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Ars Electronica 1992
Festival-Programm 1992
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Festival 1979-2007
 

 

Der Innere Beobachter


'Michael Bielicky Michael Bielicky

AUSFLÜGE AUS DEM INNEREN DER ZEIT
Archaisches und Zeitgenössisches, Geschichtliches und Zeitloses, Starres und Fließendes, Spirituelles und Materielles: Michael Bielicky läßt in seiner Arbeit das nur scheinbar Gegensätzliche, das sich bisweilen erst gegenseitig konstituiert, aufeinanderprallen. Sein Blick ist auf jene überzeitlichen Korrespondenzen gerichtet, mit denen Kontinuität, Tradition und das spezifisch Neue an einem Kristallisationspunkt in der Gegenwart erfahrbar gemacht werden können. Durch kulturelle Anverwandlung nimmt Bielicky auf beredte Weise einen Bescheidenheitsgestus ein, der im Umgang mit den Neuen Medien in aller Regel vermißt wird, meldet Zweifel an der Unvergleichlichkeit der Erscheinungen an. Die so eingenommene Haltung kokettiert nicht aus der Warte eines vermeintlichen evolutionären, zukunftsunfreudigen Endpunktes, sondern steht in der Mitte einer imaginären, ungerichteten Entwicklung. Entsprechungen auf abwegigem Terrain, die sich unter einer Formel – hier: Information – subsumieren lassen, werden etwa in der Installation "Spirale" anschaulich. Die begehbare Skulptur ist Symbol für den unablässigen Informationsfluß, dem jeder Mensch ausgesetzt ist und den er selbst absondert. Die sich asymptotisch verjüngende Spirale erinnert überdies an die Doppel-Helix genetischer Codes als natürliche, oder an die Gebetsrollen der Torah als kulturelle Ausprägung jener archetypischen Struktur, in der Informationen übertragen werden und in deren Form sich unser Sonnensystem durch das All bewegt. Bielicky nimmt sich die Freiheit, das Heterogene, auf Anhieb Unverbundene für die Dauer seiner künstlerischen Inszenierung aufzuheben und zu einem Dritten, Neuen zu verbinden. Aus dem ursprünglichen, vertrauten Zusammenhang heraus isoliert, wird so die Geschichte fiktionalisiert, Ausflüge in die Überzeitlichkeit werden ermöglicht. Die Affinität der verschiedensten Formen, die das Ungreifbare anzunehmen vermag, interessiert den Künstler bei seiner archivarischen Spurensuche. Die Dinge selbst – von denen der Mensch ausgeschlossen bleibt, da sie ihm nur vermittelt zugänglich sind – werden indessen keineswegs instrumentalisiert. Bielickys Kunst ist gleichsam oxymoronisch angelegt: Ideen werden visuell erfahrbar, ohne daß je das judaische Bilderverbot mißachtet würde. Eine Respektbezeugung vor den verschiedensten Manifestationen des Wissens, die auf bildliche Hierarchisierung verzichtet. Der Zeitgenosse entscheidet nicht endgültig über seine Position im unablässigen Fluß der Zeit, sondern bejaht seine vorbehaltliche Stellung, die er in diesem inne hat. Er reklamiert sich als Teil jener Zukunft, die in der Gegenwart – aus der Vergangenheit gespeist – im permanenten Entstehen begriffen ist. Die schlichte Präsenz des Symbols etwa in der Installation "Menora" eröffnet eine Flut von Assoziationen, die sich – vom Objekt ungelenkt – über die Begrenztheit des geschichtlichen Augenblicks hinwegsetzt und in Regionen vorstößt, die sich der Abbildbarkeit verschließen.

