Dead on Arrival
'Thomas Grünfeld
Thomas Grünfeld
Warum Tierpräparation? Der Gedanke der Illegitimität, daß etwas zu Unrecht an einen Platz gequetscht wird wo es nicht hingehört, ist ein Grund für Abscheu, einen Zustand, von dem Freud erklärte, er sei in den Augenblicken unvermeidlich, in denen das Unbewußte ins Bewußtsein dringt. (1) Vielleicht ist die Kategorienverwechslung die schwerste Ketzerei: drinnen und draußen, Fell und Federn, genießbar und ungenießbar, zahm und wild – alle unentwirrbar zusammengewürfelt, wie als Postulat einer möglichen Befreiung von ihnen, einer Abwesenheit jener Antithesen, durch die das Gehirn von der Sprache verhext wird. Ein Gegensatz vor allem beherrscht unsere Auffassung dessen, was an einer Person wesentlich ist: daß man unter den menschlichen Tugenden die "Tiefe" der "Weite" vorzieht, und das entsprechende Ideal, man könne Leute besser verstehen, indem man durch ihre Schale dringt und Schätze ausgräbt, deren Umfang mit fortschreitender Ausgrabung zunimmt. Was wäre, wenn die Leute überall von gleicher Konsistenz wären, oder wenn unter der äußeren Hülle alles nur ausgestopft wäre? (Eine religiöse Variante besagt, daß der Körper wertlos sei, und nur der Geist zähle.) Warum stopfen wir Tiere aus, aber keine Menschen? Warum essen wir Tiere, aber keine Menschen? Im Kern der westlichen Kultur liegt eine Dichotomie, deren Untersuchung wir nicht ertragen können, ein Bündel von Gegensätzen, durch die wir leben, ohne uns ihnen mehr als einen allzu schmerzlichen Augenblick lang stellen zu können. Und doch kann man sie vielleicht vorzeigen. Das Thema der Zurschaustellung war immer ein Hauptinteresse Grünfelds; eines seiner Werke besteht beispielsweise aus einem Rahmen, in dem drei verschiedene Ausschnitte Holzimitat durch am Rahmen montierte Bilderleuchten überstrahlt werden, sie aber im Grunde sich selbst bestrahlen. Das Interesse ist das gleiche, doch zum Gegenstand der Betrachtung wird jetzt eine pseudowissenschaftliche Sammlung, die in einer bestimmten Reihenfolge eine Art von Rückzüchtung veranschaulichen soll. Von der "Zurschaustellung" zum "Monster" ist es ein kürzerer Schritt als man glaubt. "Monster" und "Zurschaustellung" (Demonstration) haben, wie Michel Foucault einmal bemerkte, dieselbe lateinische Wurzel "monstrare"; zur Schau stellen – nicht, so könnte man hinzufügen, aus Gründen einer möglichen Debatte, sondern als Spektakel. Und der Grund für unsere gleichzeitige Verachtung und Verehrung von Mißgestalten liegt vielleicht darin, daß sie sich dem analytischen Denken entziehen. Sie bringen jede bestehende Diskussion zum Stillstand, sei es eine über Genmanipulation oder eine über die neueste Kunst. Die Vermutung liegt nahe, daß Kunst und Wissenschaft in gleichem Maße – denn alles deutet auf ein Museum hin – den Zugang zu den wirklichen und schwierigen Fragen verloren haben. Diese werden zwar gesehen, sind aber noch nicht gelöst.
