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Ars Electronica 1992
Festival-Programm 1992
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Festival 1979-2007
 

 

Von Beobachtern und Bildern erster, zweiter und n-ter Ordnung.


'Florian Rötzer Florian Rötzer

"Der Geist setzt von sich voraus, daß er alles umfassen, erforschen und begreifen kann. Daraus schließt er, es sei in allem und alles auf solche Weise in ihm, daß es zugleich außer ihm sei, und er behauptet, daß nichts sein könne, das seinem Blick entzogen wäre."(Nikolaus von Kues 1401–1464)
"Mögen wir uns – metaphorisch gesprochen – bis in den Himmel erheben oder mögen wir in die Abgründe hinabsteigen; wir kommen doch niemals aus uns selbst hinaus, und wir nehmen nur immer unsere eigenen Gedanken wahr." (Denis Diderot)
"Wir sind im Gehäuse unserer Wahrnehmungen eingeschlossen und für das, was außerhalb ist, wie blind geboren. " (Paul du Bois-Reymond 1890)
"Gewiß wird man sich aber wundern, wie uns die Farben und Töne, die uns doch am nächsten liegen, in unserer physikalischen Welt von Atomen abhanden kommen konnten, wie wir auf einmal erstaunt sein konnten, daß das, was da draußen so trocken klappert und pocht, drinnen im Kopf leuchtet und singt." (Ernst Mach 1896)
"Die bisherigen Experimente versuchen ja nur, eine Vorstellung über die Welt, die im Inneren der Welt gemacht wurde, zu verifizieren. Das ist eine relativ einfache Aufgabe, obwohl jeder Experimentator mir hier sofort widersprechen muß. Trotzdem ist die Philosophie einfach. Die Experimente, von denen wir hier sprechen, wären von einem ganz anderen Typ, denn wir haben ja gegenüber unserer Welt gerade nicht die exteriore Situation, die wir annehmen. Wir können beispielsweise somit dem Problem umgehen, daß wir im Computer eine Kunstwelt bauen, für die wir diesen privilegierten Zugang von außen besitzen. Dann könnten wir sehen, wie die Leute in dieser Kunstwelt ihre Welt sehen und worin dies sich von unserer Sicht unterscheidet." (Otto E. Rössler, 1991 )
Daß wir unsere primäre Situation als Gefangenschaft beschreiben müssen, wie dies auch der endophysikalische Ansatz Otto Rösslers nahelegt, ist ein Topos, der sich mit verschiedenen Begründungen und Bildern durch die Geschichte von Philosophie und Religion zieht. In seinem Buch "Höhlenausgänge" hat Hans Blumenberg, ausgehend vom philosophischen Urbild der platonischen Höhle, einige Stationen dieser Situationsbeschreibung nachgezogen. Natürlich legt schon der Titel seines Buches wie auch der Ausgang von Platon nahe, daß die Konstruktion einer Gefangenschaft in einem fensterlosen, aber mit Bildern angefüllten Gehäuse dahin ausgerichtet ist, eine Tür zu entdecken, durch die man nach außen, in die wirkliche oder wahre Weit, hinaus- oder hinaufgelangt. Wenn Otto Rössler unsere Situation mit denen von Fischen in einem Aquarium oder von virtuellen Menschen in einer virtuellen Realität vergleicht, dann ist auch darin die Suche impliziert, doch eine äußere Perspektive erreichen zu können, um zumindest sich selbst als einen Gefangenen beschreiben zu können.

Denkt man nur oberflächlich darüber nach, so läßt sich eine Gefangenschaft als Höhlenbewohner aber nur dann beschreiben, wenn man bereits einen Schritt aus ihr herausgetan hat, wodurch die Höhle selbst sich als Konstrukt erweist, durch das in einer zweiter Stufe der Fiktion, gewissermaßen als Bild im Bild, erst die Möglichkeit auftaucht, Wirklichkeit gegenüber der Simulation ausgrenzen zu können. Die kritische, sich vom naiven Beobachter erster Ordnung absetzende Erkenntnis siedelt die Wirklichkeit also als Bild im Bild an, da sie erst durch oft sehr komplizierte Versuchsanordnungen – die platonische Höhle kann durchaus als eine solche gelten – das Modell der Wirklichkeit konstruiert. Für eine empirisch orientierte, mit Experimenten vorgehende und mathematisch gestützte Erkenntnis ist die Annahme einer verzerrenden oder täuschenden Endoperspektive gewissermaßen das Sprungbrett, um zu einer objektiven Wahrheit vorzustoßen. Dabei muß die natürliche Weltsicht, der etwa den Sinnen zugängliche Phänomenbereich, wie im cartesianischen Zweifelsgang systematisch entwertet werden. Die endophysikalische Perspektive, wie sie Otto Rössler im Auge hat, müßte man also als Reflexion dritter Ordnung ansetzen:

Der Beobachter beobachtet nicht nur einen "naiven" Beobachter, sondern er ist bereits aufgeklärt über die Verzerrungen des systematisch vorgehenden, aus der Kritik des naiven Beobachters hervorgehenden Beobachters oder Wissenschaftlers.

