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Ars Electronica 1991
Festival-Programm 1991
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Eine beunruhigende Sache


'Paul DeMarinis Paul DeMarinis

"Im Jahre 1957 ließ sich meine Familie in Ely, Nevada, etwa hundert Kilometer in Windrichtung vom Atomtestgelände nieder. Mein Vater, Genetiker, war beim Gesundheitsdienst der Vereinigten Staaten angestellt und überwachte den Weg des radioaktiven Fallouts in der dünnen Ökologie der Wüste. Manchmal wachten wir in den frühen Morgenstunden auf und sahen eine Bombe explodieren. Wir lauschten dem Countdown in seinem Funkgerät, beobachteten, wie sich der Himmel in einem viel zu frühen Wüstensonnenaufgang verfärbte, um wieder in Sterne und Nacht zu verschwinden. Ich erinnere mich, in den Tagen nach solchen Tests spektakuläre Sonnenuntergänge gesehen zu haben, rote Feuerwände am Abend. Der ganze Staub, wie ich glaube. Mein Vater erzählte von der Zeit am Testgelände, wie er nur eine Stunde nach der Explosion ins Explosionsgebiet fuhr. Er beschrieb die unglaubliche Staubwolke und wie der Wüstenwind den Staub überallhin blies. Danach, so erzählte er, wurden sie immer aufgefordert, sich zu duschen und umzuziehen. Jahre später erfuhren wir Details von jenen inoffiziellen Tests, bei denen Plutoniumbomben mittels herkömmlicher Sprengstoffe zerstört wurden, ich glaube, um ihre Verwundbarkeit bei Terrorangriffen zu erproben. Während die Bomben nicht hochgingen, wurden Kilos von Plutonium als feinster Staub durch die ganze Wüste gewirbelt, und ich bin sicher, dort treibt es noch herum."

Ein Raum von ca. 4,5 x 9 Metern. Das Panorama eines Sonnenuntergangs in der Wüste von Nevada wird an die Wände projiziert. Auf dem Boden liegt etwas staubfeines weißes Pulver. In der Mitte eine kleine Hütte oder Unterstand aus Bleiblech, so groß, daß ein Mensch darin stehen oder kauern kann, um zu überleben. In der kleinen Hütte steht ein Radio. Daraus ertönt eine künstliche Stimme von hoher Qualität. Die Stimme spricht in einem ruhigen Südstaatenakzent über das Atomversuchsgelände Yucca Flats. Von der Verseuchung von Menschen, Tieren und Ernten, die sich dort seit den fünfziger Jahren abspielt. Die Stimme ändert ihre Künstlichkeit, klingt einmal wie ein Mensch, dann wie eine Maschine, ist manchmal melodisch und manchmal Singsang, manchmal ein Flüstern. Die Botschaft bleibt unverändert. Die Texte stammen aus Augenzeugenberichten von Überlebenden. Wenn Sie den Raum verlassen, merken Sie vielleicht, daß etwas von dem Pulver an Ihrer Kleidung hängengeblieben ist. Es ist harmlos und hübsch anzusehen – kleine dichroitische Plastikflocken. Aber das Pulver ist sehr auffällig. Im Laufe des Tages fängt man an, es überall zu sehen, da es von Ihnen und anderen Besuchern herumgetragen wird. Es ist interessant, wie weit und wie rasch es verbreitet wird. Innerhalb der Woche, in der die Installation stattfindet, werden sich winzige Mengen davon bis in weit entfernte Stadtgegenden ausgebreitet haben.

Am Tag vor dem Schuß war ich einen Großteil des ca. 2 km langen Umkreises abgegangen. Es gab Gräben mit Menschenattrappen und Waffen, wie z.B. M1-Gewehre und Maschinengewehre. Aber die eigenartigste Sache war dieser eine besondere Bunker und wie er gebaut war: die ganze Konstruktion war über der Erde. Darin war eine gerade Holzbank, die quer durch den ganzen Raum reichte. In der Mitte war ein Klemmenkasten mit losen Drähten. Ich fragte den Dicken, ob wir irgendwelche Geräte daran anschließen sollten. Er sagte nur, wir sollten wegbleiben. Draußen davor war eine ferngesteuerte Kamera auf einer Stange montiert und auf diesen Bunker und nichts anderes gerichtet. Was in Dreiteufelsnamen war da los?

Gegen 2 Uhr morgens hörte ich in der Nähe des Testbunkers, ein paar hundert Meter vor mir, einen Lastwagenmotor. Es war Vollmond und die Nachtluft über der Wüste war klar. In Umrissen konnte man sehen, daß sie in diesen Bunker Leute brachten. Ich mußte immer daran denken, was Turley sagte, was er oben beim Turm gesehen hatte: 'Einen Haufen seltsamer Gestalten.'

Nach dem Schuß schickten sie mich hinein, um das Prüfkabel herauszuholen. Überall flog noch der Staub herum. Die Hitze vom Boden brannte richtig durch meine Schuhsohlen. Vor mir sah ich den Bunker. Ein Mann, der aussah wie eine Schaufensterpuppe, war offensichtlich hinter den Bunker gekrochen. An seinen Armen waren eine Art Drähte befestigt und sein Gesicht war voller Blut, das ihm aus Mund und Nase schoß. Er versuchte, Drähte wegzureißen, die an seinem Kopf befestigt waren. Ich roch einen Geruch wie den von verbranntem Fleisch. Ich kannte diesen Duft nur zu gut. In Korea waren wir unmittelbar neben der Stelle, wo die Südkoreaner ihre Toten verbrennen.

Die Kamera, die ich zuvor gesehen hatte, machte zoom, zoom, zoom, und der Typ versuchte immer wieder aufzustehen. Statt ihm entgegenzugehen, erinnere ich mich, daß ich versuchte, den Weg zurückzulaufen, den ich gekommen war. Ich fiel auf ein Knie und begann zu erbrechen. Dann verschwamm mir alles vor den Augen. Ich wurde fast ohnmächtig. Das nächste, woran ich mich erinnere, sind ein paar Beobachter von der AEK, die mich anschreien und mir auf die Ladefläche des Jeeps helfen. Sie sahen in ihren Strahlenschutzanzügen wie Raumfahrer aus.

Meine nächste Erinnerung ist, wie ich, auf einer Pritsche liege. Ein Typ in Zivil beugt sich herunter und reißt mir mein Abzeichen ab. Er flucht, weil ich ihren streng geheimen Experimenten zu nahe gekommen bin. Eine Krankenschwester gibt mir eine Medizin, die sie 'Thizin' nennt. Das werde ich nie vergessen. Es war eine kleine Kappe voll, eine rote Flüssigkeit, und sie schmeckte wie Jod. Der Typ ging weg und etwa fünf Minuten später begann das Zeug zu wirken … Ich war so müde, daß ich im Stehen hätte schlafen können.

Am nächsten Morgen gaben sie mir ein Frühstück, aber ich konnte es nicht bei mir behalten. Danach kommt mir wieder alles durcheinander. Ich glaube, ich war eine Woche dort. Ärzte und Psychiater befragten mich über die Dinge, die ich am Testgelände gesehen hatte. Immer wenn ich nach dem armen Teufel fragte, den ich hinter dem Bunker gesehen hatte, sagte der Doktor 'Schauen wir uns einen Film an, Jim'. Eigenartige Filme! Zuerst sah man kurz eine Disney-Figur, wie Micky Maus, dann Tojo, dann Donald Duck, dann Hitler, dann die Mutter von irgendwem, und danach Ausschnitte von der Bombardierung von Hiroshima."
Jim O'Connor, U.S. Army