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Ars Electronica 1991
Festival-Programm 1991
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Schwellen der Kontrolle
Destruction Art und endzeitliche Kultur

'Kristine Stiles Kristine Stiles

I.
"Wir sind Überlebende in diesem Zeitalter" schreibt Saul Bellows Herzog in einem seiner nicht abgesandten Briefe. "Festzustellen, daß man ein Überlebender ist, ist ein Schock. Wenn einem diese Auserwähltheit klar wird, möchte man in Tränen ausbrechen(1)

Destruction Art (zu deutsch etwa: Kunst der Zerstörung) bezeugt die anstrengende Befindlichkeit des Überlebens – sie ist der vitale Diskurs des Überlebenden. Sie ist der einzige Versuch in der visuellen Kunst, die Technologie und Psychodynamik der tatsächlichen und virtuellen Auslöschung zu behandeln, eine der wenigen kulturellen Praktiken, die das allgemeine Fehlen von Diskussion über die Zerstörung in der Gesellschaft ein wenig zurechtrückt. (2)

Destruction Art ist interdisziplinâr und multinational, sie verbindet Medien und Themen. Destruction Art spricht die Phänomenologie und Epistemologie der Zerstörung an und muß eher als eine breite kulturübergreifende Antwort denn als historische Bewegung betrachtet werden. Eine Einstellung, ein Prozeß, eine Vorgangsweise – Destruction Art ist sowohl reaktionär als auch responsiv: sie ist keine Ästhetik, keine Methode, keine Technik. Destruction Art ist ein ethischer Standpunkt, der aus verschiedenen Praktiken besteht, die alles untersuchen, was die endzeitliche Kultur ausmacht.

Ich habe die Begriffe "endzeitliche Kultur" und "Destruction Art" als Mittel zur Identifikation eingeführt, als Termini, die jene zusammenhängenden Bereiche darstellen, an denen soziale, ästhetische und politische Wechselbeziehungen und Praktiken in der Frage nach dem Überleben gemeinsam auftreten. Der Begriff "Destruction Art" ist daher auch ein knapper Indexbegriff für ein weites anthropologisches Feld, wohingegen "Destruction in Art" die Prozesse unterstreicht, welche die Praktiken innerhalb der Institutionen der Kunst bestimmen. In diesem Aufsatz möchte ich Destruction Art anhand ihres Überlebens-Diskurses beleuchten und ebenso ihr historisches Projekt in den nötigen Zusammenhang bringen.
II.
In seinem – an Bedeutung einzigartigen – Werk über das Trauma identifiziert der Psychologe Robert Jay Lifton einen Überlebenden als jemanden, der den Tod miterlebt hat, ihm begegnet ist oder ausgesetzt war, und der oder die selbst am Leben geblieben ist".(3) Tod kann hier wörtlich als das tatsächliche Auslöschen von Leben verstanden werden, psychologisch als Zerstörung des Selbst, oder ökologisch als Naturkatastrophe. Wie auch immer der Text des Überlebens sei, er muß durch den Diskurs der Destruktion gelesen werden. Lifton stellt die rhetorische Frage: "Ist Hiroshima unser Text?" (4) Und tatsächlich repräsentiert Hiroshima als Darstellung die Zerstörung als das Extrem und als das Zentrum des Überlebens, wobei der Körper als Text dient. Destruction Art ist eine verantwortungsvolle Verpflichtung zum Überleben des Körpers.

Überleben, so schreibt Lifton, hinterläßt einen "Abdruck des Todes", der von "Todesangst, Todesschuld oder vom Schuldgefühl des Überlebenden" begleitet ist, einem Schuldgefühl, das ein "Gefühl der Schuldigkeit und Verantwortung den Toten gegenüber" nach sich zieht. (5) Überleben ruft auch eine "psychische Abstumpfung" hervor, die die Fähigkeit des Individuums zu fühlen und verschiedene Arten von Erfahrungen zu verarbeiten ausschaltet, und essentielle geistige Funktionen der Symbolisierung behindert. (6) Seine Hypothese geht dahin, daß international eine weitgehende psychische Abstumpfung stattgefunden hat als Ergebnis der ständigen gobalen Bedrohung durch technologische, ökologische oder psychologische Auslöschung. Destruction Art stellt diese Krise der Abstumpfung durch Aktionen, Ereignisse und/oder Objekte dar, die jene Bedingungen, Effekte und Prozesse der Zerstörung aufgreifen, die das Überleben stören und die in und von den Epistemologien der endzeitlichen Kultur unterdrückt worden sind.

Destruction Art fühlt sich einer kritischen Reflexion zur Frage des Verschwindens verpflichtet. Jean-Francois Lyotard greift das Problem des Verschwindens in seinem Buch "Heidegger und 'die Juden'" auf, wo er den Terminus "Die Vergessenen" kreiert als Symbol eines Zustandes, der weder "ein Konzept" ist "noch eine Darstellung, sondern eine 'Tatsache' im Sinne des Kantschen 'Faktums', das wir "vor dem Gesetz verpflichtet sind uns zu merken".(7) "Die Vergessenen" sind etwas, das nie aufhören wird, vergessen zu sein, ein Zustand "den zu vergessen man sich bemüht hat, indem man ihn tötet", der aber nichtsdestoweniger in die Richtung des Unerinnerlichen fortschreitet, einfach durch die Zerstörung seiner Darstellungen seiner Zeugen, "der Juden".(8) Hier gibt Lyotard an, daß 'die Juden' das Objekt einer Abschiebung sind, von der die Juden auch in der Realität betroffen werden".(9) Lyotard's Begriff "die Juden" ist eine Verfeinerung und historische Spezifikation jener "Katastrophe", die Nietzsche als das unausbleibliche Ergebnis der "fehlenden Reflexion" ansah. (10)