Können wir uns aber überhaupt "ernsthaft" und ohne in Paradoxien zu versinken vorstellen, wir wären ganz und gar Höhlenbewohner, d.h. die naiven Beobachter erster Ordnung, oder, andersherum, können Höhlenbewohner "wirklich" denken, daß sie solche sind? Wenn nicht, was vermutlich der Fall sein dürfte, welche Bedeutung hat dann dieses, als Aufklärung über primäre Illusionen verstandene Bild einer abgeschlossenen Welt in der Welt, die, ähnlich motiviert, freilich noch mit der Newtonischen Physik als Verankerung, bereits Kants transzendentaler Idealismus vorgeführt hat?

Der endophysikalische Ansatz ist nicht nur mit der traditionellen Physik konfrontiert, sondern wohl auch mit einem logischen Problem, das der Philosoph Hilary Putnam in einer Szene vorgeführt hat. Bescheidener als Platon, nämlich die Immanenz oder einen internen Realismus mit der Grundlosigkeit seiner Annahmen bereits akzeptierend, bewegt sich seine Philosophie innerhalb der als unübersteigbar vorausgesetzten Innenperspektive. Ein böser Wissenschaftler, so seine Höhlenversion, operiert, während die Menschen schlafen, ihre Gehirne aus dem Körper, legt sie in eine Nährlösung und verbindet deren neuronale Ein- und Ausgänge mit einem Supercomputer. So kann man den Gehirnen vorgaukeln, sie befänden sich mit ihrem Körper noch in der wirklichen Welt, könnten sich in ihr bewegen und auch mit anderen Gehirnen wie zuvor interagieren. Wenn diese Gehirne sich nicht an die Operation erinnern könnten und wenn diese Welt genauso bis ins Kleinste durchstrukturiert wäre wie die natürliche, könnten sie, falls sie nicht einen Tip von außen erhalten, nicht wissen, ob sie wirklich Gehirne in einem Tank wären, denn auch die von einem äußeren Beobachter erkennbare Realität des Computers und des organischen Gehirns wäre für die Gehirne selbst nur über die Simulation zugänglich. Wenn also diese "Gehirne im Tank" denken würden, sie wären Gehirne im Tank, so müßte dieser Satz eben nicht den Bedingungen unterliegen, die durch die Szene einer totalen Simulation aber vorausgesetzt sind, was man eine sich selbst widerlegende Aussage nennt. Auch ein Argument der Art des cartesianischen Cogito kann die Endowelt nicht transzendieren, sondern in ihr höchstens für eine gewisse Konsistenz Zeugnis ablegen. Selbst wenn es mithin technisch und physikalisch möglich wäre, eine solche Welt, wie wir sie wahrnehmen, auch für ein Gehirn im Tank zu simulieren, so stieße man laut Putnam auf eine "begriffliche Unmöglichkeit". Trotzdem könnten natürlich die Gehirne im Tank sagen, daß sie Gehirne im Tank sind, natürlich wäre dies für einen externen Beobachter wahr und natürlich können wir uns vorstellen, wir wären Gehirne im Tank, aber logisch haltbar ist dies nicht, wobei man dann allerdings, in einen erneuten Teufelskreis eintretend, dazu gezwungen wäre, sich mit der Verbindung von Logik und Wirklichkeit zu beschäftigen.

Die Unmöglichkeit, ganz jemand anderes zu sein und gleichzeitig ein Bewußtsein darüber zu haben, wie dies ist, in gewichtige erkenntnistheoretische Probleme. Sie betreffen nicht nur die möglichen Grenzen der Simulation, sondern auch die endophysikalische Annahme, durch Analogie Rückschlüsse von Bewohnern, die in einer virtuellen und abgeschlossenen Welt existieren, auf uns zu machen, um das sehen zu können, was wir notwendigerweise nicht sehen können.

Wir sind, um dies auf einer elementaren Ebene zu illustrieren, als Beobachter erster Ordnung beispielsweise unfähig dazu, bewußt wahrzunehmen, wie auf neuronaler Ebene unsere visuelle Wahrnehmung zustande kommt. Aber selbstverständlich könnte ein anderer Beobachter vielleicht irgendwann bis in alle Einzelheiten hin erkennen, wie bestimmte Netzhauterregungen vom Gehirn zu einer visuellen Wahrnehmung errechnet werden. Man kann bereits mit einem Retina-Scanner durch Laser direkt, ohne Vermittlung von Monitoren, Bilder auf die Netzhaut projizieren. Was aber der zweite Beobachter, selbst wenn diese Rechenschritte gleichzeitig auf einem Bildschirm visuell umgesetzt würden, nicht sehen kann, ist das, was ich unmittelbar sehe, denn ich sitze während meiner Wahrnehmungen nicht vor einem Bildschirm, sondern ich habe Wahrnehmungen, die gegenüber dem sensorischen Input noch dazu nachträglich sind und offenbar Szenen nur in einem 3-Sekunden Rythmus bilden. Könnte ich selber sehen, wie und was ich sehe? Das wäre ähnlich Eschers Händen, die sich selber zeichnen, denn dann müßte ich beispielsweise meine Hirnaktivitäten zugleich mit dem, was sie produzieren, auf einem Bildschirm sehen, während ich auf den Bildschirm sehe, der meine Hirnaktivitäten und zugleich das, was sie produzieren, zeigt. Daraus folgt nicht nur eine endlos ineinander verschachtelte Hierarchie, die nicht abschließbar ist, sondern darin impliziert ist eine zeitliche Differenz, so klein sie auch sein mag, die nicht übersprungen werden kann, so daß das beobachtete und das beobachtende Wahrnehmungs-Ich nicht identisch werden können. Bei kleinsten Veränderungen des Blickes würde das durch die Rückkoppelung vermutlich zu einem chaotischen Prozeß führen, der die ursprüngliche Szene verzerrt, wie man es von Videokameras kennt, die auf einen Monitor ausgerichtet sind, der zeigt, was die Videokamera "sieht". Die Gefangenschaften in Höhlen sind offenbar so einfach nicht, wie man sie sich vorstellen kann.

