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Ars Electronica 1993
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Interactive Plant Growing


'Christa Sommerer Christa Sommerer / 'Laurent Mignonneau Laurent Mignonneau

KONZEPTUELLE UND ÄSTHETISCHE ASPEKTE

"The rate of growth deserves to be studied as a necessary preliminary to the theoretical study of form, and organic form itself is found, mathematically speaking, to be a function of time. (…) We might call the form of an organism an event in space-time, and not merely a configuration in space."

D'Arcy Thompson, On Growth and Form, Cambridge University Press, 1942.
"Interactive Plant Growing" ist eine Installation, die von Wachstumsprinzipien künstlicher Pflanzen-Organismen und ihren Veränderungen und Modifikationen in Echtzeit im virtuellen Raum eines 3D-Grafik Computers (Silicon Graphics) handelt.

Diese Modifikationen von "künstlich lebenden pflanzlichen Organismen" basieren in erster Linie auf den Prinzipien von Entwicklung und Evolution in der Zeit.

Künstliches Wachstum von programmierten Pflanzen ist der Ausdruck des Wunsches nach der Entdeckung des "Prinzips Leben", welches immer auch durch die Transformationen und Morphogenesen bestimmter Organismen bestimmt ist. Interactive Plant Growing verbindet das Wachstum künstlicher Pflanzen im 3-dimensionalen Raum des Computers mit echten lebenden Pflanzen, denen sich ein menschlichen Betrachter annähert und die er berührt.

Durch den Kontakt und die Annäherung ihrer Hände zu echten Pflanzen können die Betrachter direkt und in Real-Zeit dieses künstliche Wachstum am Computerbildschirm bzw. der Videoleinwand beeinflussen und steuern, indem sie verschiedene Datenwerte (abhängig von der Distanz Hand–Pflanze) an das Interface weiterleiten, welches die echten Pflanzen und das Wachstumsprogramm verbindet.

A) PRINZIPIEN DER EVOLUTION
Evolution kann in 3 Teil-Prozesse untergliedert werden:
  • WACHSTUM

  • DIFFERENZIERUNG (EINSCHLIESSLICH DETERMINATION)

  • BEWEGUNG
1. Wachstum
Wir sprechen von Wachstum, wenn die Menge der Substanzen oder die Anzahl der Zellen zunimmt.
Wachstum existiert nicht ohne Veränderung der wachsenden Elemente.
Das ist der Grund, warum Wachstum und Differenzierung eng miteinander verbunden sind.

2. Differenzierung / Determination
Differenzierung beschreibt, im biologischen Sinne, einen unabgeschlossenen Zustand.
Man spricht von Differenzierung, wenn man zum Beispiel zwei Zellen vergleicht, die sich unabhängig voneinander entwickeln, oder wenn zwei aufeinanderfolgende Stadien des selben Elementes verglichen werden.

Wird eine Entscheidung über die zukünftige Entwicklung einer Zelle gefällt, spricht man von Determination. Ein System von Wechselwirkungen in Zellen und Geweben kann durch unterschiedliche Kräfte verändert werden. Diese Entscheidungen bestimmen grundsätzlich die zukünftige Morphologie der Organismen und ihrer Teile.

3. Bewegung
Ohne Bewegung ist Evolution nicht möglich. Ordnung, Struktur, Transport von zellulären Substanzen, Entwicklung und Zellteilung sind dynamische Prozesse.
Wachstum und Bewegung hängen immer zusammen.
Wachstum, Differenzierung und Bewegung existieren in allen biologischen Dimensionen, beginnend mit den Molekülen und Atomen.

Wir können Chemische-, Organell-, Zell-, Gewebs- und Organ-Differenzierung unterscheiden.
Durch das Zusammenwirken aller Prozesse auf einer gewissen Ebene kann ein höher entwickelter Zustand durch Differenzierung des vorherigen Zustandes erreicht werden.

Das führt uns von Einzellern zu Kolonien und schließlich zu sehr komplexen Organismen, die den Vorteil der Arbeitsteilung in ihrem Zellverband haben.

Um jedoch die Variabilität der Organismen zu gewährleisten, ist es wichtig, die genetische Information der DNA immer wieder neu zu ordnen und neu zu gruppieren. Das ist der Grund, warum die generative Reproduktion durch einzelne Zellen besser garantiert ist.