Destruktion ist Agens und Prozeß des Verschwindens in unserer Zeit, der "Vergessenen", "der Juden". Die Interdependenz zwischen "den Juden" und "Die Juden" ist für Destruction Art ebenso relevant wie für die Materialität des Überlebens. Schließlich liegt der Ursprung des Begriffes "Destruction Art" in den theoretischen Formulierungen eines wirklichen Juden und Überlebenden der Lyotard'schen symbolischen "die Juden", nämlich eines Überlebenden der Destruktion: Gustav Metzger. In fünf Manifesten, die zwischen November 1959 und Juli 1964 entstanden, legte Metzger den Grundstein für "Auto-Destruktive Kunst", der auch Grundlage der Destruction Art ist. (11) Metzger beabsichtigte "Auto-Destructive Art" vorwiegend in öffentlichen Monumenten, die im öffentlichen Raum zu errichten wären, realisieren zu lassen. Diese Strukturen sollten komplexe technologische und elektronische interne Geräte enthalten, die eine Implosion und Selbstzerstörung der Struktur in einem Zeitraum zwischen 20 Sekunden und 20 Jahren hervorrufen sollten. Als ortssensitive und ortsspezifische interdisziplinäre Werke in Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Künstlern sollten sie kontext-determiniert und somit sozial, kollektiv und partizipativ sein. Industriell und maschinell hergestellt wären diese Strukturen auch technische Repräsentationen der intrinsischen Interdependenz der Prozesse natürlichen Verfalls und der Disintegration sowie der kulturellen, besonders urbanen, Krise. "Auto-Destructive Art" kondensierte ein weites experimentelles und technologisches Feld der Zerstörung und das dazugehörige Ethos des Überlebens in eine handhabbare Darstellung.

Die zeitliche Dauer der "Auto-Destruktiven Kunst" würde sowohl als Repräsentation wie auch als Präsentation, als Bild und als Akt der Auslöschung, die erinnert an die und Substanz gibt den Vergessenen, "den Juden". Als Re-Materialisierung der Erinnerung in ihrer originalen destruktiven Form nicht länger "dort"; sondern in einen neuen Zustand transformiert "hier". Destruction Art in ihrer ersten Manifestation als "Auto-Destructive Art" ist das ständige öffentliche und soziale Mahnmal der Zerstörung, ihrer Agenten, Prozesse und Ergebnisse.

Genau zwanzig Jahre nachdem Metzger 1939 im Alter von 12 Jahren nach England geschickt wurde, bevor seine Familie von der Gestapo in Nürnberg verhaftet wurde, formulierte er seine Theorie. Zwanzig Sekunden ist demnach eine zeitliche Analogie für die zwanzig Sekunden, die es dauerte, seine persönliche Welt durch die Tötung seiner Familie zu zerstören; zwanzig Jahre sind die zwei Jahrzehnte seiner Selbst-Umwandlung. Zeitlichkeit in Destruction Art ist der Index einer Dauer, die das Bewußtsein mit dem Zyklus von Konstruktion und Dekonstruktion in kulturellen Artefakten und technologischen Objekten ebenso wie in der Natur konfrontiert. Diese Zeitlichkeit drückt der Psyche des sozialen Ganzen die Erinnerung der Endlichkeit auf, die als affektives Agens in der Reaggregation eines Überlebensbewußtseins dienen muß.

Zeitlichkeit in Metzgers Leben nicht nur im Kulturellen, sondern auch im Politischen: Metzger behielt seinen polnischen Reisepaß während seines Lebens in Großbritannien bis 1948, als er sich entschloß, staatenlos zu werden. Diese Lebenserfahrung reflektiert die Geopolitik der Verschwundenen, die Paul Virilio als eine der Bedingungen des "Reinen Krieges" identifiziert hat:
Verschwinden von Ort und Individuum, Verweigerung von Staatsbürgerschaft, von Rechten, des "habeas Corpus" usw. … verbreitet sich über die ganze Welt. Es ist einfacher, die Leute einen nach dem anderen, oder zehn und zehn, oder tausend und tausend verschwinden zu lassen, als Millionen in Lager zu sperren, wie es in Deutschland geschehen ist. Und selbst wenn noch immer Gulags und Konzentrationslager existieren – und leider existieren sie – ist das Verschwinden unsere Zukunft. (12)
Der konkrete Beweis körperlicher Existenz in der Schlächterei bombardierter Orte und Städte, mit Leichen, die zu begraben oder zu verbrennen sind – wie dies in den letzten Kriegen der Fall war – existiert nicht mehr, seit die Krematorien und die thermonukleare Verdampfung jede Auseinandersetzung mit Tod und Zerstörung überflüssig machen. "Reiner Krieg" bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die technische und psychologische Bereitschaft und Allgegenwart von Krieg, die derzeit die politischen ebenso wie die sozialen Beziehungen formt, und trägt zum "Epistemo-Technischen" bei, einer Art des Wissens und "Auf-der-Welt-Seins", die auf der Technologie des Krieges basiert. (13) "Reiner Krieg ist weder Frieden noch Krieg" behauptet Virilio, "noch ist er – wie angenommen wurde – der "absolute" oder "totale" Krieg, sondern viel eher die militärische Prozedur selbst, die uns mit ihrer gewöhnlichen Dauerhaftigkeit infiziert"?(14) Während das Verschwinden eine der Grundbedingungen der Kriegsmaschinerie ist, die Virilio zutreffend "die Maschinerie der gesellschaftlichen Nicht-Weiterentwicklung" nennt, (15) ist der Reine Krieg auch die "Logistik des Krieges". Die USA haben eine solche Logistik in den späten 40er Jahren eingeführt, als das Pentagon Logistik definierte als "die Prozedur, nach der das Potential eines Staates seinen bewaffneten Kräften übergeben wird, in Friedenszeiten ebenso wie in Kriegszeiten (16) Als er über die "Politik der Bedeutung" schrieb, merkte Clifford Geerz an, daß "eines der Dinge, die jeder kennt und von denen dennoch keiner weiß, wie er sie demonstrieren kann, einfach ist, daß die Politik eines Landes den Aufbau seiner Kultur widerspiegelt (17) Aber das Land, das die erste Atomwaffe entwickelte und einsetzte, machte seine Politik im täglichen Leben schon in den 50er Jahren deutlich sichtbar, als es öffentlich bekannt wurde, daß die US Zivilingenieure an der Konstruktion solcher logistischer Ortschaften beteiligt waren, an denen das Militär die Effekte nuklearer Zerstörung auf Material und Techniken "testen" konnte, die im zivilen Bauwesen verwendet wurden. Ein solcher Testort wurde in den Zeitschrift "Architectural Record" 1952 illustriert, wo lebhafte Bilder ein zerstörtes zweistöckiges Wohnhaus, zerstörte Stahlbeton- und Bürobauten und andere zerstörte Konstruktionen zeigten. (18)

