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Ars Electronica 1992
Festival-Programm 1992
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Festival 1979-2007
 

 

Gesteigerte Gebärden / Obsoletes Begehren
Post-evolutionäre Strategien

' Stelarc Stelarc

DEN KÖRPER NEU ENTWERFEN/WAS HUMAN IST NEU DEFINIEREN
Es ist nicht mehr sinnvoll, den Körper als Ort der Psyche oder des Sozialen zu betrachten, vielmehr ist er eine zu überwachende und zu modifizierende Struktur. Der Körper nicht als Subjekt sondern als Objekt – NICHT ALS OBJEKT DES BEGEHRENS SONDERN ALS OBJEKT DES ENTWURFS. DIE ÄNDERUNG DER ARCHITEKTUR DES KÖRPERS BEWIRKT DIE ANPASSUNG UND ERWEITERUNG SEINER ERKENNTNIS DER WELT. Als Objekt kann der Körper erweitert und beschleunigt werden und planetarische Fluchtgeschwindigkeit erzielen. Er wird zum post-evolutionären, vergehenden, in Form und Funktion variierenden Projektil.
OBSOLETER KÖRPER
Der Körper ist weder eine sehr effiziente, noch eine sehr dauerhafte Struktur. Er weist häufige Fehlfunktionen auf und ermüdet schnell; seine Leistung ist altersabhängig. Er ist für Krankheiten anfällig und zu einem sicheren und frühen Tod verurteilt. Seine Überlebensparameter sind armselig ohne Nahrung kann er nur Wochen überleben, ohne Wasser Tage, ohne Sauerstoff Minuten. Der Körper weist ein MANKO AN MODULAREM DESIGN auf und sein überaktives Immunsystem erschwert den Austausch schlecht funktionierender Organe. Es geht nicht mehr darum, die menschliche Spezies mittels REPRODUKTION zu erhalten sondern darum, das Individuum durch einen NEUEN ENTWURF zu steigern. Signifikant ist nicht mehr der Mann-Frau-Geschlechtsverkehr sondern die Mensch-Maschine-Schnittstelle. DER KÖRPER IST VERALTET. Wir befinden uns am Ende der Philosophie und der menschlichen Physiologie. Das menschliche Denken entschwindet in der menschlichen Vergangenheit.
DIE INVASION DER TECHNOLOGIE
Miniaturisiert und biokompatibel, besetzt die Technologie den Körper. Es ist dies, obwohl nicht kund getan, eines der wichtigsten Ereignisse der Menschheitsgeschichte – es rückt für jedes Individuum die physische Veränderung in den Brennpunkt. Technologie wird nicht allein zugeführt, sondern auch eingepflanzt. WAR DIE TECHNOLOGIE FRÜHER EIN BEHÄLTER, SO WIRD SIE JETZT EIN BESTANDTEIL DES KÖRPERS. "Menschlich" zu bleiben oder sich als Spezies zu entfalten ist nicht mehr von Vorteil. DIE EVOLUTION ENDET, WENN DIE TECHNOLOGIE IN DEN KÖRPER EINDRINGT. Sobald die Technologie jede Person mit dem Potential für ihr individuelles Fortschreiten in ihrer eigenen Entwicklung ausstattet, ist der Zusammenhalt der Spezies nicht mehr wichtig. Spannend ist nun nicht die Geist-Körper-Unterscheidung, sondern die Körper-Spezies-Spaltung. Der Körper muß seine biologischen, kulturellen und planetarischen Fesseln sprengen. Die Signifikanz der Technologie mag darin liegen, daß sie in einer fremden POST-HISTORISCHEN, TRANS-HUMANEN und sogar AUSSERIRDISCHEN Bewusstheit kulminiert. Die ersten Zeichen einer fremden Intelligenz können durchaus von diesem Planeten kommen.
HOHLER KÖRPER
