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Ars Electronica 1991
Festival-Programm 1991
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Festival 1979-2007
 

 

Ich bin schon eher eine Ratte...
Ein Gespräch zwischen Justin Hoffmann und Flatz

' Flatz Flatz

EIN GESPRÄCH ZWISCHEN JUSTIN HOFFMANN UND FLATZ
J: Du machst seit 1974 Performances, seit 1987 nennst Du Deine Stücke "Demontagen". Was demontierst Du eigentlich in Deinen "Demontagen"? Wenn jemand etwas demontiert, bedeutet dies ja nicht unbedingt, daß dieser Akt mit Aggressivität verbunden ist. Aber bei Deinen "Demontagen" ist das destruktive Element deutlich vorhanden, z.B. bei der "Demontage IX" in Tbilisi.

F: Es gibt ein paar Momente, die ich für wichtig halte, das sind a) inhaltliche und b) formale. Inhaltlich geht es nie um das, was sichtbar ist oder visuell demontiert wird, sondern um das, wofür es steht, also eine Metapher, die als Transportmittel auf Dahinterliegendes verweist.

Dann zur formalen Struktur: in allen meinen Demontagen arbeite ich mit Polarität. Oper, klassisches Lied oder klassischer Tanz sind Metaphern einer akademisch konservativen, restaurativen Haltung, so würde ich's mal sagen. Und dem setze ich eine zeitgemäße Haltung eines heutigen Kunstwerkes entgegen. Ich bin der Meinung, daß in der heutigen Zeit, die wesentlich durch Reizüberflutung geprägt ist, es ganz wichtig ist, Selektieren zu lernen, also Entscheidungen – qualitative Entscheidungen – zu treffen, welche Reize man aufnimmt und mit welchen man umgeht. Ich habe die Erfahrung gemacht, daß ein starker Reiz – und das ist das Element, mit dem ich sehr viel arbeite –, das provokative Element, als Mittel eingesetzt, greift. Provokation der Provokation wegen interessiert mich nicht. Wenn aber eine Provokation etwas auszulösen imstande ist, ein Schock etwas auszulösen imstande ist, ein bestehendes Weltbild erschüttert, ein Bewußtsein ins Rollen bringt oder Irritation hervorruft, dann habe ich schon einen Ansatz oder einen Eingang zu jemandem gefunden. Das ist der erste Schritt, etwas zu verändern, und insofern ist Destruktion ein sehr konstruktives Moment.

J: Siehst Du Dich hier in einer geistigen Verwandtschaft mit Künstlern wie z.B. Nam June Paik, der im Sinne eines befreienden Schocks eine Geige zertrümmerte, einen Schock, der Gedankengänge auslösen kann? Auch Vostell argumentiert mit dem Aspekt Schock. Ich glaube schon, daß Deine Arbeiten zu neuen Gedanken anregen.

F: Wobei aber die Schockmomente, mit denen ich umgehe, visuelle sind, die eine visuelle, eine haptische Brutalität ausstrahlen, die direkt vollzogen wird und für den Zuschauer unmittelbar nachvollziehbar und körperlich erfahrbar ist, und auf mehreren sinnlichen Ebenen – optisch, akustisch, geruchsmäßig – funktioniert. Je nachdem welche Mittel ich einsetze.

Andere Dinge spielen ebenso eine Rolle, wie z.B. Kompositionselemente. Ich würde sagen, die Opernsängerin als Instrument ist ein perfekt trainierbarer, disziplinierter Körper, der keinerlei oder nur ganz wenig Bewegungsspielraum zuläßt. Bei der Beobachtung der Opernsängerin und dem Training ihres Körpers habe ich festgestellt, wie einschränkend es letztendlich ist, und daß es gar nicht zu einer Erweiterung führen kann, daß es eine Haltung ist, die das 19. Jh. verkörpert. Und gerade die Ablösung in der Kunst des 20. Jh.s von der des 19. Jh.s ist teilweise auch durch Schocks entstanden, in der Malerei durch Auflösung oder durch Brechen von klassischen Bildkompositionen und bildnerischen Tabus, dann um die Jahrhundertwende die Dadaisten und Futuristen …

J: Da müßte man auch die Kubisten anführen, die den Bildgegenstand demontierten und ihn in Facetten zerlegten.

F: Das ist richtig, aber der Kubismus hat sich immer noch in den klassischen Disziplinen abgespielt, wie Malerei, Skulptur und Zeichnung, während die Dadaisten schon einen Schritt weiter gegangen sind und den Körper oder den Raum miteinbezogen haben, ein Zeit-Raum-Körper-Verhältnis geschaffen haben. Ihre Kunstwerke waren das erste Aufbrechen, das Weggehen vom Tafelbild, von der statischen Skulptur und den klassischen Medien – Holz, Stein, Papier oder Leinwand.