Grünfelds neue Trophäen sind weder historisch korrekt, noch stellen sie etwas wieder her, das es je gegeben hat. Sie werden aus Teilen verschiedenster Tiere zusammengesetzt und sollen dabei so plausibel wie möglich aussehen – mindestens so plausibel wie ein Narwal, ein aufgespießtes Insekt oder ein Schnabeltier. Ohne Einzeltitel, nur mit Numerierung, schauen die misfits in ihren Vitrinen aus deutscher Eiche verletzlich und verloren aus – "verloren", denn die Vitrinen sind offensichtlich zu groß für sie, "verletzlich" wegen des Neonlichts und der dreiseitigen Verglasung. Ihre einzige Funktion ist die Ausstellung als Musterbeispiel, woher vielleicht auch die Beunruhigung und die eigene Befangenheit rührt. Zugegebenermaßen gibt es Unterschiede. Während III durch seine Kaninchen- und Fasanenteile und seine Fuchszähne etwas Klassisches hat, sind etwa IV und V humoristisch und reizvoll anzusehen. J.K. Huysmans, einer von Grünfelds Lieblingsautoren, beschrieb 1880 in den Croquis Parisiens eine Bar mit Vitrinen voller mühselig ausgestopfter Tiere, deren Blicke aufgrund der immer gleichen orange-schwarzen Augen meist ein fixes, idiotisches Starren waren; Schwäne mit gelben Holzschnäbeln, ungleichmäßig gefüllten Hälsen und vom Stopfzeug ausgebeulten Bäuchen, oder ein altes mit Schuhleder geflicktes Krokodil ohne Zähne. Huysmans' Beschreibung beruht auf zwei wohlbekannten Wirkungen: daß man in Tieren menschliche Eigenschaften wiedererkennen kann, und die Einsicht daß – trotz der künstlichen Wiederbelebung der Tiere durch eine dilettantische Tierpräparation – das zweite Leben seine Lebendigkeit nur der mühsehligen Arbeit verdankt. Grünfelds misfits schließen an die süddeutsche Wolpertingertradition an, künden von unmöglichen Tieren, die unerahnt durch die Wildnis schweifen. Weder Zeichnungen noch Beschreibungen dieser Tiere, noch ausgeheckte Musterexemplare erhöhen ihre Glaubwürdigkeit. Stattdessen erweitern sie die betreffende Mythologie, die sogar ins Gedruckte gelangte, mit Büchern wie Heims und Reisers Mit dem Wolpertinger leben oder Alphons Schweigerts Und es gibt sie doch!
Unter biologischem Gesichtspunkt sind die Beispiele in den Vitrinen die geborenen Verlierer der Tierwelt, zum Scheitern verurteilte Seitensprünge, wie die Experimente von Wells' Doktor Moreau, oder wie Frankensteins Monster. Der Betrachter zweifelt gerade deshalb an ihrem möglichen Überleben, weil ihre gemischte Abstammung ihnen keinen erdenklichen Vorteil bringt. Wir erfassen sie in der Reihenfolge, daß wir zuerst ein einziges, dominantes Tier ausmachen, und den Variationen einen untergeordneten Rang zuweisen. Anders ausgedrückt, unsere Sichtweise favorisiert das Vor-Wissen, mitsamt dem Wissen über Tierzucht. Allein die Starken überleben, und auch in unserem Geist haben sie, selbst im scheinbar unvoreingenommenen Wahrnehmungsakt, die Oberhand. Trotzdem liegt es in der menschlichen Natur, sich Monster auszudenken: das Groteske stellt ein probates Mittel dar, unsere Grenzen auf die Probe zu stellen und zu bestätigen. Die Gorgo wie auch E.T. rufen uns in Erinnerung, was es heißt, der Menschheit anzugehören. Die berühmten historischen Untiere geben uns die Möglichkeit, Fragen über Schönheit, Gut und Böse, Macht und Verführung zu stellen und ansatzweise zu beantworten. Aber nur die berühmten; auch unter Monstern gibt es Stars.
"Wir kennen den Sinn des Drachen ebensowenig wie den Sinn des Universums, aber in seinem Bild ist etwas, das in Einklang steht mit der Vorstellungskraft des Menschen, und so erscheint der Drache in verschiedenen Gebieten und zu verschiedenen Zeiten. Er ist sozusagen ein notwendiges Monster, weder ephemer noch zufällig, so wie die dreiköpfige Chimaira oder der Katoblepas.“ (4)
Jorge Luis Borges vertrat die Ansicht, daß für Monster dieselben Kriterien gelten wie für andere Konstrukte der Phantasie. Ihm zufolge wären die misfits eher das Resultat einer Pfuscherei, als einer anatomischen Generalüberholung. So wie "notwendige" Monster die Überlebenden der Phantasie sind, sind ihre ephemeren Entsprechungen ein Tribut an die Arten, deren Aussterben die Geschichte der Arten am Leben hielt. Schon ihre bloße Existenz scheint ein Tribut an unser Mitleid und unseren Gerechtigkeitssinn
Der Kontext dieser misfits ist doppelt, wie jeder Kontext in Grünfelds Werk. Sie sind Trophäen für die eigene Wohnung, aber genauso von Galeriebesuchern gemusterte Objekte. Und die Galerie könnte ebensogut ein Museum sein, wie ein Verkaufsort für zeitgenössische Kunst.
