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Ars Electronica 1991
Festival-Programm 1991
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Festival 1979-2007
 

 

Grundriss & Noten aus dem Untergrund


'Melissa Gould Melissa Gould / 'Alvin Curran Alvin Curran

FLOOR PLAN
ist wie eine Blaupause des Grundrisses einer ehemaligen Berliner Synagoge, die auf dem Rasen zwischen dem Brucknerhaus und dem Donauufer in Linz in Originalgröße dargestellt wird. In die Erde eingelassene Leuchtstoffröhren geben den Grundriß des zerstörten Gebäudes wieder und verwandeln ihn in eine geisterhafte Zeichnung aus Licht.

Aus der "Zeichnung" erhebt sich dreidimensional eine teilweise aufgebaute Innenwand aus verkohlten Büchern, die in Stapeln verschiedener Höhe aufgebaut sind. Oberhalb dieser Bücherstapel ist eine waagrechte Feuerlinie, die den oberen Wandabschluß darstellt. Diese Feuerwand dient als senkrechtes Element und als Brennpunkt von Floor Plan. Sie dient auch als visuelle Metapher:
  • für das "Ewige Licht", wie es traditionellerweise in allen Synagogen der Welt verwendet wird

  • für die Feuer der "Kristallnacht", die in ganz Deutschland und Österreich am 9. und 10. November 1938 brannten

  • für das Feuer, das einen Teil des europäischen Judentums zwischen der "Kristallnacht" und dem Juni 1945 verzehrte

  • für das Feuer als Leben.
Zusätzlich zur Präsenz der Leuchtstoffröhren und der Feuerwand finden sich noch andere Details, wie etwa zerstörte hölzerne Bänke und Bruchstücke von Gipsstatuen, über die Fläche verteilt. 100 quadratische Platten (siehe dazu "Anmerkung zum Untertitel: Von Adler bis Zylber") mit Bildern und dazugehörigen jüdischen Familiennamen – die als Worte im Deutschen Bilder der Natur heraufrufen (Blumenthal, Goldberg, Himmelblau, Mond, Vogel usw.) – sind ein weiteres wichtiges Element von Floor Plan.

Klanglich reflektiert die Musik zu Floor Plan, Notes from the Underground (Noten aus dem Untergrund), ebenso die in Floor Plan enthaltenen apokalyptischen Tatsachen wie die reale Bedrohung allen biologischen Lebens auf diesem Planeten. Ein klangliches Plasma aus einer sich ständig verschiebenden Polyphonie kombiniert die Musik von hunderttausenden menschlichen Stimmen a capella (die in Hebräisch, Yiddisch und anderen Sprachen singen) mit den Schreien und der Sprache des Tierreiches, besonders von jenen Rassen, die vom Aussterben bedroht sind wie Elefanten, Wale, Wölfe usw., den Klang antiker ritueller Instrumente Trommeln, Widderhörner, Muschelhörner und Maultrommeln, unheilvolle industrielle, elektronische Klänge und die Geräusche von Naturkatastrophen. Dies alles entströmt rund 75 Lautsprechern, die entlang der Lichtzeichnung in die Erde versenkt sind.

Historische Anmerkung
Floor Plan verwendet einen Architekturgrundriß als Basis. Die Synagoge der Reformkongregation, Johannisstraße 16, Berlin Mitte, dient als Modell. Von Gustav Stier (1807–1880) im Jahre 1853 entworfen, 1853–54 gebaut und 1854 eröffnet, wurde sie in der "Kristallnacht" beschädigt und während des Zweiten Weltkrieges zerstört. Der Originalplan wurde von Gustav Stier gezeichnet und von W. Loeillot lithographiert.
Ergänzungsinstallation zu Floor Plan:
FLYING CARPET
(Fliegender Teppich) von Melissa Gould Während unseres Aufenthaltes in Berlin wohnten Alvin Curran und ich in der Wielandstraße 18, direkt unter der Einflugschneise zum Flughafen Tempelhof. Wenn die Maschinen zur Landung ansetzten, waren sie schrecklich laut und so weit herunten, daß wir uns immer fragten, wann sie denn bei uns durch das Dach kommen würden. Es ist dies derselbe Flughafen, der während des Kalten Krieges für die Versorgung der Berliner mit Lebensmitteln und Material eingesetzt wurde. In seinen Spitzenzeiten landete dort eine Maschine pro Minute.