Dann als Ablösung in den 50er, 60er Jahren – nach dem Action-Painting – gab es in Amerika das Happening und in Europa Fluxus, und die Wiener Variante, den Aktionismus. Das war für mich, als ich anfing zu studieren und ein junger Künstler war, wichtig, und ich habe mich intensiv damit auseinandergesetzt.

J: Du bist zwar von Geburt aus Österreicher, aber trotzdem weniger dem Umkreis der Wiener Aktionisten zuzuordnen, weil bei den Wiener Aktionisten, z.B. Hermann Nitsch, der psychologische Aspekt im Vordergrund steht, während Du in Deinen Aktionen eine coolere, soziologischere Herangehensweise bevorzugst.

F: Das ist richtig. Ich würde mich eher, den Begriff unter Anführungszeichen, als "Verhaltensforscher" in der Kunst bezeichnen, der nicht nur soziologische, sondern auch andere Phänomene zum Gegenstand seiner Untersuchungen macht. Die Untersuchungen, die ich mache, zielen letztendlich ja nicht auf einen gehobenen Zeigefinger, sondern mich interessiert vielmehr, die Gleichzeitigkeit von Dingen aufzuzeigen oder mit ihnen umzugehen, also daß es auf der einen Seite Krieg und Folter gibt, und auf der anderen Seite ein wunderbares Geburtstagsfest gleichzeitig stattfinden kann. Und beide haben direkt nichts miteinander zu tun, aber im großen Kontext sehr wohl, weil der Kreislauf von Leben und Tod ein geschlossener ist. Und so ähnlich würde ich das Kunstsystem auch sehen, inwieweit kann Kunst heute noch gesellschaftlich greifen oder inwieweit ist sie nur mehr eine isolierte Sackgasse, wo man rein-, aber nicht mehr zurückfahren kann, weil sie sich von der Gesellschaft abkoppelt und kein Feedback mehr hat.

Mich interessieren die gesellschaftlichen Phänomene, die in die Kunst transportierbar sind und in der Gesellschaft letztendlich wieder greifen. Da ist für mich der Ansatz Warhol und auch Beuys wichtig. Bei Beuys weniger sein formaler Umgang mit Kunst als sein Umgang mit Öffentlichkeit, und bei Warhol ist es eben beides.

J: Ich möchte noch einmal auf die polare Struktur in Deinen Demontagen zurückkommen. Auf der einen Seite tritt hier die Opernsängerin oder wie in der Sowjetunion das Tanzpaar auf, auf der anderen Seite vollziehst Du destruktive oder provokative Handlungen. Du setzt also bewußt der Konvention von Kunst, der bürgerlichen bzw. restaurativen Kultur eine radikalere oder aggressivere Form der Kultur entgegen. Siehst Du die Synthese beider Elemente als die neue Kunstform an, oder stellst Du in Deinen Demontagen Deine aggressive Form der Kunst als neue Kunstform der alten Kunst als These gegenüber?

F: Zunächst einmal ist es optisch eine Synergie, eine kontrapunktische Gleichzeitigkeit, es zeigt, daß etwas gleichzeitig geschieht. Zum anderen würde ich aber schon sagen, daß es eine Gegenthese ist, die vielmehr mit meiner Realität oder mit meiner Welt oder mit meinem Denken und Empfinden zu tun hat, als mit der Welt der Oper oder des Tanzes, die heute genauso real existiert. Und dann kommen wir eigentlich auf den wesentlichen Punkt, der für mich interessant ist, warum ich die Oper einsetze. Wenn man weiß, daß jeder Opernplatz in jedem Opernhaus in Deutschland täglich – ob der Platz verkauft ist oder nicht – mit DM 290,– subventioniert ist, und wenn man das andere Verhältnis betrachtet, was die heutige Gesellschaft und deren politische Vertreter für die zeitgenössische Kunst tun, wenn man das in ein Verhältnis zueinanderstellt, dann muß die zeitgenössische lebende Kunst mit Promillen, im Verhältnis zur etablierten konservatorischen Hochkultur, auskommen. Das ist ja auch in bezug auf Museen zu sehen, was in die Museen reingepumpt wird, ist im Prinzip Leichenhallenausstattung . Ich sehe Museen als Leichenschauhäuser, die zwar für den Künstler wichtig sind, weil er dadurch gesellschaftliche Reputation erfährt, aber letztendlich, wenn ein Kunstwerk im Museum gelandet ist, dann ist es im Leichenschauhaus gelandet, im Leichenschauhaus der Geschichte. Das sind die Dinge, die mich interessieren, und die auch in meiner Arbeit auftauchen. Wobei es mir nicht darum geht, das andere Bild zu zerstören oder zu zerschlagen, sondern dem Rezipienten die Möglichkeit zu lassen, selbst Schlüsse zu ziehen. Wenn er die Oper besser findet, dann identifiziert er sich auch mit dieser Haltung, es gibt aber auch solche, und ich stelle das vor allem bei jungen Leuten fest, die sich eher mit dem identifizieren, was ich tue, in dem ein sehr starkes destruktives Moment ausgelebt und formuliert wird. Das drückt ein Lebensgefühl oder eine Haltung aus, die sich in dieser Generation widerspiegelt.