In der folgenden Rhetorik und im Muskelspiel des Kalten Krieges verfeinerte Metzger die dialektischen Aspekte seiner Theorien, indem er die "Auto-Destruktive Kunst" zur"Auto-Kreativen Kunst" erweiterte und ihre ideologischen Dimensionen schärfte. Destruction Art sollte politisch affektiv und sozial engagiert sein, eine Praktik, in der die Künstler darum kämpfen, die Institutionen der Macht zu entkleiden, die da entmenschlichen, ausbeuten und zerstören. Destruction Art sollte sich mit dem sozialen Ganzen und kollektiven Praktiken beschäftigen, indem sie "die Besessenheit mit Destruktion nachvollzieht, jene ständigen Prügel, denen Individuen und Massen ausgesetzt sind", schrieb er und fügte hinzu:
Das beständige Fallen Fallen Fallen von H-Bomben … spiegelt den zwanghaften Perfektionismus der Waffenerzeuger wider – ein Aufpolieren bis zum Punkt der Zerstörung. Auto-Destruktive Kunst ist die Umwandlung von Technologie in öffentliche Kunst. Die immense produktive Kapazität, das Chaos von Kapitalismus und Sowjet-Kommunismus, die Koexistenz von Überfluß und Verhungern, das zunehmende Anhäufen nuklearer Waffen – mehr als genug zur Zerstörung technologischer Gesellschaften, die desintegrativen Effekte von Maschinen und das Leben in großen personenbezogen aufgebauten Gebieten. (19)
Die selbstbewußte Verfeinerung des zeitgenössischen intellektuellen "Diskurses" steht in klarem Kontrast zu Metzgers subjektiven und geladenen "Worten", emotionalen Ausdrücken, die vielleicht stören, aber zweifellos real sind, der direkte Ausdruck eines involvierten, ärgerlichen und furchtgeplagten Menschen als Opfer. Destruction Art ist im wesentlichen oppositionell, indem sie die Auslassungen der linguistischen Abstraktion negiert, die unwissentlich zur Perpetuierung der destruktiven Epistemologie der westlichen Kultur beitragen, einer Epistemologie, die ganz und gar von "Verteidigungs-Intellektuellen" in Politik und Theorie der Auslöschung perfektioniert wird, über die Carol Cohn so einsichtsvoll geschrieben hat. Cohn verzweifelte über der "enormen destruktiven Macht" der "Sprache der Verteidigungsanalytiker und Waffennarren", wegen ihrer kompletten Resistenz gegenüber "emotionalem Fallout … Massenmord, zermalmten Körpern und unaussprechlichem menschlichem Leid", woraufhin ihre Sprache abzielt. (20) Sie lehnt den "professionellen Diskurs" jener Männer ab, deren Geist im "Dienste der Militarisierung" steht, wegen seiner "außergewöhnlichen Abstraktion und Ferne" – Smart Bombs, freundliches Feuer, Saubere Bomben, Gegenwert-Angriffe, Collateral Damage (also Schaden als Nebenprodukt) – und wegen der Art, wie diese Termini verleugnen, was sie "in der Realität kennenlernte".(21) Damit verbunden und tief ernüchternd ist Liftons Bestätigung ihres Angriffes auf solch einen "professionellen Diskurs", wenn er bemerkt:
Ein gewisses Maß an Abstumpfung ist wahrscheinlich in fast allen professionellen Situationen notwendig – inmitten einer Operation kann der Chirurg es sich nicht leisten, die Konsequenzen eines Fehlers zur Gänze zu empfinden –, aber in unserer Gesellschaft und unserem Jahrhundert wird es sicher übertroeben. So groß ist die verminderte Emotion bei den Professionellen, daß ein Profi zu werden wohl auch bedeuten kann, Teil eines Handels mit dem Teufel zu werden, bei dem man aufhört, viel bei den zentralen – nämlich den bedrohlichsten – Fragen unserer Zeit zu empfinden. (22)
Als John Latham Mitte der 60er Jahre brennende Bücherstapel zu Asche verwandelte, "Skoob Towers" ("Books" rückwärts geschrieben), als er 1966 auf Clement Greenbergs "Art and Culture" herumkaute und sie destillierte, (23) da identifizierten seine Gesten Bücher als die Träger der epistemologischen und linguistischen Grundlagen einer abstrakten Rationalität, die Zerstörung reinwäscht und perpetuiert, jene Sprachen, die den Tod drucken und die terroristische Rationalität eines Robert McNamara bestätigen, der 1964 so erschreckend den Begriff "Mutual assured destruction (gegenseitige sichere Zerstörung)" als M.A.D. prägte. Die Entfremdung und Abstraktion der tatsächlichen Erfahrung der Destruktion ist ein Triumph der Technologie dieser Zerstörung. In dieser Situation muß große Vorsicht darauf verwendet werden, die theoretischen Abstraktionen davon abzuhalten, ein Teil jener Unterdrückung der tatsächlichen Erfahrung zu werden, die in der Verleugnung der Identität überhaupt gipfelt. Solche Verleugnungen zielen auf die Zerstörung der Körper ab und sind die unverzeihliche Folge der Verwechslung von Landkarte und Territorium. Sie sind die entscheidbare Gefahr, die in den Interpretationen von Derridas Konzept der "différence" steckte, von der viele argumentieren, daß sie eine "différence – eine Entfernung – von jedem entscheidbaren Statement des Konzepts einer Identität oder Unterschiedlichkeit" brauchen. (24) Das Vertrauen der Destruction Art liegt in der Überlebensfähigkeit des Körpers, in der Materialität der Existenz selbst. In diesem Sinne war keine Künstlergruppe so deutlich wie die Survival Research Laboratories, die klar die Termini ihrer Untersuchung und Praktiken dargelegt haben. Und Körperlichkeit ist nun einmal Angelegenheit der Kunst. Darstellung und Beobachtung, die visuellen Zustände der Körperlichkeit, sind die Resteigenschaften des ersten Aktes des Künstlers, der die Bedingung der Körperlichkeit wiederentdecken will. Deshalb kann Kunst ohne Augen auch für jene ohne Sichtweisen existieren. Konfrontiert mit der Auslöschung muß der Künstler – wenn er oder sie die Verantwortung für die ihm/ihr anvertraute Aufgabe wahrnimmt – Kunst in den Dienst des Überlebens stellen. Dies impliziert nicht, daß sich jede Kunst die Aufgaben der Destruction Art aufbürden muß, aber es heißt sehr wohl, daß Kunst eine spezielle soziale Funktion hat, die eine ethische Position zur Frage des Überlebens fordert, egal welche formale Auflösung das Werk letztlich annimmt. In diesem Sinne glaube ich, daß Destruction Art die soziale Kraft der Kunst aus den instrumentalen Gründen übernimmt und aus der Ökonomie des Spätkapitalismus. Denn Destruction Art beschreibt beständig die profunde Signifikanz des Überlebens des Körpers in den Gegensätzen, die sie auflöst.

