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Ars Electronica 1992
Festival-Programm 1992
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Festival 1979-2007
 

 

Unsere Regenbogenwelt


'Peter Weibel Peter Weibel / 'Otto E. Rössler Otto E. Rössler

Es heißt, die Enden des Regenbogens stehen in einem Tiegel aus Gold. Seine Position ist in der Tat ein Problem, denn sie stellt sich für jeden Beobachter anders dar. In Wirklichkeit ist der Regenbogen ein verzerrtes virtuelles Abbild der Sonne. Trotzdem gleicht er einem realen Objekt. Kann es sein, daß andere "reale" Objekte ähnlichen Verzerrungen unterliegen?

EINE ALTE FRAGE
Inwieweit hängt die objektive Realität vom Beobachter ab? Seit der Erfindung der Perspektive in der Renaissance und der Erfindung der Gruppentheorie (Helmholtz-Lie-Gruppen) im 19. Jhdt. wissen wir, daß das Erscheinungsbild der Welt in gesetzmäßiger Weise vom Standort des Beobachters abhängt. Dementsprechend erzeugen Computerprogramme vom "Virtual-Reality"-Typus aus einer im Computer gespeicherten absoluten (invarianten) Darstellung eine "gesetzmäßig nicht-invariante" (d.h. kovariante) Darstellung. Die gesetzmäßige Verzerrung des perspektivischen Sehvermögens ist zwar peinlich, – unser sicheres Empfinden für eine "objektive" Realität wird davon jedoch nicht berührt.

Der Regenbogen stellt diese Gewißheit in Frage. Bislang gibt es noch keine Virtual-Reality-Programme, die Regenbögen beinhalten. Die Transformationsregeln sind anders als jene, die für andere Objekte gelten. Der Grund dafür hängt mit der Tatsache zusammen, daß ein Regenbogen ein sehr spezieller Gegenstand ist: Er ist ein verzerrtes virtuelles Abbild der Sonne. Wenn also der Beobachter wandert, wandert folglich auch der Regenbogen. Wenn der Beobachter den Abstand zwischen den Augen mit Hilfe von Spiegeln vergrößert (was in einer Virtual-Reality-Simulation nachgeahmt werden kann, indem man die Größe der internen Darstellung des Beobachters verändert), verharrt der Regenbogen durchwegs in unendlichem Abstand, ungeachtet der Tatsache, daß er weniger weit entfernte Objekte überdeckt. Wenngleich auch niemand daran zweifelt, daß am Fuße des Regenbogens ein Tiegel aus Gold wartet, so ist es doch einigermaßen schwer, simulierterweise abzuwarten und zu beobachten und an den richtigen Ort zu kriechen um den Tiegel zu erhaschen.

Die Eigenschaften bestimmter Objekte (im vorliegenden Fall: ihr Standort) hängen also von den Eigenschaften des Beobachters ab (etwa von seinem Standort und seiner Pupillenform) und zwar in einer Weise, die über die bekannten Verzerrungen der Helmholtzschen 3-D-Perspektive oder der 4-D-Projektion Minkowskis hinausgeht. Könnte es sein, daß das durch den Regenbogen dargestellte Prinzip von größerer Signifikanz ist?
DIE SCHNITTSTELLE ZWISCHEN BEOBACHTER UND UMWELT
Als Teil der Welt kann ein Beobachter diese Welt nicht von einer objektiven Position aus betrachten. Der homogene Matrixalgorithmus des Virtual-reality-Flugsimulators (cf. Newman, Proull, 1979) zeigt, welch nicht-triviale Aufgabe die Schaffung der richtigen Schnittstelle darstellt. In Wirklichkeit braucht der Beobachter – weit davon entfernt, von der mannigfaltigen und sich verändernden Struktur der verwendeten, regelmäßig aufeinanderfolgenden Perspektiven eingeschüchtert zu sein – eine solche Verpackung, um daraus ein korrektes, invariantes Bild zu gewinnen. "Die Initimität eines Kopfes neben dem eigenen gleicht den Lichtern und dem Torweg eines Hauses" (Rodney, 1991). Im Prinzip wären viel mehr Parameter zu untersuchen als jene, die den Standort und die Größe des Beobachters beschreiben. Sofort fällt einem hier die Bewegung des Beobachters ein. Hervorgerufen werden dabei sowohl Phänomene des "visuellen Fließens" wie auch der relativistischen Verzerrungen, die in der Simulation auch tatsächlich reproduziert werden können (Sutherland, 1966, 1970). Sodann denke man wiederholte Bewegungen des Beobachters, etwa an ein Kopfschütteln. Die Auswirkungen auf die Schnittstelle können, vor allem wenn es sich um ein schnelles Schütteln handelt, dramatisch sein. Unter solchen Voraussetzungen kann die Suche nach einer invarianten Darstellung einen nicht wieder gutzumachenden Rückschlag erleiden.