J: Eine aggressive Kunst, wie Du sie machst, z.B. die Demontage, drückt eine bestimmte Haltung aus, die vermutlich zeitgemäß ist. Siehst Du Deine Arbeiten als Metaphern für destruktive Prozesse an, die momentan ablaufen? Wo findet man diese Destruktivität, die dann bei Dir in einer künstlerisch umgesetzten Form erscheint?

F: Aggression und/oder Destruktion gibt es ja in vielen verschiedenen Formen, in sehr leisen, subtilen oder beklemmend direkten Formen. Man kann das auch in der Veränderung unserer Städte ablesen, der Veränderung unserer Architektur, unserer Umwelt oder unserer Kommunikation, was ja letztendlich auch auf aggressive Formen eines aggressiven Systems zurückgeht, das kapitalistische System, das nach der Maxime "Mach dir die Erde untertan" auf das Christentum wiederum zurückzuführen ist. Und ich glaube, daß der Kapitalismus nur auf der Basis des Christentums wachsen konnte, daß es kein Zufall ist, daß er nicht auf der Basis einer asiatischen Philosophie gewachsen ist. Das Christentum mit seinen Auswüchsen hat aber andrerseits auch die Gegenphilosophie heraufbeschworen, und das war der Marxismus.

J: Was sind das für aggressive Situationen, Momente, in denen Systeme aufeinanderprallen, Leute an die Wand gedrückt werden, für Konfliktstoffe, die zum Thema Deiner Kunst werden können? Im Gegensatz zu anderen Künstlern, die heute nach Harmonie suchen.

F: Harmonie oder besser gesagt falsch verstandene Harmonie interessiert mich nicht. Ich glaube, daß Gewalt und Aggression lebensnotwendige Triebe und Eigenschaften sind, die in jedem Menschen stecken – es ist nur die Frage, wie man sie kanalisiert – und daß Gewalt und Aggression oder Destruktion Gegenparts in der Balance zu Liebe, Zärtlichkeit und Harmonie sind. Das ist überall zu finden, in jedem Lebewesen, selbst in einer Pflanze, die in Beton einen Spalt findet und sich da durchdrückt. Oder eine Pflanze, die einer anderen Pflanze das Licht wegnimmt. Auch da gibt es Formen der Aggressivität, die viel subtiler sind, in der Tierwelt sowieso und beim Menschen ist es am ausgeprägtesten, weil der Mensch Denken gelernt hat, über seine Triebe teilweise Herr wurde oder sie zu berechnen lernte. Die Gesellschaft, in der wir leben, wird teilweise durch Aggression geprägt, die als Kommunikationsform in der Wirtschaftswelt ganz klar eingesetzt wird. Das zeigt sich auch in der Kunstwelt, speziell im Kunstmarkt. Bands wie die Einstürzenden Neubauten, die in der Musik eine ähnliche Programmatik besitzen wie ich in der bildenden Kunst, und auch Grenzbereiche überschreiten, wie ich das in meiner Arbeit auch tue, setzen in ihrer Arbeit gewalttätige Mittel ein und lösen damit aufgestaute Aggression aus.

J: Es fällt auf, daß Du bestimmte Herangehensweisen, aber auch Motive der Subkultur aufgreifst, wie z.B. Motorsägen, die durch die "chainsaw-massacre-movies" besondere Aktualität erhielten. Oder daß Du vergleichbar mit bestimmten Popmusikern und Bands agierst, z.B. Henry Rollins, die Gewalt als Ausdrucksmittel aufgreifen. Diese Formen der Subkultur tauchen bei Deinen Arbeiten immer wieder auf. Siehst Du da für Dich enge Bezüge?

F: Sehr enge Bezüge. Gewalt ist ja auch eine wahnsinnige Energie, eine übertragbare Energie, weil es körperlich wirkt, wenn man mit Gewalt konfrontiert wird, auch wenn man sie direkt nicht ausübt oder beteiligt ist. Aber wenn eben, wie gesagt, die Neubauten auf der Bühne ein Spektakel veranstalten, oder Henry Rollins seinen Körper bis zur Verausgabung auf der Bühne weitergibt, spürst du als Zuschauer, was an Aggression – auch psychischer – da rüberkommt, in der Stimme, bei der Umsetzung von Musik.

