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Ars Electronica 1992
Festival-Programm 1992
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Festival 1979-2007
 

 

Three Linked Cubes


'Dan Graham Dan Graham

DIE KUNST DER SCHNITTSTELLE
"Man muß lernen, halbdurchlässig und spielend mal das Glas und mal der Spiegel zu sein."
(Thierry de Duve: Dan Graham und die Kritik der künstlerischen Autonomie, Bern 1983)
Der Satz, den Thierry de Duve auf Dan Grahams 1981 geschaffenes Projekt "Cinema" bezieht, läßt sich nicht nur auf seine zwischen Architektur und Skulptur sich bewegenden Arbeiten wie etwa "Alteration to a Suburban House" (1978) oder die Pavilions der letzten Jahre anwenden, sondern auch bereits auf seine frühen Performances und Raum-Spiegel-Video Installationen.

Die politische Dimension des Werks von Dan Graham ist seit jeher ablesbar und hat sich in Umsetzungen wie der medial orientierten Arbeit "Schema" bereits früh als wesentliches Anliegen gezeigt. Dieses Werk besteht aus einer Liste von Anleitungen für die Komposition von Gedichten, die aus Zeitungsannoncen vom Herausgeber des jeweiligen Mediums zusammengestellt werden. So, wie sich bei dieser Arbeit die Erscheinungsform von Ausgabe zu Ausgabe völlig verändert, der Rezipient also jedesmal eine völlig andere Sichtweise desselben Werks einnimmt, so spielen die Pavillons von Dan Graham mit ihren Glas-, halbdurchlässigen und verspiegelten Scheiben ebenfalls mit dem Verhältnis von Beobachter und Objekt. Die jeweilige Position des Betrachters bestimmt nicht nur seinen momentanen Standpunkt, sondern verändert das Werk (Objekt) dadurch gleichzeitig in der Art seiner Präsenz. Der Part des Betrachters wird gleichsam zu dem eines Performers, der das Objekt seiner Kontemplation erst erschafft. Die Tatsache, daß es vorher schon da war, wird damit in Frage gestellt, da das, was da war, etwas anderes ist.

Hier stößt man nun auf jene Fragen, die die Endophysik mit ihrer Deklamation der "Welt von Innen" aufwirft: welches Bild von der Welt haben wir uns gemacht, damit wir es so sehen, wie wir es tun – oder besser: wo befindet sich jene Schnittstelle, in die wir uns begeben bzw. zu der wir selbst werden müßten, um gleichsam einen exogenen Blick auf eine Welt werfen zu können.

In seiner Art hat das Dan Graham bereits in den siebziger Jahren mit Projekten wie "Present Continuous Past(s)" (1974), "Two Viewing Rooms" (1975) oder "Public Space, Two Audiences" (1976) getan, vor allem aber mit seinen Performances" Performer/Audience Sequence" (1974) und "Audience Performer, Mirror" (1977). Dort erschafft erst die Reaktion des Publikums das, was der Performer erzählt (welche Welt er kreiert), seine Worte wiederum beeinflussen das Verhalten und die Sichtweise des Publikums. jeder spiegelt sozusagen den anderen, was zu einer unendlichen Koppelung des Bildes/Ergebnisses führt. So wie in "Present Continuous Past(s)" der Bildschirm im Bildschirm im Bildschirm ( ) nicht nur den Raum, sondern auch die Zeit an ihre abgründige Grenze (bringt)" in deren Fluchtpunkt sich die unendliche Vergangenheit 'befindet'" (de Duve), so ist auch dieser Fluchtpunkt imaginär. Die Entropie von Zeit und Raum wird dabei nur durch einen seitlichen, zusätzlichen Spiegel aufgehoben, der dem Betrachter das "Heraustreten" aus seiner "Welt" ermöglicht. Genau an dieser Stelle, in dem Moment wo sich der Betrachter vom gespiegelten Video-Bild abwendet, entsteht eine Art "Schnittstelle", die das Innere (= das entropische gespiegelte und zeitversetzte Videobild) und das Äußere (= die Reflexion in den seitlichen Spiegel) verbindet/trennt. Fast könnte man meinen, die Frage nach einer naturwissenschaftlich-philosophischen Erklärung für die "Welt von Innen" sei schon längst von der Kunst geklärt worden. Dan Grahams verspiegelte, halbdurchlässige Pavillons jedenfalls lassen den Betrachter die Erklärung intuitiv erahnen.
Katharina Gsöllpointner

