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Ars Electronica 1991
Festival-Programm 1991
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Festival 1979-2007
 

 

X/IX


'Lydia Lunch Lydia Lunch / ' Z´EV Z´EV / 'Erik Hobijn Erik Hobijn

LYDIA LUNCH
Blut ist ein Speicher ohne Sprache. Die Sünden des Fleisches sind bloß Opfer an Venus. Leidenschaft spielt sich zu Tode in den mörderischen Feldern eines falschen Gedächtnisses. Alle diese Geheimnisse besudeln meine Erinnerungen.
Langsam aber sicher breitet sich die Sonne über die Abwesenheit des Himmels aus. Tagesanbruch. Abenddämmerung. Die Sonne geht langsam auf. Strahlender Staub fällt auf den Vorhang verlorener Zeit. Licht sickert aus. Das Blut verdickt sich. Muskeln werden straff. Ich stehe jetzt in Verbindung mit dem Unmöglichen. Ich bekomme die Kraft meiner Existenz, um das Gegenteil von Existenz zu erreichen. Mein Tod und ich – wir gleiten fort in den Wind, der draußen vor meinem Fenster weht. Hier eröffne ich mich meiner Abwesenheit. Tagesanbruch. Abenddämmerung. Keine Sonne geht langsam auf. Während ich sterbe, gebe ich keinen Laut von mir, weil der Schrei, den ich ausstoße, ist Schweigen. Schweigen. Schweigen ohne Ende.
Z'EV
Seit 1974 baue und verwende ich selbst entworfene und ausgeführte Schlaginstrumente. Diese Arbeit ist eine Zusammenführung aus privater Kunst/privatem Handwerk und öffentlichem Auftreten, wobei die Erforschung des Klanguniversums das verbindende Element darstellt. Die Instrumente bilden Skulpturen, die auf einer Bühne so angeordnet sind, daß sie ein architektonisches und theatralisches Szenenbild ergeben. Sie werden sowohl durch traditionelle Instrumentaltechniken als auch durch nichttraditionelle Manipulationen durch Bewegung "gespielt". Mein Ziel ist es, das westliche Publikum dazu zu erziehen, eine größtmögliche Palette von "Musiken" zu verstehen und zu akzeptieren, und es darüber hinaus zu befähigen , nicht nur passive Empfänger von Kunst und Darstellung zu sein, sondern vollständig am Schaffensprozeß teilzunehmen.

I. Die Beziehung zwischen dem Künstler als privates Individuum und öffentlichem Darsteller:
Die westliche Kultur legt das Hauptaugenmerk in der Beziehung zwischen dem Künstler und dem Publikum auf den Applaus ; der Applaus ist die einzige allgemein akzeptierte Möglichkeit für ein Publikum, an der Energie der Darbietung teilzunehmen: "ein kurzer, chaotischer Lärm im Austausch für einen langen, gut organisierten".* Da jedoch die Stärke und die Dauer dieser Reaktion oft als Meßeinrichtung für den kommerziellen und sogar künstlerischen Wert einer Darbietung funktionieren, ist es nur allzu wahrscheinlich, daß die in der Darbietung präsentierte Arbeit darauf berechnet wird, diese besondere Reaktion hervorzurufen. Es gibt gewisse Standardverfahren, die Künstler "zur Bearbeitung eines Publikums" anwenden. Daraus ergibt sich, daß es bei der öffentlichen Arbeit eines Künstlers schließlich um die Bearbeitung des Publikums geht. Welche Implikationen zieht dies nun für eine Trennung zwischen öffentlicher und privater Arbeit und die Beziehung zwischen Künstler und Öffentlichkeit nach sich? Was stellt "öffentlich/Öffentlichkeit" letztendlich für den Künstler dar?
*) Elias Canetti, "Masse und Macht"

II. Kultur leitet sich aus Kult, Gruppe, und kultivieren, anbauen oder pflegen ab. In Webster's Englischwörterbuch ist Kultur wie folgt definiert:
  1. Bestellung, Ackerbau;

  2. Die Entwicklung intellektueller und moralischer Fähigkeiten, besonders durch Erziehung und Bildung;

  3. Fachmännische Pflege und Schulung;

  4. Durch intellektuelle und ästhetische Schulung erworbene Erleuchtung und Vortrefflichkeit des Geschmacks;

  5. * Ein bestimmtes Fortschrittsstadium der Zivilisation;
    *die Merkmale eines solchen Zustandes oder Stadiums;
    *ein für eine Gruppe oder Klasse typisches Verhalten.
Was würde/könnte eine Kunst-Kultur charakterisieren? Wenn man die Metapher von den "Berufswerkzeugen" verwendet – was wären dann die Werkzeuge für eine solche Kultur?