Flying Carpet ist eine stille Meditation über Krieg und Frieden, wobei die Schatten der Flugzeuge Anblick und Klang der echten Maschinen ersetzen, Schatten, die sowohl ein visueller wie ein spiritueller Kontrapunkt zum glühenden Licht von Floor Plan sind.
Biographische Anmerkung von Melissa Gould zu Floor Plan
"Räume der Erinnerung: Die Entwicklung einer Idee"

Ich bin immer von der Vergangenheit besessen gewesen, sowohl von ihren physischen Überresten als auch von dem, was nicht mehr zu sehen ist – besonders von jenen Räumen, die nur mehr in der Erinnerung existieren. 1976 machte ich auf einem leeren Grundstück in Providence, Rhode Island, eine architektonische "Zeichnung" eines imaginären Hauses im Maßstab 1:1. Ich malte mit Straßenfarben in Primärfarben auf dem grauen Beton. Der Raum wurde umgeben von "Manhattan, Queens, Brooklyn und Da Bronx". Es gab ein "Speisezimmer" und ein "Wohnzimmer". All diese Bezeichnungen wurden mit Blockbuchstaben auf den Boden gemalt – ein Spiegelbild einer Blaupause, wie sie normalerweise mit Tinte auf Papier dargestellt wird.
Im "Wohnzimmer" zeichnete ich wie in einer Polizeiskizze die Kreideumrisse eines – nicht mehr vorhandenen – Körpers. Grundgedanke war, daß hier ein Mord stattgefunden habe, und es wurden zur Erklärung noch ein paar Beweisstücke angegeben. Es gab einen Tisch ("A") und einen Sessel ("B"), die auf entsprechend gemalte Markierungen plaziert wurden. Die Kreidefigur überlebte den ersten Regen natürlich nicht (und es regnete häufig in Providence), aber der Rest der Zeichnung blieb noch jahrelang sichtbar, bis ein Gebäude darüber errichtet wurde.

Da ich in einem kleinen Haus aufgewachsen war, verbrachte ich viel von meiner Kindheit in der Phantasie mit der Erfindung von Grundrissen für imaginäre "Traumhäuser", auch zeichnete ich viele Diagramme auf Zeichenpapier, wo ich dann wie besessen die Gegenstände in meinem Zimmer neu arrangierte, einfach indem ich den Bleistift bewegte. Als meine Großmutter mütterlicherseits 1977 starb, wollte ich ihr geräumiges Appartement am Riverside Drive als lebensgroße Architekturzeichnung darstellen (diesmal mit Kalk wie auf einem Baseball- oder Fußballfeld), und zwar auf der berühmten Sheep Meadow im Central Park. Leider hat sich die Gelegenheit zur Realisierung dieses Memorials nie ergeben.

Mein nächstes imaginäres Haus wurde innerhalb eines von hohen Steinmauern umgebenen Fundamentes realisiert, das noch von einem früheren Bau übrig war, ganz in der Nähe meines "Mordschauplatzes". Ich habe rund zwanzig "gefundene" Fotos von nicht mehr existierenden Räumen darin arrangiert, die ich in gleicher Größe reproduzierte und in Augenhöhe gleichmäßig verteilt an den vier Wänden aufhing (hinter Glas und mit "Rahmen" aus grauem und grünem Abdeckband). Ich versuchte dabei, Innenräume mit emotionellem Gewicht zu finden, zusätzlich dazu, daß sie Fenster in eine andere Zeit waren. Ich verwendete etwa ein Kinderspielzimmer der "Titanic", Hitlers Arbeitsraum in der Reichskanzlei ebenso wie einen seltsamen Raum, dessen gesamte Möblierung – inklusive dem Pianino – aus Eis modelliert war, ein Bild, das ich in einem alten National Geographic Magazine gefunden hatte. Die Bilder blieben eine Zeitlang hängen und konnten von jedem, der die "Ausstellung" bemerkte, privat erfahren und genossen werden. Eines Tages ging ich dann mein Projekt kontrollieren und mußte entdecken, daß die Bilder samt Glas und allem spurlos entfernt worden waren. jetzt existierte auch MEIN Raum nicht mehr, auch dieser war absolut ephemer gewesen. Irgendwie hatte dieser seltsame und ungeplant geschlossene Kreislauf etwas Befriedigendes.