Beide Vorteile, komplexe Zellularität mit Arbeitsteilung und einfache Zellularität mit der Möglichkeit zur Gen-Modifikation, kann uns zu äußerst komplexen Formen des Lebens führen, wie zum Beispiel zu Menschen, Tieren und Pflanzen.
B) INTERACTIVE PLANT GROWING – EINE REAL ZEIT INSTALLATION
1. Interaktion: Mensch-Pflanze
Durch den Kontakt und die Annäherung ihrer Hände zu echten Pflanzen können menschliche Betrachter das künstliche Wachstum von 25 und mehr programmierten Pflanzen in Echt-Zeit am Bildschirm des Grafikcomputers beeinflussen, kontrollieren und variieren.

Durch diese sensitive Interaktion mit den echten Pflanzen, werden die Betrachter selbst Teil der Installation. Sie bestimmen, wie die Interaktion übersetzt wird, und wie sich das Wachstum der künstlichen Pflanzen am Bildschirm vollzieht.

Die Größen der virtuellen Pflanzen können vom Betrachter reguliert, die Rotationen und die Bewegungen während des Wachstums verändert, die Farben der einzelnen Pflanzen modifiziert und neue Plätze für neues Wachstum des selben Typus Pflanze angesteuert werden.

Das Entstehen, Wachsen und Differenzieren dieser künstlichen Pflanzen ist also letztlich abhängig vom Kontakt der Betrachter zu den realen Pflanzen, da sich erst durch diesen künstliches Wachstum vollziehen kann.

Jede der virtuellen Pflanzenspezies (Farne, Lianen, Moose, Bäume und Sträucher) hat mindesten 6 unterschiedliche programmierte Variationsmöglichkeiten, durch die Interaktion Mensch-Pflanze wird diese Bandbreite jedoch wesentlich erweitert, da Ausformung, Größe, Farbe, Bewegung und Translation jeder einzelnen Pflanze ständig verformt und variiert werden kann.

All diese Variationen hängen schließlich von der Sensibilität des Betrachters ab, der die unterschiedlichen Stufen der Annäherung zur realen Pflanze herausfinden soll, da diese das Wachstumsgeschehen wesentlich bestimmen.

Jeder Mensch wird durch seine persönliche elektrische Spannung und durch die spezifischen Bewegungen seiner Hände zu den Pflanzen zu individuell unterschiedlichen Ergebnissen beim Wachstum der künstlichen Pflanzen gelangen, das heißt "human randomising" wird ständig neue unerwartete Ergebnissen in der Ausformung und Gestaltung dieses artifiziellen Pflanzenwachstum garantieren.

Da es einige Zeit dauert, bis der Betrachter die unterschiedlichen Modulationsstufen aufspüren wird, kann er dadurch indirekt größere Sensibilität und ein höheres Bewußtsein echten Pflanzen gegenüber entwickeln.

2. Programm:
In Interactive Plant Growing wachsen künstliche Pflanzen, programmiert von Laurent Mignonneau und Christa Sommerer im 3-dimensionalen virtuellen Raum des Grafik Computers (4D–VGX 320 Silicon Graphics).

Das heißt, KÜNSTLICHES WACHSTUM wird in ECHT-ZEIT im DREI-DIMENSIONALEN RAUM des Computers vollzogen. Die auf diese Weise produzierten Bilder werden durch einen hochauflösenden Video-Beamer auf eine Video-Projektionsleinwand direkt vor dem Betrachter und den Pflanzen geworfen.

Dieses Virtuelle Wachstum basiert auf speziell entwickelten Algorithmen, die sich auf die unterschiedlichen morphologischen Charakteristiken der realen Pflanzendifferenzierungen beziehen. Diese künstlichen Pflanzen können in alle Richtungen des Raumes wachsen, rotieren, deformieren und variieren.

Virtuelles Wachstum basiert nicht auf den selben Prinzipien wie echtes Wachstum, aber die Erscheinung von Bewegung, Differenzierung und Determination während dieses evolutionären Prozesses kann als optisch ähnlich bezeichnet werden.

Im Programm Interactive Plant Growing wurde eine neue Methode der Differenzierung entwickelt, die vergleichbar mit den L-Systemen von Aristid Lindenmayer ist, jedoch spezielle "Randomising Parameter" (Zufallsgeneratoren) verwendet, die als "künstliche Wachstums- und Differenzierungsregulatoren" bezeichnet werden können.