Man muß nicht daran erinnern, daß die Selbstreferentialität oder die Autopoiese als Ausgang der Konstruktion von Welt, kulminierend im Selbstbewußtsein, das logische Problem war, mit dem sich die idealistischen Philosophien Fichtes, Schellings und Hegels beschäftigten. Eine banalere Version dieser Höhle, wie sie auch, materialistisch und empirisch gewendet, im ausgehenden 19. Jahrhundert etwa bei dem Mathematiker Bois-Reymond oder dem Physiker Ernst Mach auf der Basis einer Theorie der Empfindung als dem Interface zwischen Beobachter und Welt zu finden ist, läßt sich als idealistisch oder als subjektkonzentriert beschreiben. Der sogenannte radikale Konstruktivismus geht nicht nur auf Hegel, Schopenhauer, Kant, Berkeley, Vico oder dem Neuplatonismus cusanischer Prägung zurück, sondern seine Ursprünge liegen ebenfalls wie die platonische Höhle in der griechischen Antike. Protagoras Satz, daß der Mensch das Maß aller Dinge sei, ist nur eine Version der selbstbezüglichen Konstruktion, von der das wissenschaftliche Projekt ausgegangen ist, um sich heute, diesseits der Philosophie, wieder in ihm zu fangen. Ohne die hier nur angedeuteten Gedankengänge weiter auszubauen, könnte man doch auch einmal davon ausgehen, daß Menschen nach Eingängen in Höhlen suchen, die sie dann mit den verfügbaren oder nur vorgestellten Techniken versehen.

Der Gehirnwissenschaftler Gerhard Roth etwa glaubt, daß wir uns deswegen gerne in Höhlen der Simulation zurückziehen, weil "unser Gehirn pausenlos konstruktiv ist und durch die Sinnesdaten an dieser überbordenden Konstruktivität gehindert wird." Deswegen arbeiten wir, vielmehr: unser Gehirn daran, die Sinnesdaten durch Veränderungen unserer Welt, d.h. beispielsweise durch Technik oder Kunst, gemäß unserer Simulationsmaschine auszurichten oder die Koppelung der Simulationen an sie aufzuheben, also bei vollem Wachbewußtsein träumen oder halluzinieren zu können. Dann aber könnten Blicke töten.

Joachim Sauters "Der Zerseher" arbeitet mit einem eyetracking-System, in dem es durch Rückkoppelung möglich wird, daß unsere Augen, wenn sie ein Bild sehen, dieses gleichzeitig zerstören oder auflösen. jeder Blick in der durch das Interface bestimmten Relation verzerrt die Szene, das unversehrte, unzersehene Bild ist nur für einen äußeren Beobachter zugänglich.

Das herkömmliche Bild hingegen, das die Interaktion mit dem Sehenden nicht ermöglicht, kann hingegen als Modell für eine Beobachterposition gelten, die heute von seiten der Wissenschaften, aber auch durch neue Technologien untergraben wird. Bei ihm nämlich können wir auf eine abgeschlossene Szene oder auch, wie beim Film, auf eine abgeschlossene Sequenz von Szenen blicken, die für den Beobachter organisiert wurden, der außerhalb ihrer steht: Der Beobachter sieht auf oder in das Bild hinein, das durch einen Rahmen von seiner Umwelt abgetrennt ist. Schließlich galt das Bild auch als ausgezeichnete Bedingung dafür, wie das Bewußtsein oder die Erkenntnis etwas wahrnehmen können. Die Sinne transportieren gewissermaßen die Informationen von außen auf einen Bildschirm, auf dem sie sich abdrücken, um vom geistigen Auge rezipiert zu werden, oder durch den sie mittels mentaler Versichtbarungsformen (species) in die Sprache des Geistes übersetzt werden, der sich in ihnen spiegelt. Auch wenn beide Weisen der Spiegelung, also die passiv-realistische und die konstruktiv-idealistische, im Verlauf der Philosophiegeschichte immer wieder kritisiert wurden, so ist der Spiegel bis hin zur Fotoplatte, mit der Physiker die Existenz von Elementarteilchen beweisen, ein Modell für das Ideal objektiver Erkenntnis und zugleich für die Möglichkeit der Täuschung geblieben. Der glatte Spiegel scheint nur wiederzugeben, auch wenn er links und rechts vertauscht. Er ist das Modell eines Beobachters, der sich hinter seiner Oberfläche, die nur immer anderes zeigt, verbirgt und zumindest für den visuellen Sinn seine Materialität negiert.

Produzierte Bilder fügen sich nicht nur normalerweise in dem, was sie zeigen, den Anforderungen der Wahrnehmung nach Eindeutigkeit, sie sind selbst eingepaßt in die Differenz von Figur und Hintergrund, denn Bilder werden nur dann erkannt, wenn sie von "wirklichen" Gegenständen unterschieden werden können, wenn sie eine ausgrenzbare und so identifizierbare Welt in der Welt darstellen. Dieses Umschalten durch die Konstruktion eines Rahmens oder eines Ausschnittes kennt jeder, wenn er durch das Auge einer Kamera oder auf ein Fernsehbild blickt. Sofort transformieren sich die Szenen in ein Bild, das, obwohl sensuell genauso rezipiert, offenbar anders interpretiert wird, weil es nicht nur den Betrachter von der Szene entfernt, sondern auch die Szene vom Bild, selbst wenn es in Echtzeit erzeugt wird.