Quellen: Dan Graham: Pavilions. Bern 1983
Dan Graham. Katalog. ARC, Paris 1987
Brian Hatton: Dan Graham. Present Continuous. In: ARTSCRIBE. London Dec. 1991
Das Projekt wurde ermöglicht durch die freundliche Unterstützung der Galerie Isy Brachot, Brüssel, und von Nicole Klagsbrun, NYC.
DER ENDOGENE BLICK
ZEITGENÖSSISCHE VIDEOKUNST IN DAN GRAHAM'S "THREE-LINKED-CUBES"-PAVILLON
"Wir dürfen nicht so weit kommen, nicht so weit gehen, daß wir in allem und jedem und hinter allem und jedem eine Merkwürdigkeit vermuten, etwas Rätselhaftes, Bedeutungsvolles ( … ). Alles ist das, das es ist, sonst nichts."
(Thomas Bernhard "Korrektur", 1975)
Als horizontaler Lauftext, der mittelachsig zwei sich kontrastierende Bilder kreuzt, zitiert Shelly Silver in "We" einen von Wittgensteins "Tractatus" ("l. Die Welt ist alles, was der Fall ist." (1)) sichtlich beeinflußten Thomas Bernhard. Der Penis eines masturbierenden Mannes in Großaufnahme und eine hektische Straßenszenerie als Parallel-Images zeigen lediglich "was der Fall ist". Alles andere, jede Bedeutung, Vermutung, Assoziation ist Interpretation und als solche austauschbar, beliebig. "Alles, was wir sehen, könnte auch anders sein. Alles, was wir überhaupt beschreiben können, könnte auch anders sein." (2) Wir betrachten Shelly Silvers Video im Spiegelglas von Grahams Pavillion und finden die beiden Bilder vertauscht – der Penis anstelle der Straßenszene und umgekehrt. Natürlich wandert die Bedeutung mit den Bildern. Das Banale ist immer noch banal und das Pornographische immer noch pornographisch. Unser "innerer Ordner", eine a priori-Matrix aus angelernten Werten und Zeichen macht uns die Bilder sehen wie wir sie sehen: als Repräsentanten eines bestimmten semantischen Systems, Spiegelungen einer "Vor-Welt". Wir (be)schreiben die Welt täglich als eine reale und erschaffen sie damit gleichzeitig. Wir sind selbst unsere Welt und damit sind alle Bilder der Welt die unseren. "Die Welt und das Leben sind Eins. 5.63 Ich bin meine Welt. (Der Mikrokosmos)." (3)

Die Wahrnehmung der Außenwelt als sehbehindertes Kind beschreibt der Architekt Buckminster Fuller in einem Text, den Irit Batsry in "A Simple Case Of Vision" in mehreren Varianten auflöst und visuell rekonstruiert. "Bis zu meinem Alter von 4 Jahren konnte ich nur große Muster und Strukturen erkennen. Häuser, Bäume, Umrisse von Menschen mit verschwommenen Farbtönen. Ich sah zwei dunkle Flecken in Gesichtern, aber ich konnte keine Augen, keine Tränen oder ein einzelnes Haar erkennen, bis ich 4 Jahre alt war. Mein Sehvermögen war danach mit Gläsern völlig korrigiert worden. Trotz meiner neuen Fähigkeit, Details wahrzunehmen, behielt ich aber meine von Kindheit an gewöhnte innere Abhängigkeit von großen Mustern." Nimmt man die Welt von Geburt an als Schattenwelt wahr (siehe Platons Höhlengleichnis), so gerinnt diese zur Wirklichkeit, und nicht die "eigentliche", die Schatten erzeugende Welt. Die innere Vorstellung von der Wirklichkeit, unsere Imagination, kreiert die Bilder (Images) unserer Kultur. Der endogene Blick formt die äußere Welt. So führte Buckminster Fuller einen neuen Stil in die Architektur ein; gestaltgewordene Fehlsichtigkeit. Irit Batsry verarbeitet Fullers Text zuerst zu amorpher Masse und läßt ihn später in Positiv- und Negativformen – beide ineinander verschachtelt – über die Bildschirmfläche laufen. "I was born, cross-eyed …"

Während Shelly Silver Bilder aus privater und öffentlicher Welt als differente Bedeutungsträger gegenüberstellt, arbeitet Kathleen Rogers in "The Art Of Losing Memory" mit der Analogie Computerspeicher/persönliche Erinnerung. Rogers zeigt in Schwarz/Weiß-Bildern eine Frau bei der Handarbeit, eine Schneiderin, die vertieft in ihre Tätigkeit – einem bestimmten Muster folgend – letztendlich zu einem textilen Gedächtnisprodukt gelangen wird. Die Bilder sind atmosphärisch, die Bewegungen der Darstellerin graziös, alles etwas poetisch verklärt, unentschieden. Dagegen stellt der Computer simple Fragen, gibt Entscheidungsmöglichkeiten: "Your Choice. Yes/No." Rogers mißtraut der Simplizität des binären 1/0-Systems. Die codierte Matrix ist ein "Schleier der Täuschung". Der Computer hat keine Erinnerung.

“Superanimism" von Jason White und Richard Wright beginnt mit einem Zoom in die Mikrowelt einer Maschine, bis ein plötzlicher Bildausfall die Reise in jene Innenwelt unterbricht. Die folgenden Bilder lassen den Betrachter im Ungewissen, ob es sich um künstliche oder organische Welten handelt, es scheint, als ob beide ineinander verschmolzen wären. Neue Gewebestrukturen, unbekannte Substanzen entstehen und transformieren erneut in andere Gestalten. Das letzte Bild in "Superanimism" ist ein starres, steinernes Gesichts-Relief, das mit dem Aufblitzen zweier leuchtender Augen oder vielmehr Bild-Sensoren zum "Leben" erweckt wird. Der Medusenblick als Reversion, als Metapher für die Auferstehung toter Materie.
Gerald Harringer

(1)
Ludwig Wittgenstein, TRACTATUS LOGICO-PHILOSOPHICUS, Suhrkamp. zurück

(2)
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(3)
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