Während jenes Jahres, das ich in Berlin verbrachte, hatte ich Gelegenheit, auf sehr machtvolle Art Kontakt mit der Vergangenheit zu bekommen. Ich hatte das Glück, die Erlaubnis zu erhalten, einige Zeit in "Mussolinis Botschaft", in der heute das italienische Konsulat ist, mit Fotografieren zubringen zu dürfen. Nachdem ich sorgsam in einen unbenützten (und ungeheizten) Teil des Gebäudes geführt worden war, wurde ich einige Stunden alleine gelassen. Die Räume waren in einem gefährlichen Verfallszustand. Geblümte Tapeten lagen wie Pergamentrollen und gelöste Rinden auf dem Boden, auf der Rückseite beklebt mit Makulatur aus vergiIbten deutschen Zeitungen der 30er Jahre (in altmodischer, schwerer Schrift). Eine große Spule von einem Filmprojektor lag auf dem Boden wie ein verlorengegangenes Wagenrad – ich stellte mir vor, es sei von Mussolinis Vorführraum und fragte mich, welches wohl der letzte Film gewesen sei. Eine eingebrochene Couch mit hervorquellendem Roßhaar und geschnitzten Seitenwänden stand da und präsentierte Schnitzereien von Sternen, Feuern und Kandelabern. Ausgehängte Türen standen in zahnlückigen Reihen die Wände entlang wie eine Reihe Grabsteine. Ich erforschte und dokumentierte die kalten, vom Einsturz bedrohten Räume, bis man mich dankenswerterweise wieder abholte.

Später im selben Jahr, in Wien, bewaffnet mit einem Stadtplan wie ein Kind auf Schatzsuche, konnte ich dann die Punkte in der Vergangenheit meines Vaters verbinden – von jenem Haus, in dem er geboren wurde, bis zu jenem, in dem er und seine Familie lebten, bevor sie 1938 zur Flucht gezwungen waren. Ich überfiel ein liebenswürdiges, junges persisches Paar in der Wohnung in der Jägerstraße und wurde durch Räume geführt, in denen mein Vater gegessen hatte, geschlafen, Geburtstage gefeiert und Feiertage verbracht, und wo er inmitten riesiger dunkler Möbelstücke die Klassiker studiert hatte. Bücher in Farsi und moderne Möbel füllten die Räume jetzt, aber der Blick aus dem Fenster war ziemlich derselbe wie jener, den mein Vater mit seinen eigenen Augen gesehen hatte. Als ich wieder in Berlin zurück war, machte mich mein Freund, der amerikanische Komponist Arnold Dreyblatt, der von meiner Besessenheit wußte, mit dem zweibändigen Werk "Synagogen in Berlin" (1) bekannt, das eine 1983 im Berliner Museum abgehaltene Ausstellung dokumentierte. Die Bücher enthielten Dokumente, Fotografien und Reproduktionen von Original-Bauzeichnungen jener 34 Synagogen, die 1938 in Berlin standen. Ich wollte ursprünglich ein Werk schaffen, das die Standorte alle konzeptuell miteinander verbindet. Aber als ich die einzelnen Standorte auf meinem klapprigen Fahrrad abfuhr, wurde ich sehr bald von den Eindrücken der Erinnerung und den Fakten der Vergangenheit, kombiniert mit der leeren Trostlosigkeit der modernen Häßlichkeit, überwältigt. Da und dort waren einige Gedenktafeln angebracht, aber ein allgemeines Gefühl von Unwirklichkeit durchdrang die Präsenz des gegenwärtigen Alltagslebens (manchmal in Form eines Spielplatzes oder eines Kohlendepots), das sich so gelassen auf den früheren heiligen Stätten installiert hatte. Ich dachte an die Kirche San Clemente in Rom, wo Generation um Generation immer wieder Stätten der Verehrung über jene gebaut hatten, die von früheren Gläubigen stammten. So griff dann der Gedanke Platz, das Skelett einer wirklichen Synagoge in einem damit nicht verbundenen, parkähnlichen Raum entstehen zu lassen – der Platz vor dem Reichstag, der Tiergarten oder die Pfaueninsel hatte ich im Kopf. Ich wählte eine Synagoge aus und ging direkt ins Archiv der Technischen Universität Berlin, um die originalen Baupläne zu studieren und zu fotografieren. Floor Plan begann, Gestalt anzunehmen.

