Delphi Digital
Skupturales Orakel
'Margot Pilz
Margot Pilz
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'Roland Scheidl
Roland Scheidl
Das Spannende des Projekts "DELPHI DIGITAL" liegt in seiner Vielfalt und Mehrdeutigkeit auf verschiedenen Ebenen.
Es handelt sich dabei um ein Netzwerk zwischen Menschen, nicht nur um einseitigen Informationszugriff, sondern um Mehrwegkommunikation. Besucher und Besucherinnen der Ars Electronica können sich einfach mittels Tastatur über internationale Computernetzwerke in Diskussionszusammenhänge etwa zu Umweltproblemen, Regional- oder Weltpolitik u.a.m. einschalten.
Ein Videoclip zeigt Loops von Mond-, Sonnen- und Erdenbildern, akustisch begleitet von Tönen der Sonne und unseres Planeten (Endlosband).
Die Skulptur wird aus rauchgrauem Acrylglas aufgebaut. Zwischen zwei sechs Millimeter starken Acrylglasplatten werden digitale Bildverfremdungen (MP) verschraubt.
Die Zeltform des Objekts bildet einen Code für Aufbruch und Bewegung (Nomadentum) ab. Die Rationalität der Informationstechnik ist Zeitzeichen der Gegenwart, die Magie verweist auf spirituelle Werte und Traditionen.
Die Inselversorgung des Orakels mit Solarstrom betont Möglichkeiten energieautarker Kommunikationssysteme. Delphoi (griech., lat. Delphi), die wichtigste Orakelstätte Griechenlands mit einem Kult Apollons, der hier durch die Pythia Weissagungen erteilte. Die Stätte liegt etwa 600 m hoch in wilder, majestätischer Bergeinsamkeit, die schon an sich die Menschen beeindruckt, ebenso wie das nahe Quellwunder Kastalia. Das Heiligtum des Apollon, dessen Kult einen alten Kult der Erdmutter Gaia verdrängte, stand über einer vorgeschichtlichen Siedlung, in historischer Zeit lag auch neben dem Kultort eine Siedlung. An eine Erdspalte war die heilige Stätte gebunden; über der Spalte saß auf einem Dreifuß die Pythia und gab Ratschläge, die ein Priesterkollegium in Verse setzte. (Kröner, Wörterbuch der Antike) DELPHI DIGITAL "Delphi Digital" klingt merkwürdig, denn ein delphischer Orakelspruch ist wohl so ziemlich das Letzte, was sich in der betörenden Einfachheit des "Null und Eins" auf schlüsseln läßt. Trotzdem ist der Begriff Orakel für das Projekt gut gewählt. Orakelsprüche erzeugen ein mulmiges Gefühl und bedeuten meist nichts Gutes. Und wenig Gutes wird man auch aus dieser Installation vernehmen. Die Künstlerin und der Techniker, die sich bei der von Scheidl 1988 an der TU Wien organisierten Ausstellung "Zwischen Null und Eins" kennenlernten, entwickelten eine Art Schwitzhütte für umweltbewußte Menschen. So wie ein Indianer sich dem Reinigungsritual im dampfenden Zelt unterwirft, um seine Sinne für fremde Stimmen zu öffnen, soll sich der Ars-Besucher in einem Plexiglaszelt über Personal-Computer an die Informationsströme alternativer Netzwerke anschließen. Daraus werden ihm die neuesten Katastrophenmeldungen der internationalen Umweltschützergruppen zufließen. Scheidl sieht in dem Projekt eine Art Pilotversuch für einen künftigen Medienverbund, an dem sich möglichst jedermann beteiligen kann. Sein Traum ist ein telematisches Zeitalter. "Telematik bedeutet eine Loslösung von Raumstrukturen und Zeitvorstellungen, die Informationen sind an jedem Ort zu jeder Zeit abrufbar", schreibt er in seinem Aufsatz "Elektronisch vermittelter Diskurs", in dem er Möglichkeiten und Probleme einer computervermittelten Kommunikation darlegt. Die Bestimmung von Telematik trifft sich in etwa mit der indianischen vom Großen Geist (oder Kaninchen), dessen Informationen auch über ein Raum-Zeit-Kontinuum hinausreichen, und dem Eingeweihten überall offenstehen. Inhaltlich gehen beide Kommunikationstheorien ebenfalls konform, dienen sie doch einem konsensualen Zusammenleben von Menschen untereinander und mit der Natur. "Delphi Digital" ist ein Zelt, dessen Außenseite ein Computerbild von Margot Pilz ziert, in das etliche, kleine Bildschirme eingepaßt sind. Im Inneren verfügt man mittels Computer über weltweite Informationsnetze. Damit kommen Pilz und Scheidl den Vorstellungen des Propheten unseres Medienzeitalters, Vilém Flusser, entgegen und handeln ihnen zugleich zuwider. Oder wie soll man es verstehen, daß in der "intelligentesten Behausung des Menschen", dem Zelt, ausgerechnet zahlreiche "dumme Schirme" installiert wurden?