Historisch erstmals erkannt wurde das Schnittstellenproblem von Boscovich (1755), der die Frage aufwarf, was wohl passiert, wenn der Beobachter und seine Umwelt, zusammen mit allen involvierten Kräften, sich gleichzeitig verkleinern. Selbstverständlich würden "im Bewußtsein die selben Eindrücke hervorgerufen". Die Schnittstelle wäre davon nicht tangiert. Ebenso würde sich für den Beobachter nichts ändern, wenn sein Kopfschütteln von einem dementsprechenden Schütteln der übrigen Welt begleitet würde. Die zeitabhängigen Merkmale der Schnittstelle verdienen daher eine eingehendere Betrachtung.
DIE DURCH EINE BROWNSCHE BEWEGUNG DES BEOBACHTERS ERZEUGTE SCHNITTSTELLE
Interessant ist die Brown'sche oder "Archimedische Bewegung" wegen der darin beinhalteten Energie- und Impulserhaltung. Jeder Beobachter, dessen Teilchen sich in zufälliger thermischer Bewegung befinden, steht in einer interessanten dynamischen Beziehung zur übrigen Welt. Archimedes erkannte als erster, daß das gemeinsame "Schwerkraftzentrum" niemals bewegt werden kann. Wie erscheint also die übrige Welt einem solchen Beobachter? Sinnvoll kann diese Frage erst heute gestellt werden, da die erforderliche gleichzeitige Simulation vieler Teilchen eine erst vor kurzem eröffnete Option ist (Alder und Wainwright, 1957).

Jedes externe Objekt vollführt in bezug auf den Beobachter eine Brownsche Bewegung. Die Stärke dieser Bewegung wird von der Masse des Objekts abhängen: Je geringer die Masse, desto größer die sichtbare thermische Erregung. Dies deshalb, weil das Schwerkraftzentrum von Beobachter und externem Objekt über eine relative Brown'sche Bewegung verbunden ist. Ein Objekt mit sehr geringfügiger Masse kann daher von einem thermisch bewegten Beobachter niemals fehlerfrei beobachtet werden. Der thermische Lärm des Beobachters wird das Objekt immer "beunruhigen" und zwar so, daß es durch die Temperatur des Beobachters thermisch erregt erscheint, auch wenn die tatsächliche Bewegungstemperatur des Objekts null wäre. Der Effekt ist der gleiche wie wenn der Beobachter selbst ein Brownsches Teilchen wäre. Wie erscheint die Welt einem Partikel in Brownscher Bewegung? Das Virtual-reality-Paradigma kann grundsätzlich dazu verwendet werden, hierauf eine Antwort zu finden.
DIE WELT EINES QUÄKERS
Es ist nicht leicht, jenen ruhigen Bewußtseinszustand zu erreichen, der den richtigen Weg weist. Auch numerisch ist die Aufgabe sehr anspruchsvoll. Sie besteht im Entwerfen einer vollständigen, reversiblen Mikrowelt in einem Computer. Das innere "Auge" (d.h. der interne makroskopische Beobachter) muß aus eben den Mikrokonstituenten gebildet werden, aus denen auch der Rest besteht. Die in diesem Computeruniversum geltende besondere (impulskonservierende) Beziehung zwischen diesem "Auge" und einem speziellen Mikroobjekt kann dann von einem menschlichen Makrobeobachter außerhalb dieser Welt betrachtet werden (falls er die richtigen Spezialbrillen trägt).