Dann, eines Nachmittags, als ich so in den Regalen der Bibliothek der Jüdischen Gemeinde herumstöberte, entdeckte ich rein zufällig einen dicken Band "Le memoriel de la déportation des juifs en France" (2) herausgegeben von Serge Klarsfeld. Als ich so neugierig durchblätterte, entdeckte ich zufällig den Namen meines Großvaters auf einer Transportliste. Fakten: Namen, Daten, Zahlen – alles einfach da. In diesem Moment hatte ich das Gefühl, als wäre eine Schwarzweißfotografie plötzlich farbig geworden und zum Leben erwacht. Selbst mein Vater hatte die genaueren Umstände und Details des Todes seines eigenen Vaters nicht gekannt. Fünfundvierzig Jahre später konnte ich – so traurig es war – damit aufwarten. Wieder ein geschlossener Kreis.

Auf einer sehr persönlichen Reise fuhr ich dann alleine nach Auschwitz, als das einzige Familienmitglied, das aus eigenem Willen dorthin gekommen war. Ich stand in Räumen, in denen nichts war außer Berge von Koffern, Metallgefäßen, Augengläser, Körperprothesen und Haare – arrangiert wie separate anthropologische Inventarien – in permanenter Stille hinter verglasten Museumswänden. Ich ging durch die leere, schwach beleuchtete Gaskammer.
Während meines Aufenthaltes in Berlin kam mir immer wieder und wieder ein Kommentar in den Sinn, der dem verstorbenen amerikanischen Komponisten Morton Feldman zugeschrieben wird. Als er gefragt wurde, ob er sich mit dem Gedanken trage, in Deutschland zu leben, wo er doch zu den Großen der Neuen Musik dort gehöre, soll Feldman den giftigen Ausspruch getan haben: "Lächerlich – die Toten schreien noch immer von unter den Gehsteigen hervor".

Verfolgt von Feldmans unmöglicher und doch berührender Vorstellung zusammen mit meinen eigenen Sorgen in dieser Periode habe ich dann Alvin Curran gefragt, ob er eine Klanginstallation für diese Arbeit machen wollte.
NOTES FROM TBE UNDERGROUND
(Noten aus dem Untergrund) Alvin Curran

Das Konzept
Im Jahr 1987 war ich als Composer-in-residence am DAAD in Berlin. Es war dies eine Übergangsperiode in meiner Arbeit. Ich schrieb Streichquartette für das KRONOS-Quartett, arbeitete mit MIDI-Elektronik und machte massive Konzerte für elektronisch gesteuerte Schiffshörner. Aber in diesem privilegienreichen Jahr als Gastkünstler in Berlin kam immer wieder ein Thema störend in mein friedliches Leben – die Geschichte der Stadt selbst, das heißt, ihre jüngste Geschichte.

Melissa war ernsthaft damit beschäftigt, die Vergangenheit zu erforschen, und langsam wurde ich in diese ihre Anliegen hineingezogen – teilweise im Versuch, die unverständlichen Ereignisse zu verstehen, teilweise auch im Versuch, meine eigene Identität der Diaspora zu begreifen (ich wurde ein Monat nach der "Kristallnacht" in den USA geboren). Melissas Arbeit entwickelte sich bald zu einem konzeptuellen Kunstwerk – Floor Plan. Obwohl ich zu dieser Zeit intensiv an anderen Musikprojekten arbeitete, wandte ich meine volle Aufmerksamkeit ihrem Werk zu, denn darin fand ich die Vision zu einem musikalischen Gegenstück: Eine Klangwand aus 6,000.000 Stimmen, die parallel verlaufen und unsichtbar aus ihrer Architektur-Installation aufragen würde – eine Klangwand, die aus der Erde selbst emporsteigt. Ein akustisches Spiegelbild zu Floor Plan war geboren – "Notes from the Underground".