Christian Zillner (Auszug aus einem Text über Margot Pilz)
ELEKTRONISCH VERMITTELTE KOMMUNIKATION ROLAND SCHEIDL Die Grenzen ihrer technischen Beherrschbarkeit und ein Ausblick auf Experimentierfelder für fehlertolerante und hierarchiefreie Kommunikationssysteme ORIENTIERUNGSVERLUST IM INFORMATIONSHAGEL Auf den Markt gelangende Informationstechnologien beschleunigen den Austausch oder das Verteilen von Nachrichten, sie haben aber keinerlei qualitätssteigernde Wirkung auf die Inhalte. Auch wenn eine österreichische Kabelfernsehgesellschaft mit dem Slogan "Wir sind die Wahlberechtigten" wirbt, regrediert der TV-Konsument doch nur zum Channel-Hopper: wie Bienen von Blüte zu Blüte, schwirren allabendlich Millionen (Milliarden?), mit je einer Fernbedienung ausgestattet, von Programm zu Programm. Um die einzelnen Kanäle auszufüllen verwursten die Redakteure alles, und servieren Info-Burgers, in hübscher Werbung verpackt. Information als desorientierendes Medium, oder mit Marshall McLuhan: "The medium is message!" Füllen von Räumen und Zeiten, redundante Trivialitäten und Wiederholung kennzeichnen die Informationssphäre. Das ist doch eigentlich die Qualität des Chaos: Entropie der Bedeutungen und Verlust der Beziehung der Inhalte auf die reale Welt.
Insbesondere die politische Kommunikation verselbständigt sich, denn Betroffene sind zum Schweigen verurteilt. Alle paar Jahre ein Kreuzerl, die Teilnahme an einer Protestkundgebung, mal eine Volksabstimmung oder vielleicht noch das Leserbriefschreiben, das ist alles, was eine Vertreterdemokratie an aktiver Willenskundgebung zuläßt. Die allmähliche Gleichschaltung durch Pseudovielfalt und das Sondieren der Einstellungen mittels Meinungsforschung bringen einen Verlust der diskursiven Kultur mit sich und verurteilen alle zum Schweigen. Ein Effekt, der eine politische Ordnung stabilisiert, die mehr Macht für sich beansprucht als ihr zusteht. BEDARF AN TECHNISCH VERMITTELTER KOMMUNIKATION Der Prozeß der Modernisierung ist durch eine immer stärker werdende Ausdifferenzierung der einzelnen Teilbereiche des gesellschaftlichen Systems gekennzeichnet. Eine derart starke Spezialisierung verlangt nach einer leistungsfähigen Kommunikationsinfrastruktur, um die "Gräben" zwischen uns überwindbar zu machen. Möchte ich eine Person mit ähnlich gelagerten Interessen treffen, genügt es nicht, mich in der Nachbarschaft umzuschauen. Interessen sind derart spezialisiert, daß Partner nur mittels eines Beschleunigungsmediums erreichbar werden.