Eine lohnende Aufgabe, die, nehmen wir einmal an, im Jahr 2010 bewerkstelligt werden kann, – ein flüchtiger Blick auf das ungewöhnliche Regenbogenphänomen, das von dieser technischen Neuheit ausstrahlen wird, ist aber heute schon möglich.
FALSCHE UNBERECHENBARKEIT
Eine erste Implikation besteht in einer nicht reduzierbaren Unberechenbarkeit. Das Chaos im Beobachter übersetzt sich in ein Chaos außerhalb des Beobachters. Zusätzlich zu der Einheit thermischer Lärmenergie im Beobachter (E), die der Hälfte der Boltzmannkonstante mal der Temperatur des Beobachters entspricht, haben wir eine zweite echte Konstante (T). Dieses charakteristische Zeitintervall steht in einer Beziehung zum mittleren Kollisionsintervall im Beobachter: Nachdem dieses Zeitintervall verstrichen ist, ändern die Mikrodynamiken im Beobachter ihren Verlauf in Relation zum externen Objekt. Die präzise Berechnung von T für klassische Billiardsysteme stellt ein offenes Problem dar (Rössler, 1991 a). Die mittlere Schüttelperiode T erfordert auch aus konzeptioneller Sicht eine weitergehende Klärung. Wäre der Beobachter mit dem Objekt allein im Universum, so würden das Schwerkraftzentrum des Beobachters und jenes des Objekts keine relative Brown'sche Bewegung vollführen. Sobald jedoch irgend ein drittes Objekt (zum Beispiel ein vermittelndes Teilchen) mit dem Beobachter verbunden wird, bleibt das externe Objekt nur in bezug auf diese kombinierte Anordnung in einem Zustand konstanter Bewegung. Im allgemeinen revidiert der aus vielen Teilchen bestehende Beobachter nun tatsächlich mit jeder Einheit des Zeitintervalles T relativ zum externen Objekt den Kurs.

Die daraus resultierende "relative Diffusion" zwischen externem Objekt und Beobachter bestimmt sich aus dem Produkt von E und T, dividiert durch die Objektmasse (M). Dieses Ergebnis stimmt auch, wenn das externe Objekt mit dem Beobachter "direkt" (d.h. ohne Meßkette) verbunden ist (Rössler, 1987). Unerwarteterweise gilt auch für den allgemeineren Fall einer "indirekten" Verbindung (über eine Meßkette) noch das gleiche Gesetz, da die Meßkette die objektiv bestehende wechselseitige Beziehung zwischen Beobachter und Objekt nicht ungeschehen machen kann. Die daraus hervorgehende "Unberechenbarkeit" weist Ähnlichkeiten mit der Quantenmechanik auf. Dies deshalb, weil das Vorhandensein eines Diffusionsgesetzes vom oben beschriebenen qualitativen Typus (eine Operation wie E mal T, dividiert durch die Masse des Objekts) ausreicht, um die Schrödinger-Gleichung hervorzubringen (Fényes, 1952; Nelson, 1966).
FALSCHE GEWISSHEIT
Wir müssen erst noch untersuchen was geschieht, wenn der Beobachter ein Mikroobjekt in einen bestimmten, festgelegten Beobachtungszustand zwingt. Die Meßanordnung könnte beispielsweise so gewählt werden, daß das Mikroobjekt seine Position mittels einer Ja-oder-Nein-Entscheidung verraten muß. Das hierbei auftretende Problem verhält sich analog zum Problem der Bildung eines "Eigenzustands" in der Quantenmechanik. Dieser restriktive Meßtypus kann sicherlich auch in unsere simulierte Welt eingeführt werden.