In meinen Environment-Arbeiten gibt es immer ein wenig den Touch des Unmöglichen, ob das jetzt die Aufstellung von 22 Schiffshörnern auf einem Flußkilometer der Donau ist (Ars Electronica 1987), oder die Vereinigung von hunderten Musikern in sechs verschiedenen Ländern bei einer simultanen Radio-Performance (Crystal Psalms 1988). Aber selbst mit diesen und ähnlichen Erfahrungen waren die Herausforderungen von Floor Plan/Notes für mich von einer neuen Qualität: Musik in Höhlen, Häfen oder an Flüssen zu machen, war eine Sache; Musik mit dem Klang von Millionen Stimmen zu machen, die von unter der Erde heraufdringen, eine andere.

Die Musik
Für mich werden die naheliegenden Themen von der systematischen Vernichtung des europäischen Judentums bis zu jener der Kurden heute – die plausiblen Vorhersagen über das Ende allen Lebens auf diesem Planeten, wie unverständlich monströs und abstoßend sie immer sein mögen – hier in der Musik viel direkter angesprochen als je zuvor. Sie dienen in der Tat als stark motivierende Medizin, einige der wichtigsten in meinen Arbeiten enthaltenen Klangquellen und Kompositionsstrukturen zu vereinigen: Riesige gemischte Chöre, die Melodien von überall und nirgends singen; die kaum identifizierbaren und doch berührenden Melodien des Tierreiches (Elefanten, Löwen, Büffel, Elch, Wale, Delphine, Nachtigallen, Seetaucher usw.); die Klänge von den Ur-Instrumenten der kollektiven menschlichen Erinnerung – das Schofar (Widderhorn), Muschelhorn, Trommel, Maultrommel, Schalmei, Nebelhorn usw.; die gefügigen virtuellen Klänge und Räume der zeitgenössischen digitalen Technologie – sie alle sind hier in den "6,000.000" Spuren des gleichzeitig abgemischten Klanges vorhanden.

Die zu hörende Musik ist eine Kombination von langsam wechselnden automatischen Mixes von 3 oder 4 sehr komplexen Bändern unterschiedlicher musikalischer Dichte. Auf gut hörbare Lautstärke verstärkt wird dieser ständige Fluß klanglichen Plasmas unvorhersehbar, aber unaufhaltsam durch die Untergrundkammer der Lautsprecher wandern.

Die physikalische Struktur
Wie einfach auch das Konzept sein mag, die eigentliche Erschaffung einer gleichmäßig verteilten Klangwand von unter der Erde war nicht einfach. Schließlich – wer würde schon Lautsprecherboxen einfach vergraben wollen? Nachdem eine lange Liste von Gedanken und Materialien analysiert worden war, darunter auch die Verwendung von normalen Beton-Kanalröhren, entstand während meines Aufenthaltes am Mills College im Winter 1991 der endgültige Plan. Mit der Hilfe meiner beiden Assistenten Sue Ruscigno und Martin Hammer wurde ein kleines experimentelles Modell unter der Aufsicht von Chris Brown, dem Leiter des Center for Contemporary Music am Mills College, und mir selbst konstruiert.