Also rein ins Auto, ab mit dem Flugzeug, spitze den Bleistift zum Briefschreiben oder häng dich ans Telefon. Mit oder ohne Körper leben wir in einer Vielzahl virtueller Gruppen. Traditionelle Sozialstrukturen lösen sich auf. Modernisierung beruht auf der Möglichkeit und Entschiedenheit, willkürlich soziale Verbindungen einzugehen und absichtlich soziale Gruppen ins Leben zu rufen. "Die Geschwindigkeit als Hauptvektor des Sozialen bestimmt in einer demokratischen Gesellschaft, in der Macht mit Macht über Geschwindigkeit identisch ist …" (P. Virilio).
Heute erleben wir Städte als Verkehrshöllen, der Luftraum ist "überlastet" und das Telefon – besetzt. Und doch läßt sich die gesellschaftliche Differenzierung nicht aufhalten; nicht zuletzt aufgrund einer Randbedingung der kapitalistisch orientierten Wirtschaft: stetiges Wachstum.
In vier Richtungen werden neue technische Kommunikationsmedien entwickelt:
- Immer schneller: einen Anschluß an die Datenautobahn für jede/n. Die Kosten der Umrüstung des Fernsprechnetzes in (ehem. West-) Deutschland werden auf 200 Milliarden DM geschätzt; der Umstellungsprozeß soll ungefähr 30 Jahre dauern.
- Immer gefälliger: Informationsverteilung mit perfekter Qualität: nach der CD folgt HDTV (High Definition TV) ab 1995.
- Die Entkoppelung von gleichzeitiger Anwesenheit der Kommunikationspartner mittels Telefonanrufbeantworter, Telefax oder Electronic Mail.
- die Gestaltung völlig neuer Kommunikationsstrukturen: diese lassen Gruppenkommunikation zu und stehen in krassem Gegensatz zu den bewährten Verteilungsmedien (TV, Radio, Zeitung) und zu den technisch vermittelten Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, welche lediglich herrschende Machtverhältnisse technisch zu reproduzieren versuchen.
KOMMUNIKATIONSSYSTEM AUSSER KONTROLLE? Trotz der vielfältigen Möglichkeiten mit Menschen über technische Medien in Kontakt zu treten, erweiterte sich der soziale Wirkungsradius der/des einzelnen nicht. Nur daß die Wirkungskreise jetzt elektronisch abgebildet werden, in großen, zentralen Verrechnungsanlagen. Denn wurden bislang Verbindungen "durchgeschaltet", werden sie in Zukunft identifizierend vermittelt. Sendernummer, Empfängernummer und Dauer des Gesprächs dienen zwar in erster Linie der Gebührenverrechnung, aber sind für viele weitere Erhebungen weiter verwendbar: wer mit wem, welche Interessensgruppen, aha, auch den Psychischen Notdienst usf. Wenn auch jetzt schon vielfach personenbezogene Daten gespeichert sind, so werden jetzt die Interaktionsradien einsehbar, auch für Stabsstellen des Innenministeriums und Organe der öffentlichen Sicherheit, die im Datenschutzgesetz mit Ausnahmeregelungen begünstigt worden sind.
Brauchbare Information bleibt teuer. Der Zugang zu wissenschaftlichen Datenbanken ist den vermögenden Institutionen vorbehalten. Der qualitative "information gap" entlang sozialer Schichten wird stets größer. Und doch ist jeder überflutet von ungeordneter, gleich einem lauten Rauschen ständig niederprasselnder Information. Die Entsorgung der sich anhäufenden, gigantischen Informationsmengen bleibt – ungelöst: Verklappung in die Wohnzimmer lautet die Taktik der Medienkonzerne.
ISDN bedeutet: alle Netze in eines zu integrieren. Eine lokale Störung an einem Kommunikationsrechner hat sodann zur Folge, daß in einem gewissen Radius alle Kommunikationsverbindungen tot sind. Weiters ist in einem integrierten Netz die Fortpflanzung von Softwarefehlern und Viren unkontrollierbar.