Die Aufgabe der Destruction Art umfaßt auch die Dekonstruktion des doppelten Charakters und der Unbestimmtheit der Bedeutung in der zweiwegigen Trennung zwischen Schöpfung und Zerstörung, und die Erhellung der sinnstiftenden Bedingungen der Zerstörung. In diesem Sinne ähnelt das Projekt der Destruction Art der destruktionistischen Theorie, mit der es gleichzeitig und dennoch unabhängig in den frühen 60er Jahren auftrat. Signifikant ist, daß Derridas "De la grammatologie" (1967) veröffentlicht wurde ein Jahr, nachdem Metzger die verschiedenen Tendenzen der Destruction Art 1966 als kohärenten Diskurs und Darstellung im "Art Symposium" (DIAS) zusammengefaßt hatte. (25) Metzgers explizites Ziel bei der Organisation von DIAS war die Schaffung eines interdisziplinären Forums für die Untersuchung der Beziehung zwischen Destruktion in Kunst und Gesellschaft. "(26) Derridas Ziel parallel dazu war "eine neue Untersuchung in die Verantwortlichkeit zu finden, eine Untersuchung, die die Codes hinterfragt, die wir aus Ethik und Politik geerbt haben"; in den "politischen und institutionellen Strukturen, die unsere Praktiken regeln und ermöglichen".(27)

DIAS war auch Vorbild für eine Anzahl nachfolgender Ausstellungen, bei denen Künstler lernten, die Sprache der Destruction Art zu erweitern, und es war der Prototyp für "The Dialectics of Liberation" organisiert von R.D. Laing und David Cooper. Bei dieser Konferenz in London im Juli 1967, zehn Monate nach DIAS, hielten solch prominente Intellektuelle wie Paul Goodman, Stokely Carmichael, Irving Goffman, Herbert Marcuse, Gergory Bateson und andere die Vorträge. Dies fiel zeitlich genau mit einem dreitägigen Prozeß gegen Metzger zusammen und gegen den irischen Dichter und Dramatiker John Sharkey, Metzgers Hauptassistenten bei der Organisation von DIAS. Das Paar wurde schuldig befunden, durch die Präsentation von Herman Nitschs 5. Aktion des Orgien-Mysterientheaters, wie das Gericht feststellte "eine indezente Ausstellung gegen das Gesetz" veranstaltet zu haben. (28)

Die Gleichzeitigkeit dieser Konferenz mit dem Prozeß gegen Metzger und Sharkey ist typisch für die Juxtaposition der Trennung von Macht und Autorität, die die Systeme, Praktiken, Institutionen und Leistungen der westlichen Kulturen bestimmen. Die textliche und expositionelle Exegese jener, die an der "Dialektik der Befreiung" teilnahmen, war zulässig, eingebunden in die vage sentimental-idealistische Terrninologie von Befreiung, eine Terminologie, die den autoritären, abstrakten, zurückhaltenden, maßvollen und betont objektiven Codes des akademischen Diskurses entsprach. Im Vergleich dazu repräsentierte "Destruction-In-Art" einen direkten, gehaltvollen, kämpferischen und unsentimentalen Diskurs, und seine Praktiken waren roh, leidenschaftlich, involviert, ungeduldig, skeptisch, pessimistisch kritisch, und manchmal gefährlich und außer Kontrolle. (29)

In seinem Vortrag über den "Diskurs der Sprache" beschrieb Foucault die "logophobia" der westlichen Kultur als eine "offensichtliche logophilia", und er argumentierte:
Welche Zivilisation hat nach außen mehr Respekt gegenüber dem Diskurs gezeigt als unsere? … Wo hingen Menschen offensichtlich radikaler von seinen Einschränkungen und seinem universellen Charakter ab? Aber mir scheint, eine bestimmte Angst versteckt sich hinter dieser scheinbaren Überlegenheit … Es ist, als wären all diese Tabus, diese Barrieren, diese Schwellen und Grenzen ganz bewußt errichtet worden, um zumindest teilweise die große Verbreitung des Diskurses zu bewältigen und zu beherrschen, um seinen Reichtum zumindest von den gefährlichsten Elementen zu befreien; um seine Unordnung zu organisieren, um die am wenigsten kontrollierbaren Aspekte zu umschiffen. (30)
Als Teil der Resolution zu diesen Kontrollmechanismen verlangte Foucault nach der Rückführung des Diskurses zu "seinem Charakter als Ereignis".(31) Nitschs Werk und die juridische Antwort, die darauf über Metzger und Scharkey verhängt wurde, brachte den Diskurs der Destruktion tatsächlich zurück zu seinem "Charakter als Ereignis". Die Strafe strahlte aus auf alle Künstler – und damit auf DIAS selbst – und übertrug ihnen die "Schuld" der Destruktion, die als das wichtigste einzelne Zeugnis der affektiven Rolle des DIAS und der von ihm gesponsorten Ereignisse bei der Enthüllung jener Systeme, Institutionen und epistemologischer Einrichtungen der Zerstörung zu verstehen ist, die zu kritisieren sie ausgezogen waren.

Die "Schuld", die dem DIAS auferlegt wurde, ist jene des Überlebenden, der Zeugenschaft ablegt für das soziale Ganze. In diesem Sinn sind das individuelle Ganze – das Ganze der Praktiken, die ich Destruction Art nenne – und das soziale Ganze symbiotisch miteinander verbunden insofern, als individuelles und kollektives Ganzes auch Ereignisse in der Geschichte der Gesellschaft sind. In diesem Zusammenhang sind die Interventionen der Destruction Art – die ja zur Formung sozialer und politischer Systeme beigetragen haben – im Mittelpunkt jedes Diskurses über das Überleben, mit oder ohne die Disziplinen Kunst und Ästhetik.

