Intellekt ist eine Krankheit
'Zbigniew Karkowski
Zbigniew Karkowski
Sei hart … Was immer aus Liebe gemacht wurde liegt jenseits von Gut und Böse. Über dem Affen steht der Mensch und über dem Menschen der Übermensch. Vergiß die Peitsche nicht! Friedrich Nietzsche Jede Kunstform – Schreiben, Tanz, Malerei, Theater und besonders die Musik – ist in ihrem Ursprung magisch. In der Vergangenheit wurden sie nur für zeremonielle Zwecke eingesetzt, um klar definierte spirituelle Effekte zu erzielen. Im Gebiet der Magie passiert nichts wirklich, solange nicht jemand es passieren lassen will, und es gibt eine Menge magischer Formeln und Praktiken, um den Geist zu leiten und zu lenken. Dasselbe gilt für die Kunst, weil ein echter Künstler immer versucht, im Geist der Hörers, Lesers oder Sehers etwas geschehen zu lassen. Daher ist ein schöpferischer Akt auch immer funktionell und beabsichtigt. Für mich ist Musikmachen eine direkte Manifestation meiner Präsenz in der Welt. Es ist keineswegs eine gleichgültige, sondern eine sehr wichtige Angelegenheit. Jede Entscheidung und Aktion, die im Schaffensprozeß stattfindet, ist Ausdruck meines bewußten Seins. Während ich meine Musik komponiere und aufführe, schaffe ich, erlebe ich, kommentiere ich die Welt wie ich sie sehe. Ich glaube, daß wir in einer Welt der Fiktion leben. Was immer unsere Kultur zu bieten hat, ist rein imaginär; wir bekommen Ideen gefüttert, Normen und Werte in unseren Geist eingegeben, die es uns erlauben sollen, die Welt um uns zu verstehen, und die uns in Wahrheit den Blick darauf verwehren, wie die Welt wirklich ist. Das System, das unsere Gesellschaft uns überstülpt, hindert uns daran, eine direkte und echte Erfahrung der Dinge zu machen. Wir brauchen nicht an etwas zu glauben, wenn es wirklich existiert – oder glauben wir ans Essen oder Atmen? Wir brauchen jene Gesetze nicht, die uns aufgezwungen werden. Wenn die Gesetze echt sind, so kann man sie nicht brechen – jedermann stirbt, so ist das Gesetz, und versuchen Sie mal, eine Ausnahme zu machen! Unser Intellekt ist eine Krankheit, er schafft Werte, wo keine sind. Werte existieren auf der Welt nicht, sie existieren in unserem Geist und sind rein imaginär. Sie den Tatsachen aufzuzwingen, macht unser Leben zu einer Fiktion. Nur die Tatsache, daß sich die Leute kollektiv dieselben Werte zur selben Zeit vorstellen, läßt das System überhaupt funktionieren, und man muß sich klar werden, daß alles völlig fiktiv und künstlich ist, daß es nur real für die Menschen erscheint, weil darüber Einigkeit herrscht. Wenn man dies einmal verstanden hat, so wird einem klar, daß man damit nicht übereinstimmen muß, und dieses Verständnis eröffnet eine Menge Möglichkeiten. Man kann die imaginären Werte, die die Leute auf die Dinge projizieren, durch eigene imaginäre Werte ersetzen.
Die Imagination ist der Ausgangspunkt für die ganze Welt. Alle Dinge auf dieser Welt, ausgenommen die Natur selbst, kommen aus der Vorstellungskraft von irgendwem. Die Menschen teilen alles ein in "Phantasie" und "Realität", man hört oft Ausdrücke wie "man muß realistisch sein, du hast eine zu lebhafte Phantasie"; aber alles, was real ist, hat in unserer Phantasie existiert, bevor es real wurde. Es kommt alles aus uns heraus, nicht von außen auf uns zu. Alphabete, Sprachen, numerische Systeme, wir haben sie nicht einfach rund um uns vorgefunden, wir haben sie erfunden. Alles spielt sich in unserem Gehirn ab, und es ändert sich, weil sich die Menschen ändern.
Und jeder ist ein potentieller Schöpfer, jeder hat die Antworten in sich selbst, immer wieder wird uns gesagt, daß die Wahrheit nicht in uns selbst liegt, daß jemand das besser weiß, daß jemand besser qualifiziert ist, dies oder jenes zu tun, daß jemand das Recht oder die Verantwortung dafür hat, was mit dir und der Welt passiert. Darauf beruht unsere gesamte Gesellschaft – das geht dich nichts an, bleib nur schön auf deinem Platz!
