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Die Chemie sagt, daß es nicht geschehen kann


'Simson Garfinkel Simson Garfinkel

Das Wort "Nanotechnologie" bedeutet sehr viele verschiedene Dinge für verschiedene Leute. Während die meisten übereinstimmen würden, daß Nanotechnologie Technologie ist, die auf dem Maßstab von Nanometern ausgeführt wird – wobei ein Nanometer ungefähr die Größe von vier nebeneinander liegenden Zinkatomen ist – ist dies aber auch der Punkt, wo die Übereinstimmung meist schon endet. Für Howard Craighead, Direktor der nationalen Nanoherstellungseinrichtung an der Cornell University, ist Nanotechnologie eine Wissenschaft, die Chipherstellungstechniken der mikroelektronischen Revolution verwendet, um Geräte von immer kleineren Dimensionen herzustellen. Für Rick L. Danheiser, einen Professor der Chemie am Massachusetts Institute of Technology, ist Nanotechnologie ein Wort, das synthetische organische Chemie beschreibt – eine Wissenschaft, die versucht, Atome in präzisen und komplexen Anordnungen zu plazieren, um genaue Ziele zu erreichen.

Für K. Eric Drexler, Autor und Gastwissenschafter am Institut für Informatik der Stanford University, beschreibt Nanotechnologie eine Technologie der Zukunft – eine Technologie, die auf selbstreproduzierenden mikroskopischen Robotern basiert, die von winzigen mechanischen Computern gesteuert werden, die fähig sind, Materie Atom für Atom zu manipulieren. Wer hat recht? Eigentlich jeder und keiner, da "Nanotechnologie" kein wissenschaftlicher Begriff ist. Nanotechnologie ist eine Geisteshaltung, eine Ideologie, eine Möglichkeit große Probleme zu lösen, indem man klein denkt – sehr klein denkt.

Laut K. Eric Drexlers Buch Engines of Creation, ein Buch, das sich wie das nanotechnologische Manifest liest, ist das grundlegende Werkzeug des Nanotechnologen der "Assembler". Assembler, die nicht größer als ein paar hundert Atome im Durchmesser wären, würden aus Zahnrädern konstruiert, die einzelne Atome als Zähne verwenden und sich auf reibungslosen, aus einzelnen chemischen Verbindungen gemachten Drehpunkten drehen würden. Diese Nanomaschinen würden mit einem Computer und einem Roboterarm ausgerüstet sein, und die bemerkenswerte Fähigkeit haben, Materialien oder molekülgroße Geräte Atom für Atom zu konstruieren ("assemblieren"). Assemblers würden sich reproduzieren, indem sie exakte Kopien von sich selbst bauen würden – daher wäre es nur notwendig, einen einzigen Assembler zu bauen und dieser erste Assembler würde die restlichen bauen.

Obwohl ein einziger Assembler sehr lange bräuchte, um etwas zu konstruieren, das größer als ein Fliegendreck ist, könnten Milliarden von zusammenarbeitenden Assemblern fast alles machen. Sie könnten eine Flotte von ihnen sehen, wie sie gerade die Lackierung Ihres Autos mit einem mikronendünnen Überzug aus Diamant bedecken, den sie Atom für Atom herstellen, indem sie Kohlenstoff vom Kohlendioxyd aus der umgebenden Luft entziehen. Assembler könnten das ökologische Gleichgewicht des Planeten wiederherstellen, indem sie in der oberen Atmosphäre mehr Ozon herstellen würden. Sie könnten Ölteppiche entfernen, indem sie das Öl fräßen, oder sie könnten andererseits Öl aus Luft und Meerwasser herstellen. Im Krieg wären Assembler die endgültigen Waffen, programmiert "Allesfresser" zu sein und die angreifenden Armeen Atom für Atom zu zerreißen.

Dies ist sicherlich ein Beweis, daß solche Manipulationen auf Atomebene möglich sind. Jede Zelle jedes lebenden Dinges produziert ständig, indem sie riesige Mengen von relativ einfachen Nanomaschinen, Proteine genannt, verwendet und zerstört. Einige von ihnen sind strukturell, einige von ihnen führen chemische Reaktionen durch, einige von ihnen senden Botschaften. Aber Proteine sind fast immer Einzelzweck-Geräte, die fast die gesamte Maschinerie der Zelle benötigen, um sie zu produzieren und zu regulieren. Kein Protein macht all das, was ein Assembler wahrscheinlich machen könnte.

Eine der verlockendsten der vorgeschlagenen Nanomaschinen ist das Nanounterseeboot (Nanosub), ein Gerät, ein wenig kleiner als ein rotes Blutkörperchen, welches auf der Suche nach Plaque oder Fettablagerungen durch das Kreislaufsystem einer Person schwimmen könnte. Wann immer das Unterseeboot auf etwas stieße, das nicht hingehört, würde es ein Set kräftige Bohrer einschalten und die störende Blockade zerfetzen. Mit ein paar Roboterarmen könnte das Unterseeboot sogar Beschädigungen reparieren.