Das Nachwirken archetypischer Motive in Bielickys Skulpturen – sei es nun die immer wiederkehrende Siebenzahl, die Menora, die Kreis- und Spiralstruktur, Feuer und Wasser als metaphysische Bedeutungsträger – legt Zeugnis ab von der Synchronizität des Diachronen, von der Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, von unzeitgemäßen Parallelen. Der eigentümlichen Antiquiertheit des Menschen wird Tribut gezollt, der eine zunehmend dehumanisierte Lebenswelt mit einem Rückgriff aufs Irrationale beantwortet, das mitunter im Ästhetischen angetroffen werden kann. Von der Erschwernis der Bedingungen des Spirituellen zeugt die Tatsache, daß dessen Symbole reproduziert, sprich: allein in der Simulation anschaulich werden. Der freiwillig vollzogene kollektive Abschied vom Authentischen in der Konsumgüterwelt wird so augenfällig. Die Skulpturen indessen weisen auf die Unaufgebbarkeit der Sehnsucht nach dem Spirituellen hin, das sich nicht simulieren, noch reproduzieren läßt. Anders als die tendenziell omnipotenten Medien, achtet die Kunst das Unverstandene, Nicht-Abbildbare. Der Sender der visuell erfahrbaren Informationen ist bei Bielicky immer im "Irgendwo" verortet, dem am nächsten noch eine kryptische Kugel kommt. Zwar lassen sich auch hier die Empfangsbedingungen rekonstruieren und rational erschließen – so wissen wir etwa, daß sich bei der Installation "Der Innere Beobachter" in der schwarzen Kugel eine Infrarotkamera verbirgt, die das Wort "Licht" in alle Heimlichkeit aufnimmt und dann über einen angekoppelten Sender an die auf Empfang geschalteten Monitore ausstrahlt –, doch setzt Bielicky gezielt auf den dunklen, undurchsichtigen Gehalt, die jene geheimnisvolle schwarze Kugel inauguriert. Eine metaphorische Annäherung an die Bedingbarkeit menschlicher Wahrnehmungsprozesse. Michael Bielicky widersetzt sich mit seiner Kunst dem Allmachtswahn jener hybriden Rationalität, die sich im Gefolge der Aufklärung als gleichsam erlösendes Prinzip gebärdet. Mit Hilfe artifizieller, mit technischen Medien inszenierter Gesten spürt Bielicky die unhintergehbare Dialektik von Gleichauf und Differenz, Kontinuität und Alterität, Kalkül und Zufall auf und erinnert so mit menschengemachten Mitteln an jene Realität, die abseits von anthropozentrischen Weltbildern und evolutionärkultureller Überheblichkeit existiert.
Wolfgang Wert
DER INNERE BEOBACHTER
Der Begriff des inneren Beobachters spielt im Judentum eine wichtige Rolle. Die griechische und jüdische Idee der visuellen Erfahrung sind gegensätzlicher Natur. Die europäische Kunst wurde von der griechischen inspiriert, die Kunst als Mimesis zu verstehen. Die Wörter Ars, Kunst, Art sind verwandt mit Imitation, Kopie, Nachahmung, Fälschung. Omanut (Hebr. Kunst) ist in Worten wie Wahrheit, Glaube, Handwerk, Bildung beinhaltet. Die Statuen von Venus und Apollo lehrten uns das äußere zu betrachten und die inneren Stimmen zu hören (Mythologie). Die jüdische Philosophie ist begründet im Hören des Äußeren und Sehen des Inneren. Der Künstler imitiert weniger den Gott selbst, als vielmehr den Prozeß der Schöpfung.

Durch die Eigenart des Auges bedingt, hat der Sehsinn an sich etwas Entfremdendes. Man kann mit allen unseren Sinnen einen direkten (Physischen) Kontakt haben, außer mit den Augen. Die Finger berühren, die Nase ist in eine Blume versenkt, das Ohr liegt an der Brust und hört den Herzschlag. Wenn aber das Auge an einem Bild liegt, erkennt es das Bild nicht. Es muß sich vom Bild entfernen, um es zu sehen. Die Wächter in den Museen sind dafür da, uns die Kunst exklusiv visuell erleben zu lassen. Die Thorarolle wird außer durch das Lesen auch durchs Tanzen, Küssen und Berühren erfahren.

Es ist das innere Licht, das das Wesen unseres Lebens ausmacht. Es ist das innere Licht, das die Philosophie, Religion, Physik und Kunst in ihrem Dasein begründet.