J: Oder Iggy Pop, der häufig auf seiner nackten Brust eine Flasche zerbricht.

F: Natürlich, das geht ja viel weiter zurück, das kann man bis auf Jim Morrison zurückführen. In der Musik ist das für viele ein Bedürfnis gewesen. Es ist kein Zufall, daß in den 70er Jahren sehr viele Leute, die Kunst studiert hatten oder Künstler waren, zur Musik gegangen sind, weil Kunst nicht mehr die Möglichkeit gegeben hat, das Lebensgefühl, worum es ging, rüberzubringen. Die Performance war für mich ein Medium, wo ich es transportieren konnte.

Meiner Meinung nach hat gute Musik immer auch eine Message transportiert, und ich glaube, daß gute Kunst auch immer eine Message transportiert. Mich interessiert Formalismus nicht. Deswegen bediene ich auch alle Medien oder besser gesagt, ich bediene mich aller Medien, weil es mir eben auch um Öffentlichkeit geht. In der Kunst Öffentlichkeit herzustellen, halte ich für ein wesentliches Anliegen oder Kriterium. Mich interessiert die Psychotherapie-Kunst, die Atelierkunst letztendlich nicht. Meine Arbeit speist sich aus dem Leben, und das bringe ich in eine Formensprache, die in der Kunst wiedergegeben wird, und darum bin ich vielleicht Musikern oder Schriftstellern näher als vielen Künstlern, die sich in ihrem Elfenbeinturm einen runterholen und den auch nie verlassen. Das ist eine künstliche Welt, eine Welt der Attitüden und des Scheins.

J: Was auch bei Dir immer eine Rolle zu spielen scheint, ist der Tod. Ich denke da an die Arbeit, bei der Du mit Deinem Körper einen Spiegel zerschlägst, oder an die "Demontage IX", bei der Du Dich als Pendel zwischen zwei Stahlplatten bewegst. Du gehst hier an bestimmte Grenzen, wo man auch Angst um Dich bekommt. Spielt der Tod, oder besser das Thema Tod, in Deiner Arbeit eine besondere Rolle?

F: Dezidiert würde ich sagen, es geht nicht um ein spezielles Thema, das im Vordergrund meiner Arbeit steht, aber Tod ist ein Bestandteil des Lebens. Ich habe keine Angst vor dem Tod, weil ich eben an solche Grenzen gegangen bin, wo ich einfach wußte, wenn etwas danebengeht, dann ist es vorbei mit mir. Aber es geht mir eher – was Kunst ja auch ist – darum, Bewußtsein und Formensprachen zu entwickeln, die greifbar sind und auch funktionieren. Ich entwerfe etwas, wobei ich mit einem großen Risiko, bewußt mit einem Risiko arbeite, das aber dennoch nur ein ganz kleines unkalkulierbares Rest-Risiko läßt. Es geht eigentlich um Planung. Kunst ist Planung, Planung eines Weltbildes, Planung von Form. Es geht im wesentlichen auch darum, daß das, was du dir ausdenkst, oder was du im Kopf hast, das auch zu realisieren, umzusetzen. Und darum ist für mich auch das hohe Risiko wichtig, dadurch weiß ich, ob die Planung exakt ist oder nicht, und wenn etwas danebengeht, dann war es das letzte, was ich getan habe. Aber wenn das, was du dir mit einem derart hohen Risiko ausgedacht hast, klappt, dann kommt das Erfüllungsmoment – man kann fast von Erlösung sprechen – das führt dich auf eine Bewußtseinsebene, daß du die Ansprüche noch höher setzt und einfach wissen willst, wie weit du das Formenvokabular ausreizen kannst. Eigentlich bist du wie ein Formel-1-Rennfahrer, der bestimmte formale Abläufe mechanisiert hat und nur mehr versucht, seine Konzentrationsfähigkeit zu steigern. Ich glaube, gute Kunst zu machen, erfordert ebenso eine hohe Form von Konzentration und Präzision.

J: Ist das für Dich in Deinen Stücken das subjektive Moment, das erlösende Gefühl, das auch den "Todessprüngen" am Gummiseil nachgesagt wird, wichtig, oder geht es dir hier mehr um die Rezeption, das Gefühl, das beim Zuschauer entsteht?

F: Ich würde noch einen anderen Ansatz einbringen. Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, und die Leistungsgesellschaft fordert dich immer mehr. Sport ist ein ganz gutes Beispiel, wie sich Leistungsgesellschaft formuliert, oder auch der Markt, wo Geld und hohes Risiko eine Rolle spielen. Geld ist heute der einzige Gott. Auch Kunst unterliegt diesen Gesellschaftsmechanismen, und auch der Körper, den ich im Bereich Performance einsetze. Hier geht es ja auch um Leistung, um Leistung in der Gesellschaft, und ich vollführe in der Kunst, was ein Sportler auch tut, eine Höchstleistung. Auch in der Technik funktioniert es so ähnlich, auf einen Chip kommt der nächstbessere, der nächstschnellere und der nächstkleinere Chip usw. … Das sind Elemente, die mich, in dem was ich tue, interessieren, wobei es mir nicht um die Sensationswerte geht, sondern darum, wie fein alles geschliffen und abgestimmt werden muß, damit das nächste wieder klappt.