Ich glaube nicht an Theorien, Methoden oder Abstraktionen. Ich glaube an die Intuition, den Zufall und Extreme. Es gibt keine Methodik, irgendetwas herauszufinden. Man muß darauf vorbereitet sein, ein Risiko einzugehen, um etwas Neues zu finden, man muß Angst überwinden, mit sich selbst experimentieren, bis an die Grenzen gehen. Ansonsten könnte man nämlich genausogut tot sein. Es geht nur darum, das Offensichtliche zu sehen. Was immer an Bedeutsamem vom Menschen geschaffen wurde, wurde durch Zufall entdeckt oder von Leuten, die sich selbst bis an die extremen Grenzen getrieben haben. Ich arbeite mit Musik, weil sie die besten Möglichkeiten bietet, die Sinne zu überwinden, das Gehirn zu überwältigen, und weil keine anderen Stimuli vom Geist des Zuhörers so sehr Besitz ergreifen können. Im Gegensatz zu anderen Kunstformen wie Literatur, Skulptur, Film usw. (die alle nur deskriptiv sind, über etwas berichten, passiv sind, uns Worte geben, Geschichten, Bilder, bestimmte Ideen verbreiten, Werte oder Ansichten) ist die Musik das einzige Medium, das auf der Ebene einer tatsächlichen physischen Erfahrung basiert. Wir wissen alle, daß der Klang ein meßbares physikalisches Phänomen von Luftschwingungen ist. Wann immer man einen Klang hört oder ihm lauscht, wird man von den Impulsen und Frequenzen auf subtile Weise beeinflußt, und es gibt keinen Weg, ihnen zu entkommen. Es gibt immer Möglichkeiten, diese Einflüsse zu messen und zu steuern, und viele andere Kulturen haben dies in der Vergangenheit schon erkannt. Der Klang ist immer schon dafür verwendet worden, schamanistische und visionäre Trance-Zustände zu erzielen. In den Traditionen der Maya, Tibeter, Eskimo, Aboriginal, und vieler anderer wurden Musikinstrumente auch als metabolische Stabilisatoren eingesetzt, um Migräne, Asthma und viele andere physische oder geistige Krankheiten zu heilen, und sogar Hellsichtigkeit, Visionen, Halluzinationen und anderer Formen spezieller Geisteszustände zu erzielen. Sogar unsere westliche Wissenschaft beginnt das machtvolle Potential des Klanges zu erkennen, und eine Menge Forschungsarbeiten versuchen Kontrollmechanismen und medizinische bis militärische Anwendungen von Impulsen und Frequenzen zu finden. Infraschall und Ultraschall können einen Menschen buchstäblich töten. Mit einer bestimmten Lautstärke gespielt, versetzen sie alles in Vibration, selbst die Luftmoleküle, sodaß man tatsächlich die Raumtemperatur verändern kann, und wenn man sie laut genug spielt, beginnen die Moleküle im Körper aneinander zu reiben, die Zellwände brechen nieder und werden zu Brei. Die französische Regierung hält ein Patent für tödliche Klangkanonen, man kann Kopien davon um ein paar Francs vom französischen Patentamt erhalten. Wir sind alle der "Muzak" ausgesetzt, einem wissenschaftlich manipulierten Klang.
Rohmaterial der "Muzak" ist Musik, die durch verschiedene Filter bearbeitet wird (auf Basis der Theorie der ansteigenden Kurven und Dan O'Neils Stimulus-Tabellen) um ein Klangprodukt zu erzeugen, das die Menschen in ihrer Umgebung zufrieden macht. Selbst wenn man sich dessen nicht bewußt wird, wird es einen dennoch betreffen. Man nennt das ganze "Complete ear appeal". Die funktionale Musik an sich als Stimmungskontrolle. "Langweilige Arbeit wird durch langweilige Musik weniger langweilig" (Zitat zu Muzak). Muzak kann man weder auf Platte noch auf Kassette kaufen, sie wird weltweit über Telefonkabel ausgesandt, und alle Informationen über die einschlägige Forschung sind vertraulich.
