unten, keine Positionierung oder Zusammensetzung ihrer Teile, über deren Richtigkeit souverän zu entscheiden wäre. Der table with bended legs von 1988 hat eine Platte und vier Beine aus Holz, jeweils in Form eines J, und die mittels Schraubzwingen auf eine Vielzahl von Arten – oder auch gar nicht: ein dreibeiniger Tisch und ein Bein als genußvoller Überschuß –verbunden werden können, so daß der Tisch eine jeweils andere Stellung einnimmt und die Skulptur die Fülle ihrer Seinsmöglichkeiten durchspielt. Wie der Tisch steht und was er ist, verdankt sich einer Entscheidung, die stets im Kontext, im Reagieren auf einen Raum, eine Situation zu treffen ist, und die einen aktuellen Momentschnitt durch einen virtuellen Verwandlungsprozeß zieht.
Die Stellung der Aluminiumskulptur Trans-Form ist ein weiteresmal Produkt einer radikal empirischen, sich auf ihre Umgebung hin öffnenden Entscheidung, und ihr künstlicher Lebensprozeß beginnt dort, wo ein sich aktuell und materiell vollziehender Veränderungsstrom den vom Künstler gesetzten Ursprung dem Vergessen preisgibt. Das Profil, durch das alle Rohre gemäß einem invarianten Verkettungscode aneinandergesteckt sind, ist nach acht möglichen Richtungen hin offen, von denen jeweils maximal vier gleichzeitig besetzbar sind. Das heißt, die Skulptur kann zwar nicht an jedem Punkt, aber an einer Vielzahl von beliebigen Punkten auseinandergenommen und neu zusammengesetzt werden. Das Konzept geht hier über ein Angebot an die Vorstellungskraft hinaus, hin zum plastischen Anders-Werden der Anordnung, an der alle nicht bloß Betrachtenden durch das Umstecken von Rohren handfeste Eingriffe und Variationen vornehmen.
Sandbichlers Aufstellen ist hier in gravierender Weise kein Ausstellen mehr, sondern ein Verstellen, und vor allem: Es ist nicht mehr seine Stellung, in der die Skulptur lebt. Der Mad Scientist gibt die Kreatur aus der Hand, und das Metall-Trumm wird zum Monstrum: nicht nur, indem es sich als fremdartige Präsenz dahinwindet und plötzlich an unerwarteten Stellen (wieder) auftaucht, sondern indem es wächst, sich verformt, sich auf unvorhersehbare Weise verwandelt. Trans-Form ist ein künstliches Lebewesen, das mit seiner Umgebung interagiert, sein Stoffwechsel ist ein unendlicher maschineller Produktionszyklus, der keine stabile Identitätsform kennt. Nach Abschluß der Auf- und Ausstellung wird Trans-Form ein anderes geworden sein und sich bewegt, seine Stellung im Raum verändert haben. Vielleicht wird der Metamorph mit seinem kontinuierlichen Körper aus 500m Alurohr sich durch Teilung vermehrt haben; niemand weiß, ob und an welchen Stellen die Profil-Steck-Kette abreißen und eine neues Skulpturwesen entstehen wird, um sich womöglich von seinem Artgenossen davonzuschlängeln.
Wer will, kann sich an dieser unverhersehbaren Stelle als Mutter oder Vater eines neuen Stücks künstlichen Lebens verkennen oder gar ein kleines Rohr entwenden und mit sich nehmen, um so zur völligen Deterritorialisierung des Wesens beizutragen. Im Extremfall wäre von Trans–Form schlußendlich nicht ein Rohr mehr übrig, und die epidemische Ausbreitung und Vermehrung des künstlichen Lebewesens würde unter dem Gesichtspunkt der Seßhaftigkeit aussehen wie sein Verschwinden, sein Tod. Entscheidend ist aber, daß die umsteckenden und verstellenden Menschlein ein Teil im Fortpflanzungssystem und Bewegungsapparat, im Lebensprozeß von Trans-Form sind, ohne daß dieses dadurch einem menschlichen Bewußtsein unterworfen wäre. Vielmehr ist es die Vielheit der durch die Trans-Form-Maschine verknüpften, aber nicht kausal voneinander abhängigen Eingriffe, ist es ein nicht-individueller (also teilbarer), unbewußter Prozeß, in dem die Skulptur ihr wucherndes, zielloses, rhizomatisches Wachstum entfaltet. Keiner der momentanen Transformationszustände kann für sich genommen das Wesen dieses Lebens repräsentieren, und die Substanz von Trans-Form fließt nur in ihren Differenzierungen; keinem der Handgriffe kommt ein Privileg vor den anderen zu, auch denen von Peter Sandbichler nicht, aber jeder ist entscheidend, weil er etwas Neues hervorbringt.
Was das Kriterium der Gedächtnisbildung angeht, an dem künstliches Leben unter anderen gemessen wird … : Aluminium ist zwar geduldig und vergeßlich (obwohl seine Eloxierung Spuren der Alterung verzeichnen kann), aber eine Videokamera mit Zeitrafferschaltung wird diverse Lebensabschnitte von Trans-Form auf Erinnerungsbildern speichern und womöglich auch registrieren, wer nun wirklich ein Rohr mit nach Hause genommen hat.
ERRATUM
Dieser Beitrag wurde versehentlich aus dem Beitrag von Drehli Robnik über Peter Sandbichler gestrichen und stellt einen wesentlichen Teil des Essays dar.