In der Kunst ist es letztendlich nicht unähnlich, auch ein Tafelbild ist etwas Nutzloses und dient eigentlich nur der Bewußtseinserweiterung. In der Malerei heute etwas Neues zu entwickeln oder die Formensprache voranzutreiben, heißt, ein großes Risiko einzugehen, ein formales Risiko, da man sich auch auf den geschichtlichen Kontext einläßt. Und so ähnlich sehe ich meine Arbeit eben auch.

J: Es geht Dir hier also auch um bestimmte Innovationen, um das Ausprobieren neuer Ausdrucksformen, indem man an die Grenzen öffentlicher Sprache geht.

F: Das ist richtig, ja.

J: Du würdest also nie eine Arbeit wie die Survival Research Laboratories machen, die Computer oder Roboter hinstellen, die dann gezielte Handlungen ausführen.

F: Für meine Arbeit ist das nicht so interessant. Persönlich interessiert mich die Arbeit von Mark Pauline, der Ansatz in seiner Arbeit. Auch das ist ein Bestandteil unserer Gesellschaft, daß Roboter heute – ich sehe die Qualität seiner Arbeit schon sehr genau –, daß Maschinen die Stelle des Menschen einnehmen, und der Mensch sich an den Maschinen ergötzt. Es findet ein Stellvertreterschauspiel statt, wie es die Römer im Original haben stattfinden lassen, indem sie Löwen gegen Menschen oder Löwen gegeneinander oder Löwen gegen Stiere haben kämpfen lassen. Auch das Star-War-Programm funktioniert nach dem gleichen Schema.

Aber mein Arbeitsgebiet oder mein Forschungsfeld ist der Mensch und wie er in dieser Gesellschaft bestehen kann, oder welche Tricks er erfinden muß, um durchzukommen oder zu überleben, und wie die Gesellschaft auf ihn reagiert. Als Gegengewicht zu Paulines These würde ich meine These stellen, ich stelle das Individuum, also den Menschen in den Vordergrund. Ich bin der Meinung, daß in einer Gesellschaft oder in einer Zeit, wo die Maschine immer mehr Platz braucht und einnimmt, der Mensch oder das Individuum Gegenpositionen oder Gegengewichte aufbauen sollte. Ich glaube, daß in Zukunft wieder mehr auf das Individuum Rücksicht genommen werden muß und das Individuelle wieder mehr Aufmerksamkeit zurückerhalten wird, im selben Maße, wie sich auf der anderen Seite die Technologie und der Mikrochip verbreiten.

J: Die letzte Demontage, im Kunstverein München, stellt demnach eine Ausnahme dar, weil du als Person eigentlich nicht auftratst. Das Publikum wurde von einer Gruppe von Personen, die Du ausgewählt hattest, mit Büchern eingemauert. Du hast die Aktion geleitet und die Idee dazu gehabt. Aber das war, glaube ich, das erste Mal, also ein Ausnahmefall, daß Du selbst nicht erschienen bist?

F: Nein, im Grunde genommen ist das schon ein Aspekt meines Denkens. Ich war ja permanent präsent, weil ich mir das ausgedacht habe. Da waren ja 700 Leute, und 700 Leute bewußt einzusperren, das ist eine extrem subtile Form der Aggression. Dabei hat auch die Opernsängerin eine wesentliche "Rolle" gespielt, sie hat die Falle aufgebaut, sie hat abgelenkt. Das ist ein klassisches Beispiel, während das Publikum der Lieblichkeit der Sängerin verfällt und den Honig leckt, geht die Falle zu, und es ist eingesperrt, eingemauert durch Einlullen. Das funktioniert auch in unserer Gesellschaft perfekt. Insofern war ich extrem präsent, weil mein Geist präsent war. Aus der subtilen Aggression ist dann eine offene geworden, da das Publikum, um sich aus der Situation befreien zu können, aktiv aggressiv werden mußte, es mußte die Büchermauer umstürzen. Also ich habe da etwas einfach zurückgegeben.

