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Der Digitale Garten, Version III


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Der Digitale Garten ist ein laufendes Video-Computer-Graphik Projekt, das sich mit dem sich verändernden Verhältnis zwischen natürlicher und künstlicher Umwelt auseinandersetzt.

Trotz der mythischen, paradiesischen Assoziationen ist der Garten nichts Fremdes in der Welt der Erfindung, Maschinerie oder Technolgie. Dem Wesen nach ist der Garten – von seiner persischen, ägyptischen, chinesischen und europäischen Herkunft her – eine Anordnung von natürlichen Elementen, die ein "lebendes Bild" reproduzieren, das vielleicht dieselben Gefühle hervorruft, die man als weitab vom Bereich menschlicher Erfindung empfinden könnte. Dennoch bleiben diese lebenden architektonischen Plätze Erfindung.

Man könnte vielleicht eine weitere Verbindung zwischen Gartenkultur und Technokultur im parallel verlaufenden technologischen Übergang von den mechanischen Automaten des griechischen und römischen Zeitalters zu den Zellulärautomaten und dem künstlichen Leben unserer Epoche herstellen. Zumindest auf der Oberfläche versuchen beide eine Synthese der Maschinerie des Universums, indem sie die Vorgänge des Lebens mit Hilfe der Technologie nachzuahmen versuchen. In diesem aristotelischen Sinne ist die Kunst (techne) eine auf Nachahmung basierende Ergänzung dessen, was die Natur unvollständig lassen muß.

Der Digitale Garten beherbergt jene elektronischen Lebensformen, die sich für die mechanischen, elektronischen und digitalen Bedingungen der Gegenwart eignen, indem sie diese neue Natur in die Kultur der lebenden Dinge einbindet. Inspiriert durch das Schaffen von Aristid Lindenmayer – dessen "L-Systeme" die Entwicklung der Computergraphik bestimmten, da sie das Wachstum von Pflanzen richtig "imitieren" (oder gestalten) – spielt dieses Projekt mit unserem Wunsch, die Natur mit Hilfe unserer eigenen komplexen Systeme künstlich zu schaffen oder zu manipulieren.

Daß dies in einem Garten geschieht, soll nicht weiter überraschen. Der Garten als selektiver Spiegel, der so groß ist wie das Leben und zweimal so groß wie die Natur, bietet ein Modell dessen, wie wir uns die Welt vorstellen. Die Träume von Pythagoras, Euklid und von Neuman widerspiegeln und verzerren die neuen Einblicke in die Natur. Von den Anfängen im Garten Eden bis hin zur Vorherrschaft geometrischer Strenge (in Europa und dem Osten) und ihrer formalen Auflösung im späten 17. Jahrhundert, werden diese organischen/architekonischen Räume innen und außen eins (Haus/Garten, Natur/Technik, Übertragung/Rezeption, usw.), als Ort, Handlung und Idee. Bis zum heutigen Tag wird die künstliche Natur weniger durch materiale Intervention als durch die Kraft räumlicher, sinnlicher und visueller Manipulation unserer körperlichen Erfahrung geschaffen.

Diese dritte Fassung entstand aus drei neueren Arbeiten: Version I (in Zusammenarbeit mit Ken Maher produziert), Digitale Garten, Version II und Immortelle – die 1992 und 1993 als Installationen und Einfach-Kanal-Videoarbeiten gezeigt wurden.

Immortelle ist eine der Science Fiction nachempfundene Videoinstallation: sie zeigt die Programme eines fiktiven Computers, der in der Lage ist, die Formen organischen Lebens nachzuahmen. Auf der Grundlage von Texten und Ideen von Biologen wie D'arcy Thompson und Aristid Lindenmayer, Science-Fiction Autoren wie Clifford D. Simak, dem Historiker der Lebenswissenschaften Francois Jacob und dem Filmemacher Jean-Luc Godard beschwört Immortelle ein Universum herauf, in dem mathematische Berechnung "Mutanten"–Variationen von grundlegenden Algorithmen des Lebens schaffen. Im Sinne von künstlichem Leben evoziert Immortelle ein rekursives Programm, das nicht das Leben, wie wir es kennen, sondern das Leben, wie es sein könnte, visualisiert.

Der Digitale Garten hat diese Ideen von (digitalem) Wachstum, architektonischem Raum und unserer, einem historischem Wandel unterzogenen Sicht von natürlichen und künstlich geschaffener Umwelt untersucht. Als Reaktion auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen errichtetem Environment und immaterialer Informationslandschaft stellt sich diese dritte Version des Gartens elektronischen Daten gegenüber und stellt eine Vereinigung derselben in einem architektonischen/ökologischen Raum dar. Wenn "Betrachter" den Raum betreten, stoßen sie auf eine Vielfalt von elektronischen Lebensformen, die als großflächige Projektion auf einer Reihe von Videomonitoren sichtbar werden. Die elektronischen Formen fließen über große im Hintergrund-Video gezeigte Videoprojektionen von archetypischen Gartenszenen – die formale Achsenperspektiven von Versailles, des Taj Mahal, des Hyde Park und von einem fiktiven zusammengesetzten Videoraum – in denen der Betrachter dazu aufgefordert wird, zu wandeln.

Die meisten dieser Graphiken werden von vier Videoband-Quellen gespielt. Es ist in beschränktem Maße vorgesehen, daß der Teilnehmer Computergraphiken in Echtzeit aktiviert. Bei jedem Besuch im Garten wird eine neue Gruppe von künstlichen Lebensformen entdeckt. Die nächste Version des Gartens wird eine stärker ausgedehnte Echtzeit-Interaktion in der künstlichen Graphikwelt ermöglichen. Diese Version wird derzeit in Zusammenarbeit mit Jon McCormack entwickelt, dessen L-System-Software (die er für Verwendung auf Silicon Graphics-Arbeitsstationen entwickelt hat) Gebrauch macht von neuen Errungenschaften im Bereich der interaktiven Evolution (auf der Grundlage von CA und L-Systemen für die Computergraphik-Gestaltung). Die nächste Version des Digitale Gartens wird daher die Schemata von biologischem und elektronischem Wachstum in Echtzeit imitieren, wobei der Besucher die Möglichkeit haben wird, eine sich stets verändernde Vielfalt von Lebensformen in einem Garten, der zugleich vertraut und bizarr anmutet, herzustellen.

Der Digitale Garten ist eine Weiterentwicklung vieler Ideen, die mit der Wechselwirkung von elektronischen Medien, Naturphänomenen und künstlicher Umwelt zu tun haben. Er entwickelt viele dieser Ideen durch die Einbindung von Fragen des Designs im zweiten Maschinenzeitalter in den Bereich der kybernetischen Revolution. Wenn es zutrifft, daß die Renaissance mit Perspektive und Bewegung baute, die Viktorianer mit Ordnung und Stein und die Moderne mit Maschinen und Beton, wie sollen wir im Zeitalter der Information, Medien und der digitalen Reproduktion auf die (natürliche) Umgebung reagieren? Wie kann die in Bruchteilen zu sehende Dimension der Natur, der Künstlichkeit des Lebens und die Wissenschaften komplexer dynamischer Systeme (zugleich Organismus und Technologie) wiedergewonnen werden, die in unserer neuen Maschinen-Natur derart konvergieren, daß sich unsere grundlegende Grenzzustände, die fundamentalsten Bedingungen unserer synthetischen und alles durchdringenden Existenz radikal verändern?