Der Kult der Nanotechnologie schildert eine Zukunft, in der die Technologie unvorstellbar mächtiger ist als heute. Als ein viel größerer Einfluß als jegliche Technologie davor, so argumentiert man, täten wir gut daran, über das Potential dieser Technologie nachzudenken, bevor die Revolution geschieht: das ist es, was man tut. Das Problem mit den Ideen dieser Leute ist, daß sie sich das Arbeiten mit Atomen so vorstellen, wie ein Modellbauer mit Holzstäbchen und Styroporbällen arbeiten würde – hier eine Verbindung zu lösen, ein Atom auf die andere Seite zu bewegen, und eine neue Verbindung herzustellen. Dieses Konzept liegt allen Zeichnungen der Nanotechnologen von Zahnrädern, Motoren und Nanocomputerteilen, wie auch gerade der Idee des Roboterarms des Assemblers und des Bohrers am Nanounterseeboot zugrunde. Aber Atome funktionieren nicht so.

"[Drexler] behandelt diese molkularen Systeme als mechanische Systeme," sagt Robert J. Silby, Professor der Chemie am MIT. "Er stößt sie an und sie bewegen sich." Das Problem ist, erklärt Dr. Silby, "Moleküle sind nicht fest – sie vibrieren, sie haben sich krümmende Bewegungen."

Sogar gegenseitig verbundene, ineinandergreifende Netzwerke von Kohlenstoffatomen zeigen diese Charakeristika, erklärt Silby. "Daher werden diese sich mechanisch nicht so verhalten wie er es aufgeschrieben hat. Es ist wesentlich mehr dran, als er gesagt hat."

Nehmen wir das Beispiel des "Roboterarms" des Assemblers. So ein Arm könnte wahrscheinlich ein einziges Atom aufheben, da einzelne Atome sehr reaktionsfreudig sind und daher wahrscheinlich an allem haften bleiben womit sie in Kontakt kommen. Das Atom vom Arm wieder herunterzubekommen würde andererseits sehr viel Energie erfordern – höchstwahrscheinlich mehr Energie, als die Nanomaschine zur Verfügung hätte.

Der Roboterarm könnte etwas mehr Glück bei der Arbeit mit Atomgruppen, molekulare Fragmente genannt, haben. Die Energie, die benötigt wird mit molekularen Fragmenten zu arbeiten, ist viel niedriger, als die Energie, die man zur Arbeit mit einzelnen Atomen braucht – dies ist der Grund, warum Proteine fast immer mit molekularen Fragmenten arbeiten. Die einzigen Möglichkeiten wie der Roboterarm molekulare Fragmente festhalten könnte, wären entweder, die Herstellung einer chemischen Verbindung dafür, oder eine Art molekularer Käfig.

Angenommen, so ein "Arm" könnte konstruiert werden, so würde er eine Art "Auge" benötigen, um molekulare Fragmente ausfindig zu machen, nach denen er dann greifen könnte. Aber welche Art von Sensoren würde der Nanocomputer im Herzen des Assemblers überhaupt verwenden, um die Fragmente ausfindig zu machen? Worauf würde solch ein Sensor basieren? Das sichtbare Licht hat eine Wellenlänge, die fünfzig- bis hundertmal so groß ist wie ein Molekül. Licht "prallt" nicht von einem Molekül ab, sondern geht viel öfter gerade hindurch, und verursacht dabei nur leichte Störungen in den äußersten Elektronen des Molekülatoms.

Licht, das atomgroße Wellenlängen hat, ist als Röntgenstrahlen bekannt. Wie auch immer, selbst wenn Nanomaschinen genügend Energie erzeugen könnten, um einen Röntgenstrahl zu emittieren, ohne dabei auseinanderzubrechen, könnten sie unmöglich die reflektierten Strahlen wahrnehmen oder in erkennbare Bilder kollimieren.

Die Idee eines universellen Assemblers ist irgendwie eine sehr beruhigende: eine programmierbare Maschine, die fähig ist, Atome zu manipulieren und Reaktionen auszuführen, so wie ein Schmied ein Hufeisen mit Amboß und Feuer reparieren würde, ist ein einfacheres Bild, als Proteine oder anorganische Katalysatoren, die komplizierte chemische Reaktionen durchführen, indem sie Elektronen von Atom zu Atom übertragen. Und tatsächlich beschreibt Drexler am Beginn seines Buches, wie ein Assembler" ein großes Molekül (das Werkstück) packt, während er ein kleines Molekül an genau die richtige Stelle danebensetzt. Wie ein Enzym wird er die Moleküle dann verbinden."

Die Idee, ein paar gut gebaute Maschinen zu verwenden, um Milliarden herzustellen und dann eine Milliarde Maschinen zu verwenden, um die Probleme der Welt zu lösen, ist sehr reizvoll. Sie ist besonders reizvoll für eine Generation von Informatikern, die mit Ideen wie Rekursion (einer Art, ein Problem mit einer Funktion zu lösen, die sich auf sich selbst bezieht) und massivem Parallelismus (einen Vorgang, der tausende oder Millionen einfacher Computer verwendet, die alle im Einklang zusammenarbeiten, um verschiedene Stücke komplizierter Probleme in Sekunden zu lösen, anstatt, wie ein konventioneller Computer, Tage dafür zu brauchen) aufgewachsen ist. Nanotechnologie ist die physikalische Verkörperung dieser mathematischen Ideen.