J: Also Du mußtest nicht aggressiv werden, sondern das Publikum selbst …

F: … ich habe das Publikum dazu gebracht, oder dazu gezwungen, es hatte keinen anderen Ausweg, als aggressiv zu werden. Und das ist auch ein Teil meiner Arbeit, den es früher gelegentlich auch gab. Eine Rolle spielt auch, daß meine Arbeit immer kontextbezogen ist, daß der Raum, der Ort oder die Stadt, wo ein Stück eben stattfindet, auch eine tragende Rolle spielt. Von daher ist es eine ganz klar auf München bezogene Arbeit gewesen, die jedoch übertragbar ist.

J: Also nicht nur auf die Architektur, sondern auch auf die Münchner Kunstszene war Deine Arbeit gemünzt.

F: Auch auf den gesellschaftlich-kulturellen Kontext. Auf die Oberflächlichkeit, das Unbeteiligtsein, die Distanziertheit, den Voyeurismus oder die Erwartungshaltung. Ich glaube, daß deswegen so viele kamen, weil mir der Ruf vorausgeeilt ist, daß es wieder eine Sensation oder einen Stunt von FLATZ gibt. Das zu brechen, die Vorurteile an Ort und Stelle zu befragen, das hat mich auch daran interessiert, das Publikum in so eine Situation zu bringen. Das hat uns Spaß gemacht.

J: Ein subtiler Aspekt der Destruktion bestand darin, daß das Publikum nach dem Einsturz der Büchermauer über die Bücher gehen mußte. Es ist einfach ganz ungewöhnlich, daß man Bücher zertritt. Aber dem Zuschauer blieb gar nichts anderes übrig, wenn er hinausgelangen wollte.

F: Diese "Demontage X" hat ja noch einmal etwas ganz anderes hochgebracht, und zwar, indem regelrecht eine Plünderung stattgefunden hat. Es hat niemand gesagt, daß man die Bücher mitnehmen kann. Wenn du in ein Museum gehst, nimmst du auch nicht Teile der Ausstellung mit nach Hause, die Bestandteil einer Arbeit sind bzw. waren. Wobei es mir bei dieser Arbeit auch um Skulptur ging, die Form der Skulptur hat sich im Verlauf des Stückes dreimal verändert: zuerst sah man die Bücherblöcke, dann die Veränderung der Form, als die Türöffnung zugebaut wurde, dann die umgestürzte Mauer, die wiederum als Skulptur eine Form ergab, und zwar eine amorphe Form. Auch Chaos ist eine Form, die dann letztendlich das Daraufsteigen, das Büchermitnehmen, das regelrechte Plündern, ermöglichte. Von den 4 Tonnen Büchern, die vorher abgewogen waren und am Ende der Ausstellung wieder rückgewogen wurden, haben 1950 kg gefehlt. Beinahe 2 Tonnen Bücher sind am Eröffnungsabend geplündert worden. Das fand ich ganz gut, daß das gerade in diesem etablierten Rahmen, bei einer musealen Präsentation, nicht halt macht. Ob jetzt bei "Bolle" in den Berliner Krawallnächten die Scheiben zu Bruch gehen und jeder alles mitnimmt, was nicht niet- und nagelfest ist, oder hier, weil ein Chaos entstanden ist, dadurch, daß eine konventionelle Form komplett zerstört war, die Bücher herumlagen – jeder hat sich bedient – die Masse transportiert so etwas. Ich habe beobachtet, daß danach, im normalen Ausstellungsbetrieb, kein Buch mehr mitgenommen wurde. Es gab auch Leute, die nicht in den Hauptraum der Ausstellung gegangen sind, weil sie es nicht übers Herz gebracht haben, auf Bücher zu steigen. Die sind wieder nach Hause gegangen.

J: Passierte es manchmal, daß bei Deinen Demontagen oder Performances aggressive Handlungen vom Publikum kamen?

F: Immer wieder, teilweise habe ich ja auch provoziert. Z.B. die "Demontage III" im ProT (Prozessionstheater München, Anm. d. Red.) war eine sehr subversive Geschichte, die mit der im Kunstverein ähnliche oder parallele Linien hat. Beides lief quasi wie ein Attentat ab. Die Sängerin hat das Element der Ablenkung oder Täuschung eingebracht, wie es das bei Attentaten auch immer gab, um eine bestimmte Situation herbeizuführen, die niemand erwartet. Im ProT hat sie die Lorelei gesungen, auf einem exponierten Punkt der Bühne, und das FLATZ-Syndikat hat an einer anderen Stelle das Attentat vorbereitet und innerhalb kürzester Zeit ausgeführt. Wir haben das Bühnenbild des damals sich täglich wiederholenden Stückes "Maiandacht" angezündet, und den Bekennerbrief noch dagelassen, indem wir auf die Wand gesprüht haben: 16. Mai 1987, FLATZ-Syndikat. Das sind Arbeiten, die aus dem Leben gegriffen sind, die in der Kunst umgesetzt genauso greifen, mit der Formensprache der Kunst. Bei der "Demontage X" im Kunstverein war es ähnlich, die Sängerin stand an einem erhöhten Punkt des Raumes, und als die Arie beendet, die Mauer zu und das Licht aus war, konnte sie ungehindert den Tatort verlassen, und alle anderen Tatbeteiligten, mit Ausnahme des Pianisten, der geopfert wurde, konnten verschwinden. Der Anschlag hat planmäßig funktioniert, die Falle ist zugeschnappt. Diese Strukturen haben mich interessiert, die ich aus der Alltagswelt genommen habe.