Die Post hingegen erfindet neue Dienstleistungen wie den sogenannten "Rückruf im Freifall": Sobald einE TeilnehmerIn nach längerer Pause das Telefon wieder einmal benützt, werden nacheinander automatisch Verbindungen hergestellt zu Personen, die die/den TeilnehmerIn in ihrer/seiner Abwesenheit zu erreichen versuchten. Solche Beispiele (auch wenn ihre Ausführung im letzten Moment verhindert wird) zeigen nur, wie unvorbereitet und ohne tatsächliche Bedarfsanalysen mit wehenden Fahnen und lautem Gebrüll das Informationszeitalter ausgerufen wird. NEUE WEGE: COMPUTERVERMITTELTE GRUPPENKOMMUNIKATION In den USA haben Bulletin Board Systems (BBS) eine weite Verbreitung gefunden. In den Anzeigen der Computerfachzeitschriften werden Interessenten eines Produkts nicht mehr gebeten, zusätzliches Informationsmaterial anzufordern, sondern per Modem und Computer in das BBS des nächsten Vertriebspartners einzusteigen. Da werden dann die Produkte per Datenleitung präsentiert, oftmals kann man sich eine Demo-Version einer Software runterladen und diese selbst testen.
Bis jetzt ähnelt die beschriebene Kommunikationsstruktur noch der herkömmlichen Werbung. Das neue an BBS ist die Möglichkeit, Beiträge zu bestimmten Themen darin abzulegen, sodaß sie für jede/n wieder lesbar sind. Das heißt, ich kann Erfahrungen an andere weitergeben, die ich mit einem bestimmten Produkt gemacht habe. Denn sonst bin ich auf leere Versprechungen vom Vertreiber angewiesen.
Die Marktgesetze ließen bislang nur eine ja/nein Antwort auf ihre Produkte zu: ich kaufe es oder eben nicht. Erstmals kann ich wieder (wie beim Direkthandel) Wünsche äußern oder Beschwerden öffentlich machen.
Auch nichtkommerzielle Gruppierungen verwenden BBS. Jedem Brett ist ein Thema zugeordnet, woran jede/r Teilnehmer einen Beitrag "heften" kann und damit Stellung nimmt, veröffentlicht oder anfragt. Auch koordinieren Umweltinitiativen ihr gemeinsames Vorgehen und schaffen ein Stück Gegenöffentlichkeit. Die Furcht vor der Vereinsamung vor dem Bildschirm blieb unbegründet: um Diskussionsergebnisse in konkrete Handlungen umzusetzen, treffen sich dann die Teilnehmer doch zu realen Gruppen. ÜBERWINDUNG SOZIALER NORMEN Inwiefern werden die Regeln des Gesprächs von einem solchen Medium beeinflußt? Wer per Computer kommuniziert, kennt seinen/ihren Gegenüber im Regelfall nicht. Weder Handschrift noch Tonfall tragen dazu bei, ein imaginäres Bild vom Kommunikationspartner entstehen zu lassen. Was die Medien Brief oder Telefon noch in verschlüsselter Form durchblicken bzw. -horchen ließen, hat im digitalen Code keinen Platz mehr. Schrift, Briefpapier, Lautstärke oder Tonfall ließen zumindest eine grobe Charaktereinordnung zu. Zweckrationale Handlungen, wie sie über die neuen Kommunikationstechnologien koordiniert werden, verlangen lediglich präzise, logische, eindeutige, zielgerichtete Anfragen, Mitteilungen und Antworten; jede Zusatzinformation ist redundant.
Verantwortlichkeit und Verbindlichkeit schwinden bei computervermittelter Kommunikation: Die Nachrichten am Bildschirm ähneln alle einander, sie können nicht einem "Bild" des Absenders zugeordnet werden, weil Hinweise über sie/ihn, die über den eigentlichen Inhalt der Nachricht hinausgehen, unbekannt bleiben: Berufe, Position, Status, Abteilungszugehörigkeit, Geschlecht, Rasse, äußerliche Erscheinung, Kleidung oder Auftreten werden nicht – oder nur bei expliziter Angabe – auf dem Bildschirm sichtbar.