Der Klang ist ein sehr mächtiges Medium und mir sind seine Möglichkeiten bewußt. Ich verwende ihn als Waffe. Ich glaube, daß die Musik sich mit konkreten, existentiellen Gedanken beschäftigen soll, sie sollte sich als Auslöser einer intensiveren Form von Existenz darstellen. Heute beschäftigt sich der Großteil der Musik überhaupt nicht mit Ideen, es scheint, als würden die Leute glauben, Musik könnte nichts aussagen. Sie betrachten die Musik als formal, objektiv, unpersönlich, als Artefakt. Ich finde es seltsam, daß man keine Ersatzteile macht, um jene auszutauschen, die bei Performances benutzt wurden. Der schöpferische Akt wurde auf formale Prozesse und Methoden reduziert, was besonders den Großteil der zeitgenössischen ernsten Musik betrifft. Oder auf das Geldverdienen, was für den überwiegenden Teil der modernen Pop-Musik zutrifft. Ich arbeite mit sehr konkreten Ideen und ich verwende sehr extreme Werkzeuge. Ich spiele meine Musik sehr laut, weil ich bemerkt habe, daß in den meisten Konzertsituationen die Leute gar nicht bemerken, was da wirklich gespielt wird. Sie neigen dazu, die Wirklichkeit ihren eigenen Erwartungen anzupassen, sie hören, was sie hören wollen. Ich möchte dies umgehen und diese Fiktion zerstören. In einer Situation, in der man seine eigenen Gedanken nicht mehr hören kann, denkt man nicht mehr an das, was man erwartet hat, sondern beginnt, die Dinge so zu erfahren, wie sie wirklich sind, ohne Vorurteil. Es ist ein reiner ursprünglicher Zustand. Ich mache Musik, die hinausgeht über das Gehirn, über Erwartungen, Gedanken, Ideen. Sie richtet sich nicht nur direkt auf den Geist (voll mit deinen Vorstellungen über Ästhetik, Ethik und all das Zeug), sondern sie zwingt dich, sie mit dem ganzen Körper zu erfahren. Die nackte Kraft des Klanges wird zur einzigen physischen Präsenz, und nur dies ermöglicht es, ihn richtig zu erfassen. Ich möchte meine Konzerte als rituelle Initiation sehen, weil ich überzeugt bin, daß jeder seine Rituale braucht, um gesund zu bleiben. Die Leute klettern auf den Himalaja, fahren Formel 1, führen Wettbewerbe durch, treiben sich selbst bis ans Limit. Es gibt ein Grundbedürfnis im Menschen, sich körperlich zu erproben und rituelle Aktivitäten im Leben zu haben, aber unglücklicherweise anerkennt unsere Kultur diese Tatsache nicht. Man nennt es immer irgendwie anders, immer eine irreführende Fiktion, mich interessieren die ganz grundlegenden Dinge. Ich glaube nur an diesen Augenblick und ich nehme nichts als gegeben an. Es gibt keinen Grund zu glauben, die Sonne würde morgen früh wieder aufgehen, nur weil sie das bisher täglich getan hat. Sie könnte es einmal nicht tun, und es ist immer gut, auf alles vorbereitet zu sein. Wir sind als Individuen total einmalig, und obwohl wir in einem sozialen Umfeld leben, in einer Stadt, obwohl wir uns mit Familien umgeben und Kinder bekommen – wir sind, selbst wenn wir den Gedanken daran hassen, grundsätzlich und immer sehr allein. Als Individuen befinden wir uns in einer absoluten Einsamkeit.
Was immer man tut, es ist ein individuelles Problem, und alle großen Errungenschaften der menschlichen Rasse, all die großen jemals geschaffenen Kunstwerke basieren immer auf einem höchst individuellen und sehr persönlichen Ausdruck und Verständnis dieser Tatsache – am Ende sind wir immer allein. Diese einfache Erkenntnis hält mich in gesunder Distanz zu vielen der dummen und fiktiven Konzepte in unserer Gesellschaft. Da geht's mir so wie mit der Entfremdung – ich habe dieses Wort nie verstanden, denn man muß Teil von etwas sein, um sich entfremdet fühlen zu können. Oder "Ärger" – was heißt dieses Wort? Die Eltern sagen einem "Tu das, oder du bekommst Ärger", in der Schule sagt man dir "Tu das nicht und nicht jenes, denn das bringt Ärger", manche Freunde sagen dir "Geh dort nicht hin, dort gibt's Ärger", – aber wo ist dieser "Ärger"? Ich habe ihn nie gefunden. Ärgerlich ist, daß manche Leute nicht mögen, was du tust oder wohin du gehst, aber wenn du genau das willst, dann solltest du es auch tun. Sie sind das Ärgernis, und sie sollen sich auch ärgern.
Wir haben die Darwinsche Evolutionstheorie akzeptiert, aber paradoxerweise wollen wir die Konsequenzen der Evolution nicht wahrhaben, und nicht ihre Grundlagen. Das Gesetz der natürlichen Auslese stellt klar und deutlich fest, daß wir die besten Raubtiere waren, daß der Stärkste überlebt, und daß der Mensch überlebt hat, weil er der beste Töter ist. So ist es immer gewesen, so ist es und so wird es bleiben. Die Selbsterhaltung ist das höchste Gesetz. Tod dem Schwächling, Reichtum dem Starken – das ist die einzige wahre Realität. Man kann die Menschen im wesentlichen in zwei Gruppen einteilen, bewußte Leute, die etwas zu sagen haben, und dumme, die nichts zu sagen haben. Die erste Gruppe lebt auf dieser Welt, die zweite vegetiert auf dieser Welt.
