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Ars Electronica 1993
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Ameisen


'Peter Kogler Peter Kogler

AMEISEN: COMPUTER: GEHIRN
Schwarze Ameisen umgeben von Sonnengelb auf sattrotem Grund: der in einer Art Gobelin–Technik gewebte Vorhang von Peter Kogler hängt in zwei Stoffbahnen von der Decke bis auf den Treppenabsatz. Das fortlaufende Muster aus metergroßen Ameisen hat der Künstler am Computer gestaltet, die Weberei den auf einer Diskette gespeicherten Entwurf materiell umgesetzt.

Peter Kogler ist beileibe kein Techno-Künstler. Seine Computergrafiken basieren auf eingescannten konventionellen Vorlagen, die er speichert und als Modul verwendet. Kogler ist einfach User der Apparatur. Der Computer ist sein technisches Hilfsmittel, formiert ausgewählte Zeichen mediengerecht, bereitet sie auf und zu weiteren Verwendung vor. Koglers lmages sind dazu bestimmt und ausgewählt, Abbildung zu sein und weiter reproduziert zu werden. Ihre drucktechnische Eignung ist hervorragend, die plakative, drastische Sprache leicht les- und vermittelbar selbst in kleinen Formaten (vgl. die exorbitant hohe Reproduktionsrate und somit Distribution seiner Ameisentapeten-Arbeit auf der documenta in Kassel in elektronischen wie Printmedien). Neben der Expressivität der Arbeiten von Peter Kogler spielt in den letzten Jahren zunehmend die inhaltliche Signifikanz eine Rolle. Immer wichtiger wird auch die materielle Inszenierung, die Möglichkeit einer sinnlichen Raumerfahrung (Tapeten, Vorhänge, architektonische Trägerkonstruktionen). In der Konzentration auf die Motive des menschlichen Gehirns und der Ameise verweist Kogler auf strukturelle Analogien zwischen dem Ameisenstaat, dem menschlichen Gehirn und dem Computer (hoch entwickelte Kommunikation, Disziplin, Effektivität und Anpassung, testprogrammierte Aufgabenbereiche der einzelnen Teile des Systems, das nur als Gesamtheit existieren kann).

Die vor Jahren von Kogler eingescannte und immer wieder geklonte Ameise ist eine Königin der Gast-Ameisen (formicoxenus initidulus). Die Ameise wurde aber rein nach visuellen Kriterien ausgewählt, weder ihr Status noch ihre Gattung sind entscheidend. Durch Wiederholung & immer erneute Reproduktion seiner Module baut Kogler Strukturen, unzugängliche Labyrinthe, Stränge, Bänder, Linien oder regelmäßige Muster. Das menschliche Gehirn und das staatenbildende Insekt werden zu Symbolen einer Ordnung, in der das Einzelne / Individuelle einer strikt dem Interesse des Gesamtorganismus dienenden Ordnung unterworfen ist.

"In der vollkommenen Gesellschaft gibt es weder Gemütsbewegung noch Erbarmen. Kostbarer Raum kann nicht für jene verschwendet werden, die ihre Nützlichkeit überlebt haben."

"Der geschlechtslose Arbeiter ist in jeder Gesellschaft die wahre Quelle der Freiheit."

"Vielleicht werden wir mit der Zeit so funktionell wie jene, die wir nachahmen. Wir werden Gesichter ohne Mienenspiel entwickeln: nur Augen und Mund, gerade genug, um den Rest des Körpers am Leben zu erhalten. Keine Muskeln, mit denen man lächeln oder finster blicken oder in irgendeiner Weise verraten könnte, was unter der Oberfläche lauerte."

"Der lebende Prototyp des Computers wurde von der Natur entwickelt, lange bevor die Primatenfamilie das Gehirntier Mensch hervorbrachte. Dieser Prototyp ist nicht mehr und nicht weniger als der Termitenhügel, einer der ersten Experimente in sozialer Ordnung. (…) Wir alle wissen natürlich, daß das Insekt, verglichen mit dem Menschen, nichts von dem zeigt, was wir Intelligenz nennen könnten. Aber warum sollten wir deswegen Stolz empfinden? (…) Ein Computer ist ein mit Hunderttausenden winziger Informationseinheiten programmierter Mechanismus. Er arbeitet, indem er die Informationseinheiten nach logischen Grundmustern ordnet, sichtet und in immer neuen Kombinationen zusammenstellt. (…) Ist eine reibungslos funktionierende Gesellschaft nicht auch eine Form der Logik? Ich behaupte, daß die Bewohner eines solchen Termitenhügels, wie sie sich durch ihre verborgenen Gänge bewegen, hunderttausend winzige Informationseinheiten, jede ein Teil des Ganzen, sich in seiner Form unbestreitbarer Logik organisiert haben.

Judith Fischer

Thanks to: Fa. Backhausen, Wien

LITERATUR:

Frank Herbert: Hellstroms Brut. Science–fiction Roman. Heyne: 1977; Bert Hölldobler & Schwer 0. Wilson: The Ants. The Belknap press of Harvard University Press: 1990; Heiderose & Andreas Fischer–Nagel: Der Ameisenstaat. Luzern: 1987; Johannes W. Rohen / Chihiro Yokochi: Color Atlas of Anatomy. A photographic Study of the human body. IgekuShoin: 1988; Florian Rötzer (hg.): Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien. Suhrkamp: 1981.