Die Unkenntnis der sozialen Position des Kommunikationspartners führt auf der anderen Seite zu einem impulsiveren, selbstbewußten, ungezwungeneren Kommunikationsverhalten. Zwar werden die interaktionsregelnden Kommunikationswege wie Augenkontakt, Körpernähe, Betonung oder Lautstärke der Stimme zum Teil durch neue Sprachrituale ersetzt. Doch die physische Distanz und das Fehlen von Vorurteilen, die meist aus den redundanten Teilen der Sprache entstehen, erlauben eine ausgelassenere Ausdrucksfähigkeit emotionaler Inhalte, speziell negativer Art.
Personen mit Kommunikationsängsten oder niedrigem sozialen Status nehmen so häufiger und vor allem aktiv an Kommunikationsprozessen teil. Sie müssen nicht länger fürchten, nicht ernst genommen zu werden, denn was plötzlich zählt, ist die Qualität der Idee, und nicht die Art und Weise, wie sie präsentiert wird. So werden auch häufiger "kühne" Vorschläge in den Diskussionsprozeß eingebracht, die oft wesentlich auf die Entscheidung einer Computerkonferenz Einfluß nehmen. SOLIDARISIERUNGSEFFEKTE BEI BULLETIN BOARD SYSTEMEN "We wanted to create a 'universal mind' that would span time and distance" lautete die visionäre Vorgabe des Projektleiters für Amerikas größtes Computer-Conferencing-System in einem Pharmakonzern. Die erste Reaktion der Mitarbeiter war ein überschwenglicher Enthusiasmus; die Leute bekamen plötzlich einen Überblick über das Firmengeschehen alleine durch die Vielzahl der Themen der Konferenzen. Das Medium barg für die Leute der Entwicklungsabteilungen jenes Potential an Spontaneität in sich, das für das Zünden neuer Ideen notwendig ist.
Den Entwicklern des Systems gelang nicht nur eine Reproduktion der organisatorischen Struktur auf ein elektronisches Medium. Es war plötzlich auch Bestandteil der sozialen und psychischen Identität des Konzerns. In ihren Arbeitspausen widmeten sich die Mitarbeiter der "Computer Coffee Break", einer offenen Konferenz zum Tratschen. Einige charakterisierten dieses offene Forum als "counterculture" in kleinem Ausmaß; viele Leute benutzten es als Sicherheitsventil für aufgestaute Frustrationen.
Während in den höheren Etagen die einen für die Beibehaltung der Offenheit des Mediums plädierten, sahen die anderen in der CCB eine latente Gefahr für unerwünschte Solidaritäten, die auf Kosten der Firma zustande kamen. Wohl fühlten sich einige Manager auch persönlich ertappt, als ihre schmutzigen Witze, die sie bei Besprechungen zu erzählen pflegten, von der CCB-Konferenz verurteilt wurden.
Nachdem einige Manager sich Zugang zu geschlossenen Konferenzen verschafft hatten, brach das Vertrauen in das Medium jäh zusammen. "DIALOG" selbst war das beste Mittel zu seiner Verteidigung, doch nach eineinhalb Jahren Betriebszeit wurde es durch eine neue Kommunikationssoftware ersetzt, die nur noch formalisierten Austausch von Informationen zuließ. Kommentar der Firmenleitung: "DrugCorp is not an intellectual democracy."