Statistische Untersuchungen durch behavioristische Psychologen haben ergeben, daß nur 5 Prozent aller Menschen auf dieser Welt dominante Qualitäten aufweisen, der Rest ist submissiv (das heißt, die Leute wollen gelenkt werden, sie sind grundsätzlich nicht in der Lage, für sich selbst zu entscheiden). Ich sehe es als die größte einzelne Tragödie auf dieser Welt an, daß der Großteil der Menschen regiert und gelenkt werden muß, um im Leben bestehen zu können. Man muß unsere Seelen gestohlen haben, weil ich weiß, daß dies ja nicht immer so gewesen ist. Meiner Musik wird oft vorgeworfen, sie sei aggressiv, destruktiv, kalt, aller menschlichen Emotionen bar. Nun, es gibt eine Menge menschliche Gefühle und Emotionen in meiner Musik, aber ich möchte nicht mit emotionalen Clichés und sentimentalen Stereotypen arbeiten. Ich behandle einen recht breiten Fächer von Emotionen, die nur unglücklicherweise außerhalb des Verständnisbereichs von sehr vielen Leuten zu liegen schienen (wahrscheinlich von 95 Prozent), ich mache Musik für bewußte, starke, entschlossene und gesunde menschliche Wesen. Es ist unglaublich, wenn man sieht, wie wenig die meisten Leute heutzutage identifizieren können, wie beschränkt ihr emotionales Leben ist. Sie sind so sehr konditioniert von Propaganda und den Massenmedien. Nehmen wir das Fernsehen, den zeitgenössischen Altar unserer Wohnzimmer – seltsam ist doch, daß alle Untersuchungen darüber, was das Fernsehen mit uns aufführt, unterdrückt werden. Es gibt aber Untersuchungen über Leuchtstoffröhren, die Hyper-Instabilität und ihre Auswirkungen auf die Menschen (Leuchtstoffröhren fehlt eine Farbe des Spektrums, und sie flackern), und alle Fernsehgeräte in unseren Haushalten enthalten ebenfalls Kathodenstrahlröhren. Fast die ganze Musik, die uns in den Medien heute präsentiert wird, überträgt so dumme Botschaften, sie ist ein sentimentales Gesäusel von Liebe, Gehorsam, Geduld, vom high werden oder betrunken, daß es einem gut geht, und in den meisten Fällen von überhaupt nichts. Dasselbe betrifft Zeitschriften und Zeitungen, oder künstlich geschaffene Moden und Trends, all diese Dinge beeinflussen die Menschen die ganze Zeit, zwingen ihnen ein bestimmtes Verhalten auf, manipulieren sie dazu, immer dumm und dümmer zu werden. Deshalb, wenn man sie mit etwas konfrontiert, das sie nicht verstehen oder mit dem sie sich nicht identifizieren können, reagieren sie mit Angst und sind beleidigt. Die Leute wollen einfach die Wahrheit nicht hören. Ich glaube, daß es nur einen wahrhaften Zustand für unser Leben gibt, und das bedeutete, zu uns selbst völlig ehrlich zu sein, ohne Kompromisse. Irgendwer hat einmal geschrieben: "Man sollte immer die Wahrheit sagen, denn wenn man die Wahrheit sagt, macht man sie zum Problem von jemand anderem" * Ich habe immer versucht, hinsichtlich meines Lebens und meiner Arbeit völlig ehrlich zu sein. Ich kann mir nicht vorstellen, wie man etwas Gutes schaffen kann, wenn es nicht völlig ehrlich und sich selbst getreu ist. Wie die Leute darauf reagieren, ist ihre Sache, oder ihr Problem, wenn sie denn gerne Probleme haben wollen. Meine Inspiration zu tun, was ich tue, stammt daher, daß mich die existierenden Bedingungen nicht befriedigen. Ich sehe, wie diese fiktive Realität mit ihren Verhaltensregeln die Leute beeinflußt und beeinträchtigt, und weil ich mich dieser Art von Einfluß entziehen möchte, muß ich meine eigene schaffen. Wie sehr ich etwas mag, ist direkt proportional zur Frage, wie sehr es die bestehenden "Standards" umgeht. Und darüber entscheide ich. In meiner Wirklichkeit hat sich die wirkliche Kunst immer mit Eroberung und Triumph beschäftigt und tut es noch, und der echte Künstler ist ein Krieger auf dem Weg zur totalen Selbstverwirklichung. Ich mache Sachen, an die ich glaube, und die ich machen muß und ich stehe dazu. Und ich glaube auch, daß man, wenn man meint etwas tun zu müssen, es auch genau jetzt tun soll. Denn wir sind alle zum Tode verurteilt, und wir haben keine Zeit zu warten. Es gibt nur ein jetzt.
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