Ich habe oft argumentiert, daß die primären Kommunikationscodes der visuellen Künste in der Präsentation des Körpers transformiert wurden. Kurz zusammengefaßt heißt das, wenn der Körper zum materiellen Träger wird, zu Subjekt und Inhalt der Kunst, so hat er die Möglichkeit, die determinierten und fixen Relationen zu verschieben, die vom vorherigen objektiven Status der Kunst verlangt wurden, hin zu einem Wechselspiel der Subjektivität, die von Körpergesten, Systemen und Beziehungen etabliert und übertragen werden. Zusätzlich zu den traditionellen metaphorischen Kommunikationsmechanismen der visuellen Kunst liefern solche Veränderungen in den ästhetischen Zeichen ein metonymes und synechdotisches Mittel zur Konnexion, Projektion, Kontinuation und Kontingenz. Der private Körper wurde als formales Material, als Thema und als Inhalt verwendet, in die die Erfahrungen und Institutionen des politischen Körpers hineingelegt wurden. Ich behaupte, daß in diesem Sinne der Körper die Möglichkeit erhält, sowohl ein ästhetisches wie ein soziales Signal zu werden, das auch politische Macht verändert. Lifton glaubt, daß es die Aufgabe des Künstlers ist, die "exquisiten Details der Erfahrung der Desymbolisation zu enthüllen", und den "Zusammenbruch gangbarer Beziehungen zu Symbolen und symbolischen Formen, (die) eine Behinderung bei der 'psychischen Aktion' des 'formativen Prozesses' (sind) … gemeinsam mit ernsthaften Manifestationen der psychischen Abstumpfung". (32) In der Destruction Art transportiert der Körper den interdependenten, verbundenen und kontingenten Zustand des Individuums und des Kollektivs im Überleben. Diese Verkörperung enthält das Potential, Erfahrung mit den Objekten jener Erfahrung zu verbinden, und damit in die destruktiven Praktiken, Institutionen und Technologien einzugreifen, die uns mit Auslöschung bedrohen. Das dringende Bedürfnis, überdeterminierte rigide Strukturen aufzulösen und elastische soziale Systeme zu konstruieren, ist offensichtlich, wenn auch von fixen sozialen Identitäten ständig unterminiert. Die unvergleichliche Errungenschaft des Körpers als aktivem Agens in der Kunst war es, die sich ständig verschiebende, aber gegenseitig identifizierbare Beziehung zwischen Macht und Bedürfnis innerhalb des Austausches von Subjekt/Objekt-Relationen zu visualisieren. Diese Verschiebung von den Konventionen der Repräsentation zu jenen der Präsentation können eine Reduktion der Entfremdung zwischen Subjekten und Objekten nach sich ziehen, indem Individuen mit ihren gegenseitigen Rollen als darstellende und beobachtende Subjekte konfrontiert werden. Diese Reduzierung kann jedoch niemals aufgelöst werden, sondern muß ständig neu ausgehandelt werden auf dem sich verschiebenden Boden der Macht, die die Subjektsbeziehungen ständig neu determiniert. Der agierende Körper unterstreicht die verzweifelte Notwendigkeit der Verhandlung in der Frage nach dem Überleben der Zerstörung. Auf diese Weise erfüllt Destruction Art ihre radikale Funktion in größeren sozialen Formationen. Um nämlich den Inhalt der Destruktion zu erhalten, der Tod, Trauma und Schmerz umfaßt, muß das sinntragende Agens sowohl repräsentational symbolisch als auch präsentational kontingent sein.

Ein deutliches Beispiel solcher Praktiken ist Metzgers "South Bank Demonstration" vom 3. Juli 1961. Mit einer Gasmaske als Schutzgerät sprühte Metzger Salzsäure auf drei Planen – weiß, schwarz und rot, als Hinweis auf Kasimir Malewitsch und den Russischen Suprematismus – die über eine enorme Serie von drei Rahmen zu je 7 Fuß Höhe und 12 Fuß Länge, mit einer Tiefe von 6 Fuß gespannt waren. Das Nylon der Planen löste sich jeweils innerhalb von 15 Sekunden nach Kontakt mit der Säure auf. Metzger stellte sich vor einen Komplex städtischer Bürogebäude und eine Menschenmenge, von denen viele Bürokleidung trugen. Dieses Bild – das visuell an den militärisch-industriellen Komplex erinnerte – läßt an die ernste Warnung Dwight D. Eisenhowers denken, die dieser nur fünf Monate vor Metzgers Vortrags-Demonstration gegeben hatte. In seiner Abschiedsrede aus dem Oval Office des Weißen Hauses am 17. Jänner 1961 gab Eisenhower zu bedenken:
Diese Verbindung eines immensen militärischen Establishments und einer großen Waffenindustrie ist neu in der amerikanischen Erfahrung. Der totale Einfluß – ökonomisch, politisch, sogar geistig – ist in jeder Stadt zu spüren, in jedem Staatsamt, jedem Büro in der Bundesregierung. Wir erkennen die zwingende Notwendigkeit für diese Entwicklung. Aber wir dürfen ihre schwerwiegenden Implikationen nicht vernachlässigen. Unsere Arbeit, unsere Ressourcen, unsere Lebensweise sind alle betroffen, und betroffen ist auch die Grundstruktur unserer Gesellschaft.
Als Agens der destruktiven Kräfte repräsentierte Metzger den Krieg, der vom tatsächlichen Feld militärischen Kampfes wegverschoben wird durch die Verwendung von Substanzen zur Zerstörung von Material, und damit auf das "Feld" der Bildfläche wiederum die symbolische Landkarte von Verlauf, Prozeß, Inhalt und Ergebnis der Zerstörung einprägte. Seine Aktion stellte den Krieg als Repräsentation in den umbauten städtischen Raum der Produktion von Zerstörung.

Nur Metzger, Rafael Montanez Ortiz und Wolf Vostell haben jemals ihre Arbeiten spezifisch mit der Terminologie der Zerstörung identifiziert, und die Destruktion systematisch als Kernpunkt ihrer Werke erforscht. "(33) Darüber hinaus waren ihre Formulierungen nicht nur sehr verschieden, sondern sogar umfassend, konditioniert durch die völlig unterschiedlichen kulturellen Kontexte Europas (Metzger und Vostell) und der USA (Ortiz), und gaben einzigartige Antworten und ideologische Strategien für den Umgang mit und den Einfluß auf ihre individuellen Situationen. Bei all ihrer Unterschiedlichkeit teilen diese drei Männer die kritische soziale Erfahrung, auf den Grenzen westlicher Kulturhierarchien gelebt zu haben, im Sinne der rassischen und religiösen Diskriminierung und der tatsächlichen oder virtuellen Auslöschung, die sie erlebten: Metzger ist das staatenlose Opfer des Holocaust; Vostell – auch er Jude – hat seine Jugend in nomadenhafter Angst und Flucht vor der Gestapo verbracht; Ortiz ist dunkelhäutiger Puertorikaner gemischter Herkunft, der Teile seiner Jugend in Südharlem verbracht hat, ein Überlebender der tödlichen Jugendbanden-Kriege im Barrio und des hinterhältigen und unaufhörlichen Rassismus in den USA.