Der Betrachter eines Bildes ist ein Voyeur, weil er selbst in den Hintergrund tritt, anonym und in Distanz bleibt, abgeschattet ist wie die Zuschauer im Theater, im Kino oder beim Fernsehen, wie die Beobachter einer herkömmlichen Versuchsanordnung. Dies Ideal der Objektivität war nicht nur für Wissenschaft gültig, auch ästhetisch bestimmt es noch immer unsere Wahrnehmung. Wir wollen unsere Distanz gegenüber dem Bild wahren, auch wenn wir gleichzeitig das Bedürfnis verspüren, daß es uns nahe rückt, um dadurch die Intensität des Wahrgenommenen in der stoisch-ästhetischen Distanz zu steigern. Das läßt sich über das Thema und die Präsentationsweisen des Gezeigten bewirken, aber auch dadurch, daß das Bildformat tendentiell, wie im Panorama, in den Großbildprojektionen oder im HDTV vergrößert wird.

Was eigentlich kennzeichnet ganz allgemein ein Bild bzw. die Wahrnehmung eines Bildes? Ein Mensch mit einem sogenannten Beziehungswahn glaubte sich z.B. von der Fernsehansagerin persönlich angesprochen. Er nahm also die Inszenierung ernst, von der wir alle gelernt haben, sie zu ignorieren. Wir sind hingegen irritiert, wenn diese hinter das Glas gesperrten Bildmenschen beispielsweise auf unsere Fragen reagieren, selbst wenn dies nur innerhalb z.B. eines eng begrenzten Software Programms geschieht. Gelernt haben wir, daß wir in den Bildschirm hineinsehen, daß aber die in ihm gefangenen Lebewesen nicht heraussehen können. Das Glas, Metapher für Transparenz und Einsicht, zeugt davon, daß die Bilder, so nah sie auch sein mögen, durch eine unüberwindliche Entfernung von uns getrennt sind.

Die Frage stellt sich, wer gefangen ist: der Beobachter, der selbst nicht hinaus kann, oder das Beobachtete, das keinen Zutritt in die Wirklichkeitsebene des Beobachters besitzt. Zerschlagen wir das Glas, ist nichts als eine Maschinerie dahinter, brechen wir den Schädel eines Menschen auf, so sehen wir eine gallertartige Masse und neuronale Informationsströme, die ebensowenig an Bilder erinnern wie der digitale Code des Computers.

Kommt man dem Bild näher, so verschwindet es. Zoomt man in es hinein, so gelangt man zu Pixeln oder irgendwelchen Materialstrukturen, die keine Bilder mehr sind, obwohl natürlich auch sie zu Bildern gemacht werden können, wenn sie in einen wirklichen, phänomenologischen oder institutionellen Rahmen gesteckt werden. Theateraufführung dem bedrohten Helden zu Hilfe eilen will, oder die der gemalten Trauben von Zeuxis, nach denen Vögel gepickt haben sollen, übersteigert noch vom Bild des Parrhasios, der Zeuxis in die Falle hatte laufen lassen, indem er einen Vorhang als Bild malte und dieser dann darum bat, ihn aufzuziehen, um das Bild ansehen zu können. Ein Bild sehen zu können, heißt offenbar, in Distanz gehen zu können, eine Prüfung oder einen Vergleich einzuleiten, einen Realitätsvorbehalt anzumelden, die Reaktion zu suspendieren, die Sensorik gewissermaßen weiterlaufen zu lassen, aber jede efferente Aktion möglichst zu unterbinden.

Geht man einmal davon aus, daß wir aufgrund von erworbenen Frames meistens wissen, was Bilder im Unterschied zu Nicht-Bildern sind, auch wenn wir, aufgeklärt, hier nur zwischen Simulationen erster Ordnung und solchen zweiter Ordnung unterscheiden sollten, so impliziert die Wahrnehmung eines Bildes immer ein Paradox. Ein Bild zu sehen, heißt, etwas zu sehen, so abstrakt es auch ein mag, das irgendwie "da" ist und gleichzeitig in seiner Existenz negiert wird, da einzig der Träger "wirklich" da ist: der Schauspieler, die Leinwand, der Bildschirm, die Farben, die Rasterung, der digitale Code etc. Wir müssen also wissen, was "da" ist, um zu erkennen, daß das, was in einem Bild "da" ist, nicht gänzlich dem entspricht, was der Fall wäre, wenn es "da" wäre. Vielleicht aber müssen wir eher wissen, was nicht "da" ist, um das Reale als Teilbereich des Möglichen davon auszugrenzen. Diese Unterscheidung aber wird desto schwieriger, je mehr sich die Abbildung oder Simulation dem annähert, was nötig ist, eine Realitätsprüfung durchzuführen.