Außerhalb der Erde wäre die Komplexität, Weichheit und Feuchtigkeit des Körper schwer aufrechtzuerhalten. Die Strategie sollte im HOHLMACHEN, HÄRTEN und DEHYDRIEREN des Körpers bestehen, um ihn dauerhafter und weniger verletzlich zu machen. Die derzeitige Organisation des Körpers ist nicht notwendig. Die Lösung zur Modifizierung des Körpers findet sich nicht in seiner inneren Struktur, sie liegt einfach auf seiner Oberfläche. DIE LÖSUNG GEHT NICHT WEITER ALS DIE HAUT TIEF IST. Das signifikante Ereignis in unserer Evolutionsgeschichte war die Veränderung unserer Fortbewegungsweise. Die zukünftige Entwicklung wird sich mit einer Veränderung der Haut ereignen, – wir wären in der Lage den Körper radikal neu zu gestalten, viele seiner redundanten Systeme und schlechtfunktionierenden Organe zu eliminieren – die Giftstoffansammlung in seiner Chemie zu minimieren, wenn wir technisch eine SYNTHETISCHE HAUT herstellen könnten, die den Sauerstoff mittels ihrer Poren direkt aufnehmen und das Licht effizient in chemische Nährstoffe umwandeln könnte. DER HOHLE KÖRPER WÄRE EIN BESSERER WIRT FÜR TECHNOLOGISCHE KOMPONENTEN.
PAN-PLANETARISCHE PHYSIOLOGIE
Außerirdische Umgebungen verstärken die Veraltetheit des Körpers, vergrößern den Druck in Richtung seiner technischen Neugestaltung. Es besteht eine Notwendigkeit, einen selbstgenügsameren, energie-effizienten Körper mit erweiterten Sinnesantennen und vermehrter Gehirnkapazität zu entwerfen. Abgekoppelt von diesem Planeten – von seiner komplexen, interagierenden Energiekette und beschützenden Biosphäre – ist der Körper, nicht nur in Hinblick auf das bloße Überleben, sondern in seinem Unvermögen zu adäquater Wahrnehmung und Leistung in der ungeheuren Ausdehnung des Weltraums, biologisch schlecht ausgestattet. Anstatt spezialisierte Körper für spezifische Orte zu entwickeln, sollten wir vielmehr eine pan-planetarische Physiologie in Erwägung ziehen, – dauerhaft, flexibel und in der Lage unter variierenden atmosphärischen Bedingungen, Gravitationsverhältnissen und elektromagnetischen Feldern zu funktionieren.
KEINE GEBURT/KEIN TOD – DAS BRUMMEN DES HYBRIDEN
Die Technologie transformiert das Wesen der menschlichen Existenz, macht das physische Potential der Körper gleich und standardisiert die menschliche Sexualität. Mit der nun außerhalb der Gebärmutter erfolgenden Befruchtung und der Möglichkeit, den Fötus in einem künstlichen Trägersystem zu ernähren, WIRD ES TECHNISCH KEINE GEBURT GEBEN. Und wenn der Körper nach einem modularen Zuschnitt neu entworfen werden kann um den Austausch schlecht funktionierender Teile zu erleichtern, BESTÜNDE TECHNISCH AUCH KEIN GRUND FÜR DEN TOD – bei gegebener Erreichbarkeit von Austauschoperationen. Der Tod beglaubigt die Existenz nicht, er hat sich als evolutionäre Strategie überlebt. Der Körper muß nicht mehr repariert werden, es müssen nur Teile ausgetauscht werden. In der erweiterten Raum-Zeit außerirdischer Umgebungen MUSS DER KÖRPER, UM SICH ANZUPASSEN, UNSTERBLICH WERDEN. Utopische Träume werden zu post-evolutionären Imperativen. DAS IST NICHT EINFACH EINE FAUSTISCHE OPTION NOCH SOLLTE HIER IRGENDEINE FRANKENSTEINSCHE BEFÜRCHTUNG IN BEZUG AUF DAS HERUMBASTELN AM KÖRPER AUFTRETEN.
ANÄSTHESIERTER KÖRPER/DIE ATHROPHIE DER EXTASE