Ein elektronisches Kommunikationssystem dieser Bauart vermag also innerhalb von Organisationen nicht nur die Zusammenarbeit zwischen Abteilungen zu fördern, sondern auch Unzulänglichkeiten an den Tag zu bringen und neue Solidaritäten zu knüpfen. Es schafft eine nahezu ideale Kommunikationssituation, in der die Teilnehmer wirkliche Bedürfnisse und Anliegen artikulieren. Wen wundert's, daß damit auch Kritik an Herrschaft – als gemeinsame Ursache für Unzufriedenheit und Ungerechtigkeiten – geübt wird. Die Machthaber sehen ihre Legitimation als gefährdet und kappen in letzter Konsequenz die Strippen. Denn tatsächlich könnte eine Organisation, die ein solches Kommunikationsmedium einsetzt, einige Hierarchiestufen abbauen, ohne an Effizienz zu verlieren, weil sich die Kompetenzen in den einzelnen Conferences manifestieren. HIERARCHIE ALS FOLGE BEGRENZTER KOMMUNIKATIONSKAPAZITÄT Nach Luhmann gilt die Bildung von sozialen Systemen als Versuch, die in der Welt gegebene Fülle von Möglichkeiten, die dort vorhandene Komplexität des Erlebens und Handelns mit der begrenzten Kapazität der menschlichen Fähigkeit zur Wahrnehmung, Informationsverarbeitung und Aktion in Einklang zu bringen. Hierarchische Strukturen entstehen aufgrund dieser begrenzten Kapazitäten: ihre Aufgabe ist die Selektion und Reduktion von Daten und Entscheidungen, ohne die die Komplexität unseres Gesellschaftssystems nicht beherrschbar wäre (und wovon auch niemand wesentliche Abstriche machen möchte). Spätestens hier wird klar, daß hierarchische Strukturen sich deshalb bilden, weil damit die begrenzte Anzahl an bidirektionalen Kommunikationskanälen durch zusammenlaufende Antwortskanäle ersetzt werden. Das politische System
- als ein ausdifferenzierter Teil des sozialen Systems
- kompensiert seine geringe Komplexität dann durch Macht. Die Politik des "divide et impera" ist nicht zuletzt deshalb so erfolgreich, weil sie mit der Verhinderung von Kommunikation auch einen Prozeß blockiert, in dem sich Menschen über ihre Situation und über die Mechanismen der Unterdrückung klarwerden, denen sie ausgeliefert sind.
TELEMATISCHE INITIATIVDEMOKRATIE Versuche, die Politik auf eine breitere Basis zu stellen, wo die Möglichkeit des Antwortens nicht länger auf das Ankreuzen von Vertretern beschränkt bleibt, scheitern u.a. an einer fehlenden technischen Infrastruktur, die es auch für Gruppen jenseits der Größe von 20 Beteiligten zuläßt, sich aktiv an Diskussionen, Entscheidungen und deren Kontrolle zu beteiligen. Protestbewegungen greifen auf konventionelle Kommunikationsmedien wie Versammlungen oder Demonstrationen mit Transparenten oder Sprechchören zurück, die jedoch weder einen differenzierten Meinungsbildungsprozeß noch eine klare Vermittlung der Forderungen zulassen.
Erstmals beim StudentInnenstreik 1988 in Frankreich nützten die Betroffenen das Minitel-Netz als Diskussions- und Koordinationsmedium. Zwei Tageszeitungen stellten ihnen elektronische Schwarze Bretter zur Verfügung, die ursprünglich für Leserbriefe installiert worden waren. Die Proteste gelangten unzensuriert an die Öffentlichkeit; viele Minitel-Teilnehmer verfolgten "live" die kontroversiellen Diskussionen vor allem über das Verhalten der Polizei, die einen Studenten totgeknüppelt hatte. Auch für die herkömmlichen Medien waren die Streik-Bretter bei Le Monde und Liberation die direkteste Informationsquelle. Zu guter Letzt wurde die angekündigte Hochschulgesetznovelle wieder zurückgenommen. GESTALTUNGSFORDERUNGEN AN TECHNISCHE KOMMUNIKATIONSNETZE An dieser Stelle möchte ich die Voraussetzungen zusammenfassen, die gewährleistet sein müssen, damit ein technisches Kommunikationsnetz politische Kräfte fokussiert. Das Medium muß - die Diskussion der Maßnahmen und Ziele,
- die Koordination der Handlungen und
- die Kontrolle über Einhaltung gemeinsamer Vorgehensweisen unterstützen.