Unsere Wahrnehmungsorgane sind bekanntlich beschränkt, und vieles können wir gar nicht mit ihnen wahrnehmen. Auch so leben wir als biologische Organismen in einer Höhle. Um Fenster zu öffnen, können wir unsere Wahrnehmungsorgane durch Instrumente erweitern oder Apparaturen bauen, die Informationen einfangen und in eine uns kompatible Sprache übersetzen, um Kenntnis von etwas zu erlangen, was uns als biologische Wesen mit sensorischen Randbedingungen entzogen ist. Wir sind von den Wissenschaften daran gewöhnt, mit Realitäten umzugehen und an sie zu glauben, die wir entweder primär nicht erfahren können oder die lediglich als Input für einen Sinn übersetzt werden, aber für andere Sinne nicht verifizierbar sind. Auch hier fehlt also weitgehend das synästhetische Moment der Überprüfung.

Man könnte sich einmal fragen, welche Bedingungen vorliegen müssen, damit etwas nicht als Bild wahrgenommen werden kann, schließlich ist es uns ja auch möglich, eine "wirkliche" Szene in ein Bild zu transfigurieren, wobei wir dann wohl bestimmte mentale Rahmen erzeugen müssen. Natürlich sind Bilder, die als solche hergestellt werden, meist "ärmer", also weniger dicht und geringer aufgelöst als die sensorischen Erfahrungen in der materiellen Umwelt, die immer synästhetisch sind. Dasselbe aber gilt, wie gesagt, für die wissenschaftlichen Bilder, die indizieren, daß das existiert, was, gefiltert oder vielleicht auch verzerrt, durch die Meß- oder Aufzeichnungsinstrumente erscheint.

Bilder, hier auch im erweiterten Sinne als Szenen, stehen meist nicht in Kontinuität zur gewöhnlichen Erfahrung sowie ihrem Erwartungsraum. Aber das heißt letztlich nur, daß es auf ihre Interpretation ankommt, wobei Bilder selbst erst durch Interpretation als solche erkannt werden, was sie wiederum gemeinsam mit einer wissenschaftlichen Beweisführung haben, die mit einem komplexitätsreduzierenden "Angenommen" einsetzt. Die Kontinuität oder Konsistenz der Erfahrung als Index für ihre Realitätshaltigkeit war übrigens bereits das Argument von Descartes, das Leibniz übernommen hatte. Die erfahrenen Phänomene müssen "lebhaft, vielfältig und in sich selbst harmonisch" sein. Sie sollen "lange Ketten von Beobachtungen" ermöglichen und im Einklang mit dem "gewohnten Gang der Dinge" stehen, sich aus ihnen vorausgehenden Phänomenen erklären und künftige Ereignisse vorhersagen lassen. Doch können, was beiden Philosophen ganz klar war, solche Kriterien letztlich nicht die Bezugnahme einer Erfahrung auf etwas außerhalb ihrer, das repräsentiert wird, beweisen, denn es ließe sich zumindest vorstellen, daß Träume, Halluzinationen oder Simulationen all diesen Bedingungen genügen. Darüberhinaus erklären sie gerade nicht, wie man die Einstellung zu einem Gesehenen auf eine Bildwahrnehmung oder umgekehrt umstellen kann, die so plötzlich sich ereignet, wie der Gestaltwechsel bei einem Kippbild, das sich einmal so und einmal anders wahrnehmen läßt, man aber nie, wie in der Quantenmechanik, beides zusammen "sehen" kann. Auch beim Unterscheiden von Bildern und Wirklichkeiten scheint ein subbewußtes neuronales Programm wirksam zu sein, das die Erfahrung gemäß einer internen Regel eindeutig macht, auch wenn offenbar diese "insistence on unambiguity" (Ernst Pöppel) sich möglicherweise mit der Wirklichkeit, sicher aber mit den rein sensorischen Informationen nicht deckt, sondern nur, wie etwa bei den Konstanzphänomenen den selbstreferentiellen Mechanismus des Gehirns aufzeigt.

Bilder sind sowohl durch den Abstand vom Beobachter und durch den Unterschied zur Umwelt als ausgrenzbare Welt in der Welt hinreichend definierbar, ohne dafür auf irgendeinen Inhalt Bezug nehmen zu müssen. Wenn "Bilder" den Beobachter so wie bei der VR-Technik einschließen, daß er als verkörpertes Wesen in wesentlichen Hinsichten in ihre Welt integriert ist, er sich also sensomotorisch aus der Ich-Perspektive in ihren Szenen ungefähr so bewegen kann, wie in der natürlichen Umwelt, dann werden sie von der Wahrnehmung als Umwelt interpretiert, auch wenn natürlich der Beobachter noch weiß, daß sie lediglich eine Welt in der Welt sind. In der Virtuellen Realität gibt es auch Bilder, die jedoch die Eigenschaften haben können, Türen zu sein, durch die man wieder in eine andere Szene schreiten kann. Aber diese elektronische Umwelt hat eine seltsame Eigenschaft, die sich gleichfalls mit der von unseren Sensoren abgetasteten natürlichen Umwelt und ihrer Projektion im Gehirn deckt: Sie kann nur als Umwelt realisiert werden, wenn alle Bewegungen des Beobachters, die für die Simulation wichtig sind, selber beobachtet werden, der Beobachter also ein Gefangener des elektronischen panoptischen Gefängnisses ist. Gefangen ist das Gehirn, unser Umweltsimulator, durch die Rückkoppelung an den sensorischen Input, durch den es gezwungen ist, jeweils die Simulationen auszuwählen, die zu ihm passen. Und gefangen scheint auch unser Bewußtsein in der Illusion zu sein, daß alles, was gesehen wird, sich draußen befindet. Auch wenn wir wissen, daß alles Sichtbare erst im Gehirn erzeugt wird, können wir die entsprechenden neuronalen Operationen der Bilderzeugung nicht von den Wahrnehmungsbildern unterscheiden. Die Unterscheidung Umwelt – Selbst kann nur vom Wissen eines Beobachters, der Beobachter beobachtet, abgeleitet, aber nicht als Wahrnehmung realisiert werden.