Die Bedeutung der Technologie liegt nicht einfach in der von ihr erzeugten reinen Macht, sondern im Reich der Abstraktion, welches sie durch ihre Operationsgeschwindigkeit und die Entwicklung erweiterter Sinnessysteme produziert. Die Technologie macht den Körper passiv. Da die Technologie so erfolgreich zwischen dem Körper und der Welt vermittelt, trennt sie den Körper von vielen seiner Funktionen. VERWIRRT UND GETRENNT, KANN DER KÖRPER NUR ZUR SCHNITTSTELLE UND SYMBIOSE ZUFLUCHT NEHMEN. Der Körper gibt vielleicht seine Autonomie noch nicht auf, sicher jedoch seine Mobilität. Der in ein Maschinennetzwerk gesteckte Körper muß passiv gemacht werden. In der Tat muß der Körper, um in Hinkunft zu funktionieren und eine hybride Symbiose wahrhaftig zu erreichen, immer mehr betäubt werden …
HYBRIDE MENSCH-MASCHINE SYSTEME
Das Problem der Weltraumreise liegt nicht mehr in der Präzision und Verläßlichkeit der Technologie sondern in der Verletzlichkeit und Beständigkeit des menschlichen Körpers. Es ist tatsächlich an der Zeit, DIE MENSCHEN NEU ZU ENTWERFEN; SIE IN BEZUG AUF IHRE MASCHINEN KOMPATIBLER ZU MACHEN. Es geht dabei nicht allein um ein "Mechanisieren" des Körpers. Im Nullpunkt G, in der friktions- und sauerstofflosen Umgebung des Weltraums zeigt sich, daß die Technologie hier sogar beständiger und effizienter als auf der Erde funktioniert. Dagegen muß die menschliche Komponente unterstützt und vor geringfügigen Druck-, Temperatur- und Strahlungsänderungen geschützt werden. Die Kernfrage ist WIE KANN DIE MENSCHLICHE LEISTUNG ÜBER AUSGEDEHNTE ZEITPERIODEN ERHALTEN WERDEN. Symbiotische Systeme scheinen die beste Strategie darzustellen. Eingepflanzte Komponenten können Entwicklungen energetisieren und verstärken; Exoskelette können den Körper stärken; Automatikstrukturen können Körpereinfügungen beherbergen.
WIRTSKÖRPER
Und mit den mikro-miniarisierten Robotern können wir nun DIE OBERFLÄCHE UND DIE INNENTRAKTE DES KÖRPERS KOLONISIEREN, um seine Bakterienpopulation – zwecks Körpersondierung, -überwachung und -schutz, zu vermehren.
HIN ZUR HIGH-FIDELITY ILLUSION
Mit Teleoperationssystemen ist es möglich, die menschliche Präsenz zu schützen und physische Aktionen an entfernten und außerirdischen Orten durchzuführen. Ein einziger Operator könnte eine Roboterkolonie an verschiedenen Orten gleichzeitig steuern oder vereinzelte menschliche Experten könnten kollektiv einen bestimmten Ersatzroboter steuern. Teleoperationssysteme müßten mehr als nur Hand-Auge-Mechanismen sein. Sie müssen kinesthetisches Tastempfinden kreieren und Orientierungs-, Bewegungs- und Körperspannungsempfindungen hervorrufen. Die Roboter müssen halb-autonom sein, fähig zum "intelligenten Ungehorsam". Die Erfahrung der Telepräsenz wird zur High-Fidelity-Illusion der Tele-Existenz. DER ELEKTRONISCHE RAUM WIRD VIELMEHR EIN MEDIUM DER AKTION ALS DER INFORMATION. Er bewirkt ein Ineinandergreifen des Körpers und seiner Maschinen von beständig zunehmender Komplexität und Interaktivität. Die Form des Körpers ist gesteigert und seine Funktionen. sind erweitert. SEINE LEISTUNGSPARAMETER WERDEN WEDER DURCH SEINE PHYSIOLOGIE NOCH DURCH SEINEN AUGENBLICKLICHEN RAUM BEGRENZT. Der elektronische Raum restrukturiert die Architektur des Körpers und vervielfacht seine Operationsmöglichkeiten.

Das Projekt wurde durch die freundliche Unterstützung der Firma COMESA medizinisch-technische Geräte, ermöglicht.