Diese Randomising Parameter" bestimmen die Morphologie der Organismen, indem sie deren Variationen kontrollieren.

Jeder Schritt in der Konstruktion der pflanzlichen Formen ist so weit als möglich zufallsgeneriert, innerhalb bestimmter Minimum- und Maximum-Grenzwerte.
So kann ein größtmögliches Potential an Variationen erzielt werden.

Zum Beispiel kann bei den programmierten Bäumen die Distanz und die Länge der "Mutter- und Kinderäste" innerhalb gewisser Grenzen durch Zufallsgenerierung variiert und verändert werden.
Das führt uns zu botanisch unterschiedlichen Wachstumsformen. Die Krone eines Baumes kann zum Beispiel kegelförmig, zylindrisch oder rund sein.

Andere Pflanzen wie Farne, Lianen oder Moose ändern ihren Habitus abhängig von den zufallsgenerierten Variablen für Größe, Länge, Rotationen, Translationen, Winkeln und Farben.
Diese Idee der fortgeschrittenen Zufallsgenerierung könnte mit dem Terminus "walking randomising" verglichen werden.

Die Grenzen der Zufallsgenerierung könnten als Determination bezeichnet werden, die Zufallsgenerierung selbst ist repräsentativ für die Differenzierung.
Die Bewegung, als drittes Charakteristikum der Evolution lebender Organismen, hat ihre Entsprechung in der künstlichen Bewegung innerhalb des 3-dimensionalen virtuellen Raumes.

Diese Bewegung von künstlichen Pflanzen kann durch einen äußeren Zufallsfaktor beeinflußt werden.
In diesem Falle ist es die Information durch das Interface, welches die Werte der "Distanz menschliche Hand zur Pflanze" verarbeitet und weitergibt.

3. Interface:
In der Installation werden die elektrischen Spannungsdifferenzen zwischen den Betrachtern und den Pflanzen direkt in elektrische Signale übersetzt, die das künstliche Wachstum am Bildschirm steuern und bestimmen. Dadurch vollzieht der Betrachter mit den echten Pflanzen einen direkten Dialog, dessen Interpretation kann er sofort in Real-Zeit auf der Projektionswand mitverfolgen und weitersteuern.
a) Elektrisches Potential:
Technisch gesprochen, wird das elektrische Potential von echten Pflanzen durch spezielle Sensoren, die an den Pflanzenwurzeln angebracht sind, gemessen.
Dieses elektrische Potential wird dann mit dem elektrischen Potential des Betrachters verglichen.
Diese Spannungsdifferenz variiert, abhängig von der individuellen Spannung der Betrachter und abhängig von der Distanz Hand-Pflanze. Die Sensibilität der einzelnen Pflanzen reicht von ca. 0 bis 70 cm im Raum, abhängig von Größe und Morphologie der realen Pflanzen.

b) Verstärker / Filter:
Diese elektrischen Signale werden nun verstärkt und gefiltert und danach durch ein 20 Meter langes isoliertes Kabel zu einem Konverter weitergeleitet.
Jede der 5 Pflanzen ist mit einem unabhängigen Verstärker verbunden.

c) Konverter:
Der Konverter transformiert die verstärkten und gefilterten analogen Signale in digitale Datenwerte.
Alle 5 Verstärker senden ihre Signale zum Konverter, ein Multiplexer wählt dann die Signale für die Konversion.
Diese unterschiedlichen Datenwerte werden nun zum Parallel-Port eines 4D–VGX 320 Grafik Computers gesendet.
4. FEEDBACK:

Durch das Feedback des künstlichen Wachstums am Bildschirm kann der Betrachter auf die jeweiligen Bilder reagieren und durch seine Entscheidungen den weiteren Verlauf des Wachstums bestimmen.

5 oder mehr Menschen können zur gleichen Zeit mit den 5 echten Pflanzen in der Installation interagieren.
Die Wachstumsprozesse sind sehr flexibel programmiert, sie sind begrenzt vordeterminiert, so daß die Ergebnisse ständig neu sein können, abhängig von der INTERAKTION MENSCH–PFLANZE.

Das Projekt wurde an der Städelschule am Institut für Neue Medien, Frankfurt am Main, produziert.