Hier tritt ein neues Phänomen auf. Während die vorherige Entdeckung (Unberechenbarkeit) sich noch nicht im strikten Sinne als Regenbogenphänomen qualifizieren läßt, da die bloße Trübung noch keine neue phänomenologische Qualität darstellt, kommt es im vorliegenden Fall zu einer neuen Qualität. Es handelt sich um die Qualität einer für den Beobachter auftretenden wohldefinierten Standortbestimmung im Positionsraum (bzw. im Impulsraum), die im Widerspruch zum korrekten Standort steht. Denn wenn der beobachtete Standort des Objekts identisch wäre mit der korrekten Position, wäre die relative Brown'sche Bewegung des Beobachters – obwohl dies nicht geschehen kann – im wesentlichen eliminiert worden. Die sichtbare, in der Schnittstelle geltende Position des Objekts, ist daher verschieden vom objektiv zutreffenden Standort.

Diese Vorhersage läßt sich in der vorgeschlagenen Simulation der Schnittstelle verifizieren. Da alles was in der Simulation geschieht, explizit bekannt ist, kann der Inhalt der Schnittstelle mit dem tatsächlichen Geschehen, dem das betreffende Teilchen unterliegt, verglichen werden. Dieser Vergleich ist natürlich ein Privileg, das dem externen Beobachter vorbehalten ist, da der interne Beobachter ja in der Schnittstelle sitzt.

Die an der Schnittstelle aufscheinende Ja-oder-Nein-Entscheidung hängt von der internen Dynamik des Beobachters ebenso wie von der des Objekts ab. Gemäß Nelsons (1966) stochastischer Mechanik bzw. Diffusionstheorie, hängt die Wahrscheinlichkeit für eine bestimmte Entscheidung vom Quadrat der Amplitude der diffusionsgenerierten Schrödinger-Gleichung ab. Es ist zu erwarten, daß dieses diffusionstheoretische Resultat mit dem Vorliegen der ersten Schnittstellensimulation bestätigt wird. Allerdings ist eine "Komplikation" vorhersehbar, nämlich für den Fall, der in der Standardformulierung der stochastischen Mechanik nicht enthalten ist. Bei letzterer werden die auftretenden Entscheidungen ("Eigenzustände") als permanent unterstellt. Hier hingegen ist die Verzerrung der objektiven Welt dergestalt, daß der aufgezeichnete Zustand, wie er an der Schnittstelle erscheint, vom momentanen Bewegungszustand aller Teilchen im Beobachter abhängt. Mit anderen Worten: Die Schnittstelle gibt den momentanen Stand der Dinge wieder. Alle Messungen, ungeachtet der Länge der Meßkette in bezug auf Raum und Zeit, werden von der momentan gültigen Beziehung zwischen der internen Dynamik des Beobachters und der Dynamik der übrigen Welt bestimmt.

Ein externer Super-Beobachter, der die momentane Schnittstelle als Funktion der Zeit betrachtet, wird daher eine "Superposition" (d.h. ein Zeitintegral) aller momentan gültigen "Quantenentscheidungen" zeichnen. Die momentan gültigen "Eigenwelten" fallen, obgleich wechselseitig verschieden, alle in den Bereich der von der Wellenfunktion der stochastischen Mechanik beschriebenen Wahrscheinlichkeitsverteilung.

Ein ähnliches Problem ist in der Quantenmechanik unter dem Namen "Meßproblem" bekannt. Beispielsweise sind die verschiedenen, jeden Moment auftretenden Eigenwelten – in der Sprache von Everetts (1957) Formulierung des "relativen Zustands" – vor einander "geschützt". Es gibt eine Version von Everetts Formel (nach Bell, 1981), in der die verschiedenen Eigenwelten nicht wie bei Everett üblich, als gleichzeitig existierend angenommen werden, sondern als aufeinanderfolgend – wobei jede auf einen sehr kleinen Zeitausschnitt begrenzt ist. Bell wollte lediglich die mathematische Äquivalenz dieser Sicht mit der Standardinterpretation der multiplen Welten zeigen. Beide Interpretationen der Quantenmechanik werden in der Regel für ziemlich abseitig erachtet. Unerwarteterweise erlangt hier jedoch die zweite Interpretation in einem ganz anderen Kontext Geltung.

