www.aec.at  
Ars Electronica 1992
Festival-Programm 1992
Back to:
Festival 1979-2007
 

 

Electronic Purgatory
(Elektronisches Fegefeuer)

'Kristi Allik Kristi Allik / 'Robert Mulder Robert Mulder

Eine digitale Musik-Theater-Komposition für Schauspieler, interaktives Theater und elektroakustische Musik
Electronic Purgatory ist eine digitale Musik-Theater-Komposition. Digitales Musik-Theater ist eine Form des multidisziplinären Theaters, indem traditionelle Bühnenelemente durch elektro-akustische Instrumente und computererzeugte und -gesteuerte Bilder ergänzt oder ersetzt werden. Alle Bestandteile der Produktion werden von Inter-Akteuren auf der Bühne mit Hilfe eines interaktiven Computer-Netzwerks "live" erzeugt und/oder gesteuert. Daraus folgend werden alle Elemente, sowohl die visuellen als auch die akustischen, in Echtzeit erzeugt, umgesetzt und verändert. Das Stück wurde im Herbst 1989 begonnen und im Dezember 1991 abgeschlossen.
ÜBERBLICK
Im wesentlichen ist Electronic Purgatory eine audio-visuelle Erzählung, die von der modernen Quantenphysik und der Tatsache, daß viele der aktuellen mathematischen Theorien in diesem Wissenschaftsbereich eine fast metaphysische Qualität zu haben scheinen, beeinflußt ist. Die Künstler besetzen die physikalische Entwicklung ihrer Aufführung entlang einer formalen Struktur, die als erster Dante Alighieri für seine Göttliche Komödie entworfen hat. Das Prinzip der "vielen Welten", das die Existenz mehrerer Wirklichkeiten in verschiedenen Dimensionen zur gleichen Zeit vorsieht, wurde von Stephen Hawking übernommen. Der Titel des Stückes ist eine Beschreibung der Gefühle, die die Akteure auf der Bühne überkommen, wo ihre Rollen und ihr Zustand der Kontrolle vom Erhabenen bis zu dem der totalen Bestimmtheit durch die elektronischen Kräfte reicht.

Electronic Purgatory ist locker in vier Teile gegliedert, deren erster eine genesis-ähnliche Atmosphäre vermittelt und der entropischen Entwicklung sich widersetzende Kräfte des Lebens untersucht. In diesem Teil formen die fast Gottgleichen Bewegungen der Akteure aus einem vorhandenen "Topf mit allen Möglichkeiten" zunehmend komplexere aurale und visuelle Formen. Mit der Zeit bringen diese erstarrten Formationen die Evolution von erkennbaren physikalischen Phänomenen zum Vorschein. Dieser Teil endet mit der schrittweisen Auflösung der feinen, interdependenten Schichten, und führt zu einer mechanistischen, von B.F. Skinner inspirierten Wirklichkeit. Hier kämpft Electronic Purgatory mit den grundlegenden Widersprüchlichkeiten, die mit dem Zustand menschlichen Bewußtseins einhergehen: die Inter-Akteure sind auf eine Existenz beschränkt, in der der menschliche Geist vom Körper getrennt ist, und gleichzeitig in einer von seinen eigenen intellektuellen Grenzen kreierten "Landschaft des Geistes" gequält wird, während die körperlichen Überreste an eine Landschaft gekettet sind, die von des Körpers eigener Hand geschrieben, ist.

Das Werk wird fortgesetzt mit einem Ausflug in die Dynamik interaktiven Musik-Theaters, leicht beeinflußt durch die Vorstellung von parallelen Beziehungen, die in verschiedenen Schichten von Realität – wie bei Dante Alighieri und Stephen Hawking – zusammentreffen.
DIE BÜHNE
Viel von der "andersweltlichen" Qualität dieser Arbeit kann ihrer einzigartigen Bühneninszenierung zugeschrieben werden. Das "Magische" zum Beispiel, wird durch die elektronische Überlagerung der beiden Inter-Akteure auf die lebensgroßen Video-Leinwände (Video-Welten) erreicht, die an beiden Seiten der Bühne angebracht sind. Während der gesamten Dauer des Stücks sind die Inter-Akteure auf einen relativ kleinen Bühnenbereich festgelegt, der ohne jede bühnenähnliche Einrichtung ist. Ein lichtabsorbierender schwarzer Boden und ein schwarzer Samtvorhang an der Rückwand lassen die Bühne noch dunkler und leerer erscheinen. Während der Aufführung bewegen sich die Inter-Akteure ganz langsam und besonnen, und formen und kreieren eine Vielzahl von auralen und visuellen Phänomenen.

In bestimmten Abschnitten verwenden die Video-Welten die Inter-Akteure als "Bewegungsgeneratoren", was sich in dynamischen textuellen Beispielen äußert, die von den physischen Bewegungen der Inter-Akteure auf der Bühne losgelöst sind. Andere Abschnitte nutzen die physikalischen Umrisse der Körper der Inter-Akteure als ein Werkzeug für Collagen, indem sie die Körperkontur über die Computergrafiken wie einen schattenhaften Umriß legen. Die "Kybernetische Choreographie" umfaßt alle Stufen und Elemente im Stück; oft beeinflussen Objekte oder Ereignisse, die in der einen Video-Welt geschaffen oder zerstört werden, unmittelbar visuelle Elemente in der anderen Welt.
TECHNISCHE INFORMATIONEN
Um eine wirklich interaktive und einheitliche Aufführung zu erreichen, haben die Künstler ein Multi-Computer-Netzwerk konzipiert. Jeder Computer dieses Netzwerks hat eine spezifische Aufgabe; z.B. wird jede Video-Welt von einem unabhängigen Computer gesteuert. Ein MIDI Interface verbindet jede Video-Welt mit dem Netzwerk, und erhält und sendet über dieses Netzwerk Informationen zu den anderen Computern.

Das ursprüngliche Konzept von Electronic Purgatory hat zehn Video-Welten vorgesehen, achtkanalige Tonerzeuger Ausstattungen, und komplexe Vielbild-Projektionen, die alle von einem Netzwerk aus Amiga Computern gesteuert werden.

Die physikalische Bühnenausstattung des Stücks ist sehr flexibel, viele Aufführungsvarianten sind möglich, die alle aus der ursprünglichen Multi-Video-Welt Zusammenstellung für die Bühne gewählt werden können.