III. Die didaktische Rolle des Künstlers:
Die Rolle des Künstlers als Erzieher, auf der Grundlage der Voraussetzung, daß Erfahrung Verständnis erzeugt, und Verständnis wiederum zu Anerkennung führt.
Das gilt zum Beispiel für Klänge. Musik bedeutet Klänge, die man mag, Lärm steht für Klänge, die man nicht mag. Das ist jedoch rein subjektiv, und auch ein Klang, der ursprünglich als Lärm gehört wurde, kann zu guter Letzt als Musik betrachtet werden, wenn der Zuhörer sich zuerst daran gewöhnt und dann Verständnis und Anerkennung dafür findet. Der Künstler präsentiert neue Informationen, und in den meisten Fällen gewinnt auch der Empfänger dieser Informationen damit neue Möglichkeiten, Informationen zu verarbeiten. Die Rolle des Künstlers als Schöpfer von Wahlmöglichkeiten: soziale Implikationen.

IV. Die befähigende Rolle des Künstlers:
In diesem Rahmen schafft der Künstler das sensorische "Feld", aber das Individuum aus dem Publikum ergreift die Initiative zur Gestaltung des Feldes, in dem er/sie sich auf ein oder mehrere Elemente konzentriert und Beziehungen zwischen diesen Elementen und allen anderen im Feld unterscheidet/schafft – und so ein vollwertiger Partner im Schaffensprozeß wird. Damit wird die künstliche Barriere zwischen dem aktiven/ öffentlichen Künstler und dem passiven/ anonymen Publikum beseitigt.
Dies schließt an Joseph Beuys' Auffassung, daß "jedermann ein Künstler ist", an, eine Theorie, die durch Ethno-Methodologen und Linguisten erhärtet wird.
Diese Befähigung kann dann ihre Beziehung zu ihrer Umwelt im allgemeinen radikal verändern, auch lange, nachdem sie diese spezifische Situation verlassen haben.
Nicht nur ein isoliertes ästhetisches Erlebnis wird weitergegeben, sondern die Basis für eine andauernde Beziehung zur Klangumwelt des täglichen Lebens. Die Fähigkeit, eine "passive" Akzeptanz von städtischem/ vorstädtischem Lärm/Klang zu überschreiten und sie durch eine "aktive" Fähigkeit, diesen zu organisieren/ zu erfahren/ anzuerkennen, zu ersetzen; als/in ein andauerndes orchestrales/ symphonisches Kontinuum.