Eine der psychoanalytischen Schlüsseldimensionen der Destruction Art ist die geladene emotionale Reaktion auf Ärger und Frustration, die diese drei als die machtlosen "anderen" in jener westlichen männlichen Kultur empfanden, zu der sie gehörten und die sie theoretisch kontrollierten. Dieses Gefühl, "out-of-control" zu sein, erklärt teilweise ihre gewaltsame Ablehnung der trügerischen Konzeptionen westlicher "Schöpfung" und die repressive Sublimation, die dies verlangt. Die Bandbreite ihrer Destruktionen und die Objekte oder Menschen, auf die sie angewendet wurden, müssen – so problematisch das ist – als Parodie verstanden werden, als tiefe Abscheu und Ablehnung der patriarchalischen Modelle von Disziplin, Bestrafung, Gewalt und Autoritarismus, wie Klaus Theweleit zutreffend charakterisiert. (34)
Destruction Art scheint bei Männern geschlechtsspezifisch eine andere Reaktion hervorzurufen als bei Frauen. Der Körper – der wirkliche wie auch ein künstlich durch Roboter erweiterter – ist das Hauptgebiet für die Demonstration von Zerstörung und Überleben in den Produktionen von Männern wie Frauen. Während aber männliche Künstler die Beziehung dieses Körpers zu den Objekten und Technologien der Zerstörung und zur Bestätigung und Wiedererlangung von Identität untersucht haben, haben die Frauen regelmäßig ihre Arbeit auf die Wiederherstellung des Selbst beschränkt.
Yoko Onos Destruktions-Partituren für Performances, Gemälde und Skulpturen von den späten 50ern herauf und Niki de Saint Phalles Gemälde "Feu àvolonté" (1961) – Oberflächenkonstruktionen aus Gips, die mit Farbpigmentbeuteln gefüllt waren, die explodierten, wenn man mit einem Gewehr darauf hinschoß – zeigen, daß die Frauen die Zerstörung von Material nicht ausnehmen, und das schließt die Oberflächen der eigenen Körper ein, wie die Selbstverstümmelungs-Performances von Gina Parte gezeigt haben. Aber die große Mehrheit der Destruction-Art-Werke von Frauen erforschen das Problem der Auslöschung der Identität und des Mittenverlustes des Selbst. Wenn also der Holocaust unser repräsentativer Text ist, ein Text, der teilweise durch die Technologien der Destruktion gelesen wird, so muß dieser Text zu einer Leseart des materiellen Universums durch den Schmerz des Körpers zurückkehren.

R.D. Laing erinnert sich an "ein kleines Mädchen von 17 Jahren in einer Nervenheilanstalt", die ihm erzählte, "sie fürchte sich so sehr, weil die Atombombe in ihr sei (35) Diese Metapher für die Vernichtung des Selbst, die an die Zerstörung des Selbstwertgefühls, der Intimität und der Fähigkeit zu lieben oder geliebt zu werden gebunden ist, ist auch Teil des Glaubens* der Destruction Art. In Yoko Onos "Cut Piece" 1965 saß sie bewegungslos auf der Bühne, nachdem sie das Publikum aufgefordert hatte, heraufzukommen und ihre Kleidung wegzuschneiden. Diese Entblößung nahm die institutionalisierte Objekt-Machung der Frauen als kultureller Schutt vorweg, die von Karen Finlay so systematisch dargestellt wurde, die in einem Essay unter dem Titel "Von mir erwartete keiner, talentiert zu sein" schrieb:
Ich hätte gerne, du würdest Schmerz fühlen, meinen Schmerz fühlen … Ich hasse Leute, die für alles einen Grund haben. Sie können einfach nicht die Tatsache akzeptieren, daß schlechte Dinge auch guten Menschen passieren können, denn könnten sie es, so wären sie wie ich – out of control. (36)
Ono stellte fest: "Die Leute gingen und schnitten jene Teile ab, die sie an mir nicht mochten(37) Lynn Hershman flüstert als eine Überlebende uns – die wir Zeugen ihres Überlebens sind – zu: "Sprecht nicht darüber". In ihrer autobiographischen Video-Trilogie "Electronic Diary" (1985–89) erzählt Hershman, bezeichnenderweise ebenfalls Jüdin, in einer Selbstanlayse den Ursprung ihrer eigenen Eßstörungen in physischem, sexuellem und emotionalem Mißbrauch und Inzest, Gewaltanwendungen, deren Ursprünge und Resultate sie mit der Kosmologie von Hitler, den Vampiren und den Überlebenden des Holocaust vergleicht.

Solche Werke im tatsächlichen Körper des Künstlers intervenieren in der eingebildeten Neutralität zwischen Subjekt und Objekt, wo sie die Stimme des Überlebens einfügen, die die Repräsentation des Zerstörungsschmerzes ist. Destruction Art ist eine neuerliche Abhandlung dieses Schmerzes. Elaine Scarry hat argumentiert, daß "der einzige Zustand, der als Schmerz anormal ist, die Imagination" sei, und "während Schmerz als Zustand bemerkenswert ist, weil er gänzlich ohne Objekte ist, ist die Imagination bemerkenswert, weil sie der einzige Zustand ist, der ganz ohne Objekte ist".(38) Destruction Art repräsentiert und präsentiert die Beziehung zwischen Schmerz und Vorstellungskraft. "Der Schmerz widersteht nicht nur einfach der Sprache", er "zerstört sie aktiv und bringt eine unmittelbare Rückkehr zu einem vorsprachlichen Zustand mit sich, zu jenen Klängen und Schreien, die ein menschliches Wesen erzeugt, bevor es Sprache erlernt(39) Sie setzt fort:
Da die Person im Schmerz normalerweise so sehr der Sprachressourcen beraubt ist, ist es nicht verwunderlich, daß die Sprache des Schmerzes manchmal von jenen zum Leben gebracht wird, die nicht selbst den Schmerz fühlen, aber im Namen jener sprechen, die dies tun. So findet diese allerprivateste Erfahrung Eingang in das Reich des öffentlichen Diskurses!" (40)