Aber wie sollte man beispielsweise auf der Ebene der Wahrnehmung für einen Beobachter der ersten Ordnung beweisen, daß eine Kippfigur entweder wirklich aus zwei, für unser Wahrnehmungssystem miteinander inkompatiblen Bildern oder aber aus einer Struktur besteht, die alternativ interpretierbar ist, wenn die neuronale Tendenz zur Eindeutigkeit nicht übersprungen werden kann? Ähnlich schwierig ist bekanntlich, ob die Aufspaltung in Welle oder Teilchen als zwei Weisen der Existenz eines materiellen Objekts, bedingt durch den Meßvorgang, gelten sollen, wir sie nur nicht sehen können, oder ob die Bausteine der physikalischen Welt tatsächlich nur wahrscheinlich und indeterminiert sind, wie beispielsweise der medizinische Psychologe Ernst Pöppel glaubt: "With its insistence upon certainty, it (the human information processing) overrules the probabilistic and indeterminate nature of the most primitive and archaic components of the universe."

Wir können selbstverständlich durch Bilder getäuscht werden, die vorgeben, realistisch etwas abzubilden, weil sie formal den Realitätserwartungen unseres neuronalen Simulators angepaßt sind, aber trotzdem erkennen wir sie immer noch als Bilder, sobald unser Gehirn in seiner Tendenz auf Eindeutigkeit auf Bild umgeschaltet hat. Mit dieser Umschaltung ist offenbar verknüpft, daß sie auf etwas in der wirklichen Welt bezug nehmen oder Fiktives darstellen.

Man hat oft gesagt, daß die Konstitution von Ästhetischem durch Handlungsentlastung hervorgebracht werde, was eben heißt, daß der Beobachter eines Bildes nicht als verkörpertes und von materiellen Interessen bestimmtes Subjekt in seine Szene verwickelt ist und daß, wie bei Leibniz, die wirkliche Szene komplex ist, sie also in allen Schichten und Perspektiven unabgeschlossen und durch ihre nicht erfaßbaren Randbedingungen nicht im Ganzen voraussagbar ist. Die Szene eines konstruierten Bildes ist immer "ärmer", sie kann prinzipiell vom Beobachter als einer Art des Laplaceschen Dämons übersehen werden. Wenn Rössler sich beispielsweise virtuelle Menschen in einer Kunstwelt als Versuchskaninchen vorstellt, so müßte diese virtuelle Realität, wenn man triftige Analogien zu unserer Welt ziehen will, mit dieser parallel sein, was ihre Tiefe und ihre transfinite Exaktheit anbelangt: "Die Welt muß so genau gebaut sein, daß nichts verloren geht, wenn man von einem Zustand zum nächsten geht." Man braucht dazu also eine dissipative Struktur, also eine "molekulardynamisch simulierte Welt", weil "nur für einen Beobachter der so genau aus ganz vielen, ganz kleinen Teilchen uni mit einer reversiblen Dynamik aufgebaut ist", die Interface-Verzerrungen bestehen. Eine solche virtuelle Realität wäre, so man denn eine solche bauen könnte, dann kein Bild mehr, sondern eben eine parallele Welt. Sie wäre dann zwar ebenso dicht und komplex wie unsere Welt, vermutlich aber auch nicht mehr im einzelnen kontrollierbar. Das ist ähnlich dem Versuch, intelligente Roboter zu bauen, die aufgrund bestimmter Programme erst sensomotorisch ihre Umwelt erfahren und so ein Weltbild konstruieren. Dann lassen sich Analogien in Bezug auf bestimmte Mechanismen der Weltbildkonstruktion ziehen, aber das Roboterweltbild ist dann ebenfalls nur die Nische eines möglichen Systems und kein Modell mehr für die menschliche Weltbildgenerierung.

Die zweite Gegebenheit eines Bildes läßt sich wohl nicht prinzipiell verändern, auch wenn man den Rahmen des Bildes wie in der Virtuellen Realität um den Beobachter herum ausweitet, er also in der Form des Datenanzugs realisiert ist. Das Interface mit dem Bild aber verändert sich dadurch sehr wohl, weil das Prinzip der Virtuellen Realität darauf basiert, die Unterscheidung Bild-Umwelt aufzuheben und das Bild als Umwelt zu realisieren. Herkömmliche Bilder sind, wie gesagt, Welten in der Welt, Bilder der Virtuellen Realität setzen die Abblendung der Welt voraus, weswegen man sich in einen Taucheranzug begeben muß und die jeweils einbezogenen Sinnesorgane nur noch mit dem Computer strukturell verkoppelt sind. Das Interface wird zur zweiten Haut, es befindet sich nicht mehr vor einem und getrennt vom sensomotorisch erschlossenen Raum des Körpers wie eine Tastatur oder eine Maus. Aber auch wenn man etwa durch direkte und gezielte Hirnstimulation die synästhetische Dichte einer "wirklichen" Erfahrung simulieren könnte, so müßte doch, solange das Gehirn noch organisch ist, dessen Betrieb durch nicht simulierbare Substanzen aufrechterhalten werden, ebenso wie die immateriellen Welten des Computers nur auf der Basis von Strom oder irgendwelcher materialisierter Hardware laufen können. Bildträger gibt es also auch hier, selbst wenn sie nicht aus Stein, Leinwand oder Fleisch sein müssen. Wenn ein Bild immer eine Welt in der Welt ist, gestützt auf etwas, was nicht in das Bild integriert werden kann, so läßt sich aber doch, wie gesagt, der Rahmen oder das Interface verschieben, um den Vergleich von Bild und Umwelt oder den Unterschied von Bild und Träger für das kognitive System des Beobachters unmöglich werden zu lassen. Der Beobachter kann in das Bild wie in eine "wirkliche" Szene eintreten, wenn seine Aktionen mit dem Bild rückgekoppelt werden.