Daß die Stellung einer Skulptur keinem transzendenten Plan folgt, hat noch nicht allzuviel mit künstlichem Leben zu tun, und die Phasenportraits ihrer denkbaren Variationen machen noch keine Bewegung, keinen tatsächlichen Veränderungsvorgang aus. Auch bei Sandbichlers rotem Ikosaeder, der sich 1992 als ein parasitäres Stück Kunst am Bau an eine Fassadenecke des Wiener Biozentrums Dr-Bohr-Gasse geheftet hat, ist die Transformation der Skulptur noch als reine Möglichkeit bezeichnet: in konsequenter Überschreitung des Verfahrens zur unverzerrten flächigen Darstellung einer (Welt-)Kugel, das der Architekt Buckminster Fuller anhand von zwanzig gleichseitigen Dreiecken entwickelt hat, präsentiert Sandbichlers bizarre Skulptur einen Globus, dessen äquivalente Flächen aus dem Gesetz der absoluten Kugelform herausgetreten und dessen geographische Relationen durcheinander, in Un-, oder besser: in eine andere Ordnung geraten sind. Die Konturen der Länder und Kontinente auf den zwanzig durch Scharniere verbundenen Dreiecken liegen falsch zueinander – nicht im Sinn eines Fehlers, sondern als Produktion eines Unterschieds, als ein Impuls an Hausbewohner und andere Betrachter, den zerstückelten geopolitischen Körper der Erde im Denken zu einer möglichen anderen Ordnung zusammenzusetzen; wobei die eine gedankliche Synthese, welche die vertraute, korrekte Repräsentationsform des Globus ergeben würde, nur eine denkbare Entscheidung unter vielen möglichen Wahrheiten über die Neu-Erschaffung der Welt ist.
Drehli Robnik
TRANS/FORM / EINE INTERAKTIVE SKULPTUR VON PETER SANDBICHLER Die Skulptur "TRANS/FORM" ist ein offenes System. Sie setzt sich aus beliebig vielen Teilen zusammen. Ihre Position im Raum ist variabel, so wie alle anderen Parameter, die ihre Form bestimmen.
Dieses System kann bestimmten Regeln unterworfen sein, die Einfluß auf Gestalt und Veränderung der Parameter haben (kann, aber muß nicht: das ergibt sich aus dem Set-Up, dem Operating System der Skulptur, das der Künstler von Fall zu Fall variieren kann). Die einzige Regel, die zwingend ist und sich aus der Form des einzelnen skulpturalen Elements ergibt, ist die Kompatibilität der Elementprofile mit sich selbst. Jedes Modul wird auf sich selbst angewendet. Das Modell der Skulptur entsteht am Computer. Das Environment ist künstlich, bevor die Arbeit in den realen Raum extrapoliert wird. Die Entstehung und Gestaltung dieses Modell wird zufälligen Prozessen unterworfen, die vom Künstler nicht mehr bewußt entschieden werden. Eine Form ("Gestalt") entsteht durch blindes Skalieren, Transformieren, Positionieren (indem bei der Erstellung des Computermodells beispielsweise nur eine Raumansicht berücksichtigt wird). So entgeht der Künstler den Fallen einer Ästhetik der Gestaltung.
Die Module lassen sich ineinander stecken und verschieben, im virtuellen Raum frei skalieren, werden sie zu unterschiedlichsten Modellen einer Basisform und unterliegen ihren eigenen Wachstumsgesetzen. Der Betrachter/Benutzer ist in der Lage, einen beliebigen Zustand der Skulptur herzustellen und wieder zu verwerfen.
"TRANS/FORM" besitzt in der räumlichen Ausführung keine definitive und endgültige Gestalt, sondern wird in einem prozessualen und historischen Zusammenhang gerückt. Die skulpturale Praxis von "TRANS/FORM" schafft ein chaotisch-dynamisches System, das aufgrund der Vernetzung unterschiedlichster Assoziationen von gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und historischen Erfahrungen (Molekularketten, DNA, Wachstumsalgorithmen, künstliches Leben …) ein gegenüber selbst kleinsten Veränderungen seiner Anfangsbedingungen bzw. Parameter sehr sensibles System ist und gerade deshalb ein Modell komplexer Wechselwirkungen unseres environments darstellt.
So mutieren die Skulptur und ihr Begriff in viele unabsehbare Richtungen (die flexible, variable, randomisierte Skulptur).
Neue Begriffe werden in die Theorie und Praxis der Skulpturgenerierung eingführt. Hier läßt sich eine deutliche Veränderung des skulpturalen Konzepts ablesen, die als Konsequenz der Entstehung neuer, computersimulierter Räume gedeutet werden muß. Es geht hier nicht so sehr um die strapazierten Verhältnisse von "wirklich" und "künstlich", sondern vielmehr wird deutlich, wie eine (angenommen) "wirkliche Welt" (der reale Entwurf), die über ein menschliches Interface in eine "künstliche" Welt (der Entwurf am Computer) transponiert wird, verändert zurückkehrt (in den "wirklichen" Raum), um virtuelle Zusammenhänge zu simulieren.
Es wird nicht die Wirklichkeit gesampelt, als Rohmaterial ausgebeutet und in sogenannte "neue" Zusammenhänge und Kontexte gebracht, sondern der virtuelle Raum des Computers wird verwendet, um einen Ort zu erschaffen, der vor dem Prozessieren der Skulptur/der Module durch den Rechner noch gar nicht vorhanden war. Die Skulptur hat sich einen neuen Ort erfunden.
Dieser Ort existiert unter den veränderten Bedingungen der TRANS-FORMATION (eine Form wird verschoben, und auch ihr Begriff) eines Modells, das sich selbst überschreitet.
Computermodell: Constanze Ruhm, ausgeführt an der Städelschule, Institut für Neue Medien, Frankfurt am Main.
Das Projekt wurde ermöglicht durch die großzügige Förderung der Fa. Piesslinger, Linz
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