1962 schrieb Ono "Conversation Piece", eine Partitur für eine Aktion, in der die Erzählung von Schmerz vorkommt. Dort steht zu lesen:
Bandagiere irgendeinen Körperteil.
Wenn die Leute danach fragen, erfinde eine Geschichte und erzähle.
Wenn die Leute nicht danach fragen, lenke ihre Aufmerksamkeit darauf und erzähle.
Wenn die Leute darauf vergessen, erinnere sie daran und erzähle weiter.
Erzähle von nichts anderem.
(41)
Erfundene und bandagierte Wunden artikulieren psycho-physischen Schmerz. Dieser Impuls, von Leiden zu erzählen, die unaussprechlichen Zustände des inneren Lebens zu beschreiben, ist ein zentraler Faktor beim Versuch, eine Stimme zu finden, durch die und mit der ein Gefühl für die Konkretheit persönlicher Erfahrung wieder in Besitz genommen wird. Dringender noch ist das Bedürfnis, die selbstkonstruierte Realität jemandem anderen zu kommunizieren – sie zu materialisieren. Die westliche Kultur benötigt Subjekte als Zeugen für den Inhalt des Überlebens und jene historischen Körper, in die der Text der Zerstörung eingeschrieben wurde. In der Destruction Art ist der Körper ein solcher Zeuge und bietet daher ein Paradigma für einen "Widerstand leistenden Körper", jenes private, komplexe, signifikante System des Selbst, für jene Person, die für das Individuum und das soziale Ganze agiert.
III.
Destruktion ist in den westlichen Wissensstrukturen und Kulturbedingungen endemisch. Diese Negativität – und damit auch die Destruktion, wenn sie in der Kultur auftritt – scheint den westlichen sozialen und ästhetischen Kanons von Wahrheit, Harmonie und Ordnung zu widersprechen und ihnen mit Zerstörung zu drohen. Aber Destruction Art, weit davon entfernt, die ästhetischen und sozialen Werte der westlichen Kultur abzulehnen, enthüllt nur ihre strukturellen Prinzipien. In einer neueren Studie über die Rolle der antiken griechischen Mathematiker in der Entwicklung eines "Vorsprunges im Kriege" hat John Onians die Einbettung eines militarisierten Bewußtseins in die westliche kulturelle Produktion untersucht. (42) Er hat im griechischen Kriegswesen die gleichzeitige Abhängigkeit von mathematischer Harmonie, Proportion und Ordnung festgestellt wie in der Kunst und der Architektur und hat dazu angemerkt, daß der Krieg das Hauptthema in der griechischen Malerei und Skulptur ebenso wie ein Strukturprinzip in der griechischen Architektur ist. Er hat auf Repräsentationsmuster in der komplexen Behandlung des Krieges in der Ilias zurückgeführt, die als Buch "beinahe biblische Autorität" bei den Griechen genoß. (43) Onians zeigt auf, daß dieselbe Harmonie, Zahlenwelt und Ordnung der griechischen Mathematik, die Kunst, Musik und Architektur bestimmt, ebenso die griechische militärische Phalanx regulierte, und Hesiod läßt in der Theogonie Harmonia eine Tochter von Ares, dem Kriegsgott, sein".(44)

Die westliche Gesellschaft und ihre zwingendsten ästhetischen Produktionen perpetuieren weiterhin das epistemologische Ethos der Destruktion. Aber jene Kunst, die einst die abstrakten Konventionen und Muster der Wissens reflektierte, widerspiegelte und passiv repräsentierte, präsentiert jetzt die buchstäbliche Verkörperung von psychischen Wunden, urbanen Irrenhäusern und einem militärischen Bewußtsein im Krisenkern der endzeitlichen Kultur. Aber diese Epistemologie hat auch heilende Wurzeln, Traditionen, die in die Technologie selbst hineinverwickelt sind, in die Sprachen und Praktiken der Destruktion.

Foucault hat den griechischen Begriff epimeleia heauton wiederaufgegriffen, der für den psychologischen Zustand des Interesses an der Sorge für das eigene Selbst, für die Arbeit am Selbst stand. (45)Der Begriff beschrieb auch die Verantwortlichkeit der Macht. Epimeleia heauton implizierte Aufmerksamkeit, Kenntnis, Technik, eine Meditationsarbeit, die das Verständnis für die Bedürfnisse der Welt voraussetzte, dem Individuum nicht durch bürgerliche Gesetze oder religiöse Verpflichtungen auferlegt, sondern eine Wahl zur Existenz, getroffen von einem Individuum, das sich um das Selbst kümmern oder nicht kümmern wollte, und damit um die Welt. Foucault wies darauf hin, daß epimeleia heauton einen Zustand beschrieb, in dem Individuen "so agierten, daß sie ihren Leben einen gewissen Wert beimaßen, (denn) es ging eben darum, sein Leben zum Objekt einer bestimmten Art von Kenntnis zu machen, einer techne – eben einer Kunst(46)

Destruction Art kommuniziert das visuelle Wissen, das die Materialität des Lebens auf den gewalttätigen, diskontinuierlichen Destruktionen zurückgewinnen kann, die das Überleben gefährden. Der Körper kann ein Werkzeug bei der techne des Überlebens sein und kann als Übergang fungieren zwischen Handlung und Prozeß, Sprache, Erfahrung und deren Objekten, um den Bruch zwischen techne und logia (Wort, Sprache, Kenntnis) zu schließen, der in das moderne Konzept von Technologie eingerissen ist. Ebenso, wie Destruction Art ein Bild des Widerstandes in der Form eines Ereignisses ist, ist sie auch ein wichtiges Mittel zum Überleben, das andauernd erforscht werden muß.

(1)
Saul Bellow: Herzog (New York, Viking 1964), zitiert nach Robert Jay Lifton: The Future of Immortality and Other Essays for a Nuclear Age (NewYork, Basic Books, Inc. 1984). Ich danke Susan Roth, Professorin der Psychologie an der Duke University, spezialisiert auf traumatische und Streß-Störungen, dafür, daß sie mich auf Lifton und seine Werke aufmerksam gemacht hat. Ich möchte ihr diesen Aufsatz widmen. Weiters danke ich meinen KollegInnen an der Duke University Jill Mereditch, David Castriota und Julie Walker für ihre kritischen Vorschläge. zurück