Bells Erkenntnis, daß der Beobachter den Übergang in eine andere Quantenwelt von einem Moment zum nächsten nicht "registrieren" würde (da die Welten definitionsgemäß vollständig sind, d.h. es gibt keinen Hinweis auf eine andere Welt) ist hier ebenfalls gültig. Daraus folgt, daß es sich bei der von einem außenstehenden Beobachter der simulierten Schnittstelle erlebten "Integration" um ein Artefakt handelt. Wäre der außenstehende menschliche Beobachter Teil der gleichen Schnittstelle und nicht in der Lage, daraus mit Hilfe eines außerhalb angesiedelten Gedächtnisses zu entkommen, so würde das Phänomen der Integration verschwinden und es würde in jedem Moment eine einzige, konsistente "Eigenwelt" – mit ihrer aufgezeichneten Vergangenheit und antizipierten Zukunft – vorliegen. Die Aufgabe des Demiurgen – die Implikationen, die seine eigenen Handlungen (Gesetze und Ausgangsbedingungen) für die Bewohner nach sich ziehen, zu registrieren – ist daher einigermaßen schwer.
EIN NEUER TYPUS DES REGENBOGENS
Die Verzerrung einer objektiven Welt, wie sie in einer Schnittstelle gespiegelt wird, kann unerwartet weitgehend sein. Der Begriff "Regenbogenwelt" gilt für jede verzerrte Darstellung, ungeachtet ihrer Kurzlebigkeit. Beispielsweise ist Schrödingers Katze in der einen Welt am Leben und wohlauf während der gleiche "höllische Apparat" (Schrödinger, 1935) in der anderen einen anderen Verlauf gewählt hat. Mehr noch, die gleiche Gabelung mag schon vor einiger Zeit stattgefunden haben, sodaß im einen Fall eine gegenwärtig immer noch verspielte und lebhafte Katze herauskam, im anderen dagegen eine Katze, die schon seit geraumer Zeit dem organischen Zerfall unterliegt. Es scheint sehr schwierig, beide Regenbogenwelten mit ein und derselben Exo-Realität zu versöhnen.

Der kontraintuitive Begriff eines Regenbogen-Films bedarf einer genaueren Prüfung. Eines seiner Kennzeichen kommt der Alltagserfahrung wider Erwarten jedoch sehr nahe. Es handelt sich um die Tatsache, daß jeder Moment über eine eigene Welt verfügt (Eigenwelt). In der Quantenmechanik wurde die gleiche 1:1 Beziehung von Deutsch (1986) registriert. Das selbe Resultat erscheint hier in einem vollkommen transparenten Kontext (vorausgesetzt, alle Schwierigkeiten werden gemeistert). Die Bewohner eines reversiblen Universums sind an einen einzigen Moment in der Zeit gebunden. Sie bezeichnen das als ihre Welt "wie sie wirklich ist". Während die wechselseitige Inkompatibilität der verschiedenen "Jetzt-Welten" an der Schnittstelle, wie erwähnt, nicht dargestellt wird, verrät die Schnittstelle jedoch die Tatsache, daß ein einziger zeitlicher Moment vor allen anderen privilegiert ist, denn er "definiert eine Welt". Die letzte Vorhersage – die Existenz einer Jetzt-Welt für die internen Bewohner – steht, wenn sie in unsere eigene Welt übertragen wird, im Widerspruch zur traditionellen Wissenschaft, der der Begriff eines privilegierten Jetzt fehlt.