Ich gehe davon aus, daß das Medium – wie oben beschrieben – den Austausch von schriftlichen Dokumenten zuläßt. Nur eine thematische Strukturierung mittels verschiedenen elektronischen Schwarzen Brettern gewährleistet den notwendigen Differenzierungsgrad, der für eine qualitätsvolle Auseinandersetzung notwendig ist. Gibt es lediglich eine Liste mit den Themen der Beiträge, führt dies zu einer unübersichtlichen Informationsflut.
Das Medium muß Rede und Antwort zulassen. Jeder Beteiligte muß zunächst die Geschichte des Diskussionsprozesses nachvollziehen können, das heißt er/sie liest alte Beiträge, verschafft sich dann einen Überblick über den aktuellen Stand der Diskussion und kann dann einen eigenen Beitrag an das entsprechende "Pinbrett hängen".
Das Medium muß den offenen Zugang für alle Betroffenen gewährleisten. Weiters muß für die Benützer klar sein, wer der Betreiber des Mediums ist. Denn er hat die Macht, es schlicht abzuschalten oder kann es mißbrauchen zur Erstellung von Meinungsprofilen der Teilnehmer.
Das Politikerverständnis ändert sich hierdurch: die Betroffenen selbst artikulieren Lösungsvorschläge. Die Zuständigkeit für gesellschaftliche Belange – also die eigentliche Berufung der Politiker – ist nicht mehr länger an Personen gebunden, denn die Kompetenzen manifestieren sich plötzlich in den Schwarzen Brettern. Der Politiker wird überflüssig.
Der Initiative zur Lösung von Problemen, die nicht das Individuum alleine angehen, geht von allen Betroffenen aus. Das ist das neue Regulativ der Meinungsbildung: nicht die Journalisten sondieren, wo die Leute der Schuh drückt, sondern die Betroffenen selbst weisen auf Unzulänglichkeiten hin. Nicht die Politiker müssen Lösungen erarbeiten, sondern die Betroffenen selbst erarbeiten die Lösung (entweder konsensual oder sie bewerten verschiedene Alternativen und wählen jene aus, die die Mehrheit der Betroffenen goutiert).
Voraussetzung für eine unverzerrte Problemerarbeitung ist – wie schon erwähnt –, daß alle Betroffenen gleichermaßen ihren Standpunkt einbringen können. Und hier wird es sicher Unterschiede geben, inwieweit der/die Einzelne seine/ihre Meinung artikulieren und mit dem Medium umgehen kann. Tendenziell werden intellektuell geübtere Leute häufiger aktiv mit dem telematischen Netzwerk arbeiten als jene, die mit dem Schreiben und dem Umgang mit dem Computer weniger vertraut sind. Das bringt die Gefahr einer Übervorteilung der "computer-literated people" mit sich.
Das Prinzip der Fehlerfreundlichkeit muß sowohl bei der Errichtung der Netzstruktur als auch bei der Gestaltung der Schnittstellen zwischen Benutzer und Kommunikationsgerät an erster Stelle stehen.
Der Nobelpreisträger Ilya Prigogine formulierte das Gesetz der Selbstorganisation dissipativer Strukturen: Wenn sich informelle, soziale und kognitive Strukturen auflösen, dann werden sie durch neue Muster ersetzt, die meist einen höheren Grad der Organisation haben. Die Anwendung dieser Beobachtungen auf das System interpersoneller, politischer und kultureller Kommunikation würde eine (r)evolutionäre Wandlung der technischen Kommunikationsvermittlung ankündigen, wenn auch eine Analogie zwischen natur- und sozialwissenschaftlichen Feldern vorsichtig handzuhaben ist. Die Gestaltung dieser neuen Techniken darf daher nicht allein den Gesetzen des Marktes überlassen werden; die Erforschung und Erprobung von Gestaltungsforderungen, die interdisziplinär zu erarbeiten sind, ist einzufordern.
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