Untitled Turkey XXIII
'Mayer Vaisman
Mayer Vaisman
POULTRYCULTURALISM Sie sind auf eine bestimmte Weise Fetische. Sie haben die magische Präsenz von Fetischen, diese runden Truthähne, die mit den Häuten anderer Tiere geschmückt und dann in der einen oder anderen Landestracht gekleidet wurden. Wie Voodoo Puppen oder Ikonen haben sie als Objekte eine starke Wirkung. Kurzum: trotz – oder vielleicht aufgrund – ihrer offensichtlichen Lächerlichkeit haben sie eine seltsame, ja beeindruckende Schönheit.
Doch die Schönheit ist entlehnt und gegen sich selbst gewandt. Wenn ein Antibild ein Bild ist, das die eigentliche Möglichkeit von Bildern in Frage stellt, sind sie Anti-Totems. Sie sind dazu da, um genau das in Abrede zu stellen, was Totems stützen sollen: kulturelle Identität, das klare Selbstverständnis des eigenen Kontextes, und die sauberen Kategorien, in die wir die Welt gerne einteilen, sei es mit Hilfe des Modesystems, sei es die Klassifikation der Tierwelt.
Vaisman hatte schon immer eine gewisse antiessentialistische Tendenz, den Wunsch, diese Disposition zu fördern und ihre Konsequenzen nachzuzeichnen. In jenem Sinne stellen die Truthähne mit seinen Karikaturmalereien und seinen neckischen Tapisserien ein Kontinuum dar. Die implizite Disziplin, die der Künstler nachahmt und dann untergräbt, hat sich verändert: in Vaismans früheren Arbeiten waren Männer Frauen und Narren Könige. Hier finden wir: Venezuelaner sind Indianer sind Japaner sind Deutsche und Truthähne sind Hasen sind Schildkröten sind Männer. Während sein früheres Schaffen eine Selbstdarstellung als degenerierter Historiker war, bieten die Truthähne Anschauungsunterricht in radikaler Anthropologie. Doch worauf es hier ankommt, ist stets dasselbe: die Kultur existiert nicht, außer als ein Flickwerk entlehnter Fetzen. Wir setzen diese auf wie einen Hut. Es gibt nichts Beständiges hinter unseren Entscheidungen, es gibt keine natürlichen Arten.
Es ist eine gute Nachricht, die schon lange fällig war. Doch wenn wir eine Debatte über Multikulturalismus austragen wollen, müssen wir uns zuerst fragen, was wir in einer Welt, in der nichts gleich sich selbst ist, multiplizieren.
Jim Lewis
Courtesy Jablonka Galerie, Köln
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