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Ars Electronica 1992
Festival-Programm 1992
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Festival 1979-2007
 

 

Konzertabend elektronischer Musik




DIE ORDNUNG UND DIE ANDERE HÄLFTE DES LEBENS
Was in der Musik verhandelt wird, reflektiert auch immer zugleich soziale Bedingungen. Relativ selbstsicher bildete die Komposition im barocken Ständestaat das gesellschaftliche Gefüge ab, mit allen Spannungen (J. S. Bach), die ihm innewohnten. Das Ende des Feudalsystems ermöglichte den freischaffenden Komponisten (Beethoven) und die klanggestaltete Vision. Und doch reagiert der Künstler weiterhin auf vorgefundene Lebensumstände, die sich in unserem Jahrhundert radikal verändert haben: Anspruch und Praxis gesellschaftlicher Ordnung haben sich gegeneinander verschoben, mehrere Ordnungssysteme existieren gleichzeitig nebeneinander.

Die technische Entwicklung hat nicht nur die industrielle Fertigung gründlich verändert und damit soziale Strukturen in Frage gestellt, sie hat das Privatleben jedes einzelnen Menschen erfaßt. Und selbstverständlich hat sie die künstlerischen Produktionsbedingungen verändert, und verändert sie täglich in einem Tempo, das die kreative Selbstbesinnung nahezu ausschließt. Die technisch ermöglichte Verfügbarkeit und Reproduzierbarkeit aller denkbaren und nicht auszudenkenden Klangmaterialien haben nicht nur alle Grenzen der Klangerzeugung überschritten, durch sie wurde mittelbar auch der Organisation der Klänge in Zeit und Raum der reflexive Boden entzogen. Umso mehr macht sich offenbar das Bedürfnis nach Ordnungssystemen geltend, und das Interesse für ungesicherte Korrespondenzen, die zwischen differenzierenden Ordnungssystemen entstehen. Das Konzert begeht den Weg dorthin. James Tenneys Oszillatoren-Glissandi als Gegenmodell zum abendländischen Harmoniebegriff, die natürliche Gesetzmäßigkeit des obertönigen Mikrokosmos bei Johannes Fritsch, die pluralistische Differenz unterschiedlicher, sich überlagernder Rhythmusstrukturen der frequenzmodulierten Klangsynthese, der dagegen solche Strukturen in fließende Raumklänge auflöst, der interaktive Ordnungsgedanke von Duncan Youngerman und die mythologisch und zugleich elementar umgesetzte Klangwelt Simon Stockhausens, die sich aus der Chaosforschung herleitet – das sind die Wegmarken.
Bernd Leukert