Wenn der Beobachter nicht mehr von außen eine von ihm und seinen Handlungen unabhängige Szene betrachten kann, sondern er diese Szene notwendig beeinflußt, er mit interagiert, dann ergibt sich daraus eine interessante philosophische Frage: Ist es möglich, dem Beobachter selbst zu zeigen, wie seine Präsenz mit der Szene interagiert, ohne dazu ihm die Möglichkeit eröffnen zu müssen, doch wieder als äußerer Beobachter sich zugleich als in die Szene integrierten Beobachter sehen zu können, auch wenn die Perspektive des äußeren Beobachters deswegen nicht objektiv sein muß, sondern lediglich aus einer höherstufigen Realität erfolgt? Wenn eine beobachterobjektive Welt über eine Versuchsanordnung, egal ob diese künstlerischen oder wissenschaftlichen Zwecken dient, für einen Beobachter inszeniert würde, dann müßte dies möglich sein, ohne etwa auf möglichen Welten der Vorstellung innerhalb der realisierten Welt zurückzugreifen. Könnte der Beobachter nämlich gleichzeitig oder in einem zeitlichen Abstand beide Perspektiven einnehmen, so wäre ihm ein Vergleich möglich, der ihm auch einen Abstand verschafft und so die Immanenz bricht. Zumindest wird im endophysikalischen Ansatz von Otto Rössler wie etwa auch im systemtheoretischen von Niklas Luhmann behauptet, daß dies nicht möglich sei, da damit die beobachterobjektive Welt parzelliert werden müßte, was dem Begriff einer Welt aber widerspricht, auch wenn sich in einer Welt durchaus verschiedene Perspektiven einnehmen lassen, die man beispielsweise in Ordnungsebenen unterteilen könnte.

Peter Weibel hat versucht, die kontraintuitive Endoperspektive bildlich darzustellen, indem er die gewöhnliche Situation eines Beobachters, der seine Umwelt wahrnimmt, aber sich nur teilweise sehen kann, verfremdet. Ausgangspunkt ist eine Zeichnung des Philosophen Ernst Mach von sich selbst als Beobachter in der Welt, der nur sieht, was er sieht, wenn er die "Selbstschauung Ich" durchführt, um die seitens der Reflexionsphilosophie so viel Lärm um buchstäblich nichts gemacht wurde, wie Mach meint. Er stellte sich – natürlich – als jemand dar, der in die Welt blickt, dessen Augen, das Interface also, wie auch bestimmte Teile seines auf einem Sofa liegendem Körper unsichtbar bleiben. Bedingt durch das herkömmliche zweidimensionale Bild konnte Mach sein paradoxes Selbstbildnis nur von dem Blick eines Auges realisieren. Wenn man ein Auge schließt, so sieht man einen Teil der Nase, vielleicht auch die Augenbrauen oder den Bart, während beim Blick mit beiden Augen diese Umrahmung weggeblendet wird, weswegen wir dann nicht den Eindruck haben – den dieses Bild erweckt –, daß wir wie aus einem Rahmen herausblicken. Zudem ist das Bild aus der Perspektive des zeichnenden, nicht des gezeichneten Beobachters dargestellt. Als Betrachter nehmen wir deshalb ebenso wie der zeichnende Selbstbeobachter bereits eine äußere Stellung ein.

Die auf den ersten Blick realistisch-perspektivische Zeichnung ist übrigens auch wegen einer anderen Darstellungsform nicht wirklich aus der Position des ersten Beobachters konstruiert. Um die damit auftretenden Komplikationen zu vermeiden, hat Mach beispielsweise zwar ein Fenster als Welt in der Welt eingefügt, nicht aber die Zeichnung, die er gerade anfertigt, um sich als Beobachter seiner Beobachterperspektive zu realisieren. Die Hand mit dem Stift schwebt im Leeren. Wie müßte das Bild im Bild aussehen? Wäre der Zeichner mit dem Gezeichneten identisch, so wäre sein Blick entweder auf das Blatt oder auf den Raum ausgerichtet. Beides zusammen aber könnte er nicht, zumindest nicht scharf erfassen. Aber auch wenn dies ginge, das Blatt also einen Teil des Wahrnehmungsraumes abschattet, weil es sich in ihm befindet, so befände sich auf dem Bild im Bild das gleiche wie auf dem Bild, und natürlich müßte das Bild im Bild ein weiteres identisches Bild usw. enthalten. Neben dieser Unmöglichkeit, die Eindeutigkeit und Abgeschlossenheit unserer Erfahrung darzustellen, können wir nicht gleichzeitig, wie Machs Zeichnung suggeriert, den Vorder- und Hintergrund sowie beispielsweise im Vordergrund die Nase und die Augenbraue scharf sehen. Der eine, beobachterobjektive Blick erweist sich als Konstrukt, er ist aus vielen Perspektiven zusammengesetzt, die nur nacheinander wahrgenommen werden können.