J: Verstehst Du Dich als Terrorist der Kunstszenen?

F: Nein …

J: Du machst doch Attentate auf den normalen Kunstbetrieb?

F: Ich würde sagen, daß ich Dinge mache, die Strukturen hinterfragen oder in Frage stellen. Daß meine Arbeit einen subversiven Aspekt hat, speziell im Bereich Performance, aber auch in den anderen Arbeiten im mehr klassischen Bereich, bleibt unbestritten.

J: Wie siehst Du eigentlich das Verhältnis zwischen Deinen aktionistischen Arbeiten, den Demontagen, und dem bildnerischen Werk? Kann man in den bildnerischen Arbeiten ebenso die Aspekte Aggressivität und Destruktion finden, oder verhält es sich mit diesen Arbeiten anders?

F: Jedes Medium hat seine eigenen Bedingungen, und auf die Bedingungen muß eingegangen werden. Ein Tafelbild, daß sich auf einer rein optischen Ebene bewegt, das zweidimensional ist, kann genauso aggressiv sein, aber es muß andere Mittel einsetzen. Fontanas Schlitzung der Leinwand war genauso aggressiv, wie wenn ich ein Möbelstück mit der Axt zerschlage, oder wenn ich mit dem Schlagbohrer ein Loch in eine Mauer zum anderen Raum reiße, um einen neuen Raum zu erobern. Die Dinge sind für mich parallel, das sind Schaltungen, die, sobald sie offengelegt sind, einsichtig und nachvollziehbar werden.

J: Aber unter Deinen bildnerischen Arbeiten findet man auch das Thema Krieg, und nicht nur den natürlichen Tod …

F: Gewalt, Aggression, oder sagen wir: die Schattenseiten unseres gesellschaftlichen Daseins interessieren mich mehr als die Sonnenseiten. Wenn mich die Sonne interessiert, dann eben die Eruptionen an ihrer Oberfläche, darum würde ich sagen, ich bin schon eher eine Ratte von der Schattenseite unseres Zivilisationsmüllhaufens, als einer, der im Sonnenlicht badet … (lacht).

J: Kannst du kurz Deine Arbeit in Linz beschreiben. Ist sie auch eine Demontage?

F: Ja, das ist die "Demontage XI", die als letzte Arbeit der heurigen Ars Electronica vorgestellt wird. Dort gehe ich wieder ganz konkret auf den Kontext ein. Es ist eine Demontage, die strukturell wie die anderen aufgebaut ist, die Opernsängerin spielt wieder eine ihr zugebrachte Rolle. Das Stück findet im Konzertsaal des Brucknerhauses statt, der akustisch einer der besten Räume der Welt ist und ein paar tausend Leute faßt. Der ganze Saal wird durch eine riesengroße Orgel bestimmt, also wird sie auch in die Arbeit integriert, mit der Opernsängerin gekoppelt. Willst du es jetzt genauer wissen? Es ist die Frage, ob ich es genau beschreibe oder sozusagen umschreibe.

J: Umschreibe es.

F: Der Kontext ist einerseits der konkrete Raum und andrerseits natürlich auch das Festival, das sich mit Elektronik beschäftigt, die mittlerweile Geschichte hat, und auch das wird in meinem Stück eine Rolle spielen. Wobei ich konkret auf das eingehe, worüber Elektronik oder bildnerische Medien transportiert werden, und das ist eben der Bildschirm oder Fernsehschirm oder Computerschirm. Mit diesen Dingen werde ich umgehen, und der menschliche Körper wird ebenso wieder eine Rolle spielen.

J: In bezug auf Deine Demontagen fallen mir gegenwärtige kulturphilosophische Überlegungen ein, die von der Vorstellung des Ganzheitlichen und Identischen abrücken und ein besonderes Augenmerk auf die Dezentralisierung von Systemen und Zeichen legen. Begriffe wie Dekonstruktivismus und Dekonstruktion finden hier Verwendung. Siehst Du hier zu Deinen Arbeiten, in denen Du etwas demontierst, abbaust und auflöst und Dich vielleicht gegensätzlich zur Harmoniesuche eines Gerhard Merz verhältst, einen gewissen geistigen Zusammenhang?