Das Paradigma der virtuellen Realität hat dem Thema "Schnittstelle" wissenschaftliche Akzeptanz eingebracht (cf. Ars electronica, 1986; Weibel, 1990). Die momentane Position der Kamera verzerrt die Welt in einer Art und Weise, die sie als invariante, neue Realität vollkommen greifbar macht. Die Erzeugung einer solchen Schnittstelle ist nicht einfach und erfordert eine Menge Computerverarbeitungskapazität. Experimente mit dieser Schnittstelle sind gegenwärtig eine bedeutende technologische und konzeptuelle Herausforderung. Wie schaut beispielsweise ein Regenbogen im Inneren aus, wenn er durch die vertikale Pupille einer Katze anstatt durch eine runde “reduziert" wird? Wie verhält sich die Sache im Falle einer mehrere Meter langen, horizontalen oder vertikalen Katzenpupille?

Eine zweite ungewöhnliche Frage gilt den sich zeitlich ändernden Realitäten, wenn die Veränderungen sowohl bei der Position des "Auges" wie auch des externen Objekts in Korrelation zueinander erfolgen. An der Schnittstelle scheinen solche Veränderungen natürlich nicht auf (da die "Boscovich-Differenz" null ist; Rössler, 1991 b). Drittens gibt es eine sehr spezielle Schnittstelle, die zwischen einem als mikroskopisch beschriebenem reversiblen Beobachter und der übrigen, ebenfalls mikroskopisch simulierten Welt entsteht. Phänomene, die nur aus dem kontraintuitiven Feld der Quantenmechanik bekannt sind, treten plötzlich als Implikationen einer konzeptuell vollkommen transparenten Situation in Erscheinung. Gleichzeitig werden "Jetzt-gebundene Regenbogenwelten" Thema wissenschaftlicher Diskussionen.

Das "Spiel mit den Kameras" kann also ein lohnender Zeitvertreib sein. Verschiedene Phänomene der Alltagserfahrung lassen sich wieder auffinden. Gleichzeitig tritt ein neuer Argwohn in bezug auf unsere eigene Welt in Erscheinung: Vielleicht ist auch unsere Welt eine Regenbogenwelt? Wenn dieses Mißtrauen erst Fuß gefaßt hat, besteht der logisch nächste Schritt in der Forderung nach neuen Diagnoseinstrumenten, mit denen sich in unserer eigenen Welt die Existenz der neuen Kategorie demonstrieren, erforschen und eventuell manipulieren ließe. Dessenungeachtet besteht der erste Schritt darin, mißtrauisch zu werden. Das gegenwärtige Mißtrauen, welches auf Kant und Boscovich und vor diesen auf Anaximander zurückgeht, hat nun ein neues Medium für seine Untersuchungen gefunden.

Abschließend sei gesagt, daß das Konzept des Regenbogens vom Blickpunkt der Virtual-Reality-Simulationen einer neuerlichen Prüfung unterzogen worden ist. Für eine solche Simulation ist ein eher ungewöhnlicher Virtual-Reality-Typus erforderlich. Reversible simulierte Welten sind geeignet, das Verständnis der Mensch-Welt-Schnittstelle zu fördern (ein Vorschlag, der auf den ersten Blick sich auf die Untersuchung eines Eisläufers beschränkt scheint, der das Ganzkörper-Winkelmoment nicht überwinden kann oder eines Archimedischen Systems interagierender Kugeln und Federn wie in einem Molekülmodell). Der erste detaillierte Bericht über die Eigenschaften solch einer "konservativen virtuellen Realität" wird in etwa zehn Jahren vorliegen. Gegenwärtig ist nur ein Informiertes Rätselraten" möglich. Auf diese Weise könnte man zu einem neuen "hoffnungsvollen Verdacht' gelangen: Das VR-Paradigma könnte mehr über unsere eigene Welt enthüllen als der übliche Gang der Wissenschaft uns bisher glauben machte. Zum Beispiel werden die Gefängniswände, die das Jetzt umgeben, fühlbar. Es können weitere Verzerrungen der invarianten (Exo-) Realität existieren, die durch das neue Hermetianische Paradigma der computergenerierten Welten demaskiert werden. Für J.O.R.