Mach wollte vor allem demonstrieren, daß beim Blick immer etwas ausgeblendet wird, nämlich der Beobachter als ganzer, durch den hindurch die Schnittstelle zwischen außen und innen geht. Wir können ohne Unterstützung von Hilfsmitteln nicht gleichzeitig rückwärts und vorwärts schauen, und der Blick nach innen ist uns ebenso verwehrt. Was hinter den Augen und hinter dem Kopf ist, bleibt den Augen verborgen, es sei denn, man erweitert sie beispielsweise durch eine oder mehrere Videokameras, die je nach Kopf- oder Augenbewegungen das aufzeichnen und für den Beobachter auf einem oder mehreren Bildschirmen vor ihm wiedergeben, was hinter ihm sich ereignet oder was er, wie seinen Hinterkopf, nicht sehen kann. Aber, spinnt man diese Szene fort, jeder Bildschirm, der ja im Sinne einer Kybernetik zweiter Ordnung mehr zeigt als der Beobachter unmittelbar sehen kann, verbirgt zugleich wiederum einen Aspekt dessen, was er sehen könnte, wenn der Bildschirm nicht da wäre. Überdies fällt es im Sinne der Tendenz zur Eindeutigkeit schwer, die verschiedenen Szenen auf mehreren Bildschirmen gleichzeitig zu verfolgen. Daran würde vermutlich auch eine größere Rechenkapazität nichts ändern, die vielleicht mehrere Perspektiven parallel verarbeiten könnte, aber dennoch einen, vielleicht statistisch errechneten Durchschnitt bilden müßte. Möglicherweise wäre die Gleichzeitigkeit von verschiedenen Perspektiven für ein reines Auge möglich, das sich weder in der Welt bewegen noch sich in ihr situieren müßte, aber eben dies scheint doch der Fall zu sein für ein selbstreferentielles System wie das in einen makroskopischen Körper implementierte Gehirn.

Man kann die Endoperspektive in einem herkömmlichen Bild nur als Fiktion bzw. aus der Perspektive eines Exo-Beobachters darstellen. Wie versucht nun Peter Weibel dieses Problem, nicht auf der Ebene einer Theorie, sondern auf der eines Bildes, d.h. für die Wahrnehmung zu lösen? Paradoxerweise stellt er nun ausgerechnet die Endoperspektive als in sich verdrehten Raum dar, während man doch annehmen würde, daß der perspektivisch gegliederte Raum ihr eher entsprechen sollte, weil es unser, wenn auch in der Darstellung erst sozial codierter, gewöhnlicher Wahrnehmungsraum ist. Eigentlich sollte man annehmen, daß vielleicht für einen Beobachter mit einem anderen Wahrnehmungsystem als dem unseren oder vielleicht für einen hypothetischen Exo-Beobachter der Raum so aussehen könnte, wie wir ihn höchstens unter extremen Rauschbedingungen erleben können, d.h. wenn der gewöhnliche Mechanismus der Wirklichkeitskonstruktion erheblich gestört ist. Peter Weibel hingegen behauptet, daß so der Raum "als Schnittstelle eines internen Beobachters" dargestellt werden könne, was dann aber hieße, daß der interne Beobachter von einem äußeren Beobachter beobachtet würde, eben von dem, der das Bild "im elektronischen Zeitalter" anschaut. Um überhaupt zu erkennen, daß der Raum verzerrt ist, muß man ihn mit dem Raum des Beobachters vergleichen, den Weibel als extern charakterisiert.

Das wiederum ist nur möglich, wenn die Darstellung voraussetzt, daß wir selbst zumindest weitgehend externe Beobachter sind, deren Wahrnehmungssystem überdies durch den verzerrten Raum irritiert wird, weil er sich in ihm nach seinen internen Regeln der körperlichen Bewegung, die Eindeutigkeit verlangen, nicht orientieren könnte.

Möglicherweise, so ließe sich behaupten, könnte etwa so ein Bild aussehen, das nicht durch die einäugige Perspektive geordnet ist, sondern das dem subbewußten visuellen Wahrnehmungsvorgang, beispielsweise den saccadischen Sprüngen von einem Fokus zum anderen, entspricht. Dann würde das Bild die grundlegende, uns ansonsten nicht zugängliche Wahrnehmungsschicht der Endoperspektive vorstellen, die noch nicht zu einer Gestalt geschlossen wurde. Das Sujet des Bildes scheint also das intendierte Ziel nicht einzulösen. Das Problem liegt freilich auch darin, daß dieses Bild nicht interaktiv, der Zuschauer also nicht Teil des Bildes ist. Auf einem solchen Bild kann man sicher komplexe Reziprozitäten herstellen, wie dies beispielsweise Velasquez in seinen Meninas gemacht hat, aber das Bild kann nicht wirklich den Beobachter, den Zuschauer und Produzenten, einbegreifen: eine Stelle bleibt immer leer.