ERIK HOBIJN
PYROTECHNISCHE INSTALLATION AUF DER GRUNDLAGE DES GEISTES DES INDUSTRIELLEN FEELINGS
Pyromanisches Konzept
HÖHERES WACHSAMKEITSLEVEL DURCH KONSTANTE DETONATION
FEUER ALS MEDIUM UND BESESSENHEIT
Feuer – ein "Anti-Material" – scheint ein ungeeignetes Mittel für die Schaffung von Kunst zu sein, da seine "Darbietung" kurz und aggressiv ist. In der Mystik ist das Feuer der Träger des Kontakts mit "dem Höheren". Der Begriff "Feuer" als solcher kann durch ein weites Spektrum von Bedeutungen überschattet werden: das angebetete Feuer als Symbol der Reinigung, Erneuerung, des Lebenszyklus, der Läuterung. Ebenso projiziert der Pyromane einen "Konflikt in ein scheinbar irrelevantes Objekt, indem er es zum Opferlamm erhöht und verbrennt". Das Ziel seines Opfers ist es nicht, nach dem Geben etwas zu erhalten, sondern Besitz zu zerstören, um so selbst Teil "des Heiligen" zu werden. Zerstörung ist eine zweite Chance. Feuer wirkt ausrottend, als Befreier von verstopften Strukturen, alten Frustrationen und Ähnlichem.
Der Akt der Selbstopferung durch Feuer (Selbstverbrennung) hat mehr symbolischen als praktischen Wert.
Den von mir entworfenen pyrokinetischen Objekten liegen immer einige der oben erwähnten Problemstellungen und Werte zugrunde. Tatsächlich sind sie sehr hochentwickelte Opfergaben, welche meiner Ansicht nach manische Utensilien sind, und ich definiere sie als solche.
DIE "DANTE ORGEL"
5 stählerne Flammenwerfer, die Textfragmente mit 13 m hohen Flammen kombinieren, eine elektronische Synthese aus Feuer und Sprache.
Eine Veröffentlichung von Prof. Dr. Goudsbloem war Grundlage und Inspirationsquelle für dieses Objekt/Instrument. Dieser Wissenschafter befaßte sich gründlich mit der Erforschung der Zähmung des Feuers und seiner revolutionären Wirkung auf die Entwicklung sozialer Strukturen.
Ich gehe sogar noch weiter, wenn ich behaupte, daß diese Zähmung zu einem Bedürfnis nach Sprache und Genauigkeit führte. Deswegen besteht die "Dante Orgel" aus den elementarsten Formen von Sprache und Feuer. Das Instrument kann wie eine Orgel gespielt werden; Dauer und Länge der Flamme werden durch einen Computer reguliert. Jeder der fünf Flammenwerfer kann frei aufgestellt werden und hat seinen eigenen digitalen Sampler mit Texten – manchmal nur Worten oder sogar Geräuschen, die ihren eigenen persönlichen Charakter haben. Eine Flammenpartitur reguliert die Komposition hinsichtlich Timing, Intensität und den eigentlichen Texten. Phrasen können andererseits auch als Partitur dienen. Feuer und Sprache machen in der Dante-Orgel eine techno-industrielle Metamorphose durch. Das Spiel der Orgel ist ein sehr intensiver, konzentrierter Akt, während dessen Hitze und Spannung aufgebaut werden und zusammenfallen. Übrig bleiben eingebrannte Erinnerungen an Gewalt.
Dieses Objekt entstand während des Sommerfestivals 1988 und wurde durch das Mickery Theatre und den Kunstfonds von Amsterdam finanziert. Weltpremiere (ohne Text): Surviva1 Research Laboratories. Amsterdam 1988. Soft- und Hardware von Marc Marc.
"DELUSIONS OF SELF IMMOLATION" (D.S.I.)
(Wahnvorstellungen der Selbstopferung)
D.S.I. ist eine Maschine mit kontrollierbarer Selbstverbrennung.
Handbuch: In der Mitte der Maschine befindet sich eine drehbare Plattform, auf der jemand stehen und sich an zwei Griffen halten kann.
Die auf der Plattform stehende Person bekommt einen Strahl brennender Flüssigkeit aus einem Flammenwerfer auf den Rücken; dann dreht sich die Plattform halb herum und das Menschenopfer wird durch den Feuerlöscher mit kaltem Wasser erfrischt; das kann endlos wiederholt werden. Die Entflammung der Anordnung, die computergesteuerte Schwenkbewegung und das Löschen können sowohl von der Person auf der Plattform als auch vom Computer gestartet werden.
Der Computer kann auf jedes beliebige Verbrennungsprogramm programmiert werden.
Bei D.S.I. blickt die Person unter Herausforderung des Todes der Selbstopferung ins Auge: indem sie so nahe wie nur denkbar an den Tod herangeht – was das Ziel und die Attraktion ist – steht sie natürlich im Mittelpunkt. Obwohl das Tabu bei diesem Thema sehr groß ist, bleibt mehr als genug Raum für eine Interaktion zwischen dem Publikum und dem sich selbst Opfernden.
Es ist ein extremes Ritual, das in einem industriellen Rahmen stattfindet.
D.S.I. ist ein kultiviertes Medium, das psychologische Zwänge mit der Ästhetik der Gewalt verbindet. Das Besondere daran ist die Übersetzung von psychologischen Mechanismen in sich selbst mechanisch wiederholende. Ein Roboter, der Gedanken, Erwartungen und Emotionen realisiert.
Hier haben wir das vorhin erwähnte Tabu. Im Gegensatz etwa zu vielen Theatervorstellungen, wo mittels Suggestion ein Gefühl oder eine Erfahrung übermittelt wird, ist bei diesem Medium jede Aktion wirklich und wird wirklich empfunden. Die Person, die im D.S.I. steht, hat die völlige Kontrolle, ein wesentlicher Bestandteil zum Aufbau von Spannung.
Dieses Projekt wird durch den "Fonds voor beeldende kunsten vormgeving en bouwkunst" finanziert und vom Mickery Theatre produziert.
X/IX Für das Projekt "Zehnter Neunter" nützt ein internationales Team von Künstlern die Möglichkeiten des Stahlwerkes VOEST-ALPINE, um eine Aufführung speziell zum Thema "Out of Control" zu produzieren.
ANNE BEAN: U.F.O.'s
JOHN DUNCAN: AURAL AMBIENCE
PETER FINK: ARCHI-TEXTUREN
BETH HARDISTY: ILLUMINATION
ERIK HOBIJN : DANTE ORGEL
LYDIA LUNCH : SEUFZEN UND FLÜSTERN
HANS MEIJAARD: DANTE ORGEL
BARRY SCHWARTZ: FLÜSSIGES NITROGEN / STRUKTUREN
ZTV: KLANGSKULPTUR u.v.a.