In den letzten Jahren haben die beiden fusioniert; die Idee der Kunsthalle bestand darin, die Kunst direkt aus dem Atelier zu holen und sie in einem Kontext zu installieren, der traditionell nur der Vergangenheit seine Sicherheit verdankte. Die Fährlichkeiten von Geschmack und kritischer Begutachtung werden einfach umgangen und Kunst wird jetzt durch die unmittelbare Entscheidung geheiligt. Geschichte wird die Geschichte des Augenblicks, und der allmähliche Fortschritt der Kultur löst sich in nichts als Mode auf. Man bedenke, daß Museen aus der Bereitwilligkeit des Adels entstanden, ihre Wohnstätten der Öffentlichkeit zu zeigen. Damals schien das Museum eine gute Idee. Im späten zwanzigsten Jahrhundert waren sich die Kommentatoren nicht so sicher.
"Der Ausdruck 'museal' hat im Deutschen unfreundliche Farbe. Er bezeichnet Gegenstände, zu denen der Betrachter nicht mehr lebendig sich verhält und die selber absterben. Sie werden mehr aus historischer Rücksicht aufbewahrt als aus gegenwärtigem Bedürfnis. Museum und Mausoleum verbindet nicht bloß die phonentische Assoziation. Museen sind wie Erbbegräbnisse von Kunstwerken."
1980 verwandte Douglas Crimp diese Worte Theodor Adornos, um in einem Essay mit dem Titel "Auf den Ruinen des Museum“ (6) einen Angriff auf die Museen zu eröffnen. Adorno und Crimp zufolge mordet das Museum seine Objekte, indem es sie ihrer einzigen Lebenskraft beraubt. Neun Jahre später ging Crimp in seinem Essay "Noch einmal zum Mauerlosen Museum" einen Schritt weiter. Er vertrat die Ansicht, daß die Objekte im Falle eines zeitgenössischen Kunstmuseums getötet würden, ohne je eine Lebenschance besessen zu haben. Heutzutage – so sein neuer Punkt – "sind sie schon tot, wenn sie fertig sind“ (7), denn sie werden für das Museum hergestellt und sollen nur noch in der Praxis seines Diskurses eine Deutung finden. Es entspricht Grünfelds Denken, daß die Opposition zur Kunst als einer Gedankenbewegung innerhalb feststehender Parameter nur als subversives Handeln innerhalb dieser Parameter möglich ist, nicht als demonstrative Geste von draußen. Doch das heißt, daß der Mythos der Avantgarde künstlich verlängert werden muß, um zu demonstrieren, daß er weder Kraft noch Bedeutung besitzt. Vielleicht kann nur ein so paradoxes Manöver wie die misfits der unlogischen Situation der zeitgenössischen Kunst gerecht werden.
Stuart Morgan
Courtesy Tanja Grunert und Michael Janssen, Köln
(1) A. Lejeune and M. Lewis "The Gentlemen's Clubs of London" London 1979, 186. zurück
(2) Quoted in Cornelia Lauf "Thomas Locher, Thomas Gründfeld" Artscribe 7l, September-October 1988, 87.
(3) Sigmund Freud "A Note on the Unconscious in Psycholanalysis" in J. Strachey ed. The Standard Edition of the Complete Psychoanalytic Works of Sigmund Freud London 1958, vol. 12, 264.
(4) J. L. Borges The Book of Imaginary Beings, Harmondsworth 1974, 14. zurück
(5) Thomas Locher in Thomas Grünfeld Vienna 1988, n. p.
(6) Douglas Crimp "On the Museum's Ruins" in Half Foster ed. The Anti–Aesthetic Part Townsend 1983, 43. zurück
(7) Douglas Crimp "The Museum Without Walls Reconsidered" in R. de Leeuw & E. Beer ed, L'exposition imaginaires, Gravenhage 1989, 272. zurück
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