(2)
Lifton hat bemerkt, daß bei der Arbeit am massenpsychologischen Trauma er zu einer "schrecklichen", aber "im wesentlichen exakten Faustregel" gelangt ist: "Je signifikanter ein Ereignis ist, desto weniger wahrscheinlich, daß es untersucht wird" (Ebenda, S. 32). Bruno Bettelheim bemerkte ein ähnliches Phänomen in seinen eigenen Untersuchungen über das Thema "Gewalt", als er in einem Vortrag in San Francisco 1982 – den ich selbst gehört habe – anmerkte, daß Gewalt als Untersuchungsobjekt weithin aus den philosophischen Wörterbüchern verbannt ist. Meine eigenen Untersuchungen zur Zerstörung bestätigen die Feststellungen Liftons und Bettelheims. Letztlich fehlt die Kategorie "Zerstörung" in den meisten philosophischen Wörterbüchern und erscheint nicht einmal in Raymond Williams' "Schlüsselwörtern" neben Eintragungen wie "Entfremdung", "Familie", "Technologie" und "Gewalt". Siehe die revidierte Ausgabe von Williams' Keywords: A Vocabulary of Culture and Society (New York, Oxford University Press 1983). zurück

(3)
Lifton, The Future of Immortality, S. 235zurück

(4)
Ebenda, S. 31zurück

(5)
Ebenda, S. 236–240zurück

(6)
Ebenda, S. 245zurück

(7)
Jean-François Lyotard, "Heidegger and 'the jews'", Übersetzung Andreas Michel und Mark S. Roberts, mit einem Vorwort von David Carroll (Minneapolis, University of Minnesota Press, 1990), S. 3. Ursprünglich als "Heidegger et 'les juifs'" bei Editions Galilée, Paris 1988, erschienen. zurück

(8)
Ebenda, S. 43zurück

(9)
A.a.O., S. 3zurück

(10)
Friedrich Nietzsche, "Vorwort" (November 1887–März 1888) zu: Der Wille zur Macht, zit. nach der Übersetzung von Walter Kaufmann, New York, Vintage Books 1967, S. 3zurück

(11)
Siehe dazu Metzgers "Auto-Destructive Art": Metzger at AA (London Oktober 1965). Die Publikation ist Teil der Sammlung des Archivs Sohm, Staatsgalerie Stuttgart. Der Text enthält alle Manifeste Metzgers: "Auto-Destructive Art", 4. November 1959; "Manifesto Auto-Destructive Art", 10. März 1960; "Auto-Destructive Art – Machine Art – Auto-Creative Art", 23. Juni 1961; "Manifesto World", 7. Oktober 1962 und "On random activity in material/transforming works of art", 30. Juli 1964. Metzger bereitete die Publikation als erweiterte Fassung eines Vortrages vor, den er bei der Architectural Association am 24. Februar 1965 hielt, und der im Juni 1965 publiziert wurde. In diesem Dokument entwickelt Metzger seine "Ästhetik der Revulsion" (S. 13) und setzt "Auto-Destructive Art" in Zusammenhang mit "Angst, Verzweiflung, Nihilismus, Entfremdung", die nicht "nur mit Psychologie, Religion, Sozial-Systemen verbunden sind, sondern mit einem profunden Bewußtsein des Scheiterns auf der biologischen Ebene (S. 22) zurück

(12)
Paul Virilio und Sylvere Lotringer: Pure War. Übersetzung, Mark Polizzotti, New York, Semiotext(e), 1983; S. 137zurück

(13)
Ebenda, S. 21zurück

(14)
Paul Virilio: Popular Defense & Ecological Struggles, Übersetzung, Mark Polizzotti; New York, Semiotext(e), Foreign Agents Series, 1990. Das Original erschien als Defence Populaire et Luttes Ecologiques bei Edition Galilée, Paris 1978. Militärischer Sozialismus ist ein Begriff, den Virilio zur Beschreibung der Art verwendet, auf die das Militär sich selbst erhält und weiterentwickelt, indem es ständig Krieg gegen seine eigene Zivilbevölkerung führt.zurück

(15)
Virilio, Pure War, S. 221zurück

(16)
Als gründliche Studie nuklearer Strategie siehe Lawrence Friedman: The Evolution of Nuclear Strategy, New York, St. Martin's Press 1983. Als Untersuchung, wie diese Strategien sich auf Metzgers "Auto-Destructive Art" auswirken, vgl. meine unveröffentlichte Dissertation: The Destruction in Art Symposium (DIAS); The Radical Cultural Project of Event-Structured Live Art. University of California, Mai 1987, besonders Kap. 1.2 "Jews, Bombs, and Activism: A Biographical Legacy", in dem Metzgers politischer Aktivismus, besonders im "Committee of 100" vor dem Kontext des Kalten Krieges diskutiert wird.zurück

(17)
Clifford Geerz, The Interpretation of Cultures, Selected Essays; New York: Basic Books Inc., 1973, S. 311zurück

(18)
Vg.: "Architects Design a Bombed-Out Town", Architectural Record, Juli 1952, S. 183–185zurück

(19)
Gustav Metzger, "Manifesto Auto-Destuctive Art", 10. März 1961zurück

(20)
Carol Cohn, "Sex and Death in the Rational World of Defense Intellectuals"; in Signs: Journal of Women in Culture and Society; 12:4; Sommer 1987, S. 691 zurück

(21)
Ebenda, S. 688–689zurück

(22)
Lifton, The Future of Immortality, S. 240zurück

(23)
Vgl. John Latham, State of Mind, Düsseldorf, Städtische Kunsthalle 1975zurück

(24)
Siehe z.B. Gayatri Chkravorty Spiva, "Displacement and the Discourse of Woman" in: Displacement: Derrida and After; Hg. Mark Krupnick, Bloomington, Indiana University Press 1983, S. 184, 169–95.zurück

(25)
Vgl. Jacques Derrida: De la grammatologie, Paris, Minuit 1967. DIAS war eine zeitliche Organisation für ein multikulturelles, multidisziplinäres internationales Ereignis, das fast hundert Künstler und Dichter (von denen die meisten Pioniere des Happenings und der Konkreten Poesie waren) aus fünfzehn Ländern West- und Osteuropas, den USA, Südamerika und Japan anzog. Auch etliche Psychologen waren anwesend. DIAS war insofern wichtig, als es Künstler international identifizierte, die Pioniere der Destruction Art waren. Dokumentations- und Zerstörungs-Klang-Bänder wurden vom argentinischen Maler Kenneth Kembel an DIAS geschickt, der eine Gruppe von Dichtern und Malern 1961 um sich versammelt hatte (Luis Alberto Wells, Silvia Torras, Jorge Roiger und Jorge Lopez Anaya) für eine Ausstellung in der Galeria Liolay in Buenos Aires, die er "Arte Destructivo" nannte. Kurz nach dieser Ausstellung löste sich die Gruppe auf. Ihre Werke wurden erst durch DIAS wie