F: Nein, es werden zwar dekonstruktivistische Elemente eingesetzt, aber das ist eine Formensprache, die ich benutze. Das Harmoniebedürfnis der sogenannten Münchner Schule interessiert mich nicht, das ist für mich extremer, verkrampfter Manierismus. Manierismus lehne ich in jeder künstlerischen Arbeit ab. Es ist kein Zufall, daß München dazu prädestiniert ist, andrerseits gibt es in München auch witzigerweise eine sehr gute Undergroundszene, das hat mit der Musik zu tun, auch mit Film, Werkstattkino-Szene usw., der fühle ich mich viel näher. Aber zu Deiner Frage zurück, mich interessiert die Gesamtheit oder das Zusammenspiel der Systeme, die Chaostheorie, die besagt, daß alles mit allem in Verbindung und in kausalem Zusammenhang steht. Insofern sehe ich in meinen Demontagen Verbindungen, das Zerstören einer Ordnung bedingt immer wieder eine neue Ordnung. Die Arbeit mit den Büchern ("Demontage X", Anm. d. Red.) ist eigentlich fast ein Paradebeispiel, da sind drei Ordnungen vorgeführt worden, zuerst die minimalistische, das waren die beiden Bücherskulpturen, die einen Grundriß von einem Quadratmeter hatten und zwei Meter hoch waren, dann die konzeptionelle, strukturelle Skulptur, also das Füllen der Wand, und dann die amorphe Skulptur, der Bücherhaufen, der durch das Umstürzen eine neue Ordnung erhielt. Das interessiert mich, daß alles miteinander in Verbindung steht, das Element Buch hat sich im ganzen Stück nie verändert.

Nur die Art, wie mit dem Buch als Element umgegangen wurde, hat die Veränderung bewirkt. Daß es dann als amorpher Haufen am Boden lag, oder daß es als Säule geschichtet war, oder daß es als Mauer funktioniert hat. Es waren drei Ordnungen, die da aufgezeigt wurden, und jede hat für sich eine Eigengesetzlichkeit gehabt, die funktioniert hat. Wobei die letzte, die amorphe, die beste hatte, weil sie sich immer wieder neu formiert hat. Darauf beruht ja letztendlich die Chaostheorie, das Ursache- und Wirkungsprinzip –, die Schmetterlingstheorie kennen wir ja. Das interessiert mich in meiner Arbeit und darum führe ich auch Polaritäten zusammen, weil das zu etwas Neuem führt.

Und was ich eingangs schon gesagt habe, daß mich die Gleichzeitigkeit von Dingen interessiert, oder daß, sagen wir, in Australien ein Wirbelsturm herrscht und du kannst am Starnberger See in der Sonne liegen und dich wohl fühlen, oder woanders Hungersnot herrscht und bei uns erbrichst du dich vor lauter Sättigung – daß beides nebeneinander ist, daß wir mit allem umzugehen haben, wir in einer komplexen Welt leben, und mit komplexen Systemen umzugehen haben.

J: Interessiert Dich das Widersprüchliche, Gegensätzliche, oder einfach das Dualistische?

F: Es gehört zusammen und ist nicht trennbar, würde ich sagen. Widersprüchlichkeiten zeigen sich durch das Zusammenführen von Polaritäten selbst auf. Die Sachen sprechen für sich, wenn du sie nur aufeinander zuführst. Die Logistik ist einfach.

J: Wenn man Aktionen macht, hängt das dann auch damit zusammen, daß man eine konventionelle Art der künstlerischen Gestaltung weitgehend ablehnt, daß man nach einem adäquaten Umgang mit Materialien sucht, eben einen Gegenstand lieber mit dem Schlagbohrer behandelt als malt?

F: Das natürlich auch, aber ich denke, es geht generell um Befreiung von Material schlechthin, um einen freien Umgang. Es ist ein azyklisches Verhalten zum Markt, daß kein Produkt mehr vorhanden ist. Das, was ich geliefert habe, ist das Bewußtsein oder das Dabeisein oder das Reflektierenkönnen, also ein geistiges Bild und kein materielles mehr, das du mitnimmst. Das Material bleibt dabei zerstört zurück.

J: Also, es gibt keine Relikte?

F: Mit Relikten gehe ich nicht um, nein, ich baue keine Reliquienschreine. Es gibt Fotografien, und die Fotografien setze ich als fotografische Arbeiten ein. Aber wenn man an Nitsch oder Paik denkt, diese Ebene interessiert mich nicht. Die Arbeit transportiert sich nur im Original, das heißt eben Dabeisein.
Justin Hoffmann, geb. 1955, Studium der Kunsterziehung, Kunstgeschichte, Geschichte und Kommunikationswissenschaft in München, lebt und arbeitet als Journalist und Kunsthistoriker in München. Mitglied der Musikgruppe FSK.