Bei dieser Ars Electronica wird die erste vollständige Version von "Notes from the Underground" und seinem vergrabenen Klangsystem aufgebaut – ein kontinuierlicher, 100 m langer hölzerner Klangraum wird unter einer 4–6 cm starken Rasenschicht installiert, im Abstand von 1,5 m parallel zu Floor Plans Leuchtstoffröhren, sozusagen eine akustische Außenhülle der Synagoge selbst. In einem rechteckigen Graben, 1 m breit, 80 cm tief, wird zuerst eine Schicht aus Drainage-Kies eingebracht. 6 cm dicke Sperrholzplatten kleiden den Graben in einem V-Querschnitt aus. An Verbindungsbalken werden 12"-Koaxial-Lautsprecher aus wasserresistentem Plastik im Abstand von 1,5 m nach unten montiert, so daß der Klang gleichmäßig reflektiert und verteilt wird. Eine ähnliche Sperrholzabdeckung mit 8-cm-Löchern und einem feinen Maschengitter wird über den Graben gelegt und dann mit einer dünnen Schicht Hobelspäne sowie den Rasenziegeln bedeckt. Die rund 75 Stück 25-Watt-Allwetterlautsprecher, parallel und in Serie geschaltet, werden von einer Anzahl Stereoverstärker angespeist.

ALVIN CURRAN
April 1991, Oakland California
ANMERKUNG ZUM UNTERTITEL
"Von Adler bis Zylber"
Um 8.55 Uhr am Morgen des 6. Novembers 1942 verließ der Konvoi Nr. 42 Drancy, Frankreich, in Richtung Konzentrationslager Auschwitz, Polen. Eintausend Juden waren in diesem Transport, davon 221 Kinder. Der Vater meines Vaters, ein Wiener Jude, war auch im Zug. Die Reise dauerte drei Tage. Bei der Ankunft wurden 227 Personen zur Arbeit ausgewählt, die anderen wurden sofort vergast, mein Großvater ebenfalls. Zu Kriegsende wurden vier Überlebende des Transports Nr. 42 bekannt. Die 100 Namen, die ich in Floor Plan/Grundriß verwende, sind aus der Transportliste von Konvoi 42 ausgewählt, Floor Plan ist eine Fortsetzung dieser Reise.

1. Adler
2. Bach
3. Baum
4. Bernstein
5. Blumen
6. Blumenthal
7. Blumztein
8. Breholz
9. Breitenfeld
10. Buchwald
11. Buxbaum
12. Diamant
13. Eigewald
14. Eisen
15. Eisenberg
16. Engel
17. Faingold
18. Fernbach
19. Feuer
20. Fisch
21. Fischbach
22. Fischbein
23. Friedberg
24. Frost
25. Fuchs
26. Gartenberg
27. Geisholz
28. Gelbtrunck
29. Gerstztenkorn
30. Gold
31. Goldadler
32. Goldberg
33. Goldblatt
34. Goldenberg
35. Goldstein
36. Groen
37. Grunfeld
38. Haas
39. Hazenberg
40. Himelblau
41. Hirsch
42. Hirschfeld
43. Honig
44. Katz
45. Kern
46. Kirschbaum
47. Kleinberg
48. Kupermine
49. Lauberstajn
50. Lewenkoff
51. Lichtenbaum
52. Maltz
53. Mandel
54. Mandelbaum
55. Mandelstam
56. Milstein
57. Mond
58. Morgenstern
59. Rehfeld
60. Reis
61. Rosenberg
62. Rosenschien
63. Rosenzweig
64. Rotszteyn
65. Rozenblum
66. Rozental
67. Schatzberger
68. Schonbach
69. Schwalb
70. Schwartz
71. Silberberg
72. Silberstein
73. Silberwasser
74. Spiegel
75. Spritzer
76. Steigerwald
77. Stein
78. Steinberg
79. Steinhaus
80. Sternberg
81. Sternschuß
82. Strausberg
83. Strausz
84. Sucher
85. Szainholz
86. Tauber
87. Tenenbaum
88. Vajnapel
89. Vogel
90. Wald
91. Waldkirch
92. Weinblum
93. Weinfeld
94. Weinstein
95. Weiß
96. Winter
97. Wolf
98. Zweigenbaum
99. Zwetschkenbaum
100. Zylber


(1)
( Synagogen in Berlin – Zur Geschichte einer zerstörten Architektur. Berlin: Berlin-Museum und -Verlag Willmuth Arenhövel 1983, Teile 1 und 2. zurück

(2)
Le memorial de la deportation des Juifs de France. Paris, Serge Klarsfeld 1978. zurück